10. Februar 2021Peter Pionke
Obdachloser AJ: Sein Leben unter der Brücke – die Fortsetzung
In meinem Gepäck erneut meine Kamera – und einen Ausdruck der online erschienenen Geschichte über AJ in der „STADTZEITUNG Wuppertal“.
Der 48jährige hat eine sehr bewegte Geschichte hinter sich. Er wurde in Spanien geboren, kam er im Alter von einem Jahr nach Deutschland.
Schon früh verlor er beide Elternteile, wurde zum Heimkind. Über dreißig Jahre seines Lebens verbrachte der gelernte Bäcker bislang im Gefängnis.
Letzte Woche hatte AJ in der Fußgängerzone gesessen. Doch dort ist er heute nicht aufzufinden. Stattdessen sitzt da ein anderer Obdachloser. Ich frage ihn, ob er wisse, wo ich AJ finden könne? Doch er verneint.
Also begebe ich mich auf die Suche. AJ ist weder am Döppersberg, noch sonst irgendwo in der Fußgängerzone. Ich mache mir eine wenig Sorgen um meinen neuen Bekannten.
Dann spricht mich ein weiterer Obdachloser an, ob ich ihm etwas Geld für einen heißen Kakao geben könne. Ich lade ihn ein und frage beiläufig, ob er wisse, wo ich AJ möglicherweise antreffen könne. Und ich habe Glück.
Er beschreibt mir ganz konkret den Ort, an dem AJ sich tagsüber oft aufhält. Es ist der überdachte Bereich einer großen deutschen Bank im Luisenviertel. Doch AJ sitzt nicht an seinem Platz. Seine Habseligkeiten erkenne ich aber wieder.
Eine gute halbe Stunde warte ich auf ihn. Zwischendurch besuche die St. Laurentiuskirche – in der Hoffnung, dass sich AJ dort etwas aufwärmt.
Doch vergebens! Und so lege ich den Zeitungsausdruck unter seine rote Wolldecke. Eigentlich will ich gehen, drehe dann aber doch noch eine Runde ums Eck. Als ich dann zurück komme, ist AJ sozusagen „zuhause“ und sortiert seine sieben Sachen.
Er erkennt mich sofort wieder und freut sich offensichtlich über meinen Besuch. Den Zeitungsartikel hatte er bereits entdeckt und einen kurzen Blick darauf geworfen. Ich frage ihn, ob er Hunger habe und einen Kaffee möchte. „Sehr gerne“, sagt er und bittet um eine Zigarette.
Auf der anderen Straßenseite hat ein Restaurant geöffnet. Und so bestelle ich eine Portion Nudeln mit Spinatsauce und Knoblauch. Darauf hatte AJ richtig Appetit.
Während ich im warmen Lokal auf die Bestellung warte, liest AJ den Zeitungsartikel. Als ich zurückkomme, erklärt er, dass ihm die Geschichte sehr gut gefalle und bedankt sich.
Nachdem er gegessen hat und wir gemeinsam unseren heißen Kaffee getrunken , haben, bietet er an, mir sein „Schlafzimmer“ zu zeigen. Ich nehme die Einladung sehr gern an. Sie beweist, dass er Vertauen zu mir hat. Ich folge ihm. AJ führt mich zu einer Brücke. Diese bietet ihm durch eine Betonmauer auf der einen Seite etwas Schutz vor Wind und Wetter.
Zudem hat er an zwei Seiten eine Decke gespannt, eine Art Sicht- und Windschutz. „Das sind meine drei Wände“, sagt er stolz und fängt an, seinen Schlafplatz aufzuräumen. „Für ein Foto soll es ordentlich aussehen“, sagt er. „Ich habe sogar einen Besen, mit dem ich meinen Platz kehre.“
Auf einer Holzpalette liegen zwei Matratzen; ein Beistelltisch vom Sperrmüll dient als Nachttisch. Darauf ein Kofferradio und etwas Gebäck. Aus der Ablage lugt ein Buch hervor.
„Was liest Du denn gerade?“, frage ich und bin total erstaunt, als er eine Bibel hervorholt. „Die habe ich geschenkt bekommen und lese sogar darin. Wenn es dunkel wird, strahlt eine Straßenlaterne so hell, dass ich dabei gut lesen kann.“
Ich bin erstaunt, hatte er bei unserem ersten Treffen am letzten Sonntag doch noch gesagt, dass er nicht „an den da oben“ glaube. Aber ich stelle keine Fragen, rede nicht auf ihn ein, sondern gebe AJ lediglich einen Rat, mit welchem Kapitel er am besten in der Bibel mit dem Lesen anfangen sollte.
Letzten Sonntag hatte AJ mir erzählt, dass er bei den Ämtern Schwierigkeiten mit seinen Anträgen gehabt habe. Und so erkundige ich mich, ob sich in der letzten Woche diesbezüglich etwas getan habe.
AJ strahlt übers ganze Gesicht und verrät mir, dass sich alles zum Guten gewendet habe. „Ab morgen bin ich krankenversichert und bekomme auch Geld.“ Eine Wohnung habe er auch in Aussicht.
„Aber diesen Platz behalte ich als „Zweitwohnsitz““, sagt er und schmunzelt. Seinen Humor hat er offensichtlich in schweren Zeiten nicht verloren.
„Wenn Du obdachlos wärst, würdest Du Dich hier nicht auch wohlfühlen?“ fragt er mich und ich tue mich schwer, ihm zu widersprechen, weil sein Platz doch einen gewissen Charme versprüht. Aber tauschen möchte ich trotzdem nicht mit ihm.
Wir verlassen seinen Schlafplatz und begeben uns zurück ins Luisenviertel. Beim Abschied sagt AJ: „Und wenn ich dann meine Wohnung habe, dann lade ich Dich zu Kaffee und Kuchen ein. Ich erzähle Dir dann meine ganze Lebensgeschichte, bei der viele vom Glauben abfallen werden.“
Ich bin sichtlich gerührt und nehme seine Einladung sehr gerne an. Und ich freue mich auf ein Wiedersehen am kommenden Sonntag.
Text: Taro Kataoka
Über Taro Kataoka
Taro Kataoka – Jahrgang 1966 – ist japanisch-deutscher Abstammung, seit über 25 Jahren verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.
Nach der mittleren Reife an einer japanischen Schule, hat er zunächst die Fachoberschulreife, dann das Abitur an deutschen Schulen gemacht. Anschließend erlernte er den Beruf des Bankkaufmanns.
Taro Kataoka leistete Zivildienst und arbeitete einige Jahre bei einem japanischen Unternehmen. Anschließend studierte er Theologie. Nach zehn Jahren im Pastorenberuf begann er ein Fotodesign-Studium und schloß dieses mit dem Diplom ab.
Die Kamera ist seither sein ständiger Begleiter, zunächst meist nebenberuflich im Bereich der Eventfotografie. Inzwischen arbeitet er selbständiger Fotodesigner und betreibt ein eigenes Fotostudio. http://www.kataoka-fotografie.de/
Als interkulturell aufgewachsener Mensch ist Taro Kataoka an anderen Kulturen interessiert. Er lernt gerne neue Menschen kennen und tritt mit ihnen in Interaktion.
Als gläubiger Christ liebt er Gott, seine Nächsten und das Leben. Ein Beispiel dafür sind Hilfstransporte mit einem 40-Tonnen- Lkw nach Südost-Europa, die er ehrenamtlich unternimmt. Mindestens einmal im Jahr ist er unterwegs, um Menschen mit Lebensmitteln und Kleidung sowie weiteren Hilfsgütern zu versorgen.
Nicht zuletzt ist Taro Kataoka Vorstandsmitglied des gemeinnützigen Vereins „Kinder-Tafel-Vohwinkel e.V., der die Kindertafel und den betreuten Spielplatz „Sternpunkt“ in Vohwinkel betreibt und betreut http://www.kinder-tafel-vohwinkel.de
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