Ursula Schulz: Die Frau, die ‚Dr. Sommer‘ war

Foto: Monika Asmus

Bürgermeisterin Ursula Schulz: Die Frau, die „Dr. Sommer“ war. Die Wuppertalerin beantwortete als Mitglied des BRAVO-Aufklärungs-Teams Fragen der jungen Leserinnen und Leser.

Wuppertal, 15.06.2019 – Es ist mehr als 60 Jahre her: Am 26. August 1956 erschien die erste Ausgabe der Zeitschrift BRAVO. Was als Film- und Fernsehzeitschrift begann, entwickelte sich bald zur erfolgreichsten Jugendzeitschrift des letzten Jahrhunderts. Den größten Erfolg hatte die BRAVO in den 80er und 90er Jahren. Wichtigster Bestandteil, damals wie heute, ist die Aufklärungsrubrik „Dr. Sommer“. Auch heute noch zählt „Dr. Sommer“ zu den meistgesuchtesten Begriffen der BRAVO-Website.

Was viele Wuppertaler nicht wissen: Hinter dem Pseudonym Dr. Sommer verbirgt sich ein Soziologen-Team. Und ein Mitglied dieses Experten-Gremiums sitzt heute im Wuppertaler Rathaus: Ursula Schulz, Bürgermeisterin der SPD Ratsfraktion. Sie kümmert sich zwar nicht mehr um Aufklärung, dafür aber um die Belange der Wuppertaler Bürger: Zehn Jahre lang, von 1972 bis 1982, traf sie sich regelmäßig mit Dr. Martin Goldstein und weiteren Soziologen in Goldsteins Praxis in Düsseldorf und erarbeitete im Team die Aufklärungsseiten der BRAVO.

Mittlerweile hat der Verlag über 50 % seiner Print-Auflage eingebüßt, aber BRAVO geht mit der Zeit: 2001 ging die BRAVO-Website online, und auch auf Facebook hat BRAVO über eine Million Fans. „Das Hauptthema zu unserer Zeit war Einsamkeit – und das ist es wahrscheinlich auch heute noch“, sagt Ursula Schulz. Sie sitzt in ihrem Bürgermeisterzimmer im Barmer Rathaus, vor ihr liegen BRAVO-Hefte aus den 90er Jahren. „Die Hefte aus meiner Zeit verstauben irgendwo auf dem Dachboden.

Da müsste ich lange suchen“, erklärt sie und blättert durch die neueren Exemplare.„Zu unserer Zeit waren die Aufklärungsseiten noch anders aufgebaut. Es wurden keine Briefe abgedruckt wie heutzutage, sondern eher Geschichten erzählt, in denen Aufklärung verpackt wurde.“ Briefe kamen aber auch damals schon – ganze Wäschekörbe voll.

Aus dieser Post wurde dann herausgefiltert, welche Themen die Jugendlichen gerade am meisten beschäftigten. Beantwortet wurden die Briefe natürlich auch. „Einige Schreiben waren schon heftig. Andere wiederum bedurften keiner Antwort. Die Jugendlichen wollten einfach nur über ihr Gefühlsleben berichten“, erinnert sich die Wuppertaler Politikerin.

Der Kontakt zu Dr. Goldstein kam damals über den Peter-Hammer Verlag und ihren Mann zustande. Ursula Schulz selbst ist gelernte Buchhändlerin, Journalistin und war selbst einmal Chefredakteurin einer Jugendzeitschrift. Noch heute ist sie stolz auf ihre Tätigkeit im Dr. Sommer Team. „Die Aufklärung in der BRAVO war dermaßen fortschrittlich, das machte zu der Zeit sonst keiner“, berichtet sie. Sie wundert sie sich nach wie vor darüber, dass der Verlag die Dr. Sommer Beiträge nicht zensierte. „Wir betrieben progressive Sexualaufklärung, und das in einem so konservativen Verlag wie dem Bauer-Verlag.“

Auf den Aufklärungsseiten ging es um Themen wie Menstruation, das erste Mal, Partnersuche oder Homosexualität. Gerade bei Themen wie Homosexualität mussten die Soziologen selbst noch Vorurteile abbauen. „Wir wurden ja ganz anders erzogen“, erinnert sich Ursula Schulz. „Uns wurde noch beigebracht, dass Homosexualität schlecht und etwas Verbotenes ist.“

Dabei war die gleichgeschlechtliche Liebe unter Männern in den 70er Jahren tatsächlich noch per Gesetz untersagt. „Nach damaligen Möglichkeiten haben wir zu Homosexualität Stellung genommen“, lenkt sie ein. Ein homosexueller Freund Dr. Goldsteins las die Themenseiten. „Er konnte sich darin wiederfinden, das war unsere Bestätigung.“

Natürlich geht die Gesellschaft heutzutage viel aufgeschlossener mit Themen der Sexualität um als noch vor 30 Jahren. Aber eines hat sich laut Ursula Schulz bis heute nicht geändert: „Jugendliche wollen nicht mit erhobenem Zeigefinger aufgeklärt werden, und schon gar nicht von den eigenen Eltern.“

Aus diesem Grund entwickelte das Dr. Sommer Team spannende Kurzgeschichten und Themenplakate, mit deren Hilfe es den Jugendlichen verschiedene Bereiche der Sexualität erklärte. Gute Aufklärung nimmt Ängste, da ist Wuppertals Bürgermeisterin sich sicher.

Ihrer Meinung nach fehlen Jugendlichen oft kompetente Ansprechpartner – auch heute noch. Ebenso hat sich an den Themen, die Jugendliche in der Pubertät beschäftigen, bis heute nicht viel geändert. Gefühle der Einsamkeit und Isolation stehen nach wie vor im Zentrum. „Zwar versuchen Jugendliche heute, ihre Einsam- keit durch soziale Medien zu kompensieren, doch diese Interaktion befriedigt nur vordergründig“, sagt sie.

Über das Erscheinungsbild und die Aufklärungsseiten der BRAVO heutzutage, möchte Ursula Schulz nicht urteilen. Auch die Website hat sie bisher noch nicht besucht. Doch eines weiß sie sicher: „Meine Enkelkinder werden ganz bestimmt nicht durch die BRAVO aufgeklärt, das funktioniert mittlerweile anders.“

Grenzenlose Zugänge zum Internet haben der Aufklärungsfunktion der BRAVO den Rang abgelaufen. Ob die Aufklärung dadurch besser geworden ist, auch dazu möchte Ursula Schulz sich nicht äußern. Fest steht aber, in den 70er und 80er Jahren war die Sexualaufklärung durch unser Dr. Sommer Team eher missionarisch. „Und auch der Erwachsenengeneration konnten wir durch Dr. Sommer noch etwas beibringen.“ (hf)

 

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