16. August 2021Peter Pionke
Wie kann man Angsträume zu sicheren Orten machen?
Sicherheit und Sicherheitswahrnehmung im öffentlichen Raum sind dabei seine Schwerpunktthemen. Sie stellen eine sinnvolle Ergänzung zu den Projekten seiner Kolleginnen und Kollegen dar, die sich vornehmlich mit Großschadenslagen wie der jüngsten Hochwasserkatastrophe beschäftigen. Dadurch sei der Lehrstuhl sehr interdisziplinär aufgestellt und erlaube einen weiten Blick auf Sicherheit und Unsicherheit aus ganz verschiedenen Perspektiven.
„Angsträume sind generell Orte“, erklärt Lukas, „die aufgrund ihrer Lage, Baustruktur und Nutzung von bestimmten Menschen gemieden werden, da sie dort ein erhöhtes Gefühl von Unsicherheit empfinden.“ Um diese Räume zu bewerten, nutzt der 45-Jährige Erkenntnisse aus der Kriminalgeografie. Die erlebten eine Blüte in den 70er Jahren, erklärt er, als man im Zuge des RAF-Terrorismus die sogenannte Rasterfahndung einführte, um Orte zu identifizieren, an denen sich möglicherweise Terrorverdächtige aufhielten.
„Im wissenschaftlichen Sinn, also weniger polizeilich betrachtet, ist Kriminalgeografie die Wissenschaft von der Verteilung von Kriminalität im Raum. Das ist das, was mich interessiert.“ Die Frage, die ihn dabei immer wieder beschäftigt, ist: Welche Bedingungen führen dazu, dass Kriminalität an manchen Orten konzentriert auftritt oder Unsicherheit an manchen Orten besonders wahrgenommen wird? Und ganz praktisch: Was kann getan werden, um die Sicherheit und Sicherheitswahrnehmung im öffentlichen Raum zu erhöhen?
Die Umgestaltung des öffentlichen Raumes
„Die städtebauliche Kriminalprävention kommt ursprünglich aus der Emanzipationsbewegung und ist etwas, was seit den 90er Jahren verstärkt umgesetzt wird. Es ging damals vor allem um die Angsträume von Frauen“, berichtet der Wissenschaftler. Das seien z. B. dunkle Parkhäuser oder unübersichtliche Parkanlagen gewesen.
Deren städtebauliche Analyse habe zu Empfehlungen geführt, die mittlerweile etabliert seien, indem man vielerorts für mehr Beleuchtung und einen transparenten Grünschnitt gesorgt hätte. Unsicherheitsgefühle entstünden aber auch an verwahrlosten oder vermüllten Orten, weil sich dort der Eindruck vermittle, dass sich niemand kümmern würde.
Man müsse vermeiden, dass solche Orte überhaupt erst entstünden, erklärt Lukas, und das sei durch eine geschickte Architektur, die Pflege und Umgestaltung des öffentlichen Raumes – und damit verbunden, eine Belebung und soziale Durchmischung von Orten – zu erreichen.
Die Sicherheitsgesellschaft nimmt immer mehr Risiken im Alltag wahr und wird dadurch noch stärker verunsichert. Das sei eine gesellschaftliche Ambivalenz, die sich dort zeige, betont Lukas, „zugleich ist es aber auch die Verunsicherung, die erst zur Entdeckung immer neuer Risiken führt. Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch von Versicherheitlichung (Securitization), weil immer mehr soziale Probleme auch als Sicherheitsprobleme oder als Sicherheitsrisiken wahrgenommen werden“.
Wenn wir also über Sicherheitsmaßnahmen oder Präventionsmaßnahmen nachdächten, gehe es natürlich auch immer darum, dass man durch die Umsetzung dieser Maßnahmen nicht neue Unsicherheiten schaffe. Und das gelte auch für das Unsicherheitsgefühl.
Dr. Tim Lukas erklärt es an einem aktuellen Beispiel aus der Düsseldorfer Innenstadt: „Dort gibt es, ähnlich wie früher in Wuppertal, eine als unsicher erlebte Situation rund um den Hauptbahnhof. Man hat dort eine Reihe von öffentlichen Plätzen und an einem dieser Plätze hatte sich die Trinkerszene etabliert. Aufgrund von Anwohnerbeschwerden wurde dieser Platz umgestaltet, sodass es nun ein sehr offener Platz geworden ist, der aber keine Aufenthaltsqualität mehr bietet.
Es ist ein Ort ohne Bänke, mit dünnen Bäumchen, die keinen Schatten spenden, und die Fläche ist mit Pflastersteinen belegt, die im Sommer wahnsinnig heiß werden. Da hält sich niemand mehr auf. Die Szene, die dort war, ist nun an einem anderen Platz, an dem vorher bereits die Drogenszene war.
Und da treffen jetzt das Trinkermilieu und die Drogenszene aufeinander. Dadurch entstehen neue Unsicherheiten, denn beide Szenen haben unterschiedliche Vorstellungen vom Verhalten im öffentlichen Raum.“ Konflikte seien da unvermeidlich und so habe die Sicherheit der Beschwerdegruppe nachhaltige Folgen für die davon Betroffenen. Daher müsse man die möglichen Folgen einer Maßnahme immer im Vorfeld mitbedenken.
Die Platte am Köbo-Haus
Dass Randgruppen auch anders ins Stadtbild integriert werden können, zeigt das Wuppertaler Projekt Kooperation Sicherheit Innenstadt/Döppersberg, kurz KoSID genannt, dass Lukas leitet. „Es geht nicht immer nur um Angst und Unsicherheit, sondern auch darum, dass diese Orte auch Qualitäten haben“, sagt er bestimmt.
„Wir haben unsere Studierenden im letzten Semester an den Döppersberg und den Berliner Platz geschickt und haben sie mit Skizzen und Fotos kartieren lassen, was ihnen dort auffällt. Und das Ganze haben wir dann in zwei subjektiven Atlanten zusammengefasst. Da hat sich sehr schön gezeigt, dass die Studierenden nicht nur den Blick auf die Unsicherheit gelegt haben, sondern auch auf die Qualitäten dieser Räume.“ Man müsse konstruktiv auch Positives hervorheben, um so der vielfach diagnostizierten Angstgesellschaft entgegenzuwirken.
„Am Köbo-Haus empfanden viele Nutzer die Passage als viel zu dunkel. Da gab es im Rahmen von KoSID eine Begehung und die WSW (Wuppertaler Stadtwerke, d. Red.) hat nachher die Beleuchtungssituation verbessert. Und auch die Problematik des Wildpinkelns wurde durch ein Dixi-Urinal behoben.“ Das habe die Situation beruhigt.
Man könne auch schon mit kleinen Maßnahmen eine Menge erreichen, und es müsse nicht unbedingt immer teuer sein. „Das gefällt mir an Wuppertal“, resümiert Dr. Tim Lukas anerkennend, „das sieht vielleicht nicht immer schön aus, z. B. die Szene vor dem Köbo-Haus auf der sogenannten Platte.
Aber dass die Stadt das Café Cosa, den Tagestreff für Suchtkranke am Döppersberg jetzt wiedereröffnen wird und damit sagt: ,Das sind Menschen, die auch ein Recht auf Stadt haben, die gehören zu unserer Stadt und Gesellschaft auch dazu, und die wollen wir nicht in der hintersten Ecke verstecken‘, das empfinde ich als gute Entscheidung.“
Da gehe Wuppertal einen Weg, der auch etwas mit Gerechtigkeit in der Stadt zu tun habe. Das sei ein Leitbild der Stadtentwicklung, dem man im Städtewettbewerb eben auch folgen könne. Die Mehrheitsgesellschaft äußere in Befragungen oft Angst vor Wohnungslosen und Suchtkranken, aber auch die hätten ihrerseits natürlich Ängste.
„Für diese Gruppe bedeute der Ort Sicherheit, denn sie treffen dort ihre Freunde. Für sie ist es ein Kommunikationsraum, sie haben dort eine Versorgungsinfrastruktur. Es ist auch ein Rückzugsraum, ein Schutzraum, und diese Perspektive muss man eben auch im Blick behalten.“
Jeder Mensch nimmt einen Raum anders wahr
Die Ängste der Menschen sind oft unterschiedlich gelagert. Und auch darauf muss eine Stadt Rücksicht nehmen. Für Dr. Tim Lukas, der aus Oelde, einer Kleinstadt im Münsterland stammt, hat der Umzug in die Großstadt befreiend gewirkt. „Ich habe diese Anonymität sehr geschätzt, die Vielfalt und auch die Begegnung mit Ungewohntem, mit abweichendem Verhalten, denn auch das zeichnet eine Stadt aus. Alle Abweichungen beseitigen zu wollen, heißt auch die Stadt als solche zu beseitigen.“
Die Szene, die sich beispielsweise an bestimmten Orten aufhalte, mache vielleicht einigen Menschen Angst, erklärt Lukas, doch es bestätige sich immer wieder, dass die Gewalt, wenn sie dort stattfinde, in der Regel szeneintern sei. Die Möglichkeit, dass man als Passant dort angegriffen werde, sei äußerst unwahrscheinlich.
„Angsträume sind grundsätzlich nicht kriminalitätsbelastet, sie vermitteln lediglich ein Gefühl der Unsicherheit“, ein Gefühl, das sich an anderen Orten, wie beispielsweise in den Fußgängerzonen der Innenstädte üblicherweise nicht einstellt. „Da gehen wir in der Regel mit einem guten Gefühl hin. Da gehen wir shoppen, da halten wir uns gerne auf. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass uns da die Handtasche oder das Portemonnaie geklaut wird, ist dort sehr viel höher.“
Sicherheit braucht viele Mitstreiter, und so hat Dr. Tim Lukas bei seinen Projekten auch immer viele Institutionen an Bord. Im Fall des Projektes KoSID zählt er auf: „Wir haben die IHK, die Sparkasse, die Interessengemeinschaft des Elberfelder Einzelhandels, wir haben die Soziale Arbeit, die Diakonie, die Suchthilfe, die Polizei sowie das Sozialamt, das Ordnungsamt, die Wuppertaler Verkehrsbetriebe und die Deutsche Bahn dabei! Und das ist wichtig. Wir glauben, dass nur durch Kooperation unterschiedlicher Partner, unter Einbindung unterschiedlicher Perspektiven eine Abstimmung von Maßnahmen erfolgen kann, die am Ende auch erfolgreich umgesetzt werden können.“
Ein deutsches Sprichwort sagt: Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann. Lukas formuliert es verbindlicher: „Man versucht allen Nutzern in irgendeiner Weise gerecht zu werden. Jeder soll so seinen Ort finden. Es geht nicht darum, ein Miteinander für alle zu schaffen, das wird man nicht erreichen können, aber ein Nebeneinander unterschiedlicher sozialer Gruppen ist möglich.“
Weniger Konflikte bedeuten dann auch schon wieder ein Mehr an Schutz für die gesamte Bevölkerung. Und darum geht es ja.
Uwe Blass
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