7. Februar 2021Peter Pionke
Klimaschutz und Artensterben: „Es ist viel dramatischer“
Vor 100 Jahren wurde der letzte Berberlöwe in Marokko erschossen. Ein Artensterben beobachten Wissenschaftler*innen aber schon seit Jahrhunderten. Welche Gründe gibt es dafür?
Prof. Gela Preisfeld: Bei Panthera leo leo, dem Berberlöwen, der ein sehr schönes Tier war, kam es zur Ausrottung, weil die Nutzung der Feuerwaffen zugenommen hat und der Löwe als eine beliebte Jagdtrophäe galt. Ein anderes großes, eindrucksvolles Tier, dass in den letzten hundert Jahren ebenfalls ausgestorben ist, ist der Beutelwolf, auch Tasmanischer Wolf genannt. Diese Beispiele sind allerdings eher auf anthropogene Veränderungen wie Verlust des Lebensraumes und Wilderei zurückzuführen als auf große Aussterbeereignisse, die durch Klimaveränderungen entstanden sind.
Es gibt viele Beispiele für Artensterben. Wir nennen große Artensterben in der Zoologie auch einen Faunenwechsel. Artensterben an sich gibt es schon seit Millionen von Jahren. Wir kennen tatsächlich mindestens fünf spezifische, große Aussterbeereignisse, die wir als die sogenannten „Big Fives“ bezeichnen. Zu einem Big Five gehört eine Aussterbewelle dann, wenn mindestens 75 Prozent der Arten verschwunden sind. Das ist schon eine ganze Menge. Ich würde diese Big Five gerne einmal aufzeigen.
Das erste fand im Ordovizium vor 444 Millionen Jahren statt, durch lange Abkühlungsereignisse und damit einhergehende Vergletscherungen. Das führt natürlich bei allen Organismen, die nicht abwandern können, zum Aussterben. Das Zweite erfolgte dann im späten Oberdevon vor 372 Millionen Jahren durch einen schnelleren Wechsel von Warmzeiten und Glazialzeiten (Eiszeiten), sodass die Organismen sich nicht schnell genug anpassen konnten. Gleichzeitig kam es auch zu einer Absenkung des Meeresspiegels, was zusätzlich starke Konsequenzen hatte.
Das dritte Aussterbeereignis war dann am Ende des Perms vor 252 Millionen Jahren, als es eine drastische Erwärmung um zehn Grad gab. Das hatte natürlich klimatische Konsequenzen, auch was den Niederschlag betraf. Das Vierte war dann vor ca. 200 Millionen Jahren an der Trias-Jura-Grenze, da spielte erneut die Erwärmung wieder eine Rolle.
Das Fünfte kennen wir eigentlich alle, das große Massenaussterben in der Kreide-Paläogen-Grenze vor ungefähr 66 Millionen Jahren, bei der zum Beispiel auch die Dinosaurier ausgestorben sind. Und durch das Aussterben der Saurier wurden viele Nischen frei, die von den Säugern genutzt werden konnten, die sich dann ganz stark diversifizieren konnten.
Wir sind jetzt eigentlich auch in einem Massenaussterbeprozess. Man müsste vielleicht demnächst „The Big Six“ sagen. Nur das, was wir jetzt erleben, unterscheidet sich von den historischen Aussterbeprozessen in verschiedenen Aspekten. Es ist viel dramatischer, denn es geht sehr viel schneller. Das ist das Gefährliche.
Im Gegensatz zu den Temperaturveränderungen in der Geschichte und den Wasserstandsveränderungen usw. passiert die Erderwärmung jetzt um tausend bis zehntausend Mal schneller als es früher der Fall war. Da kommt natürlich kein Tier mit. In den letzten 50 Jahren erkennt man eine Abnahme von Tierarten, besonders der Megafauna, also der großen Tiere, um 70 Prozent.
1,5 Millionen Tier- und Pflanzenarten sind der Wissenschaft bisher bekannt. Fünf bis neun Millionen Tier- und Pflanzenarten soll es schätzungsweise auf der Erde geben. Davon sterben jährlich – noch bevor sie entdeckt und beschrieben werden – bis zu 58.000 Arten. Viele Wissenschaftler*innen sprechen schon vom sechsten Massensterben der Erdgeschichte, das aber diesmal vom Menschen durch die Zerstörung von Lebensräumen, Verschmutzung oder Einbringen von Tieren in fremde Ökosysteme wissentlich verursacht wird. Ist die Situation ausweglos, oder gibt es auch Gegenmaßnahmen?
Prof. Gela Preisfeld: Eine rein biologische Lösung finden solche Organismen, wenn sie einfach ihr Habitat verlassen und sich andere Nischen erschließen können. Aber das können natürlich nicht alle. Die Frage ist, was können wir tun, um etwas zu ändern. Im Fokus steht ja nach Klimaschutzkonvention die Schadensbegrenzung auf zwei Grad Erderwärmung, um weitere Aussterbeprozesse zu minimieren.
Leider erreicht nicht einmal Deutschland diese Vorgabe, obwohl sogar die Coronapandemie einen Beitrag dazu leistet, denn die CO2-Emission ist zurzeit dadurch ein wenig geringer. Eigentlich sollten 30 Prozent der Areale auf dem Land und auf den Ozeanen konserviert werden; konserviert bedeutet hier geschützt und erhalten.
Wir haben zu wenig Wissenschaftler*innen und zu wenig unabhängige Berater*innen in der Politik. Es gibt die sogenannten „Conservation Plans“, um die Aussterberisiken zu minimieren, die aber auch nur für bestimmte Regionen gelten, wie zum Beispiel die Tropen oder das Great Barrier Reef. Die „Convention on Biological Diversity“ wurde von 196 Nationen unterzeichnet und anerkannt und hat neben dem Erhalt der Biodiversität auch Nachhaltigkeit und faire Verteilung der genetischen Ressourcen zum Ziel.
Das ist eigentlich die einzige Möglichkeit, wie wir etwas über Ländergrenzen hinweg ändern können. Wenn wir hier eine Art schützen, ist das gut, bringt aber nicht den Fortschritt, den wir brauchen. Diese 30 Prozent, die geschützt werden sollen, damit könnte man auch tatsächlich einen erfolgreichen Biotopschutz gewährleisten, wenn man die zwei Grad Klimaerwärmung einhält. Hochrechnungen zufolge könnte man damit 50 Prozent der Arten retten. Also wenn man die Konventionen einhielte, könnte man das Artensterben massiv eindämmen.
In Deutschland sind nach Nabu-Angaben unter anderem der Schweinswal und die Smaragdeidechse akut gefährdet. Die Bestände der Feldvögel seien seit 1980 um 34 Prozent zurückgegangen. Knapp ein Drittel der Säugetierarten in Deutschland ist in ihrem Bestand gefährdet. Das geht aus der aktuellen Roten Liste der Säugetiere hervor, die das Bundesamt für Naturschutz (BfN) und Rote-Liste-Zentrum (RLZ) vorgestellt haben. Kann die Wissenschaft durch ihr Know-how mithelfen, diese Entwicklung zu stoppen?
Prof. Gela Preisfeld: Die Wissenschaft kann Daten liefern, sie kann Strategien entwickeln. Biotop- und Habitatschutz statt Artenschutz wären also zwei unterschiedliche Betrachtungsweisen, wie man so etwas machen kann. Da spielt die Wissenschaft eine große Rolle. Aber das Umsetzen muss die Politik machen und die Wirtschaft muss mitziehen. Wenn wir immer nur eine wirtschaftskonforme Politik betreiben, dann werden wir den Bedrohungen unserer Umwelt und der Ökologie einfach nicht gerecht.
Beides geht nicht, die Wirtschaft muss umdenken und bereit sein. Sie darf nicht nur drohen, dass sie hier mit ihren Firmen weggeht und sich ihre Steueroasen sucht, wenn die Belastung und die Auflagen zu groß werden. Im Moment werden dann die Firmen nach Afrika oder Asien verlagert, wo es sozusagen gar keine Umweltauflagen gibt, um unsere Luxusprodukte zu finanzieren.
Sie muss vielmehr erkennen, dass auch ihrem Wachstum ganz natürliche Grenzen gesetzt sind. Und auch wir müssen uns an die eigene Nase fassen und unser Tun überdenken.
Ein weiterer Grund für das Artensterben sind nichtheimische, invasive Arten. Was versteht man darunter, und welche gibt es beispielsweise bei uns?
Prof. Gela Preisfeld: Laut WWF (World Wild Fund For Nature) gibt es über 260 Tiere und über 600 Pflanzen, die bei uns eingeschleppt sind. Aber nicht alle sind gefährlich und damit als invasiv zu bezeichnen. Invasiv bedenklich sind nur solche Organismen, die entweder die einheimischen Arten bedrohen, oder für den Menschen gesundheitlich oder wirtschaftlich bedrohlich sind.
Gesundheitlich bedenklich ist zum Beispiel das Beifußblättrige Traubenkraut (Ambrosia artemisiifolia), weil es hochallergen ist. Die Pollen und auch der Kontakt mit der Pflanze können starke allergische Reaktionen hervorbringen. Es kommt eigentlich aus Nordamerika, konnte in Südeuropa eine Zeitlang schon gut überleben, nur konnten die Samen keinen Frost vertragen, wodurch es nicht zur Fruchtreife kam. Dann gab es vor ca. 20 Jahren offensichtlich eine Mutation und nun sind die Samen frostresistent und können sich besser ausbreiten.
Bei den Tieren haben wir den Amerikanischen Flusskrebs, den Kamberkrebs. Der verdrängt unseren eigenen Flusskrebs (Astacus astacus), weil er größer und stärker ist und auch einen Pilz überträgt, die sogenannte Krebspest, gegen die er selbst immun ist. Aber unser einheimischer Flusskrebs ist nicht immun dagegen und wird verdrängt.
Wenn der Mensch das Gleichgewicht der Natur zu sehr durcheinander bringt, entzieht er sich seiner Lebensgrundlage. Könnte nicht auch der Mensch einmal zu einer bedrohten Art werden?
Prof. Gela Preisfeld: Auf jeden Fall. Wenn wir so weitermachen, wird man ja nur in ganz kleinen speziellen Nischen überleben können, falls überhaupt. Die Natur stört sich nicht an den großen Klimaveränderungen, die passt sich an. Das haben wir ja bei den Big Five gesehen, vierzigtausend Jahre Dauerregen, da kann kein Mensch überleben, die Natur schon. Wir Menschen sind zwar schon anpassungsfähig, aber das hat Grenzen. Wenn uns unsere Lebensgrundlage entzogen wird, nichts mehr vernünftig wächst, das ökologische Gleichgewicht nicht mehr vorhanden ist, dann sterben wir auch aus.
Tiere sind oft besonders anpassungsfähig. Manchmal kommt es bei ausgestorbenen Arten auch zum sogenannten Lazarus-Effekt. Was ist das?
Prof. Gela Preisfeld: Das geht zurück auf die Wiedererweckung von Lazarus durch Jesus, also eine Figur, die man als tot geglaubt hat und wiedererweckt wurde. Damit meint man genau das, nämlich das vermeintlich ausgestorbene Arten wiederkommen, man sie plötzlich wiederfindet.
Ein solches Phänomen könnte zwei Ursachen haben. Einmal könnte die historische, fossile Aufnahme lückenhaft gewesen sein, sodass es sie quasi immer gab, nur dass man die Nachweise dafür nicht hatte. Oder es könnten sich einige wenige Organismen in nahezu unsichtbare Nischen zurückgezogen und sich dort erholt haben, die dann wieder stärker in Erscheinung treten. Ein Beispiel dafür ist die Wollemie (Wollemia nobilis). Das ist ein Nadelbaum, der zu den Araukarien gehört.
Die Wollemie hat man erst 1994 in Australien in abgelegenen Schluchten der Blue Mountains wiederentdeckt. Sie wurde dann genetisch verifiziert und daher weiß man, dass dieser Baum immer überlebt hat. Das ist so ein typischer Lazarus-Effekt. Im Tierbereich gibt es den Lazarus-Effekt bei vielen Ratten und Mäusen und auch bei Vögeln, die man für ausgestorben hielt. Das liegt aber vor allem an der lückenhaften Datierung.
Text: Uwe Blass
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