9. Juni 2017Peter Pionke
Dr. Ludger Stratmann: Lachen auf Rezept…
Dr. Ludger Stratmann – der Arzt, dem nicht nur die Frauen vertrauen! Viele Jahre praktizierte er als Allgemeinmediziner in Bottrop, der „Hauptstadt für Hochdeutsch und Sprachkultur“. Seine Erfahrungen, Erlebnisse und die Stilblüten, die er als „Halbgott in weiß“ in seiner Praxis gesammelt hat, verarbeitet er sehr erfolgreich als Comedian auf der Bühne. Sein Rezept: Lachen ist die beste Medizin. Das Stethoskop hat Dr. Ludger Stratmann längst an den Nagel gehängt. STADTZEITUNGS-Redaktionsleiter Peter Pionke empfing er jetzt doch noch einmal zu einer „Sprechstunde“ – sozusagen als Privat-Patient…
DS: Als Arzt sind Sie ein Spätberufener. Sie haben ja erst eine Banklehre gemacht. Warum sind Sie so spät umgeschwenkt?
Dr. Ludger Stratmann: „Das kam durch einen Zufall. Vorher hatte ich eigentlich an nichts Interesse. Ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, irgendetwas mit Begeisterung zu machen. Ich war faul und interessierte mich nur für Jerry-Cotton-Hefte. Aber ich musste ja auch irgendwie Geld verdienen. Und da kam ein Bekannter, der sagte: ‚Du kannst bei uns im Krankenhaus Sitzwache machen. Da musst Du nur neben einem Schwerkranken sitzen und wach bleiben. Und sollte sich irgendetwas an seinem Zustand verändern, dann musst Du einen Arzt rufen‘. Das habe ich dann ein paar Mal gemacht und da war ich so fasziniert von der Medizin und dem Heilgedanken, dass ich für mich beschlossen habe: Das möchte ich machen.“
DS: Sie sind das zweitjüngste von neun Kindern. Da mussten Sie doch sicher immer die Klamotten der älteren Geschwister auftragen?
Dr. Ludger Stratmann: „Ja, leider. Ich besaß zwar ein paar gute,eigene Sachen, aber die hatte ich im Keller versteckt. Bevor ich dann in die Schule ging, habe ich mich dort immer heimlich umgezogen. Die schönen Klamotten hatte ich von Verwandten geschenkt bekommen. Denn wir waren ja als Großfamilie nicht gerade auf Rosen gebettet.“
DS: Sie haben schon während Ihres Studiums nebenbei an Kabarett-Programmen gearbeitet. Was oder wer hat Sie da inspiriert?
Dr. Ludger Stratmann: „Ehrlich gesagt, wollte ich mich präsentieren. Ich habe schon immer gern und viel geredet. Und ich wollte mich an der Reaktion der Zuhörer erfreuen. Mir ist es aber heute noch peinlich, auf eine Bühne zu gehen und von den Zuschauern mit einem Riesenapplaus empfangen zu werden, obwohl ich noch gar nichts gemacht habe. Ich möchte meinen Job erledigen, dann kann ich mich auch über den Applaus freuen. Ich bin kein Missionar und habe auch keinen Lehrauftrag. Ich möchte die Leute einfach nur gut unterhalten.“
DS: Sie reden ja auf der Bühne in typischer Ruhrpott-Sprache, wie der Komiker Jürgen von Manger. Ist er so etwas wie ein Vorbild für Sie?
Dr. Ludger Stratmann: „Ich schätze Jürgen von Manger sehr und habe ihn auch einmal persönlich kennen gelernt. Aber als Vorbild würde ich ihn nicht bezeichnen. Mein Vorbild ist der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch. Ich habe seine Sprache, seine Wortspiele und seine Art, sich auszudrücken, sehr gemocht. Ich hatte auch das Glück, ihn mehrmals zu treffen.“
DS: Ab wann haben Sie angefangen, die witzig-skurrilen Sprüche Ihrer Patienten aufzuschreiben?
Dr. Ludger Stratmann: „Ich habe sie gar nicht aufgeschrieben, ich konnte sie mir so merken. Die besten Stilblüten habe ich dann in meinem ersten Bühnen-Programm „Hauptsache ich werde geholfen“ verarbeitet.“
DS: Welche Rolle hat es gespielt, dass sich Ihre Praxis in Bottrop befand, dem Synonym für Ruhrpott- und Ruhrgebiets-Mundart schlechthin?
Dr. Ludger Stratmann: „Das hat eine große Rolle gespielt. Meine Praxis in Bottrop war eine wahre Fundgrube für skurrile Sprüche und Stilblüten. Ich bin aber nie despektierlich mit den Ruhrgebiets-Menschen und ihrer Sprache umgegangen, sondern immer liebevoll und respektvoll.“
DS: Wann war der Zeitpunkt gekommen, an dem Sie gemerkt haben, dass Sie Praxis und Bühne nicht mehr unter einen Hut bekommen?
Dr. Ludger Stratmann: „Das war 1998. Die zwei Jahre davor hatte ich ja ohnehin nur noch halbtags praktiziert. Mir wurde irgendwann klar, dass es mir nicht mehr möglich war, morgens um acht Uhr ernsthaft und gewissenhaft als Arzt Patienten zu behandeln und abends als Kunstfigur „Jupp“ auf der Bühne zu stehen.“
DS: Sind denn auch Leute in Ihre Praxis gekommen, die Sie eigentlich nur einmal als prominenten ‚Onkel Doktor‘ kennenlernen wollten?
Dr. Ludger Stratmann: „Ja, das ist vorgekommen, und das hat mich auch fertig gemacht. An einen Fall kann ich mich genau erinnern: Da kam eine schöne Blondine mittleren Alters aus Düsseldorf, die mich als Hausarzt in Bottrop erkoren hatte. Der habe ich sofort gesagt: ‚Wenn Ihnen etwas passiert in Düsseldorf, ich fahre da nicht hin!‘ Mein Anteil an Privatpatienten stieg stetig an. Das war sicher meiner Popularität geschuldet.“
DS: Werden Sie heute eigentlich immer noch von Freunden und Bekannten medizinisch um Rat gefragt – nach dem Motto: einmal Arzt – immer Arzt?
Dr. Ludger Stratmann: „Das hat sich zum Glück gelegt. Aber früher haben mich sogar Leute nach der Show um Ratschläge gebeten, wie sie ihre Wehwehchen loswerden könnten. Obwohl ich nicht mehr praktiziere, interessiere ich mich nach wie vor für die Medizin und lese auch regelmäßig das Ärzteblatt.“
DS: Wie schwer ist es Ihnen eigentlich gefallen, den Arztkittel an den berühmten Nagel zu hängen – denn Arzt ist ja kein normaler Job, sondern eine Berufung?
Dr. Ludger Stratmann: „Das ist mir einerseits sehr schwer gefallen, andererseits war ich auch sehr erleichtert. Der Krankenhaus- und der Praxis-Alltag waren sehr stressig und manchmal auch sehr deprimierend. Ich musste Verantwortung für meine Patienten tragen. Da war ich am Ende froh, diese psychische Belastung erst einmal los zu sein.“
DS: Wenn Sie die Entwicklung im Gesundheitswesen sehen, gerade bei den niedergelassenen Ärzten, wie groß ist dann Ihre Genugtuung, den Absprung geschafft zu haben?
Dr. Ludger Stratmann: „Den Typ von Hausarzt, der ich war, den gibt es heute gar nicht mehr. Wer macht heute noch Hausbesuche? Und es ist für mich schon eine Art der Genugtuung, wenn Kollegen nach der Vorstellung zu mir kommen und sagen: ‚Du hast alles richtig gemacht, wir können den Druck und die immer größer werdende Bürokratie nicht mehr ertragen‘.“
DS: Ihre Praxis war ja die nie versiegende Quelle für lustige Patienten-Sprüche à la „Ich habe Rücken…“ – Wo bekommen Sie diese lustigen Stilblüten heute her?
Dr. Ludger Stratmann: „Ich freue mich über jeden guten, neuen Spruch und sauge ihn auf. Ich kann ja alles, was ich in meinem Umfeld höre, in meinem Job verwerten. Das kann ein Brückenbauer nicht.“
DS: Nach 150 Sendungen haben Sie Ihre erfolgreiche Sendung „Stratmanns – Jupps Kneipentheater im Pott“ aufgegeben – wie man hört aus gesundheitlichen Gründen?
Dr. Ludger Stratmann: „Ja, das stimmt. Ich hatte Prostata-Probleme, die mich sehr belastet haben. Ich musste alle zehn Minuten zur Toilette und das auch während der Sendung. Aber nach einer Operation ist jetzt wieder alles in Ordnung.“
DS: Wollen Sie jetzt nur kürzer treten oder denken Sie sogar daran, in absehbarer Zeit ganz auf zu hören?
Dr. Ludger Stratmann: „Ich mache natürlich weiter, aber ich möchte nicht mehr fremdbestimmt sein. Ich weiß jetzt, dass ich freitags, samstags und sonntags in meinem Essener Theater auftreten muss und darauf freue ich mich. Ich möchte nicht mehr in Terminnöte geraten oder aus dem Koffer leben.“
DS: Wird es noch einmal ein ganz neues Stratmann-Programm geben oder lassen Sie Ihre Karriere jetzt mit Best-Off-Ausschnitten aus Ihren vorhandenen Erfolgs-Programmen ausklingen?
Dr. Ludger Stratmann: „Im Kopf arbeite ich eigentlich permanent an einem neuen Programm. Organisch haben ich mich noch nicht daran gesetzt, das würde mich momentan zu sehr unter Druck setzen. Vielleicht mache ich ja mal ein politisches Programm, das würde mich schon reizen. Solange spiele ich mein „Best Off“ – das macht mir Riesen-Spaß und dafür könnte man mich nachts um drei Uhr wecken…“
DS: Wen von den jungen Kollegen schätzen Sie am meisten?
Dr. Ludger Stratmann: „Es gibt jetzt einige Comedians, die kommen so aus der poetischen Ecke. Die sind zwar sehr tiefschürfend, aber das hat mit Comedy wenig zu tun. Ich finde beispielsweise den Marcus Krebs sehr gut. Der ist sehr authentisch. Wenn der lacht, ist das kein Lachen fürs Publikum, der hat wirklich Spaß.“
DS: Sie waren in allen bekannten TV-Talk-Shows und großen Fernseh-Shows zu Gast. Gibt es eine Sendung, in der Sie noch gern auftreten würden?
Dr. Ludger Stratmann: „Ganz ehrlich, ich würde sehr gern einmal eine kleine Rolle in einem Kriminalfilm spielen. Das würde mich reizen und das würde ich gern einmal in meiner Karriere erleben.“
DS: Viele Wuppertaler Persönlichkeiten sind echte Norderney-Fans. Was begeistert Sie so sehr an dieser Insel?
Dr. Ludger Stratmann: „Ich habe seit über 20 Jahren ein Haus auf der Insel. Ich liebe diese Zweiteiligkeit. Auf der einen Seite die Urbanität und auf der anderen Seite die Natur. Ich fahre gern mit dem Fahrrad über den natürlichen Teil der Insel. Und wenn ich Lust auf Halligalli habe, kann ich das abends in einer Kneipe erleben. Ich kenne alle Inseln. Diese wunderbare Trennung gibt es nirgendwo.“
DS: Welche Erinnerungen haben Sie an Wuppertal?
Dr. Ludger Stratmann: „Ich habe nur positive Erinnerungen an Wuppertal. Da fallen mir die wunderschöne Historische Stadthalle und das REX-Theater ein, in dem ich sehr oft gespielt habe. Dann war ich mit einem hohen Würdenträger der evangelischen Kirche aus Wuppertal befreundet, mit ihm und seinen Söhnen habe ich regelmäßig auf Norderney gesurft. Leider ist er inzwischen verstorben.“
DS: Sie sind bekennender FDP-Wähler – welche Rolle trauen Sie der Partei nach der nächsten Bundestagswahl zu?
Dr. Ludger Stratmann: „Ich traue Christian Lindner und seiner Partei zu, dass sie es schaffen, in dieser verhärteten links und rechts orientierten Welt ein Stück weit Liberalität zurück zu bringen.“
DS: Sie sind Vorsitzender des Kuratoriums der „Stiftung Solidaritätsfonds NRW für benachteiligte Jugendliche“ und Botschafter der „Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel“. Beides sehr weit weg von Comedy. Warum liegen Ihnen gerade diese Projekte so sehr am Herzen?
Dr. Ludger Stratmann: „Ich unterstütze diese Institutionen aus voller Überzeugung, und ich tue das – ehrlich gesagt – auch für mich selbst, weil ich mich dabei wohl fühle. Ich finde es wichtig, dass man sich auch selbst zufriedenstellt.“
DS: Was ist schwerer, die Leute zu heilen oder die Leute zum Lachen zu bringen?
Dr. Ludger Stratmann: „Ganz eindeutig: Die Menschen zum Lachen zu bringen. Es gibt kein Rezept, das einem garantiert, dass die Leute lachen. Eine Pointe falsch gesetzt, schon ist der ganze Witz kaputt. Bei der Gesundheit kann ich auf ein Fachbuch zurückgreifen, für die Comedy gibt es das nicht.“
DS: Vielen Dank für das sehr spannende, unterhaltsame Gespräch
VITA
Dr. Ludger Stratmann wurde am 23.07.1948 als zweitjüngster von neun Kindern in Verl geboren. Er besuchte die Handelsschule und absolvierte eine Sparkassenlehre. Sein älterer Bruder Michael studierte in Wuppertal an der Hochschule für Design und war hinterher Prof. in Pittsburgh (USA) und zum Schluss Dekan der Uni Potsdam. Ludger Stratmann machte auf dem bischöflichen Abendgymnasium in Essen sein Abitur nach. Anschließend studierte er an den Universitäten Essen und Bochum Humanmedizin. Stratmann arbeite als Assistenzarzt am Marienhospital in Gelsenkirchen. 1985 promovierte er – Thema: „Tumorerkrankungen des Duodenum“ (Zwölffingerdarm).
Anschließend führte er eine Praxis für Allgemeinmedizin in Bottrop. Seit 1998 ist er nur noch Comedian und Kabarettist. Seit 1994 betreibt er im ehemaligen Amerika-Haus in Essen sein „Stratmanns-Theater im Europahaus“. Er spielte in seinem Theater und auf Tournee bislang vor rund 1,2 Millionen Zuschauern – u.a. füllte er mehrmals die Essener Grugahalle (ca. 4.500 Zuschauer).
TV- Präsenz: 1997 – 2000 Kohlenpott Kneipenwirt Jupp in „Mittwochs in…“ (WDR-Fernsehen) – 2000 – 2016 Stratmanns – Jupps Kneipentheater im Pott“ (WDR)
150 Sendungen im Bahnhofs-Restaurant „Lukas“ in Essen-Kupferdreh. Seine Solo-Bühnen-Programme: „Hauptsache ich werde geholfen“ (1995) -„Heut komm ich mal mit mein Bein“ (1997) – „Hauptsache nich fettich“ (1999) – „Dr. Stratmann – Best of“ (2003) – „Machensichmafrei, bitte“ (2005) – „Kunstfehler“ (2009) – Pathologisch“ (2015)
Dr. Stratmann ist u.a. Träger des Tegtmeier-Erben-Ehrenpreises. Er ist Vorsitzender des Kuratoriums der „Stiftung Solidaritätsfonds NRW für benachteiligte Jugendliche“ und Botschafter der „Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel“.
Seit 1971 ist Ludger Stratman mit Ehefrau Brigitte verheiratet. Beide haben zwei erwachsene Kinder. (www.stratmanns.de)
Das Interview führte Peter Pionke
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