10. Juli 2015Saskia Stiefeling
Hans-Jürgen Hiby: Kunst mit der Kettensäge
Er würde ganz sicher als Darsteller bei den Passionsfestspielen in Oberammergau eine gute Figur abgeben. Der weit über Wuppertal hinaus bekannte Bildhauer Hans-Jürgen Hiby – ein Kerl wie ein Baum oder ein Mann wie in Stein gemeisselt. Mit seinen 73 Jahren strotzt er vor Vitalität.
Seine Kunstwerke aus Holz und Stein, die für die Ewigkeit geschaffen zu sein scheinen, verlangen ihm aber auch körperlich alles ab. Mit zehn Kettensägen unterschiedlicher Größe bearbeitet er meterdicke Baumstämme. So entstehen die Rohlinge für seine Skulpturen wie „Der letzte Tanz?“, eine Hommage an die weltberühmte Tanztheater-Chefin Pina Bausch.
Kunst mit der Kettensäge. Doch den letzten Schliff erhalten Hibys Skulpturen durch Schnitzwerkzeuge, Schleifmaschinen und zum Schluss per Hand durch Schmirgelpapier.
„Meine Frau Doris nennt mich schon den Kettensägen-Mörder, weil ich schon so viele Kettensägen auf dem Gewissen habe“, erzählt der sympathische Künstler mit den markanten Gesichtszügen. Er ist bodenständig wie eine Eiche. Hans-Jürgen Hiby und seine Doris freuen sich auf die Goldene Hochzeit im nächsten Jahr. Der Wuppertaler studierte Kunsterziehung in Düsseldorf, Bonn und Mainz.
Der berühmte österreichische Bilderhauer Prof. Fritz Wotruba erkannte das riesige, künstlerische Potential von Hans-Jürgen Hiby. Ein Jahr studierte er an der Meisterschule für Bildhauerei in Wien. Auch im berühmten Steinbruch von St. Margarethen (Österreich) sammelte Hans-Jürgen Hiby Erfahrung.
Mit ‚Russisch Roulette‘ durch Geschichtsstudium
Doch trotz aller Zukunftsperspektiven als Künstler blieb der kernige Wuppertaler auf dem Teppich: „Ich wohnte bei einem Kommilitonen am Donaukanal. Und der Kollege war mit der Ausbildung schon so gut wie fertig und versuchte, von seiner Bildhauerei zu leben.
Und da konnte ich hautnah miterleben, dass das überhaupt nicht hinhaute. Die Zeit in Wien war toll, Burgschauspieler haben uns zu Feten eingeladen. Und da lernte ich auch Birgit Pluhar kennen, die Schwester von Schauspielerin Erika Pluhar. Aber nach einem Jahr bin ich trotzdem reumütig nach Mainz zurückgekehrt und habe dort mein Kunsterzieher-Studium abgeschlossen.“
Zu seinem Leidwesen musste Hans-Jürgen Hiby noch ein zweites Fach studieren, um eine Chance zu erhalten, als Lehrer eingestellt zu werden. Der Künstler: „Ich entschied mich für Geschichte. Ohne je eine Vorlesung in dem Studienfach besucht zu haben, bekam ich meine Scheine und spielte dann ‚Russisch Roulette‘, ich meldete mich einfach für die Prüfung an. Und ich bestand das Examen.“
Stundenweise arbeitete Hans-Jürgen Hiby als Werklehrer an der Hauptschule Hügelstrasse in Oberbarmen. Wenig später wechselte er als Referendar an ein Gymnasium in Remscheid. Der Künstler: „Und jetzt wurde von mir verlangt, neben Kunst auch Geschichte zu unterrichten. Und das war eine ganz große Katastrophe. Fast alle Schüler hatten in Geschichte ein größeres Fachwissen als ich. Und das Allerschlimmste: Ich musste mich so intensiv auf den Geschichtsunterricht vorbereiten, dass mir keine Zeit mehr für meine Kunst blieb.“
In seiner Not schrieb der ‚verhinderte Bildhauer‘ einen Brief ans Kultusministerium. Inhalt: „Ich scheide sofort aus dem Schuldienst aus, wenn weiter darauf bestanden wird, dass ich Geschichte unterrichte!“ Und ein paar Tage später erhielt Hans-Jürgen Hiby schwarz auf weiß: „Sie brauchen keinen Geschichtsunterricht mehr zu geben.“
1970 wechselte der Bildhauer als Kunsterzieher an das Gymnasium an der Sedanstrasse in Wuppertal. Dort ging er 2003 als Oberstudienrat für Kunst in Pension. „Meine Festanstellung als Lehrer hat dafür gesorgt, dass ich bis heute nicht von meiner Kunst leben muss.“
Der Schuldienst war die Pflicht. Die Kür spielte und spielt sich in seinem beeindruckenden Atelier ab, einer ehemaligen Textil-Werkstatt, in der seine Eltern noch Klöppelspitzen in Lohnarbeit hergestellt hatten.“ Hier entstanden Werke wie der Marmorbrunnen „Schöpfen & Schützen“, der heute auf dem Wichlinghauser Markt steht.
Seine Philosophie…
„Ich verstehe mich selbst als organischer Bildhauer, denn organische Formen und Körperfragmente bilden häufig das Leitmotiv meiner Skulpturen. Als Materialien bevorzuge ich Harthölzer und Hartgestein, da sie mir erlauben, die ganze Palette der Materialbearbeitung vom groben Wegsprengen und Einschneiden bis hin zum feinen Schleifen und zur Politur einzusetzen.“
Rund 100 große Skulpturen hat Hans-Jürgen Hiby bislang geschaffen. Die genaue Zahl kennt er nicht: „Ich habe von vielen Werken nicht einmal Erinnerungsfotos gemacht“, ärgert er sich heute. Sein prominentester Kunde ist der ehemalige NRW-Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers.
Sein Rohmaterial, u.a. alte gefällte Bäume, erhält der Künstler fast ausschließlich von Privatleuten aus der Region. Wie die mächtige Platane, die er gerade in seinem Atelier bearbeitet. Sie stammt aus dem Garten einer Grundschullehrerin mit dem schönen Vornamen Traute.
Hans-Jürgen Hiby möchte daraus einen künstlerischen Wegweiser für die Nordbahntrasse schaffen, der im Bereich Nächstebreck aufgestellt werden soll. Er hat auch schon eine Idee, wie seine Skulptur heißen soll, vorausgesetzt, die Baum-Spenderin ist einverstanden: „Trautes Zeichen“.
Bescheiden wie er nun einmal ist, meint Hans-Jürgen Hiby: „Ich möchte das Kunstwerk gerne der Stadt Wuppertal schenken. Ich weiß ja gar nicht, ob es überhaupt gewünscht ist.“ Doch man könnte darauf wetten, dass dieses großzügige Geschenk mit offenen Armen entgegengenommen wird. Hans-Jürgen Hiby empfindet eine große Genugtuung, dass die Bäume, die aus welchen Gründen auch immer gefällt werden mussten, in seinen Kunstwerken weiterleben. So wie die Skulptur „Der Letzte Tanz?“, die er aus einer alten Kirsche geschaffen hat. Hans-Jürgen Hiby: „Sie könnte genauso gut heißen ‚Pina Bausch Triumpf über den Tod hinaus‘.“
Jedenfalls hat ein großer Wuppertaler Künstler einer unvergessenen, unsterblichen Wuppertaler Künstlerin mit seinem beeindruckenden Werk ein bleibendes Denkmal gesetzt. (www.hiby-skulpturen.de)
Text: Peter Pionke
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