9. Juni 2016Peter Pionke
Andreas Mucke: „Ich bin Spielertrainer und kein Orchester-Dirigent“
Er hatte eigentlich keine Chance! Doch er hat sie genutzt. Der Kampf um das Amt des Oberbürgermeisters in Wuppertal. In der „roten Ecke“ Andreas Mucke (SPD) der Herausforderer und klare Außenseiter. In der „schwarzen Ecke“ der haushohe Favorit und langjährige Amtsinhaber Peter Jung (CDU). Doch die Argumente und die unbekümmerte Art des „Hobby-Schauspielers“ Andreas Mucke kamen unerwartet gut an bei den Wuppertalern. Peter Jungs Amts-Bonus schmolz dahin wie Butter in der Sonne. Wechselstimmung machte sich an der Wupper breit. Das Ende vom Lied: Andreas Mucke sitzt seit dem 21. Oktober 2015 als OB im Rathaus. Peter Jung genießt als Vorsitzender des Deutschen Alpenvereins Wuppertal seinen Un-Ruhestand. Peter Pionke unterhielt sich mit OB-Newcomer Andreas Mucke, der in der Kommunalpolitik-Landschaft eigentlich ein „alter Hase“ ist.
DS: Haben Sie es bisher schon einmal bereut, gewählt worden zu sein?
Andreas Mucke: „Ganz im Gegenteil. Man macht sich vorher Gedanken, was wird das für ein Amt sein? Ich hatte ja schon Rats-Erfahrung. Aber man muss sich vor der Kandidatur fragen: Will ich das und kann ich das? Das wahre Ausmaß erkennt man erst, wenn man dann im Amt ist. Ich kann für mich sagen: Das Amt macht mehr Spaß als ich vorher gedacht habe.“
DS: Theorie und Praxis klaffen oft auseinander. In welchen Punkten sind Sie positiv überrascht worden?
Andres Mucke: „90 Prozent sind Kür und nur zehn Prozent sind Pflicht. Wenn man das von seinem Job behaupten kann, dann ist das sicherlich eine gute Basis. Es gibt Pflichtübungen, die müssen sein und das akzeptiere ich auch gern. Ich habe ja schon vorher gesagt, dass ich die Verwaltung leiten möchte und das tue ich auch.“
DS: Und die negativen Aspekte?
Andreas Mucke: „Ich musste mich schon daran gewöhnen, dass mein Terminkalender jetzt fremdbestimmt ist. Ich wusste das vorher, aber das volle Ausmaß wird einem dann später erst klar. Kurzfristige Verabredungen sind nicht mehr möglich. Ein Termin ist frühestens in vier Wochen machbar. Und das widerspricht ein wenig meinem Naturell. Man muss sich einfach ein paar Freiräume schaffen, Zeitfenster, in denen es keine Termine gibt. Diese kann man dann nutzen, wenn es irgendwo brennt. Grundsätzlich habe ich als Oberbürgermeister, der direkt von den Bürgern gewählt ist, mehr Gestaltungsmöglichkeiten, als ich vorher gedacht habe.“
DS: Sie füllen die Position ganz anders als alle Ihre Vorgänger aus. Sie sind ein OB zum Anfassen – ist das so gewollt oder sind Sie in die Rolle reingeschliddert?
Andreas Mucke: „Das war mein Ziel. Wenn ich diesen Job mache, dann will ich das auch so tun, wie ich mir das vorstelle. Ich habe ja nie anders gearbeitet. Ich sehe mich nicht als Orchesterdirigenten, sondern als Spielertrainer wie beim Fußball. Für das, was ich tue, stehe ich auch gerade. Ich will ein politischer OB sein, dann muss ich meine Politik und meine Überzeugungen auch mit einbringen. Und das geht nur im Gespräch miteinander.“
DS: Sie stehen bei WSV-Spielen in der Fan-Kurve, gehen bei Volksläufen selbst an den Start. Kalkül oder sind Sie wirklich so volksnah?
Andreas Mucke: „Wie volksnah ich bin, sollen die Bürger entscheiden. Aber ich mache das aus voller Überzeugung. All das, was ich jetzt tue, habe ich ja vorher auch schon getan. Ich nehme seit zehn Jahren an Volksläufen teil. Und warum soll ich jetzt abends nicht ins Theater oder in die Kneipe gehen, so wie vor meiner Wahl zum OB?“
DS: Sie haben einen Facebook-Account. Hat man heute in der Politik überhaupt noch eine Chance, wenn man sich den modernen Medien und den sozialen Netzwerken verweigert?
Andreas Mucke: „Ich mache nicht alles mit und twittere nicht jede Stunde irgendetwas. Aber man muss schon bei den modernen Medien mitmischen, weil man auf diese Weise viele Leute erreicht, die man sonst nicht erreicht, zum Beispiel junge Menschen. Die sozialen Netzwerke sind ein gutes Instrument, um ganz schnell kurze Botschaften zu verbreiten. Beispiel die drohende Absage des Bleicher-Festes. Da habe ich nur drei Zeilen bei Facebook eingestellt und mitgeteilt, dass wir uns darum kümmern würden, dass das Fest doch stattfinden könne. Innerhalb von wenigen Stunden haben wir damit 25.000 Bürger erreicht. Ich nutze diese Medien ganz gezielt, aber nicht inflationär.“
DS: Es gibt ja keine Schule für werdende OB’s und auch keine Stadtvater-Seminare. Wie haben Sie sich auf Ihr Amt vorbereitet?
Andreas Mucke: „Dafür gibt es wirklich keinen Ausbildungsplatz. Aber immerhin bin ich seit 33 Jahren politisch aktiv, war 17 Jahre im Stadtrat und habe dort fast alle Felder beackert. Ich kenne fast jede soziale Einrichtung dieser Stadt. Das ist eine gute Vorbereitung, politisch gesehen. Hinzu kommt meine Berufserfahrung. Ich war beispielsweise Vertriebsleiter für Energie bei den Stadtwerken und habe da gelernt, mit den Bedürfnissen von Kunden umzugehen. Nach meiner Auffassung ist ein Oberbürgermeister auch eine Art Vertriebsleiter.“
DS: Das können Sie sicher genauer erläutern…
Andreas Mucke: „Gern! Ein OB muss dafür sorgen, dass die Menschen zufrieden mit der Verwaltung sind und diese Zufriedenheit auch nach außen tragen. Auf der anderen Seite war ich Geschäftsführer einer Gesellschaft und habe da gelernt, ein Unternehmen zu leiten. Als OB muss man auch ökonomisch denken. Außerdem bin ich Ingenieur und denke lösungsorientiert. All diese Erfahrungen kommen mir in meinem Amt zugute. Ich habe auch viele gute Geister um mich herum. Ich habe alle Kollegen rund um das OB-Büro übernommen, die kennen den Laden, auch die Fußangeln. Und ich habe hervorragende Beigeordnete, die mich begleiten.“
DS: Sie wollen Stadtvater für alle Wuppertaler sein. Das dürfte aber bei einigen Parteigenossen für Irritationen sorgen. Wie gehen sie damit um?
Andreas Mucke: „Auf dem Parteitag, auf dem ich nominiert wurde, habe ich all das, was ich ja jetzt tue, bereits angekündigt. Deshalb darf sich auch niemand wundern, dass ich das, was ich angekündigt habe, jetzt auch umsetze. Da gehe ich ganz offen mit um. In einer Partei klatschen nicht immer 100 Prozent. Solange eine große Mehrheit klatscht, reicht mir das völlig aus. Allen kann man es sowieso nicht recht machen.“
DS: Ist es teilweise nicht sogar leichter, mit der Opposition im Stadtrat zusammen zu arbeiten, weil die nicht auf Parteiraison pocht?
Andreas Mucke: „Ich bin von den Bürgern unserer Stadt direkt gewählt und ich habe den Auftrag, für die Stadt da zu sein. Ich bin zwar Sozialdemokrat, das ist meine politische Grundausrichtung. Aber ich bin kein SPD-Fraktionsmitglied und auch kein verlängerter Arm der Großen Koalition im Stadtrat. Ich bin Ansprechpartner für alle demokratischen Kräfte im Rat und natürlich für alle Bürger.“
DS: Gibt es denn Kreise, von denen Sie sich manchmal vereinnahmt fühlen?
Andreas Mucke: „Das versuchen natürlich einige Leute, aber ich lasse mich nicht vereinnahmen.“
DS: Sie waren lange Jahre Ensemble-Mitglied im TIC-Theater. Hilft Ihnen Ihr schauspielerisches Talent irgendwie im OB-Job?
Andreas Mucke: „Im Theater schlüpft man in den Charakter eines Anderen. In der Politik sollte man das, was man selbst denkt und fühlt im Handeln umsetzen. Das ist der Unterschied. Von daher ist Politik eigentlich kein Theaterspielen. Manche Politiker tun genau das, das weiß ich auch. Auf der anderen Seite hilft einem die Erfahrung und das Handwerkszeug des Schauspielers schon ein wenig, weil man es gewohnt ist, selbstbewusst vor Publikum auf der Bühne zu stehen und zu sprechen.“
DS: Sie treffen heute FOC-Befürworter und morgen FOC-Gegner. Ist das nicht ein Spagat, der ganz schön wehtun kann?
Andreas Mucke: „Ich bin ja sportlich, also kriege ich einen Spagat ganz gut hin. Ich bin ein Freund klarer Positionen. Für mich stellt das FOC eine Chance für Wuppertal dar. Und da sollten sich alle Beteiligten an einen Tisch setzen und gemeinsam eine Lösung finden. Beide Seiten müssen aufeinander zugehen. Durch das FOC im leerstehenden Bundesbahn-Direktionsgebäude kann auch die Innenstadt eine Aufwertung erfahren. Wir können Käufergruppen hierhin holen, die sonst nicht nach Wuppertal kommen würden. Da ich ein Chancen-Denker bin, gebe ich den Rat: Setzt Euch zusammen und seht zu, wie Ihr das gemeinsam gewuppt kriegt. Zum Einzelhandel sage ich: Ihr seid Teil der Lösung, dann gewinnt auch Ihr.“
DS: Sind Sie denn für die Seilbahn?
Andreas Mucke: „Ich persönlich halte die Seilbahn für eine gute Idee. Aber das funktioniert nur, wenn wir auch die große Mehrheit der Wuppertaler in dieser Frage mitnehmen. Ich sehe die Seilbahn auch als touristische Attraktion. Es gibt in Deutschland keine Stadt, die eine solche Topografie besitzt. Auf der anderen Seite muss eine Kosten-Nutzen-Rechnung stehen. Es gibt bislang nur grobe Schätzungen und ganz viele offene Fragen: Wie laut ist die Bahn? Inwieweit kann man in die Gärten der Anlieger schauen? Rechtliche Fragen müssen geklärt werden. Es wäre ja die erste Seilbahn, die über Wohngebiete fährt, nicht über grüne Wiesen, wie in den Alpen. Und letztlich muss noch die Frage der Busanbindung an die Südstadt geklärt werden. Erst wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen, kann man entscheiden: Ja oder Nein.“
DS: Warum lehnen Sie die Forensik auf Lichtscheid ab und machen sich für eine Forenik auf der Kleinen Höhe stark?
Andreas Mucke: „Der Rat der Stadt hat zweimal den Standort Lichtscheid abgelehnt. Das ist ein bindender Beschluss. Ich persönlich bin auch der Meinung, dass der Standort Lichtscheid mit Ein- und Zweifamilienhäusern bebaut werden sollte. Es stellt sich ja nicht mehr die Frage, ob in Wuppertal eine Forensik gebaut wird, sondern nur noch die Frage, wo wird sie gebaut? Und da ich immer gern Teil einer Lösung bin, versuche ich auch, Lösungen hinzubekommen, mit denen wir Wuppertaler leben können. Es gibt nur die Kleine Höhe als Alternative. Ich selbst habe bei der Kleinen Höhe aus ökologischen Gründen große Bedenken. Dennoch sage ich: Im Interesse der Gesamtstadt machen wir das jetzt. Es werden aber von fünf Hektar Land nur höchstens zwei Hektar bebaut. Der Rest soll Natur bleiben. Das ist, so glaube ich, ein guter Kompromiss.“
DS: Neugestaltung Döppersberg, Pina-Bausch-Zentrum, Tony Cragg-Retrospektive. Wuppertal erntet in der Bundes-Presse endlich wieder positive Schlagzeilen. Erleichtert Ihnen das die Arbeit oder fällt es Ihnen jetzt selbst schwerer, positive Akzente zu setzen?
Andreas Mucke: „Das erleichtert mir natürlich die Arbeit. Das macht ja Spaß, die bekannten und neue positive Aspekte herauszustellen. Bei uns im Bergischen Land sagt man ja „Nicht gemotzt ist halb gelobt!“. Da muss man das Selbstbewusstsein stärken und die eigenen Stärken hervorheben, um Tal-Stolz zu entwickeln. Das passt wunderbar zusammen.“
DS: Wieso sind in Wuppertal Flüchtlinge im Gegensatz zu anderen Städten herzlich willkommen?
Andreas Mucke: „Da gibt es viele Faktoren. In Wuppertal sind schon immer Menschen offen empfangen worden. Das hat Tradition seit der Jahrhundertwende im 19. und 20. Jahrhundert. Damals wurden viele Arbeitskräfte benötigt und die Menschen kamen sogar aus dem Ausland, um hier zu arbeiten. Unsere Stadt war auch immer christlich geprägt, dadurch spielte Nächstenliebe immer eine große Rolle. Das merkt man heute noch. Die Bürgerinnen und Bürger sind engagiert und haben ein offenes Herz. Und auch die Verwaltung hat zu Zeiten der Flüchtlingsströme diesen Gedanken der Nächstenliebe unbürokratisch umgesetzt. Ehrenamtler und Verwaltung haben hervorragend zusammengearbeitet.“
DS: Falls Sie überhaupt in vier Jahren noch einmal antreten wollen: Würde Ihre Familie Ihnen noch einmal grünes Licht geben, nach den Erfahrungen, die sie bislang gemacht hat?
Andreas Mucke: „Meine Familie hat mir ja diesmal schon grünes Licht gegeben. Ich spüre, dass sie es gut findet, was ich mache. Ich bin mir sicher, ich bekomme auch in vier Jahren wieder das Okay. Und ich werde dann auch wieder antreten. Der Job macht mir sehr viel Spaß und füllt mich aus.“
DS: Viele Wuppertaler Tierfreunde sind empört und besorgt, weil das einzige Tierheim der Stadt am 1. Juli schließt. Wuppertal wäre dann die einzige Großstadt ohne Tierheim. Was wollen Sie dagegen tun?
Andreas Mucke: „Wir hatten gerade aktuell ein Gespräch mit dem Vorstand des Tierschutzvereins, der ja das Tierheim betreibt. Der Vorstand hat bekräftigt, dass er das Tierschutzheim aufgeben will und neue Ideen für die Zukunft hat. Wenn die Stadt helfen kann – ich denke da weniger an Geld – dann tun wir das auch. Wir bleiben auf alle Fälle miteinander im Gespräch. Wir merken ja an den Reaktionen bei Facebook oder in Leserbriefen, wie sehr das Thema die Menschen emotional berührt.“
DS: Freizeit müsste doch bei Ihnen Mangelware sein wie Wasser in der Wüste. Wie verbringen Sie Ihre wenige Freizeit?
Andreas Mucke: „Ich schlafe sehr wenig, deshalb habe ich einige Pufferstunden mehr, die ich für andere Dinge nutzen kann. In meiner Freizeit treibe ich gerne Sport oder gehe ins Theater. Ich versuche, möglichst viel Zeit mit meinen Kindern zu verbringen. Wir fahren dann beispielsweise gemeinsam Motorrad oder Fahrrad. Aber ich liege auch gern einfach nur auf der Couch. Nichts hören, nichts lesen, einfach nur entspannen.“
DS: Können Sie überhaupt noch Freundschaften pflegen?
Andreas Mucke: „Ich hatte noch nie nur eine 40-Stunden-Woche und somit schon immer wenig Freizeit. Dann gab ja noch mein Hobby Theaterspielen, das auch sehr zeitintensiv war. Meine Freunde sind es gewohnt, dass ich leider wenig Zeit für sie habe. Aber wir treffen uns dann einmal spontan abends um neun Uhr im ‚Katzengold‘ und dann ist die Welt auch in Ordnung.“
DS: Dr. Stefan Kühn hat im Interview mit uns gesagt: Irgendwann sind Andreas Mucke und ich wieder Privatmenschen und dann steigen wir wieder als Kabarett-Duo auf die Bühne. Sehen Sie das auch so?
Andreas Mucke: “Ein klares Jawohl, ich freue mich darauf.“
DS: Gibt es eine Traumrolle, die Sie gern noch spielen würden?
Andreas Mucke: „Ich würde gern einmal Shakespeares Macbeth spielen. Ich habe ja bislang zwei Lieblingsrollen: Den Selicour in „Der Parasit“ von Schiller und den Philippe in „Ziemlich beste Freunde“. Philippe sitzt ja im Rollstuhl. Durch die Erfahrung verstehe ich jetzt die Menschen viel besser, die behindert sind. Diese Rolle hat mir eine völlig andere Sichtweise vermittelt und sie hat mich demütig gemacht. Denn mir war ja bewusst, dass ich am Ende des Stücke wieder aufstehen konnte.“
DS: Vielen Dank für das Gespräch.
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