17. Januar 2016Peter Pionke
„Schimmi“ verweigerte Schweden-König den Kniefall
Als er aus Schweden 1958 von der Fußball WM zurückkehrte, bereiteten ihm Tausende am Wuppertaler Bahnhof Elberfeld einen begeisterten Empfang. Im benachbarten Hotel Kaiserhof trug sich Horst Szymaniak ins Goldene Buch der Stadt ein. Auch wenn er in seiner 15jährigen fußballerischen Laufbahn nie einen Titel gewann. Auch wenn er in Oer-Erkenschwick geboren wurde, so ist er aus sportlichem Blickwinkel einer der größten Söhne der Stadt Wuppertal.
Szymaniak war eine der großen Stützen der deutschen Nationalmannschaft, die in Schweden als Titelverteidiger antrat und das spektakuläre Halbfinal-Spiel gegen die vom Heimpublikum frenetisch angefeuerten Gastgeber verlor und am Ende nur Vierter wurde.
Der Wuppertaler Horst Szymaniak wurde von internationalen Journalisten als einziger deutscher Spieler in das damals noch inoffizielle „All-Star-Team“ der WM 1958 gewählt. Bei der Wahl zu „Europas Fußballer des Jahres“ konnte sich Schimmi, wie ihn alle Welt damals nannte, von 1957 bis 1961 alljährlich platzieren. Seine beste Einstufung war Rang acht im Jahr 1958.
In 43 Länderspielen trug er den Nationaldress und nahm an zwei Weltmeisterschaften teil: Schweden 1958 und Chile 1962. In allen zehn WM-Spielen wurde er eingesetzt. Er stand mit Weltklassespielern wie Fritz Walter, Franz Beckenbauer, Luis Suárez und Sandro Mazzola in einer Mannschaft. Er spielte in seiner Karriere nicht nur in Deutschland, sondern auch in Italien, der Schweiz und den USA.
Szymaniak trug von 1955 bis 1959 das WSV-Trikot und bestritt sein Länderspiel-Debüt als Spieler des Wuppertaler SV. Der damals 21 Jahre alte Horst Szymaniak war von der SpVgg Erkenschwick zum gerade unter Trainer Raymond Schwab in die Oberliga West aufgestiegenen Wuppertaler SV gewechselt. Die Ablösesumme belief sich auf 15.000 DM.
Seine Position sollte die des linken Außenläufers sein, wie man damals den defensiven Mittelfeldspieler nannte. Horst Szymaniak trug folgerichtig die Nummer sechs. In Wuppertal gab es zu dieser Zeit eine ungeheure Fußball-Euphorie, 30.000 Zuschauer in der „Radrennbahn“ des Zoo-Stadions waren keine Seltenheit. Die Bergischen hatten sich mit „Coppi“ Beck vom FC St. Pauli und Theo Kolkenbrock (VfB Bottrop) verstärkt, besaßen in Torwart Klaus Wilhelm und dem jungen Mittelstürmer Günter „Fifa“ Augustat zwei Spieler, die bereits im berühmte Notizbuch von Bundestrainer Herberger standen.
Bundestrainer Sepp Herberger urteilte schon frühzeitig, Horst Szymaniak sei „ein erstklassiger Mann und ein Instinktfußballer, der fühle, wie ein Spiel läuft“. In der Tat verfügte dieser über eine sehr gute Balltechnik, besaß Übersicht und war in der Lage, lange Pässe oft über eine 40 Meter-Distanz zielsicher zum Mitspieler zu bringen. Gleichzeitig zeichnete ihn Zweikampfstärke aus, und seine typische „Grätsche“ wurde zu seinem Markenzeichen. Im November 1956 wurde „Schimmi“ zum Nationalspieler. Sein Debüt gegen die Schweiz endete mit einer 1:3-Niederlage. Trotzdem lobte ihn Bundestrainer Sepp Herberger: „Über seine Grätsche drehe ich mal einen Lehrfilm.“
„Ruhrpottler“ Horst Szymaniak war einer der letzten und einer der erfolgreichsten Fußballer aus dem Bergarbeitermilieu in Deutschland. Ein Bergmanns-Spruch lautet: „Kein Kniefall, auch nicht vor gekrönten Häuptern“. Typisch für Horst Szymaniak, dass er dem schwedischen König Gustav VI. Adolf vor dem WM-Halbfinale 1958 beim Handschlag in die Augen sah und den üblichen Diener verweigerte.
Es verwunderte deshalb auch nicht, dass sich „Schimmi“ abseits des grünen Rasens nicht so elegant in Szene setzen konnte. Schon bald kursierten Witze darüber. So soll er einmal bei Vertragsverhandlungen gesagt haben: „Ein Drittel mehr Geld? Nee, ich will mindestens ein Viertel“. Eine sich hartnäckig haltende Legende, deren Wahrheitsgehalt nicht wirklich überprüft werden konnte.
Julius Ludorf, einer der ersten Förderer von Szymaniak, charakterisierte seinen Schützling so: „Er war lediglich gleichgültig – Fußball war sein Leben. Er war zwar nicht gebildet, aber keineswegs dumm!“ Auch eine Behauptung, er habe in Wuppertal als Bademeister gearbeitet, entsprach keineswegs den Tatsachen. Vielmehr hatte der „Vertragsamateur“ eine Anstellung beim städtischen Sportamt als Stadionarbeiter.
Wahr dürfte aber die Geschichte über seine Tierliebe gewesen sein. So soll er sich einmal in der Wuppertaler Vereinsgaststätte mit Rex, dem Schäferhund des Stadionchefs Fritz Kremer, ein Kotelett geteilt haben – „weil der so traurig guckte“. Als der WSV 1958 in die Zweitklassigkeit abstieg, flehte ihn ein WSV-Fan an: „Nicht wahr, Horst du bleibst doch in Wuppertal!“ – „Schimmi“ blieb dem WSV tatsächlich noch ein weiteres Jahr treu.
Doch schon ein Jahr später konnte er den Verlockungen nicht mehr widerstehen. Obwohl Vereine wie Real Madrid der FC Barcelona bereits „ihre Fühler ausgestreckt“ hatten, wechselte Szymaniak zum Karlsruher SC. Nebenbei pachtete er dort eine Tankstelle. Im deutschen Blätterwald gab es hierzu zahlreiche „Exklusivberichte“. Im Sommer 1961 erwarb er ein Mietshaus, dessen Kaufpreis er zu einem erheblichen Teil aus dem Handgeld bestritt, das ihm ein italienischer Verein für seinen zu dieser Zeit vereinbarten Transfer bezahlte.
Von 1961 bis 1963 stand Szymaniak beim Erstligisten CC Catania unter Vertrag, von dem er für seinen Wechsel 100.000 DM erhalten hatte. Die italienische Gazzetta dello Sport nannte ihn damals „den Unwiderstehlichen“ und bezeichnete ihn als „das Wunder“.
Trotz seines Wechsels nach Italien hielt der Bundestrainer weiterhin an Szymaniak fest. 1962 verzieh Herberge dem „Schimmi“ sogar seine Autofahrt im alkoholisierten Zustand. Der „Bundes-Sepp“ brauchte diese Entscheidung nicht zu bereuen: Szymaniak erzielte bei der WM das Siegtor gegen Gastgeber Chile per Elfmeter. Dank seiner herausragenden Leistung überstand Deutschland die Vorrunde. Das Viertelfinale war dann aber doch schon Endstation: 0:1 gegen Jugoslawien.
In der Saison 1963/64 lief „Schimmi“ ein Jahr lang für den amtierenden italienischen Meister Inter Mailand auf. Damals durften in Italien nur zwei Ausländer pro Spiel eingesetzt werden. Deshalb spielte Horst Szymaniak nur noch sporadisch. Dennoch bot ihm Inter eine Vertragsverlängerung an, die ihm 13.000 DM im Monat garantierte. „Schimmi“ lehnte ab und zog weiter zum FC Varese, um wieder mehr spielen zu können. In der Nationalelf hatte inzwischen Helmut Schön das Sagen. Er beförderte Szymaniak sogar zum Spielführer der Nationalmannschaft.
Er war fest für die WM 1966 in England eingeplant. Doch dann warf in Helmut Schön aus dem DFB-Kader. Horst Szymaniak war kurz vor Turnierbeginn bei einer Kneipentour in Augsburg erwischt worden. Deutschland verlor das Finale gegen England mit 2:4 und wurde „nur“ Vize-Weltmeister. Viele Fußball-Experten werteten den Verzicht auf Horst Szynamiak als Fehler. Man sagte, der großbürgerliche Sachse Helmut Schön, gelernter Bankkaufmann mit Abitur, hätte zu dem „proletarischen Schlichtmenschen aus dem Ruhrgebiet“ nie ein positives Verhältnis entwickelt. Szymaniak selbst sah den „Rauswurf“ als die schlimmste Demütigung seiner Laufbahn.
1965 kehrte Fußball-Legionär Szymaniak nach Deutschland zurück. Er spielte eine Saison beim Bundesliga-Abstiegskandidaten Tasmania Berlin. 81.000 Zuschauer sahen im Berliner Olympiastadion „Schimmis“ Debüt beim 2:0-Sieg ausgerechnet über den Karlsruher SC. Den Abstieg der Berliner konnte der elegante Ballkünstler in einer Mannschaft von Handwerkern indessen nicht verhindern. Danach ging er noch einmal ins Ausland, zunächst zum Schweizer Nationalligisten FC Biel, später wurde er für angeblich 80.000 Franken vorzeitig in die Vereinigten Staaten transferiert und spielte 1967 bei den Chicago Spurs. Im Alter von 33 Jahren ließ er dort seine Spielerlaufbahn ausklingen.
Nach Beendigung seiner Karriere verschwand er nahezu in der Anonymität. Von 1973 bis 1977 betrieb Horst Szymaniak, dem der Satz „Ein Pilsken gibt einen flachen Schuß“ zugeschrieben wird, gemeinsam mit seiner Frau Elfriede (Hochzeit 1962) in Melle das „Haus der 7 Biere“. Der Deutsche Fußball-Bund ignorierte Szymaniaks Verdienste lange Zeit.
Zu offiziellen Veranstaltungen wurde er nie eingeladen. Erst zu seinem 70. Geburtstag bekam er vom DFB ein kurzes eher formales Glückwunsch-Schreiben. In Wuppertal hat man ihn dagegen nie vergessen. Immerhin trägt ein Presseraum im Stadion seinen Namen: „Schimmis Lounge“. Seinen letzten Lebensabschnitt verbrachte er in finanziell äußerst bescheidenen Verhältnissen. Über den Fußball seiner Zeit soll Szymaniak gegenüber dem jungen Franz Beckenbauer geurteilt haben: „Wir sind die letzten Helden des 20. Jahrhunderts – nach uns kommen nur noch Spieler aus Kunststoff.“ Vielleicht eine Bestätigung der These, dass „Schimmi“ nicht gebildet, aber keineswegs dumm war! Horst Szymaniak starb 2006 im niedersächsischen Melle im Alter von 72 Jahren.
Text: Siegfried Jähne
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