21. September 2018Peter Pionke
Scheugenpflug: Man kann kürzer treten – muss aber nicht
Er war Bankkaufmann bei der Commerzbank in Wuppertal, stand als Polizist bei Großdemonstrationen in Kalkar und Brockdorf seinen Mann, leitete die Organisation einer Krankenversicherung in Düsseldorf und kickte als Fußballer in der Oberliga. Seit nunmehr 29 Jahren ist die Bühne die eigentliche Heimat von Jürgen H. Scheugenpflug (62), erfolgreicher Kabarettist, Comedian und Moderator.
Programme wie „Schluss jetzt“, „Man(n) kann – muss aber nicht“ und „Wort und Totschlag“ oder Formate wie „Comedy im Bett“, „Ronsdorfer Comedy-Nacht“, „Rock am Stock“ oder der satirische Wuppertaler Jahresrückblick „Talfahrt“ stammen aus seiner Ideen-Schmiede.
„Scheuge“, Biker und stolzer Besitzer eines Peugeot-404-Oldtimers, wird auch nicht müde, mit spitzer Zunge das Geschehen und das öffentliche Leben in seiner geliebten Geburtsstadt Wuppertal zu kommentieren. Der STADTZEITZUNG gab er jetzt ein offenes und ehrliches Interview.
DS: Die Premiere Ihres 10. Soloprogramms „Mann kann – muss aber nicht“ 2012 im Barmer Bahnhof sollte 2012 Ihre letzte sein. Warum stehen Sie dann noch immer auf der Bühne?
Jürgen Scheugenpflug: „Ich habe nie gesagt, dass dies mein letztes Programm sein würde. Ich habe lediglich angekündigt, dass ich ein bisschen kürzer treten wollte. Daraus und aus dem Programm-Titel haben dann Leute herausgelesen, dass ich Schluss machen würde. Ich habe das nie kommentiert. Fakt ist, dass ich mittlerweile mit meinem 12. Solo-Programm bundesweit unterwegs bin.“
DS: In Ihren Soloprogrammen geht es oft um männliche Unzulänglichkeiten und Weh- wehchen. Haben Sie damit bei den Damen im Publikum einen Stein im Brett?
Jürgen Scheugenpflug: „Eindeutig ja. Die Frauen finden es toll, wenn wir Männer auch einmal über unsere Unzulänglichkeiten sprechen. Ich war Zeit meines Leben zusammen gerechnet höchstens eine Viertelstunde lang Macho. Den Rest war ich schlicht Mann. Und Man(n) hat nun einmal seine Wehwehchen und Zipperlein. Frauen sind viel leidensfähiger als wir. Eine Grippe ist für uns eine Nahtoderfahrung, für Frauen nur eine kurze Erscheinung.“
DS: Die männlichen Schwächen in den Vordergrund zu stellen war doch sicher Kalkül und Teil Ihres Konzepts?
Jürgen Scheugenpflug:“ Jein! Krankheiten, Schwächen und Eigenarten von uns Männern sind natürlich ein Allroundthema. Ich habe mal eine Nummer darüber geschrieben, was eigentlich typisch männlich ist. Ich bin dabei auf ein Kernbeispiel gestoßen. Wenn man samstagmorgens in einen Musikalienladen wie ‚Hardline‘ in Elberfeld geht, dann stehen da die alten Männer mit ihren langen, grauen Haaren. Sie unterhalten sich über alte Bands, über Gruppen, die sie wieder reaktivieren wollen, über Combos, in denen sie Mitglied waren. Das spielt alles in der Vergangenheit. Männer tun sich sehr schwer damit, etwas los zu lassen – ob es ihre Jugend ist, ihre besten Jahre oder auch ihr Arbeitsleben.“
DS: Und Frauen haben aus Ihrer Sicht damit keine Probleme?
Jürgen Scheugenpflug: „Es ist doch kein Zufall, dass viele Männer im Herbst ihres Lebens allein sind. Sie will keiner mehr. Frauen sind dagegen jederzeit in der Lage, ihr Leben völlig neu zu gestalten. Männer halten am Großteil ihres alten Lebens fest, die gleichen Kumpel, die gleichen Gewohnheiten. Frauen sind da viel flexibler. Wenn eine 40- oder 45jährige plötzlich allein da steht, macht sie eine Beziehungspause von zwei oder drei Jahren. Aber dann sucht und findet sie auch wieder jemanden, der zu ihr passt. Männern fällt das sehr viel schwerer.“
DS: Im Gegensatz zu anderen deutschen Kabarettisten sind Sie sehr flexibel und springen zwischen den Genres hin und her und moderieren auch – Zufall oder geplant?
Jürgen Scheugenpflug: „Ich habe mir schon etwas dabei gedacht. Als ich mit 33 Jahren auf die Idee kam, meinen Beruf in der freien Wirtschaft aufzugeben, um Kabarettist zu werden, war ich schon Vater von zwei Kindern und hatte eine vierköpfige Familie zu ernähren. Mir war klar, dass dies nicht ganz einfach werden würde. Deshalb habe ich mich von Anfang an bemüht, auf zwei oder drei Beinen zu stehen. Ich wusste, dass ein Bein auch einmal wegbrechen konnte, beispielsweise dann, wenn ein Solo-Programm einmal nicht so gut ankam wie erhofft. Also brauchte ich eine Alternative, um finanzielle Engpässe überbrücken zu können. Deshalb bemühte ich mich u.a. um Aufträge als Moderator. Ich hatte immer Plan B in der Tasche. Die Flexibilität war für mich auch ein Stück weit Freiheit, ich konnte so Dinge ohne großes Risiko einfach ausprobieren.“
DS: Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, Kabarettist zu werden?
Jürgen Scheugenpflug: „Ich konnte Akkordeon und Gitarre spielen und habe mich ein Jahr lang in Barcelona als Straßenmusiker über Wasser gehalten. Danach durfte ich eine Kabarett-Gruppe im TiC-Theater musikalisch begleiten – noch unter Regisseur Ronald Stürzebecher. Und als dann einer der Kabarettisten plötzlich ausfiel, musste ich seinen Sprech-Part übernehmen. Das ist mir so missglückt, dass Stürzebecher gesagt hat: ‚Entweder viel daran arbeiten oder sein lassen‘.
DS: Kabarettisten haben es heute nicht leicht, es gibt kaum noch Politiker mit Ecken und Kanten. Wie sehen Sie die Entwicklung?
Jürgen Scheugenpflug: „Dass heute die markanten Persönlichkeiten in der Poltik fehlen, stimmt absolut. Die Grenzen zwischen Kabarett und Comedy sind mittlerweile auch fließend. Ich habe eigentlich immer sozialkritisches Kabarett gemacht, das zudem seine Comedy-Anteile besaß. Am Anfang meiner Karriere bin ich ja noch als Kunstfigur ‚Hermann Oberkötter‘ aufgetreten, allein 105 Mal bei Radio Wuppertal und auch mehrfach im RTL-Fernsehen. Ende der 90er Jahre habe ich dann entschieden, mich nicht mehr hinter einer Figur zu verstecken. Ich habe mein Programm kom- plett umgestellt. Das war ein Risiko. Denn das hat mich zwei Jahre lang fast mein komplettes Publikum gekostet.“
DS: Wuppertaler jammern, Wuppertaler finden ihre Stadt hässlich, ist das typisch für diese Stadt?
Jürgen Scheugenpflug: „Ich bin gebürtiger Wuppertaler und liebe die Stadt wahrscheinlich mehr, als ganz viele andere Bürger. Ich sehe natürlich auch die Mängel. Es gibt immer Leute, die nur das Negative sehen. Aber das ist nicht auf Wuppertal beschränkt. Ich komme sehr viel herum. Eine Stadt, in der es keine Bewohner gibt, die die ständig an ihrer Heimat herummäkeln, gibt es nicht.“
DS: Wie hat sich denn die Kulturszene in Wuppertal aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren entwickelt?
Jürgen Scheugenpflug: „Ich finde die Kulturszene sehr spannend, die sich am Mirker Bahnhof entwickelt. Sie entsteht aus einer ganz anderen Generation. Die Musik, die da läuft, ist nicht meine. Trotzdem finde ich es absolut geil, was da abläuft. Ich gehe auch gern ins Talton-Theater, da laufen hervorragende Produktionen.“
DS: Wie werten Sie die Umstände der fristlosen Kündigung von Ex-Tanztheater-Inten- dantin Adolphe Binder?
Jürgen Scheugenpflug: „Ich werde wohl nie zu einem abschließenden Urteil kommen, weil man uns nicht alle Fakten zugänglich macht. Aus meiner Sicht als Satiriker ist das ganze Theater fast schon angemessen: Pina Bausch war alles andere, als eine einfache, umgängliche und liebenswürdige Frau. Sie war streitbar, eckig und kantig. Und diese Eigenschaften besitzt auch jedes Mitglied des Tanztheaters. Das ganze Gebilde ist sehr fragil, jeder will ein Mitspracherecht haben. Und in der Wuppertaler Hochkultur-Szene muss jeder damit rechnen, ganz plötzlich gefeuert zu werden, weil er eine Aussage gemacht hat, die nicht im Sinne das Tanztheaters oder einer anderen Einrichtung war. Wir werden wohl nie die ganze Wahrheit erfahren. Es gibt aber schon zu denken, wie in Wuppertal mit kreativen Köpfen wie Opernintendant Toshiyuki Kamioka oder Museum-Direktor Dr. Gerhard Finckh umgegangen wurde und wird.“
DS: Fällt Ihnen ein kommunales Thema ein, bei dem es Sie in den Fingern juckt, ein Kabarettprogramm daraus zu schmieden?
Jürgen Scheugenpflug: „Ich werde sicher mal ein Solo-Programm über Wuppertaler Themen und Wuppertaler Eigenarten schreiben. Da bietet sich der 90. Geburtstag unserer Stadt, den wir im nächsten Jahr feiern werden, förmlich an. Ich möchte meine beruflichen Aktivitäten künftig ohnehin auf die Region rund um Wuppertal konzentrieren, um nicht mehr so viel reisen zu müssen.“
DS: Sie haben Kabcom e.V. gegründet, die Bergische Akademie für Kabarett und Comedy. Was sind das für Leute, die Seminare und Workshops besuchen?
Jürgen Scheugenpflug: „Ehrlich gesagt: Mein eigentliches Ziel habe ich mit der Akademie komplett verfehlt. Ich wollte junge Leute an den Traumberuf des Kabarettisten oder Comedian heranführen. Ihnen das Rüstzeug und meine Erfahrung mit auf den Weg geben. Dass ich damit gescheitert bin, lag auch daran, dass die Leiter von Schul-Kabarett-Gruppen nicht bereit waren, ihre Talente zu übergeben. Das Positive auf der anderen Seite war aber, dass ganz normale Leute in meine Workshops gekommen sind, die nicht die Bühne als Ziel hatten, sondern einfach nur mal etwas anderes machen wollten. Zum Beispiel die liebenswürdige Dame, die bislang immer getöpfert hatte. Mit solchen Menschen zu arbeiten, macht mir Riesenspaß.“
DS: Mit Ihrem Best Of-Programm könnten Sie ja noch Jahrzehnte lang erfolgreich durch die Lande touren. Haben Sie sich eigentlich selbst eine Grenze gesetzt?
Jürgen Scheugenpflug: „Ja, eine Grenze habe ich mir gesetzt, aber diese ist sehr variabel. Solange ich es noch ohne fremde Hilfe auf die die Bühne schaffe, kann ich den kabarettisti- schen Jahresrückblick ‚Die Talfahrt‘ ganz bestimmt noch bis zum 70. Geburtstag mitgestalten – und das sind noch acht Jahre. Im Solo-Bereich spüre ich, dass es so langsam reicht. Ich habe jede Bühne bespielt, die ich bespielen wollte. Ich habe in den 90er Jahren erfolgreich Radio gemacht, bis ich nicht mehr durfte, weil ich kein Abitur hatte. Ich habe wirklich alle Höhen und Tiefen erlebt. Wann aber wirklich Schluss ist, kann ich beim besten Willen noch nicht sagen.“
DS: Glauben Sie denn, das sich ihre Fans einen ‚Scheuge‘ im Rollstuhl vorstellen können?
Jürgen Scheugenpflug: „Das weiß ich gar nicht. Ich könnte mir durchaus vorstellen, irgendwann trotz aller Gebrechen auf der Bühne Geschichten zu erzählen. Es gab einmal einen irischen Komiker, der die ganze Zeit in einem Sessel saß. Vor ihm stand ein kleiner Tisch mit einem Glas Whisky. Er hat den Leuten einfach nur Storys aufgetischt. Und ob ich nun im Sessel oder im Rollstuhl auf der Bühne sitze, das wäre für kein Hinderungsgrund. Gut möglich, dass ich das noch mache. Und trotzdem habe ich große Hochachtung vor Kollegen, die es schaffen, zum richtigen Zeitpunkt aufzuhören.“
DS: Vielen Dank für das offene und interessante Gespräch
Das Interview führte Peter Pionke
Vita
1989 war nicht nur für die Republik, sondern auch für Jürgen H. Scheugenpflug (62) ein Jahr der Wende. Er gab den Traum auf, Rockmusiker zu werden, sondern entschloss sich, frei nach dem Motto: schweigen ist Silber – reden ist Gold – es von nun an mit dem Wort zu versuchen. Zunächst als Sextett, später als Duo.
1994 wurde der Spaß Ernst. Nach einer kurzen Karriere als Straßenmusiker in Barcelona, einer absolvierten Banklehre, drei Jahren Einsatz als Polizeibeamter und Leiter einer Düsseldorfer Krankenversicherung, gab er seinen „normalen“ Job auf und stürzte sich kopfüber ins „Künstlerleben“. Scheugenpflug moderierte drei Jahre lang bei Radio Wup- pertal das „Kultur-Special“. Dort entstand auch die Comedy-Figur „Hermann Oberkötter“, mit der er wöchentlich lokale, teils brisante Themen verarbeitete.“ Hermann“ erlangte mit über 300 Beiträgen schnell überregionale Bekanntheit.
Im legendären Schmidt-Theater in Hamburg moderierte Jürgen H. Scheugenpflug über 80 Mal die „gnadenlose Schmidt-Mit- ternachtsshow“ auf der Reeperbahn.
1998 überzeugte Scheugepflug mit seinem ersten Solopogramm „Irre sind männlich“. Mittlerweile hat er 12 erfolgreiche Solo-Programme geschrieben.
Seit 2007 stellt Jürgen H. Scheugenpflug seine langjährigen Erfahrungen als Kabarettist auch in den Dienst der Nachwuchsförderung. Zu diesem Zweck gründete er die Bergische Akademie für Kabarett & Comedy (Kabcom e.V.) und bietet regelmäßig Seminar und Workshops an. Seit Beginn des Jahres 2008 schreibt Jürgen H. Scheugenpflug regelmäßige, satirische Kolumnen für die Westdeutsche Zeitung mit dem Titel „Hör ma“. Und last, but not least: Talfahrt: der politische Jahresrückblick für Wuppertal und Umgebung. Eine Gemeinschaftproduktion mit Jens Neutag und dem Musiker Ulrich Rasch.
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