29. April 2021Peter Pionke
Kristof Stößel führt einen Überlebenskampf mit Humor
Doch Kristof Stößel, seine Mitarbeiter und sein Ensemble kämpfen weiter ums nackte Überleben, um die Zukunft ihrer beiden Theater. Die Pandemie macht den freien Bühnen besonders schwer zu schaffen. Sie haben schon in ganz normalen Zeiten einen schweren Stand, weil sie nicht wie Staats- und städttische Theater von der öffentlichen Hand subventioniert werden.
Kristof Stößel ist im positiven Sinne ein Theater-Verrückter, der alles dafür gibt, sein Publikum zu unterhalten und zum Lachen zu bringen. Schlechte Laune kennt er eigentlich nicht. Und doch traf ich diesmal einen sehr nachdenklichen Theatermacher zum Interview.
DS: Wegen Corona mussten Sie Ihre Theater leider schließen und haben einen Übergangsjob als Portier angenommen. Kommen Sie sich nicht vor wie in einem falschen Film?
Kristof Stößel: „Nein, so würde ich das nicht sagen. Die Schließung beider Häuser ist natürlich hart für mich persönlich, aber ganz besonders auch für alle Schauspieler und Mitarbeiter. In unserer Branche kennen wir Unsicherheit und dass man sich immer wieder neu erfinden oder auf neue Umstände einstellen muss. Dies war und ist, unabhängig von Corona, unser Alltag. Der Ersatzjob tut einfach gut, da ich gebraucht werde und nicht in ein tiefes Loch falle. Diese Gefahr besteht natürlich, wenn man über Monate seinen Beruf nicht ausüben darf und wie in meinem Fall eben auch nicht kreativ sein kann, wie bisher. Im falschen Film fühle mich ich eher, wenn ich sehe, dass man in London schon wieder Tickets für Theateraufführungen ab Juni 2021 kaufen kann.“
DS: Sind die viel gepriesenen Corona-Nothilfen gar nicht bei Ihnen angekommen?
Kristof Stößel: „Doch. Wir haben Coronahilfen bekommen und ohne diese würde es mein Unternehmen auch gar nicht mehr geben. Natürlich könnte es schneller gehen und nicht alles geht ab, wie man es möchte. Aber es läuft und ist bei uns angekommen. Das Überleben sichern diese Nothilfen aber nicht und mit jedem Tag der Schließung wird das Loch größer. Es heißt für uns: Überleben bis nach Corona. Wobei mir noch nicht klar ist, wann und unter welchen Voraussetzungen das sein wird. Private Spenden haben wir auch erhalten und das freut mich natürlich sehr. Aktuell laufen weitere Anträge über das Förderprogramm ‚Neustart Kultur‘. Aber viel lieber würde ich wieder selbst Geld verdienen und keine weiteren Anträge stellen müssen.“
DS: Die festangestellten Schauspieler von Staats- und städtischen Theatern müssen sich keine großen Zukunftssorgen machen. Was muss sich ändern, damit es in Zukunft überhaupt noch freie und private Theater gibt oder geben kann?
Kristof Stößel: „Bis Corona haben wir Privattheater ohne Hilfe überlebt. Manche besser und manche, wie wir, da wir noch ein junges Unternehmen sind, etwas schwerer. In dieser Krise haben wir allerdings merken müssen, dass die Privattheater zwar bei den Menschen gern gesehen sind, aber von der Politik kaum Beachtung erfahren. Noch schlimmer steht es um die freiberuflichen Schauspieler und Mitarbeiter. Es gibt viele, die inzwichen ihren Beruf und oftmals auch ihre Berufung an den Nagel gehängt haben. Ohne Schauspieler – keine Theater. Die sogenannte „Hochkultur“ hat ihre Berechtigung, aber auch das Privattheater ist ein wichtiger Bestandteil der Gesellschaft. Und gerade der Wert von gut gemachter Unterhaltung sollte nicht unterschätzt werden. In anderen Ländern gibt es Ideen, dass die Bürger zum Teil mitentscheiden, was sie mit ihrem Steuergeld subventionieren möchten. In dieser Krise sieht man die großen Unterschiede natürlich mehr als jemals zuvor. Unsere festen Mitarbeiter nutzen auch das Kurzarbeitergeld (KUG), aber die Freien und auch die Minijobber bekommen sehr wenig bis gar nichts. Ich möchte weiterhin Privattheater machen, aber in dieser Krise brauchen wir Unterstützung, um zu überleben. Und da wünsche ich mir nicht nur Geld, sondern auch die Wahrnehmung, dass wir ebenso systemrelevant sind.“
DS: Profitieren nicht am Ende die Staats- und städtischen Theater, deren Auslastung zum Teil auch weit unter 100 Prozent liegt, davon, dass es keine freien Bühnen mehr gibt?
Kristof Stößel: „Ich glaube nicht, dass unser Publikum wechseln würde. Das Programm der subventionierten Bühnen spricht unsere Besucher kaum an. Ich denke, dass unsere Besucher dann gar nicht mehr ins Theater gehen würden und sich online das holen, was sie möchten. Bisher hat noch kein Theater entscheiden müssen, endgültig zu schließen, aber es steht im Raum und leider auch bei uns. Wichtig wäre, dass die Kommunen bis hin zum Bund auch die Wichtigkeit der Privattheater erkennen und man einen gangbaren Weg findet, wie auch diese in der Krise und auch danach angemessen unterstützt werden können. Wir Privattheater müssen wirtschaftlich denken und kommen daher auch gar nicht umhin, den Publikumsgeschmack zu erfüllen. Darauf sind die staatlichen Bühnen nicht angewiesen. Ich möchte gar nicht das eine gegen das andere ausspielen, aber vielleicht kann man sich ja, was die Wahrnehmung angeht, irgendwo in der Mitte treffen.“
DS: Wie groß sehen Sie die Chance, dass Sie – im Interesse Ihrer Mitarbeiter und auch im Interesse Ihres treuen Publikums – Ihre Komödie am Karlsplatz retten können?
Kristof Stößel: „Das ist eine sehr gute Frage. Die Situation ändert sich praktisch täglich. Wir kämpfen bei beiden Häusern (Anmerkung der Redaktion: Neben der Komödie in Wuppertal betreibt Kristof Stößel auch das ‚KaBARett FLiN in Düsselforf) mit den Vermietern und ich kann nicht einschätzen wie es ausgeht. Mein Ensemble und ich werden immer Theater machen und wir hoffen natürlich, die Theater in Wuppertal und Düsseldorf retten zu können. Aber ob uns das wirklich gelingt, können wir heute noch nicht vorhersagen. Einen neuen, geeigneten Spielort zu finden, wäre aber auch sehr schwer. Durch die aktuellen Auflagen in Sachen Brand- und Lärmschutz kommen da nicht viele Locations in Frage. Und einen Umbau können wir uns beim besten Willen nicht leisten. Auch sind wir nicht in der Lage, horrernde Mieten zu zahlen. Was ich versprechen kann ist, dass wir – und besonders ich persönlich – jeden Tag um den Erhalt kämpfen! Schon allein dafür, dass die letzten 13 Jahre nicht umsonst waren und wir weiterhin für unsere wunderbaren Besucher Theater spielen können.“
DS: Falls es weiter geht, was wohl fast alle Wuppertalerinnen und Wuppertaler hoffen, wie sehen da Ihre Pläne aus?
Kristof Stößel: „Wir planen, im September 2021 wieder zu starten. Allerdings können wir nur spielen, wenn es keine Abstandsregeln mehr gibt oder aber der Ausfall, der durch das Corona bedingte Reduzieren von Zuschauerplätzen entsteht, erstattet wird. Keine Alternative wäre es, die Preise massiv zu erhöhen, da würde das Publikum nicht mitspielen. Aber wir sind dennoch optimistisch und deshalb habe ich einen Spielplan ab September bis Februar 2022 erstellt, der in diesen Tagen auch an unsere Schauspieler geht. Einige Stücke werden nachgeholt und andere müssen ersetzt werden, weil wir große Besetzungen in den kommenden Jahren nicht stemmen können. Wir müssen mit jedem der künftigen Stücke wirtschaftlich erfolgreich sein, um das Minus aus 1,5 Jahren Schließung ausgleichen zu können. Wir starten im September – wenn möglich – mit der Komödie „Nackte Tatsachen“ und ab November spielen wir die Weihnachtskomödie „Bäumchen wechsel dich“. Im Jahr 2022 folgen dann „Jojo Effekt“, „Zauberhafte Zeiten“ und endlich auch „Landeier 2“. In diesem Sommer wollen wir zudem als open Air das grandiose Stück „Extrawurst“ im Biergarten des Wuppertaler Brauhaus spielen und hoffen natürlich, dass dies auch klappt. Im FLiN in Düsseldorf soll es auch im September wieder losgehen.“
DS: Inwieweit ist Ihnen und Ihrem Ensemble überhaupt von Seiten der Stadt geholfen worden?
Kristof Stößel: „Da sind die Unterschiede von Stadt zu Stadt sehr groß. In Düsseldorf fühlen wir uns sehr gut aufgenommen und sehr gern gesehen. Dort gibt es einen regen Austausch mit dem Kulturamt und dem Kultur-Dezernenten. Uns werden Fragen schnellstmöglich beantwortet und auch der Austausch zwischen den Häusern, von der Oper bis hin zu uns, ist sehr gut und immer auf Augenhöhe. Dazu kommt, dass die Stadt Düsseldorf uns sehr großzügig mit einem Mietkostenzuschuss unterstützt, so dass das FLiN große Chancen hat, zu überleben. In Wuppertal sieht es da leider ganz anders aus.“
DS: Können Sie Ihre Erfahrungen hier im Tal einmal näher beschreiben?
Kristof Stößel: „Seit Beginn der Krise hatte ich zwei Treffen mit dem Kulturdezernenten, aber mehr auch nicht. Es gab bis heute keine Nachfrage aus dem Kulturbüro oder durch den OB. OB Mucke hatte letzten Sommer noch das Gespräch gesucht, aber seitdem ist Stille eingekehrt. Das war leider auch vor der Krise oft so und ich habe mich daran gewöhnt, dass Stößels Komödie von der Stadtverwaltung nicht wahrgenommen wird. Jetzt im Vergleich zu Düsseldorf ist das sehr ärgerlich. Finanziell erwarte ich nicht viel, da die Stadt kein Geld hat, aber Wahrnehmung und Interesse wären das Mindeste. Das letzte Gespräch mit Herrn Nocke wurde vom WDR begleitet und dies kann man am 03. Mai um 22.15 Uhr im WDR Fernsehen (Anmerkung der Redaktion: Sendung „Vorhang zu – was machen Künstler im Lockdown? – Unterwegs im Westen“) verfolgen. Ich kann natürlich nur für mich und mein Haus sprechen .Aber ich denke schon, dass es anderen Einrichtungen in Wuppertal besser ergeht als uns.“
DS: Welche persönlichen Lehren haben Sie aus der Coronakrise gezogen?
Kristof Stößel: „Persönlich weiß ich, dass es in der Zukunft etwas anders laufen muss. Ich bin das Gesicht unseres Theaters und das möchte ich auch bleiben. Aber ich kann nicht mehr bei jeder Produktion auf der Bühne stehen, gleichzeitig Regie führen und auch noch beide Häuser, mit allem, was dazu gehört, leiten. In dieser Krise habe ich gemerkt, dass ich mir auch Ruhephasen gönnen muss, wenn ich diesen Job noch Jahre machen will. Und das möchte ich ja. Auch habe ich vor, mal wieder außerhalb des eigenen Theater zu arbeiten und die vielen Möglichkeiten und Anfragen für Fabienne van Straten anzunehmen. Ich weiß, dass ich nie arbeitslos werde, da ich vieles kann und gemeinsam mit meiner Frau schaffen wir alles. Das ist ein gutes Gefühl! Und sollte die Krise noch länger andauern und es im schlimmsten Fall keine Zukunft für meine Theater mehr geben, dann habe ich keine Angst, vor dem was kommt. Ich werde mich dann wieder neu erfinden. Womit und wo dann auch immer.“
DS: Wie schaffen Sie es, Ihren Humor zu bewahren?
Kristof Stößel: „Weil es trotz der Krise einfach so viel Schönes gibt und man aus allem auch etwas Lustiges ziehen kann. Man muss nur mit offenen Augen durch die Stadt und die Welt gehen und schon erlebt man so viel Skurriles. Ich denke dann immer sofort: Daraus muss ich ein Stück machen oder ein Programm. Die Krise ist hart genug. Aber, wenn ich dann auch noch meinen Optimismus und mein Lachen verlieren würde, wäre ich nicht mehr ich.“
DS: Sie sind nicht nur Schauspieler und Regisseur, Sie schreiben auch Theaterstücke. Wird es ein Stück aus Ihrer Feder mit Corona-Bezug geben?
Kristof Stößel: „Nein aktuell nicht. Ich habe es versucht, aber muss sagen, dass es im Moment schwer ist, sich zu motivieren. Ich bin froh, dass ich noch Spaß habe, andere Stücke zu lesen und zu planen. Ich hoffe sehr, dass das Text lernen auch noch funktioniert. Aber das werde ich ab Mai sehen.“
DS: Was stellt denn Ihre Kunstfigur ‚Fabienne van Straten‘ zur Zeit eigentlich mit ihrer ganzen Freizeit an?
Kristof Stößel: „Weder Frau van Straten noch ich haben viel freie Zeit gehabt. Die Kreativität muss ja heraus und so haben wir schnell Onlineshows produziert oder auch Lesungen. Fabienne macht seit drei Monaten sehr erfolgreich einen Podcast (Siehe Link unten) und trifft dort auf spannende Persönlichkeiten zum Talk. Das dieser auch noch von vielen Menschen wöchentlich gehört wird, freut uns sehr. Stadtführungen oder gar Fahrten nach Holland sind leider nicht gestattet und auch noch nicht absehbar. Frau van Straten könnte ab Mai auf Kreuzfahrtschiffen arbeiten und hat auch einige TV Anfragen. Es wird also nicht leise, sondern eher lauter um diese Dame.“
DS: Gibt es irgendetwas Positives, was Sie in der ganzen Corona-Krise erlebt haben?
Kristof Stößel: „Vieles. Ich habe die beste Ehefrau der Welt und endlich mehr Zeit für unseren Hund. Ich habe Zeit für meine Terrasse und ich nehme die Natur wahr. Nach über einem Jahr ist klar, dass alle Mitarbeiter zu uns stehen und weiter an mich und meinen Traum glauben. Wir haben das beste Publikum, das sogar für uns gespendet hat. Alle meine Lieben und auch ich sind gesund. Ich habe meinen Onlineauftritt verbessert und Fabienne van Straten bekannter gemacht. Ich koche mehr und besser. Ich backe. Ich bin entspannter geworden, da mir klar geworden ist, dass viele kleine Probleme eigentlich gar keine echten Probleme sind. Und ich habe gelernt, mehr auf mich zu achten und auf mein Herz zu hören.“
DS: Wenn Ihnen jetzt die berühmte Fee über den Weg liefe, welchen Wunsch hätten Sie?
Kristof Stößel: „Man könnte jetzt sagen: Das Corona vorbei ist. Das würde aber nicht alles besser machen. Wahrscheinlich würde ich mir wünschen, dass die Menschheit wieder entspannter wird, wir mehr aufeinander achten, andere Meinungen akzeptieren und nicht alles nur in schwarz/weiß sehen. Auf der anderen Seite wären 30 Millionen auch nicht schlecht. Denn mit Geld lösen sich leider doch viele Probleme. Dann würde ich beide Mietverträge kündigen und beide Theater neu bauen, so wie ich sie haben will. Ich würde alle Mitarbeiter mit gutem Gehalt fest einstellen und müsste beim Theatermachen nicht immer nur wirtschaftliche Aspekte in den Vordergrund stellen. Wenn dann noch ein kleines Reihenhaus für die Stößels drin wäre und ich zweimal im Jahr verreisen könnte, wäre es perfekt. Wenn also jemand diese Fee trifft – bitte gebt ihr meine Adresse.“
DS: Vielen Dank für das offene und ehrliche Gespräch
Das Interview führte Peter Pionke
Hier der LINK zum Podcast von „Fabienne van Straten“ – weitere finden Sie bei YouTube
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