24. Februar 2020Peter Pionke
Alexander Eichner: „Der WSV ist ein Juwel“
Seine Vita liest sich wie ein Bestseller: Magister Artium Literaturwissenschaften, Diplompolitologe, Diplom-Betriebswirt, Baseball- sowie American Football Spieler/Coach mit ausgeprägter Liebe zum Fußballsport, von Beruf renommierter Transition-Manager, also Manager von geplanten funktionalen Systemübergängen. Eine Karriere wie aus dem Bilderbuch: Vorstandsassistent bei Bertelsmann, Leitungsaufgaben bei Sony Europa und KPMG London/Kreditanstalt – Investmentbank London, Leiter Commercial Due Diligence (Prüfung der finanziellen Lage). Dieser Alexander Eichner (60) hat vor einem Jahr beim Wuppertaler SV in einer schweren Vereinskrise zum zweiten Male nach 2013 bis 2016 Verantwortung übernommen und ist in die Rolle des Vorstandssprechers geschlüpft.
EIN INTERVIEW VON SIEGFRIED JÄHNE
DS: Alexander Eichner, wie dürfen wir Ihren Rücktritt verstehen? Resignation oder ein geplanter professioneller Systemübergang?
Alexander Eichner: „Melanie Drees und ich sind Ende Februar 2019 als Übergangsvorstände mit dem Ziel gestartet, den WSV am Leben zu erhalten! Dafür sind wir in Zeiten, in denen sich sonst niemand fand, ein hohes persönliches Risiko eingegangen und haben vor einem Jahr keine Insolvenz angemeldet. Wir gingen davon aus, dass der Verein vermutlich den Spielbetrieb hätte einstellen müssen und „abgeschmiert“ wäre. Wir waren uns einig, dass wir alles tun müssen, um einen Absturz zu vermeiden. Mit einer Schuldenlast von 1,4 Mio. € (davon allein 1,1 Mio. € Bilanzverlust sowie einer nicht gegenfinanzierten Liquiditätslücke von rund 450.000 € aus dem Konzept 2020) haben wir ein schweres Erbe angetreten. Wir wollten dem Verein die Liga erhalten, mussten nach Lösungen suchen und haben regelmäßig zusätzlich Kapital (ca. 450.000 €) aufgebracht. Nach zwölf Monaten intensiver Arbeit haben wir den Vereinsbetrieb aufgeräumt und transparent gemacht, über Umstellung auf Ehrenamt-Kosten um mehr als 500.000 € abgesenkt, die Schulden nicht vergrößert und konnten eine Insolvenz verhindern. Ein Jahr lang haben wir den Verein über Wasser gehalten. Damit sind wir auf einem guten Weg, auch wenn die Mannschaft noch um den Klassenerhalt kämpfen muss.“
DS: Welche Unterstützung haben Sie beispielsweise von Wuppertaler Unternehmen erfahren?
Alexander Eichner: „Aus der Stadt, die zu den 16 größten in unserem Land zählt und sich rühmt, überdurchschnittlich viele Weltmarktführer zu haben, haben wir die nennenswerte Unterstützung leider nicht erhalten, die wir benötigen, um diesen Fußballverein, der ja auch wichtiger Standortfaktor sein könnte, nachhaltig zu beleben. Mir persönlich fehlt, das muss ich eingestehen, in dieser Stadt das Netzwerk, um zukunftsorientiert erfolgreich wirken zu können. Ich habe in meiner aktuellen Amtszeit keine einzige Einladung von irgendeiner Firma oder Institution bekommen. Ich bin davon überzeugt, dass meine Nachfolger mit besseren Verbindungen mehr erreichen können als ich. Diese Expertise bringt jemand wie Stefan Ries (WSV Mitglied) mit. Er wird dem Verein an dieser Stelle weiterhelfen können. Ich bin da zuversichtlich, dass er einen Pool zustande bringt.“
DS: Sie gaben auch private Gründe für ihren Rückzug an. Ein spontaner Entschluss oder lange vorbereitet? Gab es auch andere Gründe?
Alexander Eichner: „Wir waren von Anfang an nur Platzhalter, eine Übergangsregierung sozusagen, jederzeit bereit unsere Plätze freizumachen für Teams mit mehr Möglichkeiten und Netzwerk in der Stadt. Bis dahin war die Zielsetzung den Verein am Leben zu erhalten, bis eine nachhaltige Lösung realisiert werden kann. Ich hatte beim WSV einen ehrenamtlichen Fulltime-Job, das kann man auf Dauer nicht machen – ein Jahr muss reichen. Darauf hatten wir beide in den Hauptversammlungen im Frühjahr 2019 bereits hingewiesen. Jetzt muss endlich eine Reaktion aus Wuppertal kommen. Hiesige müssen jetzt Verantwortung für ein nachhaltiges Konzept übernehmen.“
DS: Probleme mit dem Verwaltungsrat?
Alexander Eichner: „Dass man sich kabbelt, liegt in der Natur der Sache. (Lacht): Aber normalerweise werde ich dafür bezahlt – Im Ehrenamt gibt es kein Schmerzensgeld sozusagen.“
Insolvenz kein notwendiger Weg
DS: Restrukturierung gehört zu ihrem Geschäft. Ist da nicht Insolvenz gerade ein probates Mittel? Es gibt Leute, die sahen und sehen in der erneuten Insolvenz den einzig richtigen Ausweg.
Alexander Eichner: „Es gibt durchaus Situationen wo ein solch rabiater Schritt Sinn macht. Eine solche Notwendigkeit sehe ich aktuell beim WSV nicht. Die Situation heute ist überschaubar und anders als 2013, als der Schuldenberg mit über 4.5 Mio. € viel größer war. Eine Insolvenz ist im heutigen Fall eigentlich unnötig. Natürlich ist der Arbeitseinsatz gewaltig, um die jeweils anstehenden Gelder zu organisieren, aber wir haben jetzt zwölf Monate gesehen, dass es geht. Dass Gläubiger und Bürgen in der Situation mit Verzichten helfen – ja. Aber deshalb gleich Insolvenz? Dann hätte man in 2019 schon anmelden können, mit allen Konsequenzen eines Absturzes. In der neuen Legislaturperiode wird das Parkhausthema wieder anstehen und der WSV ist in dieser Frage inzwischen gut positioniert, um dort eine Rolle zu spielen. In diesem Windschatten hat der Verein beste Karten zur Entschuldung. Angesichts der Größenordnung der Verbindlichkeiten wäre eine Insolvenz peinlich für eine Großstadt Wuppertal.“
DS: Wenn Sie sagen , dass Sie in dieser Stadt keine Einladungen erhalten haben, wäre es nicht an Ihnen gewesen, Kontakte zu suchen?
Alexander Eichner: „Der Versuch zählt leider nicht, nur das Ergebnis. Auf einen, über Mithilfe der Politik, zugesagten Termin für die Finanzierung des Nachwuchsleistungszentrums bei einer großen Wuppertaler Aktiengesellschaft, die sich werblich stark im Bundesliga-Geschäft engagiert, warte ich seit vier Monaten – ohne Erfolg. Standortmarketing, das ja auch Standortsicherung bedeutet, scheint hier ein Fremdwort zu sein. Wie kann man das ignorieren, dass der WSV zu den wichtigsten Stichworten der Stadt gehört? Um das Bild aber zurechtzurücken: Die Zahl der Handwerker und kleinen/mittleren Betriebe mit Sponsorenengagement wächst wöchentlich.“
DS: Es gibt Leute, die sagen, ihr Engagement bei WSV hätte viel damit zu tun, dass sie persönlich um das von Ihnen eingebrachte Geld fürchten…
Alexander Eichner: „Da kann ich nur lachen. Ich bin da eher ein kleiner Gläubiger des Mittelfeldes (ca. 40.000 €). Im letzten Jahr habe ich doppelt so viel wie ein namhaftes Unternehmen in Wuppertal gegeben. Um mein Geld ist es mir beim WSV nie gegangen. Allein mein Arbeitseinsatz über zwölf Monate, quasi Vollzeit, rechtfertigt nicht, die von Ihnen genannte Summe. Ginge es darum, müsste ich ja bleiben.“
DS: Um was ist es Ihnen beim WSV denn gegangen?
Alexander Eichner: „Auch wenn ich beim WSV meine Fußball-Romantik eher verloren habe, liebe ich den Fußball und habe eine starke Beziehung zu Traditionsvereinen, wie der WSV ja fraglos einer ist. Insbesondere die von der Aktion WSV 2.0 ausgegangenen Werte hatten mich überzeugt. Und es ärgert mich, wenn ein solches Potential, wie der WSV, in der eigenen Stadt nicht gewürdigt, eher noch schlecht geredet wird. Dieser Switch im Kopf so manches Meinungsbildners muss endlich stattfinden: der WSV ist eine ganz tolle Chance für diese Stadt, es ist kein Verein für den man sich schämen muss. Aber damit bin ich schon 2013-2016 durch die Stadt gelaufen.“
Der WSV – ein Schaufenster
DS: Sie haben jetzt den dritten Trainer und den zweiten Sportdirektor. Welche Fehler haben Sie im abgelaufenen Jahr gemacht?
Alexander Eichner: „Bei den Personalentscheidungen hatten wir nicht immer die glücklichste Hand, waren aber auch teilweise Situationsgetrieben. Man muss wissen, dass die Akteure beim WSV ohne nennenswertes Geld auflaufen und nur gehalten werden konnten, weil wir uns als Ausbildungsverein präsentieren und der WSV für sie ein Schaufenster bedeutet, in dem sie sich für höhere Aufgaben empfehlen können. Mit etwas mehr Geld wäre noch vieles möglich gewesen. Aus den Insolvenzen in Erfurt oder Wattenscheid hätte man mehr profitieren können, wie das Beispiel Marwin Studtrucker zeigt, den wir holen konnten.“
DS: Wenn nicht in der Insolvenz, wo sehen sie Lösungen für die Zukunft?
Alexander Eichner: „Naturgemäß strebt kein Gläubiger eine Insolvenz an. Beim WSV kommt es jetzt darauf an, keine unnötige Unruhe zu verbreiten. Ein Forderungsverzicht von Gläubigern und Bürgen würde aber auf dem Weg der Gesundung schon sehr helfen. Wir haben ein mögliches Zukunftsmodell entwickelt, das einen geordneten Ablauf garantiert, mit dem alle leben könnten. Dazu müsste der Verein neu strukturiert werden, unter dem Vereinsdach gäbe es eine Betreibergesellschaft GmbH (Merchandising, Ticketing, Catering, Parkhaus) deren Erträge ausschließlich dem e.V. zu Gute kommen, Jugend eGmbH (Eltern, Unternehmen, Sponsoren, Förderkreis) ersparen dem e.V. ca. 150.000 € pro Jahr und eine freie Abteilung „Lizenzfußball“ mit steigender Bewertung. Auch Investoren der Lizenzspieler würden 20% zum Schuldenabbau beitragen. Ein beherrschbarer Prozess.“
DS: Wohin führt Sie ihr Weg, wo werden sie künftig Fußball erleben?
Alexander Eichner: „Ich lebe in London, der Brexit bringt neue Impulse in die Märkte. Ich bin im Stadtteil Kensington zu Hause und vermutlich schaue ich eher bei den Zweit- oder Drittligisten (Leeds, Nottingham, Millwall) Fußball, was in England übrigens inzwischen ein Trend ist. Meine Karten bei Borussia Mönchengladbach blieben während der letzten zwölf Monate ungenutzt. Aber in 2019 habe ich wegen Aaron Rodgers fast alle Spiele der Green Bay Packers gesehen und freue mich jetzt auf die Baseball Saison. Aber vor allem werde ich am Live-Ticker mitfiebern, wie unsere Jungs vom WSV die restliche Saison gestalten.“
„Geschichte einer Provinz“
DS: Sie haben einmal gesagt, ihr Traum sei es, ein Theater zu managen.
Alexander Eichner lacht: „Theater hatte ich jetzt genug. Der WSV bietet Shakespeares Welt komplett.“
DS: Und wie sieht es mit dem Literaturliebhaber Alexander Eichner aus. Liest er noch Lion Feuchtwangers Romane wie „Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz“?
Alexander Eichner: „Ja, Feuchtwanger hat mich immer inspiriert, weil er menschliche Zusammenhänge und Charaktere in signifikanter Weise darstellen konnte.“
DS: Was wünschen Sie sich, wenn Sie demnächst nach Wuppertal blicken?
Alexander Eichner: „Einen erfolgreichen Fußballverein und eine Stadt, die nicht nur zuschaut, sondern beherzt anpackt, die weiß, welch ein Juwel sie beherbergt. Eine Stadt, die sich wie einst beim Schwebebahnbau wieder inspirieren lässt und nach vorne schaut. Das muss keine Illusion bleiben, ich sehe sehr gute Chancen und Möglichkeiten. Insbesondere, weil wir mit Stefan Ries jemanden gefunden haben, der genau dieses Netzwerk mitbringt, das mir fehlt. Ich gehe davon aus, dass im Laufe des März positive Bewegung in die Sache kommt.“
DS: Vielen Dank für das interessante, offene Gespräch.
Das Interview führte Siegfried Jähne
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