25. Mai 2021

„Gitarren statt Knarren“ – Was Popmusik bewegen kann

Dr. Antonius Weixler, Literaturwissenschaftler an der Bergischen Universität Wuppertal, forscht zu der Bedeutung von Popkultur und sagt: „Wenn man sich fragt, was unsere Kultur eigentlich ausmacht, dann kommt man an der Popmusik nicht vorbei.“

Dr. Antonius Weixler – © Foto UniService Transfe

Der gebürtige Kemptener untersucht die Popkultur mit Methoden der Literaturwissenschaft und beschäftigt sich dabei mit dem Erzählen von popkulturellen Phänomenen. Darüber berichtet er in den Bergischen Transfergeschichten.

Dem Jahr 1967 kommt in der popmusikalischen Geschichte eine besondere Bedeutung zu, die Weixler zusammen mit Gerhard Kaiser und Christoph Jürgensen auch als Herausgeber des Buches „Younger than yesterday – 1967 als Schaltjahr des Pop“ hervorhebt. „1967 erscheint mit ,Sgt. Pepper‘s Lonely Hearts Club Band‘ das wichtigste Album der Beatles“, erklärt er, „und wenn man der Geschichtsschreibung glaubt, auch das wichtigste und beste Popalbum der Popgeschichte.“

Danach sei nichts mehr wie zuvor gewesen, attestieren auch Musikwissenschaftler*innen, denn Popmusik erhebt hier erstmals selbstbewusst den Anspruch, auch Kunst zu sein. „Das merkt man schon an der Produktion. Legendär ist z. B., dass die Beatles sechs Monate im Studio an diesem Album rumgewerkelt haben, was für damalige Verhältnisse eine geradezu aberwitzige Länge war. Man merkt es auch daran, dass die Texte zum ersten Mal überhaupt auf dem Albumcover mit abgedruckt wurden, d. h. die Beatles behandeln ihre Texte wie Literatur, die deswegen auch mit abgedruckt werden müssen.“

Das Albumcover zähle zudem nach Einschätzung von Kunstwissenschaftler*innen zu den bedeutendsten Bildern des 20. Jahrhunderts. Darüber hinaus sei auch die Trennung ähnlich der von Autor- und Erzählerinstanz aus der klassischen Literatur hier übernommen worden, da nicht die Beatles selber, sondern eben Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band die Lieder auf der Platte spiele.

Popmusik selbstreflexiv

Dieses Phänomen, dass Popmusik nun selbstreflexiv werde, d. h. die eigenen Produktions- und Erscheinungsweisen reflektiere, betont Weixler, ziehe sich gerade 1967 durch ganz viele in diesem Jahr erschienene Alben, die Popgeschichte geschrieben hätten. Unser Verständnis von Popmusik basiere wesentlich auf den Alben, die 1967 veröffentlich wurden.

BAP-Boß Wolfgang Niedecken, ein Musiker, der sich auch politisch äußert und sich seiner Vorbildrolle bewusst ist – © privat

„Es gibt ein paar ganz bedeutsame Debuts, also erste Alben von Bands, wie Pink Floyd (The Piper at the Gates of Dawn), David Bowie (David Bowie), The Velvet Underground (The Velvet Underground & Nico), Jimmy Hendrix (Are you Experienced) oder Grateful Dead (The Grateful Dead)“, zählt er auf, „alles 1967, wo auch zum ersten Mal so eine elektronische, avantgardistische Musik vorgeführt wird.“

Dazu kämen auch eine ganze Reihe von bedeutsamen Alben von Musiker*innen, die davor schon Songs publiziert hätten, 1967 aber die Höhe „ihrer Kunst“ erreichten, wie Bob Dylen, Aretha Franklin oder Jefferson Airplane.

Popmusik wird nobelpreiswürdig

Heute seien Popmusiker als Literaten nicht mehr umstritten, der Literaturnobelpreis an Bob Dylan 2016 habe das schon gezeigt, sagt Weixler. „Es gab zwar auch Kritik an der Verleihung, aber im Wesentlichen wurde das doch eigentlich begrüßt.“ Außerdem wurde bereits kurz danach zum ersten Mal ein Rapper, Kendrick Lamar, mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Mittlerweile wird Popmusik ganz selbstverständlich auch in den Feuilletons der großen Zeitschriften verhandelt und rezensiert.

Die Popmusik und die Lyrics der Popmusik sind in diesem breiten literarischen Feld angekommen.“ Auch die Umschreibung von Songtexten als Drei-Minuten-Texte lasse sich schon immer auf jedwede Lyrik gleichermaßen anwenden. „Wenn ich ein altes Gedicht von Goethe oder Schiller nehme und das aufsage, dann ist das auch ein Drei-Minuten-Text. Und es funktioniert nach ganz ähnlichen Methoden.“

Weixler weiß um den Stellenwert der Popliteratur in der Literaturwissenschaft, die sich klassischer Weise mit ernster Literatur beschäftige und sagt lächelnd, „Popliteratur wird oft nicht so wertgeschätzt wie klassische Literatur, das war aber im Fach übrigens auch mit der Gegenwartsliteratur lange Zeit so.“ Doch auch da ändern sich die Zeiten, denn die jüngere Literaturwissenschaft behandele popmusikalische Lyrics heute genauso wie Lyrik.

Mit Musik protestieren

Lana Del Rey hat ein Gedichtalbum veröffentlicht „Violet Bent Backwards Over the Grass“, dem auch noch ein Hörbuch folgt. Darin beschäftigt sie sich in Gedichten auch mit dem Klimawandel. Barbra Streisand schrieb den Anti-Trump-Song „Don‘t lie to me“. Musikalische Texte wirken oft stärker und schneller auf Missstände hin, als bloße Reden es tun. Weixler sieht den Grund in der Mischung, aus der Popmusik bestehe.

„Zur Popmusik gehört auch immer die Person, der Star, der die Musik vorträgt. Es gehört die Kleidung dazu und die Pose, also alles, was zur jugendkulturellen Identifikation dazugehört.“ Zudem könnten Lieder Zuhörer*innen auch emotional viel stärker ansprechen, als eine rein textliche Parole. Und auch die Rezeption in der Intimität des Kinderzimmers sei nicht zu unterschätzen, sagt er, denn in dieser Umgebung verstärke sich die emotionale Wirkung.

„Und wenn es um die politische Botschaft geht, dann würde ich sagen, kann Popmusik wirksamer sein, weil sie das Gefühl stärker anspricht als den Verstand.“ Popmusik transportiere immer auf eine ganz subtile Art und Weise Normen und Werte einer Gesellschaft. „Wenn so eine alternative Rolle oder so eine oppositionelle Rolle attraktiv ist, dann möchte ich auch so sein. Wenn der Star sexy ist, dann nehme ich auch diese politische Botschaft dieses Stars eher wahr, als wenn das ein*e alte*r Politiker*in sagt“, erklärt der Wissenschaftler.

Musik und Politik – Aktuelle Ausstellung in Bonn

Wie nah Weixler am Puls der Zeit arbeitet, zeigt auch eine aktuelle Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte. Unter dem Titel „Hits & Hymnen“ geht es um das Zusammenspiel von Musik und Politik. „Einer der schönen Ausstellungsstücke für uns Wuppertaler*innen bei dieser Ausstellung ist natürlich die Gitarre, die Udo Lindenberg Erich Honecker am 9. September 1987 in Wuppertal überreicht hat, mit dem schönen Slogan ,Gitarren statt Knarren‘“, sagt der 42-Jährige.

Der Titel der Ausstellung zeige die Auswirkung, die ein Lied haben könne, dann können aus Hits Hymnen werden. „Das kann dann die ,Ode an die Freude‘ sein, es kann aber genauso die Hymne für den Mauerfall sein, also ,Wind of Change‘ von den Scorpions.“ So fasse ein Popsong in drei Minuten ein geschichtliches Ereignis zusammen, welches man ansonsten in langen Texten nachlesen müsse und erziele dabei oft eine viel intensivere Wirkung.

Nach einem Lied gefragt, das Potenzial hätte, in Zukunft zur Hymne zu werden, fällt Weixler spontan der Song „Blinding Lights“ von The Weeknd ein. Doch gespannter ist er auf einen noch zu findenden Begleithit für eine ganz junge Protestbewegung.

„Ich bin persönlich sehr neugierig darauf, wie sich Fridays for Future in der Popmusik ausdrücken wird. Ich glaube, da fehlt uns noch ein wenig die popmusikalische Antwort auf diese sehr neue Jugendbewegung. Wir haben eine Jugendbewegung, die sich in neuen Protestformen ausdrückt, aber wir haben noch keine richtig populären Popsongs dazu.

Vielleicht“, orakelt er zum Schluss, „hat Billie Eilishs ,All the good girls go to hell‘ das Potenzial dazu.“  Die Zeit wird zeigen, ob er recht hat.

Uwe Blass

 

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