11. Juni 2021

Giovanni Arvaneh: Seine schwerste Rolle spielte er im  Leben

Er ist ein sehr bekanntes Fernseh-Gesicht, neben vielen anderen Charakteren verkörperte Giovanni Arvaneh in 241 Folgen der ARD-Erfolgsserie "Marienhof" den Türken Sülo Özgentürk. Doch auch im normalen Leben spielte er lange eine Rolle und versteckte notgedrungen sein wahres Ich. Erst in diesem Jahr, mit 57 Jahren, hat sich Giovanni Arvaneh geoutet, homosexuell zu sein.

Giovanni Arvaneh – © privat

Der sympathische Schauspieler mußte hatte Zeiten durchleben, doch jetzt fühlt er sich befreit und erleichtert.

Die Wuppertaler können sich selbst ein Bild davon machen, welch ein begnadeter Schauspieler Giovanni Arvaneh ist. Er steht als Gast-Star von Stößels Komodie bei den Open Air-Vorstellungen des Stückes „Extrawurst“ (02.07. – 22.08.2021) im Biergarten des Barmer Brauhauses auf der Bühne. 

Theater-Chef Kristof freut sich riesig auf die Zusammenarbeit mit dem TV-Star: „Giovanni ist ein absoluter Schauspiel-Profi, der auf der Bühne und vor der Kamera alles gibt und außerdem ist er ein unheimlich sympathischer Kollege“.

Der STADTZEITUNG hat Giovanni Arvaneh vorab ein offenes und überaus ehrliches Interview gegeben. 

DS: Eine Frage, die auf der Hand liegt: Wie sind Sie persönlich durch die Corona-Krise gekommen? 

Giovanni Arvaneh: „Ich habe unendlich viel Glück und war in meinem Häuschen am See und habe wenig mitbekommen. Ich habe mich so wenig wie möglich mit Nachrichten beschäftigt – die oftmals wenig Hoffnung gemacht, sondern viel Unsicherheit im Land verbreitet haben. Ich habe mich an die Abstandsregel und die Maskenpflicht gehalten, mittlerweile bin ich schon einmal geimpft, und die zweite folgt in weni- gen Tagen. 

DS: Wie sehen Sie die Zukunft Ihrer Branche, wenn Corona endgültig Geschichte Glauben Sie, dann ist wieder alles wie vorher? 

Giovanni Arvaneh: „Nein! Das „online Casting“ hat grossen Einzug erhalten. Die Branche wird sich dadurch zwangsläufig ändern. Hinzukommt, dass uns jetzt die Stellung in der Gesellschaft nochmal gründlich klar gemacht wurde. „System irrelevant“ Nun erzählen sich die Menschen Geschichten auf Facebook und Social Media und es sind kaum noch Instanzen vorhanden, die dafür sorgen, dass dieser Unsinn auf eine gute Art und Weise reflektiert werden kann, wie zB im Stück ‚Extrawurst‘.“ 

DS: Sie sind ja ein wahres Multitalent. Neben der Schauspielerei sind Sie Gestalt- therapeut, besitzen eine Heilpraktikererlaubnis für Psychotherapie und be- treiben mit Kollegen „Home Of Coaching“ in Berlin, Frankfurt und Düsseldorf. Wie kriegen Sie das alles unter einen Hut? 

Giovanni Arvaneh: „Ich mache das ja nicht alles alleine. Wir sind 7 Mitarbeiter bei Home of Coaching und ein wirklich tolles Team. Aber ja, in der Coronazeit ist mir aufgefallen, was ich alles gemacht habe. Es war mir während des Schaffens gar nicht so bewusst. Manche Dinge formen sich oft aus einem kleinem Projekt und wachsen mit der Zeit.“ 

Giovanni Arvaneh – ein Mann mit vielen Talenten – © privat

DS: Wo liegen Ihre Schwerpunkte, was das Coaching betrifft? 

Giovanni Arvaneh: „Mein Schwerpunkt ist der Mensch! Ich arbeite viel in psychologischen Formaten, die ich als Coach gar nicht leisten dürfte, wenn ich nicht meine Therapeuten Ausbildung verbunden mit dem -kleinen Heilprakti- ker- gemacht hätte. Natürlich findet dies immer nur mit der schriftlichen Einverständniserklärung des Klienten bzw. Kunden statt. Fast egal um was für ein Thema es sich handelt. Am Ende steht immer ein Mensch dahinter – mit seinen individuellen Talenten aber auch Hindernissen, die mit dem Thema zu tun haben. Mein Aufgabe ist erst mal ein Bewusstsein zu schaffen, für das was nicht sichtbar oder im Unterbewusstsein agiert. Erst dann kann man damit arbeiten. 

DS: Nach dem erfolgreichen Film „Zenne Dancer“, der in Istanbul produziert wur- de, haben sie die türkische Sprache gelernt und stehen seither öfter in der Türkei vor der Kamera. Verstehe ich das richtig, dass Sie jetzt dort gar nicht mehr synchronisiert werden müssen? 

Giovanni Arvaneh: „Ich wurde tatsächlich noch nie synchronisiert. Bitte fragen Sie mich nicht, wie ich das hinbekommen habe, ich weiß es nicht, aber es ist mir gelungen, die Sprache so zu lernen, dass man damit arbeiten kann. Kostet aber viel Zeit. Ab und an habe ich Buchstaben gelernt, diese aneinander gereiht in der Hoffnung, dass dabei ein Wort entsteht, das der türkische Zuschauer verstehen kann. Ok – klar wusste ich die Bedeutung des Wortes, das ich da von mir geben sollte. Aber es fühlte sich oft wie beschrieben an.“

DS: Und was sind das für Typen, die Sie in der Türkei vor der Kamera verkörpern? 

Giovanni Arvaneh: „So wie wir gern Ausländer – das Unbekannte – in Deutschland für die Rollen der Bösewichte nehmen, so macht es die Türkei nicht gross anders. Ich spiele die richtig bösen Buben. Wobei auch Figuren aus der Geschichte der Türkei dabei sind, wie beispielsweise Otto Viktor Karl Liman von Sanders. 1913 wurde Liman von Sanders in das Osmanische Reich entsandt, um dort die osmanische Armee, die sich in einem äußerst schlechten Zustand befand, wieder  schlagkräftig aufzubauen. Otto Viktor Karl Liman von Sanders war dann der Hauptverantwortliche für ein großes Massaker im 1. Weltkrieg.“ 

DS: Viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen arbeiten nur noch vor der Kamera, Sie stehen aber auch noch regelmässig auf der Bühne. Was reizt Sie daran? 

Giovani Arvaneh: „Gern sage ich immer wieder: ‚Beim Theaterspielen schaut mir we- nigstens jemand bei meiner Arbeit zu‘. Beim Drehen wird auf so vieles anderes geschaut, selten jedoch auf das, was wir wirklich spielen. Ich komme ja ursprünglich aus dem Theater und liebe es, im direktem Kontakt mit dem Publikum zu sein.“ 

DS: Glauben Sie, dass es in erster Linie finanzielle Gründe sind, warum viele Schauspielerinnen und Schauspieler die Bühne meiden – immerhin sind die Gagen bei TV und Film weitaus höher. Oder liegt es eher daran, dass man im Theater ganz andere Basics benötigt? 

Giovanni Arvanah: „Ich kann das leider nicht beurteilen.Vielleicht liegt es auch einerseits an den Theatern selbst.Ich zum Beispiel spiele gern Boulevard-Theater. Und da wird man nur besetzt, wenn man einen Namen hat (ganz schrecklich!!!).
Und zu weitaus höheren Gage würde ich gern was sagen: Wenn man nicht das Glück hat, in einem festen Format engagiert zu sein, dann hat man ab und an mal ein paar Drehtage. Wenn man durchschnittlich, über das Jahr gerechnet, zwei feste  Drehtage im Monat hat, gehört man schon zu den glücklichen Schauspielern.“

Ziemlich beste Freunde: Kristof Stößel (r.) und TV-Star Giovanni Arvaneh vor dem Barmer Bahnhof – © Stößels Komödie

DS: Sie stehen demnächst in Wuppertal für die ‚Komödie am Karlsplatz‘ auf der Bühne. Wie ist es zu diesem Engagement gekommen? 

Giovanni Arvaneh: „Das war ein sehr glücklicher Zufall. Ich habe Krist ofStössel und einen Teil seines tollen Ensembles über meine Kolldegin Tanja Schumann (RTL) kennengelernt. Da ich das Stück ‚Extrawurst‘ bereits in Frankfurt gespielt habe, hat Kristof Stössel mich – fast indirekt gefragt – und ich habe sofort zugesagt. Es war eine Bauchentscheidung. Und sie ist richtig!“

DS: Was Kristof Stössel mit seinem Ensemble in Wuppertal auf die Beine gestellt hat, ist herausragend. TV-Stars wie Sie sind ja oft publikumswirksame Zugpferde für kleinere private Theater. Ist das im weitesten Sinne Ihr Solidaritätsbeitrag, um so Kollegen, die in heutigen Zeiten noch Theater auf eigenes Risiko machen, zu unterstützen? 

Giovanni Arvaneh: „Bevor ich das große Glück hatte, dass mich das Fernsehen entdeckt hat, bin ich doch genau aus dieser Ecke gekommen. Es ist immer noch die Basis meiner Theater-Heimat. Daher sehe ich mich gar nicht solidarisch. Für mich zählt bei der Arbeit die Menschlichkeit, Teamfähigkeit, Vertrauen, respektvoller Umgang miteinander und Humor und Können. Das sind die Werte, auf die ich baue und von denen ich überzeugt bin, dass man damit ein gutes Produkt erschaffen kann.“ 

DS: Was schätzen Sie besonders an ihrem Schauspielkollegen und Regisseur Kristof Stößel? 

Giovanni Arvaneh: „Wie ich bereits meine Werte beschrieben habe, werden diese von dem Kollegenauch alle erfüllt und vorgelebt. Kristof Stößel hat ein sehr gutes Gespür für Timing und Wahrhaftigkeit bzw. Authentizität.“ 

DS: Sie haben sich im Februar im Rahmen der Initiative #actout (Süddeutsche Zeitung) als homosexuell geoutet. Warum haben Sie das erst jetzt im Alter von 57 Jahren getan? 

Giovanno Arvaneh: „Ohhh…. Ob dieses Interview dafür ausreicht? Ich musste als Kind schon feststellen, dass ich homosexuell war, ohne wirklich zu wissen, was das überhaupt ist. Ich wurde von der Familie verband und geächtet, in der Schauspielschule hat man mir geradezu eingetrichtert, dass, wenn ich in diesem Beruf etwas werden will, niemals zugeben darf, dass ich homosexuell bin. Die Verantwortlichen der einzelnen Produktionen haben mich immer wieder „freundlich“ darauf hingewiesen, dass es, wenn es offiziell werden würde, dass ich schwul bin, auch mit meiner Arbeit vorbei sein könnte.“

DS: Sie sind Sie mit diesem unheimlichen Druck und den versteckten Drohungen umgegangen?“ 

Giovanni Arvaneh: „Ich hatte ein sehr anregendes Gespräch mit Kai S. Peek, der den Prozess „Act out“ mit begleitet und unterstützt hat. Und in diesem Gespräch wurde mir klar: ‚Jetzt ist Schluss!‘ Mit meinen 57 Jahren wird es wohl niemanden mehr interessieren, ob ich nun schwul, Kariert, oder sonst was bin. Erst dabei wurde mir erst so richtig bewusst, dass ich mich mein Leben lang dafür rechtfertigen musste, dass meine Eltern Ausländer waren und dann auch noch schwul zu sein. Ich weiß nicht, ob es jetzt die Welt verändern wird, denn ich glaube ja, dass die Gesellschaft keine Probleme mit Homosexualität hat. Dennoch wollte ich gerade für die Jugend ein Statement und Zeichen setzen und Vorbild sein für etwas, für das ich in meiner Jugend keine Unterstützung hatte. Es ist ja immer noch unglaublich spannend, dass wir Homosexuelle uns immer und immer wieder erklären und rechtfertigen müssen. Oder haben Sie schon mal einen Hetero erlebt, der sich erklären muss?!?“

DS: Welche Film- oder TV-Produktion steht für Sie als nächstes im Kalender? 

Giovanni Arvaneh: „Ich werde die Wuppertaler Poduktion kurz verlassen, um im Fichtelgebirge zu drehen. „Der Fichtelgebirgskrimi“ ist eine Miniserie, die man bei  Amazon Prime sehen kann. Ursprünglich wollten wir jetzt an der Serie weiterdrehen. Aber wegen Corona wurde das Serien-Projekt vorerst gestoppt und aus dem „Fichtegebirgskrimi“ wird jetzt kurzerhand ein Kinofilm, da Produzent und Regisseur Michael von Hohenberg das Jahr nicht so ungenutzt verstreichen lassen wollte. Im nächsten Jahr geht aber dann der Dreh der Serie weiter.“ 

DS: Last but not least: Wie gefällt Ihnen Wuppertal und was haben Sie davon schon kennen gelernt? 

Giovanni Arvaneh: „Ohhh je! Jetzt wurde ich aber ganz schön ertappt. Leider habe ich ausser dem Theater, dem Luisenviertel und der tollen Senioren-Residenz am Laurentiusplatz, noch nicht viel gesehen. Das liegt aber nicht an Wuppertal und der nicht fahrenden Schwebebahn, sondern an der reichlichen Arbeit, die ich mir hierher mitgebracht habe. Ich bereite ich mit einer Kollegin den Podcast „Die Anteilnehmer“ vor. Hier geht es um die inneren Anteile der Menschen, deren Wirkung und deren Umgang mit sich selbst. Weiter bereite ich mich auf  das nächste Theaterstück „Ungeduld des Herzes“ vor, das ich in Fürth spielen werde. Da gibt es viel Text zu lesen und zu lernen. Aber ich kann versprechen: Sobald wir ‚Extrawurst‘ spielen werden, finde ich sicher auch die Zeit, mir die tolle Stadt Wuppertal vorzunehmen.“ 

DS: Vielen Dank für das offene und ehrliche Gespräch.

Das Interview führte Peter Pionke

 

Giovanni Arvaneh – © privat

Vita Giovanni Arvaneh

Giovanni Arvaneh wurde am 24.03.1964 in München geboren. Sein Schauspielstudium absolvierte er von 1987 bis 1990 an der Neuen Münchner Schauspielschule unter der Leitung von Aki Wunsch-König.

Seither ist der deutsche Schausspieler auf Theaterbühnen, sowie vor Fernseh- und Kino-Kameras präsent.

Auswahl Theater (seit 1991):  „Der Brandner Kaspar“ – „Wie es Euch gefällt“ – „Falco meets Amadeus“ – „Extrawurst“ etc.

Auswahl Fernsehen: u.a. Serien „St. Angela“ – „Balko“ – „Unser Charly“ – „Soko 5223″ – “ Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ und nicht zuletzt die ARD-Erfolgsserie „Marienhof“, hier spielte Giovanni Arvaneh von 1997 – 2010 in 241 Folgen den Türken Sülo Özgentürk spielte.

Kino: „Zenne Dancer“ (2011) – der in Istanbul produzierte Film erhielt mehrere Auszeichnungen – “ „Legend Of Brothers“.

Giovanni Arvaneh ist ausgebildeter Gestalttherapeut, systemischer Coach und hat die Heilpraktikererlaubnis für Psychotherapie. 2013 eröffnete er mit einigen Kollegen seine Firma „Home of Coaching“ in Berlin, mit Niederlassungen in Frankfurt und Düsseldorf.

Im Februar 2021 outete er sich im Rahmen der Initiative #actout im Magazin der Süddeutschen Zeitung (SZ) als homosexuell.

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