7. April 2021Peter Pionke
Comics: Vom Lückenfüller zur Kunstform
Comics, wie wir sie heute lieben, entstanden am Ende des 19. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten. „Zunächst gab es ganzseitige Comic-Geschichten in den Sonntagsbeilagen der Tageszeitungen, deren Beliebtheit dazu führte, dass man auch unter der Woche die Leser:innen mit Comics unterhalten wollte. Dass Comicstrips so aussehen, wie wir sie heute kennen, hat damit zu tun, dass sie in den Wochentagausgaben da eingesetzt wurden, wo gerade noch Platz war“, weiß Christian Klein, der in der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften als Privatdozent Neuere deutsche Literaturgeschichte und Allgemeine Literaturwissenschaft lehrt.
„Da hatte man eben Spalten, in die passten nur schmale Streifen mit wenigen Bildern – für diese frühen ,Comic-Streifen‘ hat sich dann schnell der Begriff ,Comicstrip‘ eingebürgert.“
Ein Lückenfüller generiert eine neue Leserschaft
Zeitungen nutzten die Dienste der aufkommenden Comiczeichner zunächst als unterhaltsame Lückenfüller, um textfreie Stellen auszufüllen. Aber mit den kurzen Bilderfolgen eroberten sie zeitgleich eine neue Käuferschicht, denn: „Die frühen Comics waren oft an bestimmte Personengruppen gerichtet“, erklärt der Wissenschaftler.
So zielte der erste erfolgreiche Comicstrip des Zeichners Richard Felton Outcault, der Geschichten um das sogenannte „Yellow Kid“ erschuf, auf irische Emigrant*innen ab. Er ließ seine neu geschaffene Kunstfigur in einem Slang sprechen, in dem sich die Eingewanderten wiedererkannten. „Entsprechend war dieser Comic unter den irischen Emigranten sehr erfolgreich. Damit hat sich die Zeitung eine Leserschaft erschlossen, die sonst die Zeitung vermutlich nicht gekauft hätte.“
Wie viele von uns, ist auch Christian Klein zu seinen gezeichneten Helden über das Comicsortiment der Zeitschriftenhandlungen beim Einkauf der Eltern gekommen. „Ich habe als Kind viele Comics gelesen. Bei uns zu Hause waren Comics nicht verpönt“, erklärt der gebürtige Bremer. „Wenn man von Helden in Comics spricht, denkt man natürlich gleich an Superhelden. Es gibt im Hinblick auf Superheldencomics drei Zeitalter“, erklärt Klein, „das Goldene, das Silberne und das Dunkle Zeitalter, und in der ersten Phase waren die alle strahlend und patriotisch – wie eben Superman.“
Aber mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kippte die Gewogenheit der Leserschaft, denn sie empfanden diese durchweg positiven Helden zunehmend als langweilig. „Dann hat man verstärkt auf gebrochene Figuren wie zum Beispiel Spiderman gesetzt, der eigentlich ein ganz normaler Junge ist, der durch einen Unfall zu seinen besonderen Fähigkeiten kommt, die ihm nicht nur Freude machen. Er hadert mit seinen ganzen Jugendlichen-Problemen und ist außerdem noch Superheld.“
Immer wieder beschäftigte sich Klein mit der Kunstform Comic und kam dann mit seiner Kollegin Julia Abel auf die Idee, ein Comicseminar an der Bergischen Universität anzubieten, um die diversen Facetten der gezeichneten Bilderfolgen zu beleuchten. „Im deutschsprachigen Raum kann man sagen, dass die intensive wissenschaftliche Beschäftigung mit Comics so um die Jahrtausendwende anfängt, während das in den USA und auch in Frankreich schon früher losgeht“, erzählt er.
Die Entwicklung in den USA war allerdings zunächst von einer comicfeindlichen Haltung geprägt. „In den 50er und 60er Jahren wollte man nämlich von soziologischer und psychologischer Seite her belegen, dass Comics schlecht für die Jugend seien, und hat sich aus diesem Grund intensiv mit Comics beschäftigt“, erläutert der Forscher. Die heftige öffentliche Kritik an Horrorcomics oder Kriminalcomics führte bei den Verlagen zu einer Art Selbstzensur, dem sogenannten „Comics Code“, den sie sich aus Angst, ihre Hefte könnten nicht mehr verkauft werden, auferlegten. Fortan waren alle möglicherweise kontroversen Themen und Darstellungen tabu.
„Der ,Comics Code‘ führte zu einer inhaltlichen Verflachung der Comics und zu einer Anpassung an das herrschende konservative Wertesystem“, sagt Klein. „Aber in den 60er Jahren entwickelte sich eine Art Gegenbewegung, die sogenannten Undergroundcomics, die jetzt alles zeigten: Drogenkonsum, Sex, Gewalt, Wahnsinn, alles, was in den weichgespülten Comics für die Jugend keinen Platz hatte.“
Undergroundcomics oder auch „Comix“ – das „x“ am Ende steht dann selbstironisch für „x-rated“, also nicht jugendfrei – bilden so auch die Grundlage für den Boom der Graphic Novel in den 80er Jahren. „Comic-Autoren wie Art Spiegelman, die im Underground-Milieu anfingen, sorgten dafür, dass die Graphic Novels – also längere Comic-Erzählungen in Buchformat, die sich eher an ein erwachsenes Publikum richten – auch im seriösen Feuilleton ankamen. Die Freiheit und Subversion war für die Autoren ganz wichtig. Das ist dann mit ein bisschen Verspätung auch nach Deutschland übergeschwappt.“
Mit allen zentralen Genres vom Comicstrip über Superhelden-Comic und Graphic Novel bis zu Mangas beschäftigt sich auch das Buch von Klein und Abel, „Comics und Graphic Novels“, in dem sie einen Überblick über die historisch-kulturellen, theoretischen und analytischen Dimensionen der Beschäftigung mit Comics und Graphic Novels bieten.
Der Comic kann vieles darstellen, wofür einem die Worte fehlen
„Der Comic hat in der Regel eine Erzählebene mehr, weil Comics ja normalerweise aus Text und Bild bestehen“, erklärt Klein. „Er kann dadurch auch sehr komplex erzählen, ohne dass das für den Leser kompliziert wird.“ Die Text-Bild-Beziehung ermögliche es etwa, gleichzeitig verschiedene Erzählerstimmen oder verschiedene Erzählperspektiven zu präsentieren.
„Wir haben also auf einen Blick Erzählendes und Erlebendes Ich in einem Bild präsent. Diese Form der Gleichzeitigkeit ist bei Erzähltexten so nicht möglich, könnte nur annäherungsweise mit viel Aufwand erreicht werden, weil Erzähltexte auf Sukzessivität verpflichtet sind, weil man Wort für Wort lesen muss. Der Comic kann diese Gleichzeitigkeit durch die Text-Bild-Kombination problemlos herstellen. Gerade die Bilder ermöglichen es, dass im Comic vieles thematisiert und dargestellt werden kann, wofür einem vielleicht die Worte fehlen.“
Generationsübergreifend, weil voraussetzungslos
Comicfans findet man in jeder Generation. „Im Idealfall fange ich als Kind an zu lesen und höre als Greis nicht mehr auf“, lacht Klein und begründet das mit einer Voraussetzungslosigkeit. „Wir müssen nicht perfekt lesen können, um uns Comics anzusehen. Das ist ja oft auch der Einstieg in die Lesebiografie. Man kann einfach viel über die Bilder verstehen.“ Und dann erzähle der Comic oft auch verschiedene Geschichten für unterschiedliche Adressaten, erklärt der 47-Jährige.
„Nick Knatterton ist ein gutes Beispiel dafür. Den habe ich als Kind als spannende Detektivgeschichte gelesen. Aber da gibt es viele politische Anspielungen. Es taucht zum Beispiel ein Indianerhäuptling auf, der mir damals überhaupt nicht auffiel, aber der sieht genauso aus wie Konrad Adenauer (erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Anm. d. Red.), der etwas zur Wiederbewaffnung sagt und im Comic ironisch gebrochen wird. Das sind dann Botschaften für die Erwachsenen. Gleichzeitig haben wir aber eben auch eine spannende Geschichte für Kinder.“
Die Vielfalt der Comicthemen und -stile ist schier unbeschreiblich. Fantasy und Mangas fesseln den Literaturwissenschaftler nicht so sehr. „Aber das ist auch eine Sozialisierungs- und Geschmacksfrage“, gibt er offen zu und sagt über seine Studierenden: „Ich bin immer wieder fasziniert, wenn ich zum Comic Seminare mache, denn in jedem Seminar sind echte Mangacracks. Die kennen alles, die kleinsten Details und auch die Fachbegriffe.“
Buch: Julia Abel / Christian Klein (Hg.): Comics und Graphic Novels. Eine Einführung.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2016, 328 Seiten, 24,99 EUR.
Uwe Blass
Die komplette Transfergeschichte lesen Sie hier.
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