28. Juni 2018Peter Pionke
Tony Cragg: Ein Weltbürger, der sich in Wuppertal zuhause fühlt
Der STADTZEITUNG hat der bescheidene Weltstar, dessen Skulpturen berühmte Plätze und Gebäude auf der ganzen Welt schmücken, ein offenes, umfassendes Interview gegeben
DS: Wie schafft man es, über einen so langen Zeitraum so erfolgreich zu sein?
Tony Cragg (lacht): „Bin ich das? Ich weiß es nicht. Die Frage kann ich nicht so einfach beantworten. Ich hatte einfach schon als junger Mann ein großes Interesse daran, meinen Weg zu gehen und mich im Atelier mit Materialien zu beschäftigen. Das fasziniert mich heute noch. Was dann am Ende dabei herauskommt, gibt mir die Energie, die Motivation, aber auch die Information und das Wissen, um weiter zu machen. Ich lerne ständig dazu. Ich hatte das große Privileg, dass ich inzwischen schon 50 Jahre lang meine Arbeit machen und mich immer weiter entwickeln durfte. Ich finde es auch sehr positiv, dass mich Menschen auf diesem Weg begleiten. Vielleicht ist das mein Erfolg. Eine andere Erfolgsstrategie habe ich jedenfalls nicht. Ich bin keiner, der viel in der Öffentlichkeit auftritt, ich gehe nur selten auf Vernis- sagen. Ich mache einfach nur meine Arbeit.“
DS: Haben Sie auch schon einmal eine Schaffens- krise erlebt, in der Ihre Kreativität blockiert war?
Tony Cragg: „Ja, das das äußert sich darin, dass ich nicht alles schaffen kann, was ich eigentlich schaffen will. Es gibt Momente, da fehlt mir einfach die Zeit. In einem Arbeitsprozess, der sich oft über Tage, Wochen oder sogar Monate hinzieht, geht man so vieles in Gedanken durch: Es gibt Tausende von Entscheidungen; macht man es so oder anders. Und am Ende, wenn man die Arbeit fertig gestellt hat, dann stellt man sich im Nachhinein die Frage: Was wäre gewesen, wenn ich in in eine andere Richtung gegangen wäre? Denn jede einzelne Entscheidung hat Auswirkungen auf das Endprodukt. Was am Ende übrig bleibt, ist die fertige Arbeit und das Potential und die Vision, daraus drei, vier oder noch mehr neue Arbei- ten zu entwickeln. Und damit bin ich dann überfordert. Ich kann unmöglich all die Wege nachgehen, die sich dann öffnen. Das empfinde ich manchmal als so eine Art Schaffenskrise.“
DS: Haben Sie auch schon Mal ein Kunstwerk vor Vollendung zerstört?
Tony Cragg: „Ganz oft – und das muss auch so sein! Ich habe vorher eine genaue Vorstellung, in welche Richtung ich bei der Arbeit an einer Zeichnung oder einer Skulptur gehen soll. Sonst würde ich gar nicht wissen, welches Material und welches Werkzeug ich brauche. Aber wenn ich ganz frei an eine Arbeit herangehe, bin ich, fast immer, nach wenigen Zügen und Bewegungen an einem Punkt gelandet, den ich vorher gar nicht voraussehen konnte. Das ist wie beim Schachspielen. Ich kann vielleicht sechs oder sieben Züge vorausschauen. Aber irgendwann stehe dann vor einer ganz neuen Situation. Und dann gibt es keine Garantie, dass die Endstation einer Arbeit interes- sant ist. Einige Arbeiten entwickele ich nicht weiter. Sie bleiben einfach unvollendet.
DS: Sie sind als Bildhauer ein Welt-Star. Fühlen Sie sich auch als ein solcher?
Tony Cragg: „Aus meiner Perspektive ganz sicher nicht! Ich verbringe den Großteil meines Lebens in meinem Atelier, oder befasse mich mit Installationen und Aus- stellungen. Ich meide das Publikum nicht, aber ich bin froh, wenn ich in Ruhe gelassen werde und einfach nur arbeiten kann.“
DS: Wer sich für Kunst und Kultur interessiert, der kennt Sie. Wie erklären Sie den Leuten in New York, Los Angeles oder Melbourne, wo ihr berühmter Skulpturenpark Waldfrieden liegt?
Tony Cragg (lacht): „Das ist nicht immer leicht. Man muss ja sogar auch so manchem Bayern noch erklären, wo Wuppertal liegt. Ich bin aus rein familiären Grün- den nach Wuppertal gekommen. Das war eher Zufall. Aber ich freue mich riesig, dass ich hier gelandet bin. Einen anderen Verlauf meines Lebens kann ich mir auch nach so vielen Jahren, die ich hier wohne, gar nicht mehr vorstellen. Hier im Rhein-Ruhr-Gebiet gibt es so viele Museen und Konzerthallen. Ich kenne eigentlich nirgendwo auf der Welt eine Region, die ein solches Potential und eine solche Kulturgeschichte besitzt. Ich beschreibe es im Ausland immer so, dass Wuppertal einen prächtige Entwicklung durchmacht und ein wich- tiger Teil eines großen Gebildes, einer großen Region ist.“
DS: Aus der ganzen Welt kommen Menschen nach Wuppertal, um Ihren Skulpturenpark zu bestaunen, dagegen haben viele Wuppertaler Bürger noch nie einen Fuß in Ihren Park gesetzt. Ärgert Sie das?
Tony Cragg: „Es ärgert mich überhaupt nicht. Es ist aber bedauerlich für die Leute, die noch nie hier im Park waren. Auch wenn wir den Eindruck haben, dass die Kunst in der Gesellschaft einen immer größeren Stellen- wert bekommt, wird es immer Menschen geben, die sich vielleicht fürs Auto-Sammeln interessieren – oder auch gar keine Interessen haben.“
DS: Liverpool ist nicht nur ihre, sondern auch die Heimat der „Beatles“. Sind Sie eigentlich auch ein- mal mit den berühmten Musikern in Berührung gekommen?
Tony Cragg: Nein, überhaupt nicht. Die Beatles stammen aus einer anderen Generation und ich wurde lediglich in Liverpool geboren, bin aber dort nicht aufgewachsen. Die Stadt Liverpool war dennoch sehr großzügig zu mir. Ich hatte eine meiner größte Ausstellungen dort, in der Tate-Gallery. Und ich habe außerdem ein Doktorat von der Universität Liverpool.“
DS: Sie haben ja auch ein Anwesen in Schweden und besitzen dort eine Schafherde. Tanken Sie dort Kraft und Kreativität wieder auf ?
Tony Cragg: „Ja ich habe ein zweites Zuhause auf einer Insel an der Westküste von Schweden. Ich besitze aber keine eigene Schafherde. Wir leben da allerdings in einem Naturschutzgebiet, in dem es auch Schafe gibt. Ich liebe die tolle Landschaft und die Menschen dort. Und für mich ist es willkommene Abwechslung. Ich arbeite dort unter ganz anderen Bedingungen, wie ich sie hier in meinem Wuppertaler Atelier habe.“
DS: Wie schaffen Sie es, einfach einmal abzuschalten?
Tony Cragg: „Nur wenn ich schlafe. Man redet bei Künst- lern auch von Arbeit. Aber ich empfinde das, was ich mit Leidenschaft gerne tue, gar nicht als Arbeit. Wenn ich morgens wach werde, hat mein erster Gedanke meist etwas mit einer meiner Skulpturen zu tun. Ich nutze dann jede Gelegenheit, physisch an dem Werk weiter zu arbeiten.“
DS: Sie stellen in Ihrem Skulpturenpark ja auch Werke von anderen Künstlern wie etwa Henry Moore oder Markus Lüpertz aus. Nach welchen Kriterien suchen Sie die Künstler und Ihre Werke aus?
Tony Cragg: „Das sind alles große Künstler und die faszi- nieren mich. Ich habe nicht den Stein der Weisheit. Jeder dieser Künstler hat seine ganz individuelle Sicht auf die Welt und vermittelt uns von ihr ein neues Bild. Für mich ist es spannend, praktisch durch ihr Gehirn, ihre Augen und aus ihrem Blickwinkel als Individuum und Künstler die Welt zu betrachten. Das ist ein wahnsinniges Privileg. Ich liebe die Bildhauerei im Allgemeinen. Sie hat ein irresPotential. Von Hubert Kiecol bis Markus Lüpertz, von John Chamberlain bis Henry Moore. Es gibt scheinbar riesige Unterschiede, aber sie alle zeigen uns mit ihren Werken etwas über unsere Realität. Die Bildhauerei ist ein wahnsinniges Feld, es hat eine riesige Spannweite von Damien Hirst bis Georg Baselitz. In zehn Jahren haben wir im Skulpturenpark inzwischen rund 40 Künstler ausgestellt. Und wir machen natürlich weiter.“
DS: Sozusagen Ihr Lebenswerk ist ja über viele Monate im Von der Heidt-Museum ausgestellt gewesen. Wie sehr haben Sie dieses Heimspiel genossen?
Tony Cragg: „Ich war sehr glücklich über die Einladung, dort auszustellen. Ich habe lange darüber nachgedacht, wie ich eine Ausstellung gestalten könnte, die im Grunde genommen in einem Museum für Malerei stattfinden sollte. Das hatte natürlich Auswirkungen. Es war eigent- lich nur ein kleiner Ausschnitt meines Lebenswerkes. Alles musste durch ein relativ kleines Fenster ins Museum transportiert werden. Es gibt dort großartige Räume. Und ich wollte natürlich, dass meine Arbeiten darin zur Gel- tung kamen. Am Ende war ich sehr zufrieden. Ich bin ein großer Bewunderer unseres Museums und seines Direktor Dr. Gerhard Finckh. Er ist einfach genial bei der Auswahl und Umsetzung der Ausstellungen.“
DS: Die Stadt Wuppertal hat imagemässig sehr von Ihnen als weltweit anerkanntem Künstler und von der Strahlkraft ihres Skulpturenparks profitiert. Inwieweit haben Sie denn von Ihrer Wahlheimat profitiert?
Tony Cragg: „Und wie. Ich lebe hier, meine Kinder sind hier aufgewachsen. Ich gehe jeden Tag in den schönen Wäldern wandern. Ich finde die Stadt an sich inspirierend. Es gibt die Spannbreite zwischen Gründerzeit-Archi- tektur, Industriegeschichte, Modernität, bis hin zu sozial schwachen Vierteln. Wuppertal ist nicht nur physisch, sondern auch wegen der Lebensqualität und dem Kultur- angebot eine interessante Stadt. Wuppertal hat in einemausgeprägten, ästhetischen Sinn immer von Innovatio- nen und Erfindungen gelebt. Deswegen haben wir ein so tolles Museum, deswegen entstand hier eine Kunst- und Kulturszene mit Künstlern wie zum Beispiel Pina Bausch. Ich habe hier ein sehr schönes Leben und bin dafür sehr dankbar.“
DS: Ganz Wuppertal ist – wenn man so will – ein Tony Cragg Skulpturenpark. An vielen markanten Plät- zen stehen ihre Werke. Gibt es irgendeine Location, wo Sie gerne noch eine Skulptur von Ihnen sehen würden?
Tony Cragg: „Das ist natürlich etwas übertrieben. Man findet genau sechs Skulpturen von mir in der Stadt. Es gibt aber auf der anderen Seite in Wuppertal auch rund 200.000 Autos. Ich bin damit zufrieden. Ich fände es aber schön, wenn es mehr Skulpturen von anderen Künst- lern in der Stadt gäbe. Ich möchte nicht der Einzige sein, der hier seine Arbeiten öffentlich ausstellt. Aber Bildhauereien sind ganz allgemein eine Seltenheit im Stadtbild.“
DS: Bei gesellschaftlichen Ereignissen sieht man Sie selten, warum machen Sie sich da so rar?
Tony Cragg: „Ich mache mich gar nicht rar, ich habe ein- fach nur etwas anderes zu tun.“
DS: Welche Künstler, der jüngeren Generation bewundern Sie?
Tony Cragg: „Es gibt ein großes Spektrum an jungen Künstlern. Aber jüngere Genration ist relativ. Ich bin 69, hinter mir gibt es acht jüngere Generationen. Ich habe immer gedacht zum Beispiel, dass Andreas Gurski ein junger Künstler wäre, aber mittlerweile ist er auch schon ein reifer Kollege geworden.“
DS: Sie haben ja der erfolgreichen von Gerald Hacke kreierten Musik-Reihe „Tonleiter“ in Ihrem Skulpturenpark eine Plattform gegeben. Was fas- ziniert Sie so sehr an zeitgenössischer, klassischer Musik?
Tony Cragg: „Wir können im Park nicht den Rahmen für klassische Konzerte bieten. Dafür gibt es adäquate Konzerthallen. Deshalb präsentieren wir moderne, zeit- genössische Musik. Und das finde ich sehr spannend. Die Musik stammt aus unserer Zeit. Die Klassiker können wir genießen, aber sie sind aus der Vergangenheit und für uns irgendwie vertraut. Zeitgenössische Musik zielt auf die ästhetischen Nerven, sie ist insgesamt komplexer, die Strukturen sind komplizierter, ausdrucksstärker. Manchmal ist es schwer, sie auf Anhieb zu begreifen. Man muss einige Sequenzen teilweise mehrfach hören, um bestimmte Strukturen zu erfassen. Was ich aber wirklich ganz toll finde an der zeitgenössischen Musik: Sie ist eine Parallele zur Bildhauerei.“
DS: Jetzt sind wir aber auf ihre Erklärung gespannt…
Tony Cragg: „Ich stelle mir vor, ein Mensch nimmt eine Note und stellt sie in den Raum, dann nimmt er eine andere Note und baut damit eine neue Struktur, die noch einmal im Raum wiederholt werden kann. Genauso schaffe ich meine Skulptur. Ich habe eine Fläche, auf der gar nichts steht, ich nehme ein Material und baue damit Stück für Stück etwas auf, bis irgendetwas entsteht, das vorher nicht da war. Das ist ein kreativer Akt. Ich liebe zeitgenössische Musik sehr. Was ich allerdings nicht kann, ist Musik hören und dabei arbeiten.“
DS: Könnte irgendwann der Zeitpunkt kommen, an dem Sie sagen: So jetzt reicht es, jetzt setze ich mich zur Ruhe?
Tony Cragg: „Darüber denke ich gar nicht nach. Ich wüsste auch gar nicht, welche Umstände eintreten müss- ten, um für mich eine solchen Entscheidung zu fällen. Vielleicht wird das eines Tage so sein, aber ich kann es mir eigentlich gar nicht vorstellen.“
DS: Ihr Skulpturenpark ist ein Garten Eden der Kunst-Genres. Zusätzlich zu Ihren Werken gibt es auch Skulpturen, Gemälde und Installationen anderer Künstler, es gibt Tanz, Jazz, zeitgenössische Musik, Weltmusik. Haben Sie sich das in Ihrer Phan- tasie so ausgemalt?
Tony Cragg: „Nein! Ich habe mir das ganz anders vor- gestellt. Ich musste da erst einmal meine Erfahrungen machen. Für mich ist alles in Fluss, eine Entwicklung und ich bin gespannt, wie es weiter geht. Es wird immer in der Zukunft kulturelle Entwicklungen geben, die wir alle heute nicht voraussehen können.“
DS: Vielen Dank für das sehr spannende Gespräch.
Das Interview führte Peter Pionke
VITA Tony Cragg
Sir Tony Cragg, eigentlich Anthony Douglas Cragg, wurde am 09. April 1949 in Liverpool als Sohn eines Elektro- ingenieurs in der Luftfahrtindustrie geboren.
Tonyw Cragg arbeitete nach dem Abitur zunächst als Praktikant bei einem biochemischen Forschungsunter- nehmen, bevor er sich der Kunst widmete. Er nahm sein Studium am Gloucestershire College of Art and Design auf, besuchte anschließend die Malklasse der damaligen Wimbledon School of Art, bevor er 1973 an das Royal College of Art in London wechselte.
Während seines Studiums verlagerte sich Tony Craggs Interesse vom Malerischen zum Plastischen. Seine Bekanntschaft mit dem Konzeptkünstler Richard Long beeinflusste sein Schaffen. 1977 zog Tony Cragg nach Wuppertal.
Ab 1979 lehrte er an der Kunstakademie Düsseldorf, ab 1988 als Professor. Im Jahr 2001 wurde Tony Cragg Pro- fessor für Bildhauerei an der Hochschule der Künste in Berlin. Seit 1994 ist er Mitglied an der Royal Academy of Arts in London und seit 2002 Mitglied der Akademie der Künste in Berlin. Außerdem wurde er im selben Jahr in den Stand eines Commander of the British Empire (CBE) erhoben.
Cragg war Prorektor und ab 2009 Rektor der Kunst- akademie Düsseldorf als Nachfolger von er Markus Lüpertz. Am 1. August 2013 gab er das Amt an Rita McBride ab.
2006 erwarb der Bildhauer in Wuppertal einen 15 Hektar großen verwilderten Park mit der denkmalgeschützten Villa Waldfrieden, dem ehemaligen Wohnsitz von Kurt Herberts, um hier den Skulpturenpark Waldfrieden auf- zubauen. Dieser wurde im September 2008 eröffnet.
http://www.skulpturenpark-waldfrieden.de
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