23. Oktober 2021

Robert Sturm: Tony Cragg hat mich für ‚Moby Dick‘ begeistert

Robert Sturm hat sich an große Bühnen-Klassiker wie "Romeo & Julia", "Don Quijote" oder "Moby Dick" herangetraut und sie alle in den Griff bekommen. Das Publikum und auch die Kritiker haben den Wuppertaler Regisseur, der spartenübergreifendes Theater in einer Industriehalle inszenierte, für seinen Mut, seine Phantasie und seine Visionen gefeiert.

Der erfolgreiche Wuppertaler Regisseur Robert Sturm – © Claudia Kempf

Neun Jahre lang hat der gebürtige Dresdener mit Tanz-Ikone Pina Bausch zusammengearbeitet, war ihr Assistent und Probenleiter. Nach ihrem Tod 2009 war er vier Jahre lang gemeinsam mit Dominique Mercy Nachfolger der weltweit bewunderten Künstlerin. Das Tanztheater ließ ihn nicht los.

Aber er hatte seine eigenen Ideen im Kopf, hatte Vision. Er wollte außergewöhnliches Theater auf die Bühne bringen, bei dem  Sparten wie Schauspiel, Musik und Tanz eine Rolle spielen sollten. Das ist ihm eindrucksvoll gelungen. Im „Hand aufs Herz“-Interview spricht Robert Sturm über seine Regie-Arbeit, über seine Gefühle, seine Pläne und über vieles mehr.

DS: Zuschauer und Kritiker waren von Ihrer Inszenierung des Klassikers „Moby Dick“ begeistert. Wie sieht Ihre persönliche Wahrnehmung aus? 

Robert Sturm: „Ja, es war auch für mich beeindruckend zu sehen, wie intensiv und offen sich das Publikum jeden Abend auf die Inszenierung eingelassen hat. Das ist nicht selbstverständlich, haben wir doch bewusst auf hohes Tempo, auf Effekte und ’schnelle Schnitte‘ verzichtet, die sehr bestimmend in der heutigen Wahrnehmung und für die heutigen Sehgewohnheiten sind. Wir haben auf das Gewicht des Gesagten, der Situationen, der Darsteller, der eher tieferliegenden, immanenten Emotionen vertraut und auch der Musik einen wesentlichen Teil der Erzählung – unserer Erzählung – überlassen. Wir haben angeboten, sich bereits während der Aufführung die Zeit zu nehmen, das Gehörte, Gesehene, Gefühlte aufzunehmen und auch eigenen Gedanken und Emotionen Raum zu geben. Diese Freiräume sind Teil der Inszenierung geworden und es stimmt mich – soweit ich das anhand der allabendlichen Reaktionen beurteilen kann – optimistisch, wie geschlossen das Publikum das angenommen hat.“ 

DS: Wie sehr waren Sie mit der Auslastung der Vorstellungen zufrieden? Sind Ihre Erwartungen erfüllt oder enttäuscht worden? 

Robert Sturm: „Es ist natürlich schade, dass auch wir nach den pandemiebedingten Verschiebungen mit unseren Aufführungen noch immer in einer Zeit der Verunsicherung lagen. Die Auslastung war leider nicht so hoch, wie bei den beiden Vorgängerprojekten. Auch die kurzfristige Abkehr vom Sitzplan im ‚Schachbrettmuster‘ hin zu einer Öffnung des gesamten Zuschauerraums hat offenbar viele Menschen besonders vorsichtig sein lassen. Das ist aber eine allgemeine Erscheinung und auch bei anderen Produktionen zu beobachten. Ich hoffe, dass sich das nun Schritt für Schritt wieder erholt.“ 

Robert Sturm (l.) mit Komponist Alexander Balanescu

DS: Haben Sie bereits Zahlen vorliegen, inwieweit Ihre Produktion Strahlkraft und Anziehungskraft über die Stadtgrenzen von Wuppertal hinaus hatte? 

Robert Sturm: „Nein, dazu habe ich keine Informationen.“

DS: Gab es aus Ihrer Sicht Überraschungen, was die Publikums-Struktur angeht?

Robert Sturm: „Nicht wirklich. Das Publikum war über die zehn Abende betrachtet sehr gemischt und nicht an eine bestimmte Altersgruppe gebunden – was ich natürlich sehr positiv sehe.“ 

DS: Ihre Produktionen stellen was die Komplexität angeht – ich meine da das Zusammenspiel von Schauspielern, Musikern, Tänzern etc. – ganz besondere Herausforderungen an die Darsteller. Welche Kriterien haben für Sie beim Casting die wichtigste Rolle gespielt? 

Robert Sturm: „Wichtig war mir bei dieser Produktion, Darsteller zu haben, die den wuchtigen Texten Melvilles Intensität und Klarheit verleihen und sie auch emotional füllen können. Leitgedanke wurden für mich die Worte Melvilles zu vierzig Jahren Krieg gegen die Grauen der Tiefe, vierzig Jahre auf dem erbarmungslosen Meer und die Frage, was für ein Narr Ahab denn vierzig Jahre lang gewesen sei. Ein gefährlicher, ein unglücklicher Narr. Die Frage nach dem Warum und Wozu. Das mit Schauspielern und Tänzern zu erarbeiten, die selbst schon Jahrzehnte auf dem Meer des Lebens hinter sich haben, schien mir ein äußerst spannender Ansatz. Dazu die wunderbare junge Luise Kinner, die das alles kommentiert und hinterfragt. Es schien mir ein interessanter Versuch, Melvilles literarisch komplexe und teils sehr dramatische Sätze auch persönlicher zu machen, an uns heranzurücken. Wir leben in einer Zeit, in der der gedankenlose Umgang mit Sprache zu einer immer größeren Gefahr wird, in denen kürzeste Tweets voller Ungenauigkeiten, oft auch Unwahrheiten am Ende sogar Menschenleben kosten. Worten, ihrer Bedeutung und ihren möglichen Auswirkungen muss dringend wieder mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Das geschieht, auch in unserem Moby-Dick, natürlich nicht nur über die gesprochenen Texte – hierfür war von besonderer Bedeutung auch die großartige Musik, deren Komposition Alexander Balanescu eng mit den Texten und Inhalten verbunden hat, wie auch die minimalistischen, für mich äußerst berührenden Bewegungen, Szenen und Bilder, die Jean Sasportes und die Tänzer beigetragen haben.“

Foto: Ralf SilberkuhlRegisseur Robert Sturm (l.) und Hauptdarsteller Marco Wohlwend bei der Produktion „Don Quijote“

DS: Bei Ihrer Produktion „Don Quijote“ hatten Sie das Pech, dass Christoph Maria Herbst, der eigentlich aus Hauptdarsteller, Lokalmatador und Publikumsmagnet eingeplant war, kurzfristig abgesprungen ist. Inwieweit sind Sie diesmal auf Nummer sicher gegangen? 

Robert Sturm: „Ich denke, bei Besetzungen kann man nicht auf Nummer sicher gehen – besonders nicht ohne eigenes festes Ensemble. Die ‚richtige Besetzung‘ ist aus meiner Sicht die wesentliche Grundlage, überhaupt eine gute Inszenierung machen zu können. Ob eine Besetzung tatsächlich ‚richtig‘ war, das zeigt sich aber immer erst im Nachhinein. Bei ‚Don Quijote‘ ist Marco Wohlwend kurzfristig eingesprungen und spielte einen ganz anderen Ritter der traurigen Gestalt als dies Christoph Maria Herbst wahrscheinlich getan hätte. Wir hatten in den zehn Aufführungen am Ende knapp viertausend zahlende Zuschauer und jeden Abend stehende Ovationen. Die komplette Besetzung von ‚Moby-Dick‘ halte ich ganz persönlich auch im Nachhinein für einen Glücksfall.“

DS: Das eher minimalistische Bühnenbild von Tony Cragg hat beim Publikumm und den Kritikern großen Anklang gefunden. Inwieweit haben haben Sie dem erfolgsverwöhnten Bildhauer da freie Hand gelassen? 

Robert Sturm: „Die ganze Idee zu Moby-Dick kam ja von ihm. Nachdem er den Roman vor 3 oder 4 Jahren wieder gelesen hatte, sprach er mich darauf an. So habe ich das Werk auch noch einmal in die Hand genommen und – nachdem wir auch mit Alexander Balanescu kurz zuvor darüber gesprochen hatten, mal eine gemeinsame Arbeit zu machen – meine Entscheidung, nach ‚Don Quijote‘ keine so großen Projekte mehr zu planen, revidiert. Während Tony Craggs Arbeit für ‚Romeo und Julia‘ 2015 noch eher eine Installation war – wie ja der ganze Charakter der damaligen Produktion ein anderer, eher projektbezogener war – stand diesmal die Entwicklung eines Bühnenbildes im Mittelpunkt. Nachdem ich die Grundzüge meiner Interpretation und Textfassung des Moby-Dick entwickelt hatte, führten wir viele Gespräche, trafen uns ab und zu in seinem Atelier oder in Halle V und Tony Cragg entwickelte Schritt für Schritt dieses wunderbare Bühnenbild, das auch der ganzen Vielschichtigkeit des in Text, Bewegung, Bild und Musik Erzählten und einer großen Offenheit und Vielfalt möglicher Interpretationen einen Raum bietet.“

Eine Szene aus „Moby Dick“: Die Darsteller in dem angedeuteten Schiff von Tony Cragg – © Heinrich Brinkmöller-Becker

DS: Dass ein so renommierter, weltberühmte Künstler zum wiederholten Mal Ihr Bühnenbild gestaltet hat, ist ein Ritterschlag, aber noch keine Garantie, dass eine so komplexe Produktion ein Erfolg wird. Welchen Stellenwert hat bei Ihnen die Zusammenarbeit mit Tony Cragg? 

Robert Sturm: „Für mich war die Arbeit mit Tony Cragg an ‚Moby-Dick‘ sehr bereichernd und inspirierend.“

DS: Ihre Inszenierungen sind ja kein Mainstream wie die meisten Musical-Produktionen, die ein breites Publikum erreichen sollen. Wie schaffen Sie es immer wieder, Ihrem persönlichen Anspruch gerecht zu werden und gleichzeitig den Geschmack des Publikums zu treffen und auch noch die Kritiker zu begeistern? 

Robert Sturm: „Ich mache mir eigentlich nie Gedanken zu diesen Dingen. Wie vermutlich die meisten Regisseure mache ich mir Gedanken zum Thema des jeweiligen Stückes und zu unserer Zeit. Und natürlich auch zum Charakter der jeweiligen Inszenierung – in diesem Falle zur Verbindung der Kunst eines Melville mit der eines Balanescu und der jungen Musiker und Sänger, eines Cragg, der ‚gestandenen‘ Schauspieler und der ehemaligen langjährigen Tänzer aus den frühen Jahren von Pina Bausch. Das Ergebnis ist immer offen und ich glaube nicht, dass sich künstlerischer Erfolg vorhersagen lässt.“ 

DS: Sie arbeiten monatelang auf ein Ziel hin. Auf dem Weg dahin gibt viele Unwegbarkeiten und keine Érfolgsgarantie. Wie kompensieren Sie diesen Druck? 

Robert Sturm: „Ich konzentriere mich ausschließlich auf die Arbeit und die Lösungen in jedem einzelnen Detail.“

Robert Sturm im Opernhaus

DS: Alle Ihre Produktionen in der außergewöhnlich Location Riedel Halle V waren bislang große Erfolge. Was überwiegt da bei Ihnen: Die Demut oder der Stolz? 

Robert Sturm: „Man ist sicherlich nie restlos zufrieden mit seiner Arbeit und Stolz ist ein schwieriges Wort – besonders auf einen selbst bezogen. Es ist aber immer wieder ein starkes Gefühl der Freude und Dankbarkeit, wenn die Premiere und die Aufführungen kommen, ich das Stück loslassen muss und sehe, wie die Darsteller und Musiker das Publikum fesseln, wie die Arbeit so vieler Beteiligter zu einer Einheit verschmilzt und es gelingt, das Publikum da innerlich mit hineinzuziehen.“

DS: In Ihrem Kopf spukt doch ganz bestimmt schon die nächste Idee herum. Wissen Sie schon, welches Stück Sie als nächstens inszenieren wollen und wann das sein wird? 

Robert Sturm: „Nein, im Moment steht mein Entschluss fest, dass dies meine letzte Inszenierung bei Riedel war. Zunächst konzentriere ich mich erst einmal weiter voll auf meine Arbeit am Tanztheater.“ 

DS: Gibt es eine Schauspielerin oder einen Schauspieler, die Sie unbedingt einmal bei einer Ihrer Inszenierungen auf der Bühne hätten? 

Robert Sturm: „Diese Frage kann ich momentan nicht beantworten, denn über Besetzungen denke ich immer nur aus konkreten Stück-Ideen heraus nach.“ 

DS: Welches Erlebnis hat Sie im Rahmen der Produktion von ‚Moby Dick‘ besonders beeindruckt? 

Robert Sturm: „Ein konkretes Erlebnis könnte ich da nicht herauspicken. Die ganze Arbeit mit allen Mitwirkenden, mit diesen Darstellern, mit den jungen Musikern – das alles war für mich persönlich auch sehr berührend.“

DS: Vielen Dank für das offene, interessante Gespräch 

Das Interview führte Peter Pionke

 

 

Foto: Johannes RothenhagenRobert Sturm, einer der kreativsten Köpfe Wuppertals

Vita Robert Sturm 

Robert Sturm wurde 1965 in Dresden geboren. Seine Eltern waren Schauspieler. 

Anfang 1989 siedelte er in die Bundesrepublik über und studierte ab 1990 in Köln Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft, Philosophie und Internationale Politik. 

Robert Sturm brach sein Studium kurz vor seinem Abschluss ab, weil ihn die Theater-Praxis lockte. Er nahm Jobs in Budapest und Szolnok als Regieassistent und Dramaturg an. Erste eigene Inszenierungen ließen nicht lange auf sich warten. 

1999 nutzte er die Möglichkeit, das Tanztheater Wuppertal bei der Recherche-Reise für das Pina-Bausch-Stück „Wiesenland“ in Ungarn zu begleiten. Robert Sturm wurde zunächst Assistent für die entstehende Produktion, ab 2000 engagierte ihn Pina Bausch als Künstlerischen Assistenten und Probenleiter. 

In dieser Funktion arbeitete Sturm mit Pina Bausch bei der Entwicklung ihrer letzten Uraufführungen wie „Wiesenland“, „Água“, „Für die Kinder von gestern“, „heute und morgen“, „Nefés“, „Ten Chi“, „Rough Cut“, „Vollmond“, „Bamboo Blues“, „Sweet Mambo“ und „…como el musguito en la piedra, ay si, si, si…“ eng zusammen.

Nach dem Tod von Pina Bausch 2009 übernahm Robert Sturm gemeinsam mit Dominique Mercy bis 2013 die Künstlerische Leitung des Tanztheater Wuppertal bis 2013. Inzwischen ist er Künstlerischer Betriebsdirektor des Tanztheaters. 

Seit 2015 inszeniert Robert Sturm in der Riedel-Halle V große, spartenübergreifenden Bühnen-Projekte wie „Romeo und Julia“ (2015), „Don Quijote“ (2017) und „Moby Dick“ (2021). Hier arbeitete er u.a. mit Jean Laurent Sasportes (Ex-Ensemblemitglied Tanztheater Pina Bausch) und dem weltberühmten Bildhauer Tony Cragg zusammen.

 

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