25. August 2021

Der deutschen Politik fehlt es an einer Fehlerkultur

Knapp sechs Wochen vor der Bundestagswahl sollte es nach den Worten von IHK-Präsident Henner Pasch eine „Entscheidungshilfe“ sein. Die Bergische Industrie- und Handelskammer hatte zusammen mit den Wirtschaftsjunioren gestern zu ihrem „Parlamentarischen Abend“ geladen.

Die Teilnehmer beim Parlamentarischen Abend. (V.l.) Michael Wenge (IHK), Frederick Kühne (AfD), Manfred Todtenhausen (FDP), Thorsten Kabitz (Moderator), Heiner Pasch (IHK-Präsident), Helge Lindh (SPD), Anja Liebert (Bündnis 90/Die Grünen) Till Sörrensen-Siebel (Die Linke), Dario Vaupel (Wirtschaftsjunioren) und Jürgen Hardt (CDU) – © Siegfried Jähne

Die Absicht der IHK-Veranstaltung, direkt bei den Kandidatinnen und Kandidaten der im Bundestag vertretenden Parteien über deren Ziele zu informierten. Thorsten Kabitz, Chefredakteur von Radio RSG, sorgte mit seiner zweistündigen Befragung für einen themenreichen, kurzweiligen aber auch entspannten Abend.

Verlief der Wahlkampf bisher eher erstaunlich ruhig, so fehlte es auch im „Plenarsaal der IHK“ über den sattsam bekannten Gegensätzen hinaus, meist an wirklich kontroversen Themen oder gar erhellenden Hintergründen und Neuigkeiten.

Der Focus lag in erster Linie bei wirtschaftlichen Themen des Kammerbezirkes. Obwohl das Podium mit dem außenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Jürgen Hardt (58) prominent besetzt, blieben Nachfragen zu der hochaktuellen Afghanistanpolitik außen vor.

Nachdem das Thema Umwelt inzwischen von allen Parteien besetzt – wenn auch unterschiedlich ausgeprägt – versuchte Jürgen Hardt (CDU) immerhin den globalen Zusammenhang zum Weltklima herzustellen. „Erreichbare Erfolge werden wir erst haben, wenn es uns gelingt, der gesamten Welt neue Technologien anzubieten, die alles einbeziehen“. Da liege der Hebel. 

„Ein Leben ohne Auto denkbar“

Unterschiedliche Positionen wurden naturgemäß in der Verkehrspolitik sichtbar. Als Jürgen Hardt seine tägliche Reiseroute nach Berlin mit Auto oder Bahn beschrieb, beklagte er fehlende Digitalisierung in Wuppertal und ein schleppendes Tempo beim ICE.

Das brachte ihm sogleich den Konter der Verantwortlichkeit seiner eigenen Regierungspartei ein. Während Anja Liebert (Bündnis 90/Die Grünen) ihr erfolgreiches Leben ohne Auto beschrieb und ein völliges Umdenken auch bei den Planungen neuer Verkehrswege forderte, sah Manfred Todtenhausen (FDP) seinen erfolgreichen Weg mit neuartigem Hybridantrieb als gangbaren Weg. „Warum soll ich mit einem Elektro-Auto nicht 130 kmh fahren?“

Der 25jährige Till Sörensen-Siebel (Die Linke) plädierte, obwohl selbst Pkw-Besitzer, für ein kostenfreies ÖNPV-Ticket. Der Bus müsse Vorrang haben. Helge Lindh (SPD) zum Thema autofreie Innenstadt: „Es kommt darauf an, ob die Bevölkerung es will. Man kann nicht gegen eine übereinstimmende Mehrheit arbeiten“. Frederick Kühne (AfD) sprach sich für die Förderung des Homeoffice aus, um dem Verkehrsinfarkt zu begegnen.

In der Wirtschaftspolitik war das aktuelle Versagen der „Lieferketten“ unserer lebenswichtigen Rohstoffe Thema. Die Globalisierung habe dazu geführt, dass wir im Zweifel nicht mal mehr die Grundversorgung mit Klopapier garantieren können (Till Sörensen-Siebel, Die Linke).

Schwere Fehler der deutschen Politik

Wenn China mit staatlichen Monopolen Druck ausübe, müsse Europa rebellieren, so Jürgen Hardt (CDU). Helge Lindh warnte indes vor einer Dämonisierung und plädierte für eine außenwirtschaftliche Strategie auf Augenhöhe. Anja Liebert (Bündnis 90/Die Grünen) pochte auf Nachhaltigkeit bei den Rohstoffen.

Frederick Kühne (AfD) brachte eine Freihandelszone ins Gespräch, an der alle wichtigen Partner einbezogen werden müssten, bei der man auch Russland nicht ausklammern dürfe.

Der IHK-Hauptsitz in Elberfeld – © Siegfried Jähne

Einigkeit bestand darin, dass in der deutschen Politik zuletzt schwere Fehler begangen wurden. So in der Corona-Politik ebenso wie in der Flutkatastrophe oder in Afghanistan und im Wirecard-Skandal. Das Krisenmanagement  habe teilweise total versagt. „Nach der Katastrophe ist vor der Katastrophe“, meinte Manfred Todtenhausen und forderte eine gründliche Aufarbeitung.

Er ärgerte sich darüber, dass FDP-Vorschläge zuletzt immer erst abgelehnt wurden, um dann von anderen Parteien doch aufgegriffen zu werden. Hier kam es erstmal zu einer leichtem Kontroverse. Helge Lindh (SPD) nannte das eine Lüge, das könne so nicht stimmen. Lindh aber fand es als eine große Schwachstelle deutscher Politik, dass Fehler nicht als solche benannt würden, was erst recht zum Unmut in der Bevölkerung führe. Lindh: „Es gibt in der deutschen Politik keine Fehlerkultur!“

Schulpolitik – ein Fall für den Bund

Für Jürgen Hardt war es wichtig, nicht nur die Schwachstellen, sondern auch das Positive der deutschen Politik zu benennen. 300 Mrd. für die Pandemie sei hilfreich und der richtige Weg. Vieles habe sich im Laufe der Jahre geändert, man diskutiere inzwischen viel offener, wenn auch meist hinter verschlossenen Türen….

Große Einigkeit bei Thorsten Kabitz Impulsfrage nach der richtigen Zuständigkeit für Schulpolitik: „Bundeseben“ war die übereinstimmende Antwort.

Der eklatante  Arbeitskräftemangel brachte die Einwanderungspolitik auf den Plan. Mit Blick auf fehlende Arbeitskräfte sprach sich Fredrick Kühne (AfD) gegen eine Einwanderung in unsere Sozialsysteme, aber für eine gesteuerte Einwanderungspolitik aus. Man müsse allerdings auch die Integration im Blick haben und forderte ein etwa vierjähriges duales Bildungssystem, in dem das Fach Sprache eine größere Rolle spielen müsse. 

Zeitweise kam der Eindruck auf, man bereite sich bereits auf anstehende  Koalitionsverhandlungen vor. So kam die Frage von Thorsten Kabitz an FDP-Mann  Todtenhausen nicht von ungefähr, ob man lieber mit der CDU oder mit der SPD koalieren würde. Dazu Todtenhausen: „In puncto Wirtschaft stimmen wir mit der CDU eher überein, in Sachen Soziales eher mit der SPD.“

Leben mit der „Todesliste“

Immerhin konnte der geneigte Zuhörer etwas von den doch sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten der Kandidaten und ihren politischen Schwerpunkten erfahren.

Zwei Kandidaten durften über ihre Liebe zu Wuppertal ausführlich berichten und taten das auch überschwänglich: Helge Lindh und Jürgen Hardt. Helge Lindh zeigte sich scheinbar unbeeindruckt von den auf ihn gerichteten Angriffen, die ihn unter anderem auf einer „Todesliste“ der sogenannten Querdenker sehen. Ich bin sehr dafür, dass jeder seine Meinung hat und sie auch äußert. Die Frage sei, wie er das tue und sprach von „Netzhorden“

Für die Wirtschaftsjunioren sprach ihr neugewählter Vorsitzender Dario Vaupel die großen Herausforderungen der Zukunft an und appellierte an das Auditorium, den Lebensraum kommender Generationen nicht zu zerstören. Besonders inkonsequent sei man bereits in der ausufernden Renten-und Steuerpolitik auf Kosten kommender Generationen.

IHK-Hauptgeschäftsführer Michael Wenge bedankte sich mit besten Wünschen schlußendlich bei allen Teilnehmern, nicht ohne zu erwähnen, dass man mit allen anwesenden aktuellen  Bundestagsabgeordneten stets sehr gut zusammengearbeitet habe. Ob der Abend eine Entscheidungshilfe für die Wahlentscheidung liefern konnte, muss jeder für sich entscheiden. 

Text: Siegfried Jähne

 

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