Dr. Gerhard Finckh: Besucherzahl ist kein Qualitätsmerkmal

Das weit über die Grenzen Wuppertals bekannte Von der Heydt-Museum ist derzeit geschlossen. Umbauarbeiten. Gelegenheit zum Rückblick und zur Vorausschau. Die Stadtzeitung unterhielt sich mit Museumsdirektor Dr. Gerhard Finckh, dem Initiator erfolgreicher Ausstellungen von weltberühmten Malern wie Pierre-Auguste Renoir, Claude Monet oder zuletzt Camille Pissarro.

Dr. Gerhard Finckh – © Dirk Sengotta

Das bekannte Wuppertaler Von der Heydt-Museum ist derzeit dicht. Diesen Umstand nutzt die Stadtzeitung für ein ausführliches Gespräch mit Museumsdirektor Dr. Gerhard Finckh.

DS: Ist eine Ausstellung dann gut, wenn sie viele Besucher hat?

Dr. Gerhard Finckh: „Nein. Die Besucherzahl hat an sich mit der Qualität der Ausstellung nichts zu tun. Gute Besucherzahlen sind heutzutage zwar notwendig, weil sich die Museen über die Eintrittsgelder finanzieren. Insofern ist es schön, wenn viele Leute kommen, weil wir dann am Ende wenigstens eine schwarze Null schreiben. Aber Zuschauerzahlen an sich geben keine Auskunft darüber, wie gut eine Ausstellung ist, sondern nur darüber, wo das Publikumsinteresse gerade liegt oder wie gut die Marketingstrategie war. In der Kunst gibt es keine Abstimmung mit den Füßen.“

DS: Sie haben es geschafft, Menschen ins Museum zu locken, die bislang höchstens Leonardo da Vincis ‚Mona Lisa‘ oder Rembrandts ‚Mann mit dem Goldhelm‘ als Kunstdrucke kannten. Macht Sie das stolz?

Dr. Gerhard Finckh: „Stolz macht mich das nicht unbedingt. Aber es freut mich, wenn Leute zur Kunst kommen, die sich bisher nicht so sehr dafür interessiert haben. Ich sehe Kunst als etwas, das mich selbst unheimlich bereichert. Kunst ist mit meinem Leben untrennbar verbunden, und daher freue ich mich, wenn ich diese Freude mit anderen teilen und Leute dazu bewegen kann, häufiger mal ins Museum zu gehen.“

DS: Nach welchen Kriterien gestalten Sie eine erfolgreiche Ausstellung?

Dr. Gerhard Finckh: „Wir sind keine Kunsthalle, sondern ein Museum mit einer umfangreichen eigenen Sammlung. Deshalb halte ich sehr viel davon, daraus die Grundlage für Ausstellungen zu entwickeln. Unsere Sammlung hat eine ganz bestimmte Struktur. Sie beginnt mit der späten Gotik und endet mit der Gegenwart. Wir besitzen eine große Menge an alten Niederländer-Gemälden. Da bietet es sich an, Ausstellungen mit niederländischer Kunst des 17. Jahrhunderts zu machen. Wir haben zudem viele impressionistische und expressionistische Gemälde. Deshalb machen wir auch regelmäßig impressionistische oder expressionistische Ausstellungen wie zuletzt ‚Der Sturm‘. Die Rückkoppelung an die Sammlung zeigt ja auch den Bürgern unserer Stadt, wie sinnvoll es ist, eine solche Sammlung zu haben und wie stolz man darauf sein kann.“

DS: Könnten Sie sich in Ihrem Hause auch eine Ausstellung wie ‚Feministische Avantgarde der 70er Jahre‘ vorstellen, die ja auch eine politische Komponente hat?

Dr. Gerhard Finckh: „Ich halte sehr viel davon. Kunst ist ja eigentlich immer politisch. Wenn Rubens ein Bild gemalt hat, dann nicht, weil er sich nur für die nackten Frauen interessiert hat, sondern weil er einen politischen Inhalt damit herüberbringen wollte. Er hatte etwa die Absicht, einem Fürsten mit seinem Bild einen Spiegel vorzuhalten. Wenn beispielsweise in den 70er Jahren Hamburger Künstlerinnen etwas geschaffen haben, dann stellten sie in dieser Kunst ihre eigene Position als Frau dar. Heute ist eine solche Ausstellung über den Feminismus in den 70er Jahren die Reflektion einer politischen Haltung, verbunden mit der Frage: Wie weit ist der Feminismus von damals von den heutigen Positionen entfernt? Schließlich gab es zu der Zeit noch keine Quotenfrauen in den Dax-Konzernen, heute gibt es sie. Ein kleiner Fortschritt. Deshalb lohnt es sich auch, gelegentlich einmal zurückzuschauen.“

DS: Glauben Sie, dass die Wuppertaler Kunstfreunde an ‚Eat Art‘, einer Ausstellung des Künstlers Daniel Spoerri Appetit haben könnten, der Essensreste nebst Geschirr und Besteck in Kunst verwandelt?

Dr. Gerhard Finckh: „Die ‚Eat Art‘ ist eine Spielart von Minimal- oder konkreter Kunst, die in den 60er und 70er Jahren weit verbreitet war. Und Spoerri ist einer der ganz wichtigen Künstler dieser Richtung. Ein toller Typ – und es ist auch kein Quatsch, den er da macht. Es geht ja nicht darum, nur einen Teller oder eine Tasse an die Wand zu knallen. Es geht auch um formale Prinzipien dabei. In der Kunst spielt Form immer eine Rolle. Aber eine große Retrospektive von Spoerri gab es gerade in Düsseldorf und in Stuttgart.“

DS: Woher kommen denn heutzutage überhaupt noch die Gelder, um neue Kunst anzukaufen?

Dr. Gerhard Finckh: „Es gibt für uns zwei Möglichkeiten. Das eine ist die Von der Heydt-, das andere ist die Renate und Eberhard Robke-Stiftung. Von der Heydt hat der Stadt nicht nur seine Kunstsammlung, sondern auch eine große Geldsumme vermacht, die von der Stadt verwaltet wird. Daraus fließen Zinserträge, von denen wir jedes Jahr auf meinen Vorschlag hin etwas Kunst ankaufen können – und zwar in der Regel von Künstlern, die bereits verstorben sind und gegenständlich gemalt haben. Die Robke-Stiftung legt dagegen großen Wert darauf, dass Gegenwartskunst gefördert und für unsere Sammlung erworben wird.“

DS: In Kunst zu investieren – ist das eigentlich noch eine lohnende Geldanlage?

Dr. Gerhard Finckh: „Ich halte sehr wenig davon, dass man mit Kunst sein Vermögen vermehrt. Das kann man natürlich tun, wenn man z.B. Werke von Gerhard Richter oder Georg Baselitz erwirbt. Aber dafür wird Kunst eigentlich nicht geschaffen. Sie ist dafür da, dass sich Menschen daran erfreuen oder kritisch mit ihr auseinandersetzen. Für mich wäre es undenkbar, ein Kunstwerk zu erwerben, nur um es dann hinterher für mehr Geld wieder zu verkaufen. Mein Tipp: Kaufen Sie nur die Kunst, mit der Sie sich auch umgeben wollen.“

DS: Viele Kunstwerke stehen jahrelang aus Platzgründen in Ihrem Depot und sind den Wuppertaler Kunstfreunden nicht zugänglich, ist das nicht ein Trauerspiel?

Dr. Gerhard Finckh: „Wir haben ungefähr 3.000 Gemälde, 30.000 Arbeiten auf Papier und dazu etwa 500 Skulpturen. Das ist schon eine stattliche Sammlung. Davon können wir leider immer nur relativ wenig zeigen. Wir realisieren regelmäßig große Ausstellungen. Der Nachteil ist, dass dann für unsere eigene Sammlung nur noch wenig Raum bleibt. Wir setzten deshalb auf ein Umschichtsystem, dass wir z.B. mal nur die Niederländer zeigen oder mal nur Gegenwartskunst. Mit diesem Rotationsprinzip wollen wir unserem Publikum trotz der Platzknappheit immer wieder andere Aspekte unserer Sammlung vor Augen führen.“

DS: Träumen Sie da nicht von einem größeren Museum?

Dr. Gerhard Finckh: „Im Grunde genommen schon. Schon der erste Direktor des Hauses, Friedrich Fries, hat damals gesagt: ‚Das Haus ist eigentlich zu klein. Wir können nicht alle Schätze zeigen und parallel große Ausstellungen machen‘. Das bedeutet, das Museum hatte immer schon Platznot. Und die Sammlung wächst ja ständig weiter. Wir haben große Probleme, Werke unterzubringen, geschweige denn, sie zu zeigen. Deshalb wäre es sehr, sehr wünschenswert, ein neues, deutlich größeres Museum zu bekommen. Es gab immer wieder mal Neubaupläne, z.B. das Schauspielhaus als Kunstmuseum umzubauen, diese ließen sich aus Geldmangel aber bisher leider nie realisieren.“

DS: Provokant gefragt: Könnten Sie sich denn vorstellen, einige große Werke Ihrer Sammlung zu verkaufen, um mit dem Ertrag daraus ein neues, größeres Museum zu finanzieren?

Dr. Gerhard Finckh: „Hier wird keine Kunst verkauft, zumindest nicht, solange ich da bin! Die Kunstmuseen sind immer unter der Maßgabe gegründet worden, dass die Werke für die Ewigkeit im Museum bleiben. Wir würden doch auch nicht unsere Wuppertaler Stadtgründungsurkunde verkaufen. Und das gilt auch für unsere Sammlung. Wir sind stolz auf unseren Monet und unseren van Gogh. Die Werke sind Ausdruck dafür, welche ästhetischen, politischen und soziologischen Präferenzen Bürger unserer Stadt zu einer ganz bestimmten Zeit hatten. So eine Sammlung ist ein Dokument. Und das darf man auf keinen Fall auseinanderreißen.“

DS: Wie stehen Sie persönlich zum Ausverkauf der Kunst in NRW, in dessen Zuge z.B. auch Werke von Andy Warhol regelrecht verhökert wurden?

Dr. Gerhard Finckh: „Das ist eine absolute Katastrophe! Und zudem eine kulturpolitische Bankrotterklärung. Es ist unglaublich, was die da angestellt haben. Denn gerade diese beiden Bilder von Andy Warhol waren eng mit der Kunstgeschichte Nordrhein-Westfalens verbunden. Warhol – gebürtiger Rumäne und später US-Bürger – ist dadurch berühmt geworden, dass der Kölner Kunstsammler Peter Ludwig seine Werke gekauft hat. Über NRW ist Warhol also letztlich weltweit berühmt geworden. Und jetzt gerade zwei seiner Hauptwerke zu verschleudern, das ist völlig idiotisch und weckt natürlich Begehrlichkeiten der städtischen Kämmerer, auch Kunst aus ihren Museen zu Geld machen zu wollen. Direktorenkollegen in anderen Kommunen hatten größte Mühe, dies abzuwehren. Das ist genau der falsche Weg, abgesehen davon, dass die Städte in ein paar Jahren ja ohnehin wieder verschuldet wären.“

Dr. Gerhard Finckh – © Dirk Sengotta

DS: Wie sehen Sie die Diskussion um die vermeintliche Nazi-Vergangenheit von Eduard von der Heydt, dem Namensgeber Ihres Museums?

Dr. Gerhard Finckh: „Die Diskussion ist immer noch aktuell. Und wir führen sie ganz bewusst weiter. Wir planen im Herbst die große Ausstellung ‚Weltkunst‘ mit dem Untertitel: ‚Die Sammlung Eduard von der Heydt‘. Er hat ja nicht nur europäische Kunst gesammelt, sondern auch Werke aus Asien, Afrika, Indonesien, Mexiko. Diesen zweiten Teil der Sammlung kennt man hier in Wuppertal kaum, der befindet sich normalerweise im Rietberg-Museum in Zürich. Wir führen jetzt beide Sammlungen zusammen. Um sie zu strukturieren, wollen wir die Lebensstationen Eduard von der Heydts anhand seiner Wohnräume nachempfinden. Er hat mit den Werken unterschiedlichster Kulturen unter einem Dach gelebt. Man wird erkennen, dass jemand, der Weltkunst gesammelt hat, sich mit den blöden Ariergedanken der Nazis gar nicht anfreunden konnte. Von der Heydt war ein Weltbürger. Seine Sammlung unterstreicht eindeutig, dass er vom Herzen her kein Nazi gewesen sein kann. Parallel zur Ausstellung veranstalten wir ein Symposium, um noch einmal die Frage zu klären: ‚Wie viel Schuld hat Eduard von der Heydt im Dritten Reich auf sich geladen?‘ Wahrscheinlich werden die Experten zu dem Ergebnis kommen: Relativ wenig! Eduard von der Heydt ist ja auch 1945 vom Militärgericht in Zürich freigesprochen worden.“

DS: Welche in der Kunstwelt existierenden Werke haben Sie persönlich am meisten beeindruckt?

Dr. Gerhard Finckh: „Es fängt an mit der 35.000 Jahre alten Mammutfigur, die ein unbekannter Künstler ohne Messer und nur mit einem Stein aus einem Mammutzahn geschnitzt hat. Dieses Werk wurde in der Vogelherdhöhle in der Schwäbischen Alb gefunden. Dann der Isenheimer Altar von Matthias Grünewald in Colmar, ein Meisterwerk, das mich schon als Teenager total beeindruckt hat. Ihn schaue ich mir immer wieder einmal an und erlebe ihn jedes Mal neu. Ich hatte mal die Gelegenheit, ganz allein vor dem Altar stehen zu dürfen und dieses Kunstwerk auf mich einwirken zu lassen. Ein einmaliges Erlebnis. Die Gemälde ‚Die Kreuzaufrichtung‘ und ‚Die Kreuzabnahme‘ von Peter Paul Rubens, den ich für den bedeutendsten Künstler aller Zeiten halte, bewegen mich, genauso wie ‚Der tote Christus im Grab‘ von Hans Holbein. In der Gegenwart ist es ‚Guernica‘ von Pablo Picasso, das mich fasziniert. Jedes Mal, wenn ich vor solchen bedeutenden Kunstwerken stehe – und davon gibt es noch viele mehr – bin ich so beeindruckt, dass ich mir die Frage stelle: Kann ich so weiterleben oder muss ich mein Leben ändern?“

DS: Wie sieht denn die Traumausstellung von Dr. Gerhard Finckh aus?

Dr. Gerhard Finckh: „Das Schwierige bei Traumausstellungen ist, dass man die Kunstwerke praktisch nicht mehr zusammen bekommt, die man dazu braucht. Wenn ich beispielsweise eine Rubens-Ausstellung machen wollte, die noch spektakulärer sein soll als die, die wir schon gemacht haben, dann wird das daran scheitern, dass ich die dafür notwendigen Kunstwerke nicht mehr bewegt bekomme. Die Gemälde sind so empfindlich, das die Museen sie gar nicht mehr herausrücken. Deshalb kann man die Traumausstellung schlechthin nie verwirklichen. Ich kann sie virtuell am Computer zusammenstellen, aber in der Realität wird es sie nie geben. Um Kunstwerke zu erleben, gibt es für mich nur eine Möglichkeit: Ich muss mich auf eine Reise zu den Kunstwerken begeben, also dorthin fahren, wo sie ausgestellt sind.“

DS: Wenn Sie sich frei entscheiden könnten: Von welchem Kunstmuseum auf der Welt wären Sie gern Direktor?

Dr. Gerhard Finckh: „Ich fühle mich in Wuppertal sehr wohl. Ich mag das Haus und seine Sammlung sehr gern. Ich habe hier wunderbare Mitarbeiter, mit denen ich gern zusammenarbeite und ich habe das Gefühl, dass das Museum von der Wuppertaler Bevölkerung getragen wird. Es gibt hier Stiftungen sowie Unternehmen und Privatleute, die unser Museum unterstützen. Wir haben Bürger, die auf uns zukommen und sagen: ‚Ich habe hier ein Kunstwerk, ich schenke es Euch‘. Es ist unglaublich, wie die Leute in dieser Stadt auf ihr Museum fokussiert sind. Schon allein deshalb bin ich sehr gerne hier.“
DS: Herr Dr. Finckh, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Interview führten Hans-Herbert Preising und Peter Pionke

 

Ein Überblick über Dr. Gerhard Finckhs Leben

Dr. Gerhard Finckh wurde am 12. April 1952 in Bruckmühl bei München geboren. Nach dem Abitur studierte er an der Universität München Kunstgeschichte und Bayerische Geschichte. 1987 promovierte er an der Technischen Universität München. Titel seiner Arbeit: „Münchner Bildhauerei der 1920er Jahre“. Von 1987 bis 1990 war Dr. Gerhard Finckh Leiter der Kunsthalle Emden. Von 1990 bis 2000 war er als Ausstellungsleiter des Folkwang-Museums in Essen tätig. Anschließend leitete er sechs Jahre lang das Museum Morsbroich in Leverkusen. Seit 2006 ist er Direktor des Von der Heydt-Museums.

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