11. August 2017Peter Pionke
Peter Nocke: „Ich war trainingsfaul, aber hatte Talent“
Peter Nocke ist einer der erfolgreichsten deutschen Schwimmer – ein Ausnahmetalent, das sich mehr auf seine Begabung als auf seinen Trainingsfleiß verließ. Dem „Sunnyboy“ kann auch heute bei den Schwimm-Masters, wie die Senioren-Meisterschaften charmant genannt werden, kaum einer das Wasser reichen. Peter Nocke hat trotz seiner sportlichen Erfolge nie den Boden unter den Füßen verloren. Ein Garant dafür, dass er auch außerhalb des Schwimmbeckens bis heute erfolgreich ist. Peter Pionke hat sich mit dem sympathischen Wuppertaler „Jahrhundertsportler“ unterhalten:
DS: Weltmeister, neunmal Europameister, zweimal Olympia-Bronze, unzählige deutsche Meistertitel. Wie sehr sind Sie mit der Ausbeute Ihrer Karriere zufrieden?
Peter Nocke: „Hundertprozentig! Ich kann sagen, dass ich aus meiner Karriere das Optimale heraus geholt habe. Ich hätte vielleicht noch ein Jahr dranhängen können, aber aufgrund der strengen Amateurbestimmungen damals, hätte das keinen Sinn gemacht. Wer kann heute noch nachvollziehen, dass ich meinen Amateurstatus verloren hätte, wenn ich nur eine bezahlte Autogrammstunde gegeben hätte. Ich wäre dann nur noch bei Profirennen startberechtigt gewesen, die gab es aber nicht.“
DS: Der Spiegel titelte einmal über Sie: „Faulheit siegt“. Weil Europameister Hans Faßnacht sechs Stunden täglich trainierte und Sie nur eine. Hätten Sie mit mehr Training noch erfolgreicher sein können?
Peter Nocke: „Das glaube ich nicht. Eine Stunde Training am Tag, das ist auch untertrieben. Ich war mit Sicherheit nicht der Trainings-Fleißigste. Aber zwei Stunden am Tag von Montag bis Freitag und eine Einheit am Samstag waren schon notwendig. Heutzutage wird natürlich viel mehr trainiert.“
DS: Das „Kicker-Sportmagazin lobte: „Stilistisch schwimmt er schöner als alle Konkurrenten.“ Haben Sie früher solche Schlagzeilen überhaupt bewusst wahrgenommen?
Peter Nocke: „Natürlich habe ich das wahrgenommen, obwohl es damals noch nicht so eine Medienflut gab. Ich hatte halt bessere technische Voraussetzungen als die meisten meiner Konkurrenten. Die mussten die technischen Defizite dann durch einen höheren Trainingsaufwand wieder ausgleichen.“
DS: Ihr Trainer Heinz Hoffmann hat mal über Sie gesagt: Peter Nocke, das sind 30 Prozent Trainingsarbeit – 70 Prozent Talent. Hat er das richtig eingeschätzt?
Peter Nocke: „Das war wirklich so. Man kann mit Talent sehr viel kompensieren, aber man muss zusätzlich auch hart trainieren – jedoch nicht so viel, wie Schwimmer mit weniger Talent.“
DS: Sie sind vor den Wettkämpfen selbst bei 30 Grad Celsius mit Handschuhen und Kapuzen-Mantel herumgelaufen. War das ein Tick von Ihnen?
Peter Nocke: „Das mit den Handschuhen war wirklich so ein Tick. Aber der hat mir wirklich geholfen. Ich war vor einem Wettkampf immer nervös und hatte dadurch kalte Hände. Und mit kalten Händen hatte ich nicht das Wassergefühl, das man bei einem Wettkampf in der Weltspitze benötigt.“
DS: Sie waren damals „Everybodys Darling“. Wie sehr haben Sie das genossen?
Peter Nocke: „Mein Erfolg hat mich immer wieder neu motiviert. Ich habe es auch damals sehr genossen, dass mein Name regelmäßig in den Medien auftauchte. Es war eine wunderschöne Zeit. Und ich hatte mir durch meine Erfolge auch einige Privilegien verdient.“
DS: Jetzt machen Sie uns aber neugierig. Welche Privilegien waren das denn?
Peter Nocke (lacht): „Heute kann ich es ja verraten. Bei Schwimm-Europameisterschaften habe ich mich beim Einchecken ins Hotel auf den ersten Blick in eine wunderschöne Frau verliebt. Das Ende vom Lied – ich habe die ganzen zehn Tage bei ihr übernachtet. Sie hat mich morgens zum Training und auch zu den Wettkämpfen gefahren. Meine Leistung hat jedenfalls nicht darunter gelitten. Immerhin bin ich mehrere Europameister-Titel geholt. Trotzdem würden solche spontanen Alleingänge heute nicht mehr toleriert.“
DS: Sie werden Wuppertals „Jahrhundertsportler“ genannt – ist dieser Titel Belastung oder Ansporn für Sie?
Peter Nocke: „Den Titel habe ich ja erst im Nachhinein nach Ende meiner Karriere bekommen. Und das war und ist für mich eine Ehre. Bei aller Bescheidenheit muss ich sagen, dass diese Auszeichnung ja auch gerechtfertigt ist. Es hat nun einmal bislang kein anderer Wuppertaler so viele Erfolge in Einzelsportarten erzielen können.“
DS: In Ihrer besten Zeit waren Sie 1,89 Meter groß und 76 Kilo schwer. Hand aufs Herz: Wie viel bringen Sie jetzt auf die Waage?
Peter Nocke: „Eine ganz schwierige Frage. Ich wiege momentan 104 Kilo – aber Tendenz fallend.“
DS: Was ist aus dem Schwimm-Boom geblieben, den Sie einmal ausgelöst haben?
Peter Nocke: „Den Schwimm-Boom habe ja nicht ich allein ausgelöst, da waren auch viele andere Schwimmer beteiligt. Bis in die 80er Jahre hatten die Wasserfreunde hier in Wuppertal eine Vormachtstellung als Schwimmverein. Hier trainierte die deutsche Schwimm-Elite. Und ich war stolz darauf, es überhaupt in die erste Mannschaft zu schaffen. Irgendwann wurden wir durch die Start-Gemeinschaft Bayer abgelöst.“
DS: Wo sind denn die großen Talente geblieben?
Peter Nocke: „Die Zeiten haben sich geändert. Die Kinder im Alter von 12 bis 14 haben heute ganz andere Interessen. Sie werden von Computerspielen und dem Internet abgelenkt. Und der Stress in der Schule ist vielleicht auch etwas größer geworden. Jedenfalls wollen die meisten den Trainingsaufwand, der heute im Schwimmsport gefordert ist, nicht mehr erbringen. Das gilt nicht nur für Wuppertal, sondern für ganz Deutschland. Wir hatten später noch ein paar Einzelstars wie Michael Groß oder Paul Biedermann, aber danach kam nicht mehr viel.“
DS: Aber Computer, Spielkonsolen und Smartphones gibt es auch in anderen Ländern – und dazu noch gute Schwimmer. Was machen andere Nationen besser?
Peter Nocke: „Der Bundesausschuss für Leistungssport hat ja jetzt eine neue Ära eingeläutet. Geplant ist eine Konzentration auf nur vier oder fünf Schwimm-Bundesstützpunkte. Der Druck auf die Talente wird größer. Sie werden gezwungen, sich den Stützpunkten anzuschließen. Die Vorgaben sind nicht von Pappe: Die Sportler müssen mindestens 3.000 Kilometer im Jahr schwimmen, zudem zwei oder drei Krafteinheiten in der Woche absolvieren. Es wird mehr trainiert, es wird härter trainiert. Und durch die Konzentration erhofft man sich Leistungssteigerungen.“
DS: Mit 62 Jahren trainieren Sie noch regelmäßig und nehmen auch erfolgreich an Masters-Wettbewerben teil. Sind Sie noch so ehrgeizig?
Peter Nocke: „Ich mache das im Prinzip, um fit zu bleiben. Und wenn ich mich dann für ein Masters melde, dann mache ich das nur, damit ich dann auch ein Ziel vor Augen habe, auf das ich hin trainieren muss. Denn wenn ich mich melde, möchte ich auch gewinnen und wenn ich gewinnen will, muss ich auch trainieren – und das tue ich dann auch, ca. vier- bis fünfmal in der Woche. Und wenn ich dann gewinne, macht es auch Spaß.“
DS: Sie haben sich nach einem Bizeps-Sehnenriss einer OP unterziehen müssen. Sind Sie inzwischen wieder der Alte?
Peter Nocke: „Ja, die Operation ist so super verlaufen, dass ich bei den Deutschen Meisterschaften 2016 über 50 Meter Schmetterling in meiner Altersklasse sogar einen Europarekord geschwommen bin.“
DS: Welche Schwimm-Disziplinen beherrschen Sie eigentlich?
Peter Nocke: „Natürlich meine Königsdisziplin Freistil, obwohl ich mittlerweile eigentlich im Butterfly etwas stärker bin, Rückenschwimmen dient mir zur Erholung und Brustschwimmen geht gar nicht.“
DS: Sind Sie eigentlich noch als Schwimmtrainer aktiv?
Peter Nocke: „Ich gebe Einzeltraining, um die Stilistik meiner Schüler zu verbessern. Das sind keine Profis, sondern Freizeitschwimmer. Und dann betreue ich noch einmal in der Woche 20 Schwimmsenioren zwischen 30 und 80 Jahren. Das mache ich ehrenamtlich.“
DS: Warum ist denn Ihr Sohn Christopher nicht in Ihre Fußstapfen getreten?
Peter Nocke: „Das hing damit zusammen, dass sich meine Frau und ich getrennt haben und Christopher bei seiner Mutter blieb. Er hat zwar einmal mit dem Schwimmen begonnen, aber aufgrund der Entfernung konnte ich ihn nicht regelmäßig trainieren und fördern. Dafür hat er tolle Leistungen in der Schule abgeliefert und ein sehr gutes Studium hingelegt. Mit 27 Jahren hatte er bereits seinen Master gemacht. Mittlerweile ist er 30 Jahre alt und hat mich im Januar zum stolzen Opa gemacht.“
DS: Haben sich Ihre sportlichen Erfolge eigentlich finanziell für Sie ausgezahlt?
Peter Nocke: „Die Möglichkeiten waren ja durch den Amateurstatus sehr begrenzt. Aufgrund meiner Leistungen und Titel-Erfolge habe ich von der Sporthilfe rund 12.000 DM im Jahr als Unterstützung erhalten. In den 70er Jahren hatte ich einen Werbevertrag bei einer Schwimm-Mode-Firma. Meinen heutigen Lebensstandard musste ich mir schon in meinem Beruf erarbeiten. Ich habe vor über 20 Jahren Herder, die Sicherheitstechnik-Firma meines Vaters, übernommen und führe sie erfolgreich weiter.“
DS: Haben Sie eigentlich Ihre Ehefrau Anja auch über den Schwimmsport kennen gelernt?
Peter Nocke: „Nein, meine Anja habe ich auf einer Messe für Sicherheits-Technik getroffen. Da hat es dann sofort zwischen uns beiden gefunkt.“
DS: Zu welchen Ihrer nationalen und internationalen Konkurrenten haben Sie heute eigentlich noch Kontakt?
Peter Nocke: „Ehrlich gesagt: zu keinem! Trotz der Staffel-Wettbewerbe sind wir ja irgendwie alle Einzelkämpfer gewesen.“
DS: Mit welchen Hobbys vertreiben Sie sich Ihre Zeit?
Peter Nocke: „Wenn ich das Schwimmen jetzt einmal außen vorlasse – meine Frau und ich haben zwei Hunde. Die sind unser Hobby. Außerdem bin ich noch Mitglied in einem Schützen-Verein und gehe noch ab und zu auf den Schießstand.“
DS: Ihre große Leidenschaft soll ja zwei Räder, einen Sattel und jede Menge PS haben?
Peter Nocke: „Ja, das stimmt. Ich fahre unheimlich gern Motorrad. Ich bin auch gerade dabei, die nächste Alpen-Tour auszuarbeiten. Im September gebe ich dann gemeinsam mit einem Freund wieder Gas. Das Schöne am Motorradfahren ist ja, man plant im Groben und fährt dann einfach dahin, wo das Wetter gut ist. Ich genieße die Natur und die vielen tollen Alpen-Kurven in vollen Zügen. Serpentine rauf – Serpentine runter. Und wenn wir dann so gegen 16 Uhr ein rustikales Berglokal mit wunderschönem Biergarten und bequemen Gästezimmern sehen, bleiben wir da, trinken das eine oder andere Bierchen, essen zünftig und übernachten dort. Und am nächsten Morgen starten wir ausgeruht zur nächsten Etappe. Das ist Lebensqualität.“
DS: Vielen Dank für das interessante Gespräch
Vita
Peter Nocke wurde am 25.10.1955 in Langenberg geboren. Zwei Jahre später zog er mit seinen Eltern nach Wuppertal. Er wurde Mitglied des Schwimmvereins Wasserfreunde Wuppertal. Dort wurde sehr schnell sein außergewöhnliches Talent erkannt. Trainer Heinz Hoffmann formte ihn zum Spitzenschwimmer. Nach der Schulzeit absolvierte er eine Ausbildung zum Industriekaufmann.
In seiner Karriere gab es viele Meilensteine. Insgesamt gewann er neun Europameistertitel, zwei Bronzemedaillen bei den Olympischen Spielen in Montreal (Kanada) und einen Weltmeistertitel bei der WM 1975 in Cali (Kolumbien) mit der 4 x 200 m Freistil-Staffel. 1978 beendete er seine ruhmreiche Karriere und wurde kaufmännischer Angestellter beim Badeartikel-Hersteller „Arena“.
Er hat einen Sohn aus erster Ehe (Christopher, 30) und ist in zweiter Ehe mit Anja verheiratet. Mittlerweile führt er mit Erfolg die Sicherheitstechnik-Firma Herder, die sein Vater gegründet.
Auch nach Ende seiner offiziellen Karriere als Leistungsschwimmer war er weiter überaus erfolgreich. So gewann er u.a. 2001 bei den Masters-Euromeisterschaften (Altersklasse 50) in Palma (Spanien) die Titel über 50 und 100 m Freistil, sowie über 50 und 100 m Schmetterling. Bei den Masters-Weltmeisterschaften 2010 in Göteborg (Schweden) gewann Peter Nocke als 55jähriger sogar fünf WM-Titel
Hobbys: Seine zwei Hunde, Schießen auf dem Schießstand, Motorradfahren – und natürlich Schwimmen.
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