1. November 2021Peter Pionke
Der Zahnarzt, der seinen Beruf nicht so verbissen sieht
Seine Philosophie hat er in seinem Buch „Der Zahn-Kompass“ verewigt. Buddhas, Sternenhimmel, nostalgische Zahnarztmöbel, ein chromblitzendes Motorrad, selbst produzierte Fotos aus aller Welt an den Wänden und vieles mehr sorgen für eine heimelige Atmosphäre.
Er ist auch sonst kein Typ von Stange: Detlef Schulz ist leidenschaftlicher Motorradfahrer, besitzt einen UL Pilotenschein, bereist mit seiner Kamera den Globus und kehrt dann mit unzähligen Fotos im Speicher zurück. Und er sammelt Gedichte rund um das Thema Zähne. Und er hat als Dr. Det. (www.doktor-det.de) seinen eigenen Blog im Internet.
Wir werden einige wichtige Kapitel aus seinem Buch „Der Zahn-Kompass“ als Serie in der STADTZEITUNG veröffentlichen. Vorab haben wir diesem außergewöhnlichen Mediziner einmal auf den Zahn gefühlt.
DS: Wie viele Zahnärzte gibt es in Deutschland?
Detlef Schulz: „An die 90.000, davon 50.000 in eigener Praxis. Das Generationsthema ist auch hier aktuell. Viele von ihnen hören in den nächsten Jahren auf. Die neue Generation steht vor großen Umwälzungen. Es fehlt eine Brücke von den erfahrenen Zahnärzten zu den Neueinsteigern. Beide könnten eigentlich voneinander viel lernen.“
DS: Sie haben einen anderen Ansatz als viele Kollegen. Was unterscheidet Sie von anderen Zahnärzten?
Detlef Schulz: „Ich hatte als Kind ein traumatisches Erlebnis beim Zahnarzt. Ich wurde festgehalten, habe geschrien und mich gewehrt. Das ist bei mir hängen geblieben. Und ich habe mich gefragt: Was kann ich später anders machen? Denn dass ich Zahnarzt werden würde, war damals schon klar. Seit 1895 gibt es schon Zahnärzte in unserer Familie. Ich bin die vierte Generation. Alle Schritte im zahnärztlichen Alltag hinterfrage ich immer wieder neu. Nach dem Motto: Was würdest Du mit Dir machen lassen und was nicht? Wo muss ich neue Ansätze suchen? Ich habe für mich und meine Arbeit eine Prozesskette entwickelt. Und diese setze ich im Praxis-Alltag um. Ich sehe mich nicht als Zahnarzt, sondern als Gesundheitscoach.“
DS: Zähne ziehen ist sicher einfacher, als Zähne zu erhalten. Machen es sich da viele Kollegen die Sache zu leicht?
Detlef Schulz: „Ich will hier gar nicht behaupten, dass ich besser arbeite als viele meiner Kollegen. Aber ich arbeite aus der Erfahrung von 30 Berufsjahren. Und ich mache auch keinen Hehl daraus, wenn ich eine Behandlung bei mir selbst nicht machen lassen würde, auch wenn das gerade ein absoluter Trend ist. Das ist unternehmerisch gesehen nicht der beste Weg, aber der Weg, bei dem ich am besten und mit einem guten Gefühl morgens in den Spiegel schauen kann.“
DS: Wie viele Zähne werden eigentlich pro Jahr in Deutschland gezogen?
Detlef Schulz: „Wenn das jetzt eine Quiz-Frage wäre, würden wohl die meisten Menschen total daneben liegen. Es sind 10 – 11 Millionen Zähne jährlich.“
DS: Das sind ja erschreckende Zahlen, denn Zähne wachsen ja nicht nach. Wie kann man dem begegnen?
Detlef Schulz: „Das sind definitiv viel zu viele! Das geschieht ja auch zum großen Teil durch Unwissenheit. Sicher können die wenigsten Menschen von sich behaupten, dass sie sich angstfrei und bestens aufgeklärt in den Zahnarztstuhl setzen. Für die meisten ist doch der beste Weg: Mal eben nachgucken lassen und schnell wieder raus aus der Zahnarztpraxis. Man darf aber nicht vergessen: Man braucht seine Zähne ein Leben lang. Bis zum 12. Lebensjahr hat jeder seine 28 Zähne im Mund. Danach ist die Prognose offen. Idealerweise hat man sie auch noch im seinem letzten Lebensabschnitt. Und das ist auch möglich. Was die fachliche Seite angeht, wissen wir heute ziemlich genau, wie man das erreichen kann. Aber die Kommunikation ist das Nadelöhr.“
DS: Wo sehen Sie denn die Ansatzpunkte für grundlegende Verbesserungen?
Detlef Schulz: „Im Studium lernen wir, wie man Zähne repariert. Das können wir im Schlaf. Aber es gibt nur ein paar Vorlesungen in denen man lernt, wie man mit Patienten auf Augenhöhe kommuniziert. Und dazu muss man als Arzt unbedingt in der Lage sein.“
DS: Früher waren sich die meisten Menschen darüber im Klaren, dass sie mit 70 Jahren, die dritten Zähne, also ein Gebiss, im Mund haben würden. Wie ist denn da die Entwicklung?
Detlef Schulz: „Die 20jährigen haben zu 80 Prozent keine Löcher mehr. Die Entwicklung ist da eigentlich sensationell. Denn wenn ich mit 20 oder 25 Jahren keine Löcher in den Zähnen habe, ist die Gefahr gering, dass man noch Zähne durch Karies verliert. Vorausgesetzt man pflegt sie richtig. Gefahrenquellen sind aber noch die Zahnfleischentzündungen (Parodontitis), das ist leider eine Volkskrankheit. Die 70jährigen haben noch zu einem hohen Prozentsatz Zahnersatz im Mund, weil sie in der Jugend überhaupt nicht die Chance hatten, für die Prävention sensibilisiert zu werden. Damals wurde immer nur das Nötigste gemacht.“
DS: Heute lassen sich sogar noch 90jährige ein komplettes Gebiss mit vier oder sechs Haltepunkten Implantieren. Ist das der neue Trend?
Detlef Schulz: „Das ist ein Weg für Menschen, die sich das leisten können und auch leisten wollen. Wir haben ja gelernt, dass Gesundheit so eine Art Reparaturwerkstatt ist. Das ist es aber eigentlich gar nicht. Gesundheit hat mit Eigenverantwortung zu tun. Fest steht: Viele ältere Menschen können sich ein teures implantiertes Gebiss einfach nicht leisten. Für sie bleibt nur das altbekannte Gebiss, das mit Haftcreme befestigt wird, als Lösung.“
DS: Was kostet denn so ein implantiertes Gebiss?
Detlef Schulz: „Als Faustregel kann man sagen,daß ein Implantat mit Zahnersatz pro Zahn mit ca. 2.000 Euro zu Buche schlägt. Und die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt davon meist keinen Cent. Das ist schon ein soziales Problem. Die Bilanz kann im Einzelfall durch das Festkostenzuschusssystem etwas besser aussehen“.
DS: Was halten Sie denn von Billig-Implantaten aus dem Ausland?
Detlef Schulz: „Wenn man das wirtschaftlich sieht, ist das auf den ersten Blick eine tolle Sache. Wenn man medizinisch denkt, dann nicht mehr. Bevor ich ein Implantat setzen kann, brauche ich eine Knochenanalyse und ich muss den Aufbau in dem Knochen einsetzen. Der braucht seine Zeit, bis er eingeheilt ist. Erst danach kann ich weiterarbeiten. Man bekommt im Ausland bestimmt eine professionelle Behandlung, denn die Ärzte sind gut ausgebildet.
Aber die ganzen Zwischenschritte, die finden dann wieder hier oder gar nicht statt. Viele Implantate machen nämlich nach einiger Zeit Probleme und die wenigsten Kollegen hier wollen damit etwas zu tun haben. Denn eines muss man wissen: Wenn ich das von einem ausländischen Kollegen eingesetzte Implantat berühre und verändere, trage ich die Verantwortung und muss die Garantie dafür übernehmen. Und davor schrecken die Kollegen zurück. Die Nachsorge ist ganz klar das Problem.“
DS: Aber Sie wollen ja erreichen, dass man erst gar keine Implantate benötigt, sondern die natürlichen Zähne erhalten bleiben. Wie sie das gehen?
Detlef Schulz: „Erst einmal muss man die Glaubenssätze ändern. Wir alle sind Produkt unserer Erfahrungen und Muster. Wenn ich mit Zahnhygiene zum ersten Mal in Berührung gekommen bin, als Zähneputzen noch ein Zufallsprodukt war, dann ist es sehr schwierig, im Alter seine Gewohnheiten noch zu ändern. Das Umtrainieren ohne einen fühlbaren oder sichtbaren Grund ist das Problem. Menschen über 25 lassen sich ungern sagen, was sie zu tun haben. Dann bleibt oft alles so wie es ist.“
DS: Wenn gute Worte allein nicht reichen, wie kann ich die Menschen dann doch noch für eine bessere Zahnpflege sensibilisieren?
Detlef Schulz: „Es gibt beispielsweise das Konzept eines österreichischen Zahnbürstenherstellers. Der hat eine App entwickelt hat, mit deren Hilfe man genau überprüfen kann, ob man seine Zähne optimal und effizient geputzt hat. Das sind zeitgemäße Ansätze. Man muss einfach ein Gefühl dafür entwickeln, dass man bei der Zahnpflege noch einiges verbessern kann.“
DS: Wie oft soll man denn seine Zähne überhaupt putzen?
Detlef Schulz: „Zweimal – morgens und abends. Das ist vollkommen ausreichend. Elektrische Zahnbürsten erzielen ja heute als Hilfsmittel eine optimale Wirkung. Und Bakterien brauchen ja eine gewisse Zeit, bis sie sich vervielfältigen.
Ich selbst bin das beste Beispiel: Ich habe 1987 meine Inlays während des Studiums von einem zahnärztlichen Kollegen machen lassen. Die sind heute noch im meinem Mund. Das funktioniert. Nur weil ich Zahnarzt bin, bin ich ja noch lange nicht immun gegen Zahnerkrankungen. Prophylaxe macht bei mir regelmäßig ein Mitarbeiter.“
DS: Also hat die gute alte Hand-Zahnbürste endgültig ausgedient?
Detlef Schulz: „Alle Studien sagen ganz eindeutig, dass die elektrische Zahnbürste die weitaus bessere Lösung ist. Man muss aber zwischen den Drehkopf-Systemen und den Schwing-Systemen unterscheiden. Die Drehkopf-Zahnbürste vergleiche ich gern mit der Felgenreinigung in der Autowaschstraße. Durch die Drehbewegung werden alle Nischen gereinigt.
Die Schwing- oder Ultraschallzahnbürste ist dagegen schwieriger zu handhaben. Die Bürste darf dabei nicht an den Zahn gedrückt werden, wie wir es eigentlich gewöhnt sind. Man muss einen gewissen Abstand halten, damit das Schwingsystem optimal arbeiten kann. Das dauert viel länger, weil die Wirkung ja nicht direkt maschinell erzielt wird, sondern indirekt über die Schall-Schaum-Wirkung.“
DS: Wie lange sollte man sich denn die Zähne putzen?
Detlef Schulz: „Drei Minuten reichen völlig aus, um alle Bereiche des Gebisses zu säubern. Es geht nur darum, dass man die Büste lang genug an eine Seite hält und sie da arbeiten lässt. Den Rest machen sie dann schon allein. Da ist etwas vereinfacht, trifft es aber im Kern.“
DS: Was halten Sie vom Einsatz von Mundwässern?
Detlef Schulz: „Mundspülungen sind sehr gut. Aber eine Spülung kann das Zähneputzen nicht ersetzen. Ein Beispiel: Wenn ich einen Teller mit Rotkohl und einer Roulade einen halben Tag stehen lasse, bildet sich eine Kruste. Diesen Belag bekomme ich ohne mechanisches Putzen oder die Geschirrspülmaschine nicht mehr ab. Deshalb bekommt man die Ablagerungen auf den Zähnen nur mit einer Mundspüllösung allein nicht weg. Ich muss mechanisch und chemisch denken.“
DS: Haben Sie, was Zahncreme angeht, eine Empfehlung für unsere Leser?
Dr. Detlef Schulz: „Bei dem Thema hat jeder Zahnarzt seine eigene Philosophie und seine eigene Empfehlung. Am Ende ist die Zahnpasta die beste, die man auch benutzt.“
DS: Sie machen ja auch Zahnpflegeschulungen für Kinder. Wie komme diese bei den Kids an?
Detlef Schulz: „Bei Kindern ist die Situation mittlerweile optimal und es gibt so gut wie keine Probleme mehr. Das liegt daran, dass Eltern ihren Kindern das ersparen wollen, was sie selbst in der Jugend erlebt haben. Und deswegen achten sie sehr darauf, dass die Zähne ihrer Kids, sobald sie durchgebrochen sind, auch ordentlich gepflegt werden. Ganz wichtig ist, dass die Eltern die Karies erregenden Bakterien nicht im Mund haben. Das kann man durch Tests herausfinden. Und wenn die Eltern keine Karies-Bakterien im Mund haben, bekommen auch die Kinder höchstwahrscheinlich keine Karies. 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen haben heute keine Löcher mehr in den Zähnen. Das funktioniert so gut, weil auch die Eltern auf sich und ihre Zähne achtgeben. Das ist so eine Art Staffelstab.“
DS: Man sieht heute nur noch selten Menschen mit Zahnlücken. Wie ist das zu erklären?
Detlef Schulz: „Bei uns in Deutschland hat sich bis auf wenige Ausnahmen das Bewusstsein, was die Zahnpflege angeht, positiv verändert. Zahnlücken sind wirklich selten geworden, weil sie als Synonym für sozialen Abstieg gesehen werden. Und darum werden wir auch weltweit beneidet. In anderen Ländern ist die Einstellung dazu völlig anders. In England sind Zahnlücken ganz normal. Das stört keinen. Ich habe in Sri Lanka einen Mann getroffen, der nur noch drei Zähne im Mund hatte. Trotzdem war er fröhlich und bestens gelaunt. Die Häufigkeit von Zahnlücken hat sehr viel mit dem jeweiligen Gesundheitssystem zu tun. Selbst unseres stößt ja an Grenzen. Stichwort Implantate.“
DS: Sie geben als Gesundheitscoach Seminare, halten Vorträge, drehen Videos und haben den Ratgeber „Der Zahn-Kompass“ verfasst und veröffentlicht. Wie reagieren denn eigentlich Ihre Kollegen auf Ihre Aufklärungs-Offensive?
Detlef Schulz: „Nachdenklich. Wir haben ja alle unsere eigene Brille auf. Wenn man diesen Job 20 Jahre macht, kann es schon zu einer Betriebsblindheit kommen. Meine persönliche Erfahrung aus 30 Jahren Fortbildung ist die, dass ich bei den Seminaren etwas spannendes Neues höre, aber das am Montag in der Praxis dann doch nicht umsetze. Ich müsste dann ja möglicherweise die ganze Praxisstruktur ändern und das ist lästig. Am Ende bleibt dann alles so wie es ist. Erkennen und Handeln ist immer ein großer Unterschied. Als Zahnarzt ist man eben auch Unternehmer. Der Spagat zwischen Ethik und Monetik kann nur durch ein flexibles Konzept langfristig gelingen „.
DS: Sie sehen einige Entwicklungen in der Zahnmedizin durchaus kritisch und machen im besten Sinne des Wortes den Mund auf. Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Detlef Schulz: „Viele junge Kollegen, die gerade eine Praxis eröffnet haben, bemühen sich um gleichaltrige Patienten als Zielgruppe. Wie schon erwähnt, haben junge Leute heute kaum noch Löcher in den Zähnen. Jetzt hat sich aber ein Trend wie eine Krake entwickelt: Die geraden Zähne. Plötzlich hängt das Lebensglück davon ab, dass die Zahnstellung ideal ist. Und wenn das nicht so ist, bin ich als Mensch nicht wertvoll. Also wird jetzt ein Markt geschaffen, der mit vielen Nebenwirkungen behaftet ist und Auswirkungen auf die Lebensqualität für den Rest des Lebens haben kann.“
DS: Das müssen Sie schon näher erklären…
Detlef Schulz: „Bei dem Eingriff nach Abschluss des Wachstums werden die Wurzeln leicht bewegt, dann muss sich neuer Knochen bilden. Die Regenerationsprozesse dauern. Also werden Software-Programme entwickelt, die das Ausrichten der Zähne optimieren sollen. Aber die Natur muss auch mitkommen. Wir wissen aus Erfahrung, dass solche Eingriffe nicht nur Nutzen schaffen. Im Gegenteil! Es kann zu Problemen in den Kiefergelenken durch Veränderung des Bisses kommen und eventuell auch zu Knochenabbau, den man erst Jahre später feststellt.
Das ist ein Trend, der momentan zu einer Art Mitnahme-Produkt in den Praxen geworden ist. Und diesen Trend sehe nicht nur ich mit gemischten Gefühlen. Keiner weiß, was die Spätfolgen nach 10 oder 20 Jahren sind. Außerdem muss man diese Schienen sehr oft ein Leben lang tragen. Wer möchte das schon.“
DS: Unheimlich viele Jungen und Mädchen tragen eine Zahnspange. Ist das wirklich nötig?
Detlef Schulz: „Man muss sich nur einmal die Natur anschauen. Die wenigsten Bäume sind gerade im rechten Winkel gewachsen. Das liegt an den Kräften der Natur. Die Zähne im Mund sind der Kaukraft ausgeliefert und der Physiologie. Jetzt kommt der Mensch und sagt: Die Zähne müssen aber gerade sein, weil das ein Schönheitsideal ist. Das kann man, wenn man will, so sehen. Andererseits erfüllen natürlich stehende Zähne genauso gut ihren Dienst.
Ehrlich gesagt: Wenn man einen Menschen kennen lernt, achtet man doch nicht zuerst auf die Stellung der Zähne. Ich bin mir sicher, wenn Zähne nicht total ungepflegt braun und völlig krumm und schief im Mund stehen, hat das keinerlei Einfluss auf den Sympathie-Aspekt. Das ist aber wieder ein Trend, der sich in Amerika entwickelt hat und zu uns herübergeschwappt ist. Bei jedem Ideal muss man auch die Nebenwirkungen berücksichtigen. Und diese werden leider nicht so offen diskutiert wie die positiven Seiten.“
DS: Sie beschreiben Ihr Buch „Der Zahn-Kompass“ als neuen Ansatz in der Zahnmedizin. Glauben Sie wirklich, dass das alle Kollegen gerne hören?
Detlef Schulz: „Ich maße mir doch gar nicht an, einen völlig neuen Ansatz zu haben, sondern wähle nur einen Anderen. Nach dem Motto: „Good for you – good for me“. Jeder, der diesen Beruf am Menschen ausübt, der hat die Pflicht, die Gesundheit des Patienten in den Vordergrund zu stellen. Jeder Kollege hat natürlich eine andere Vorstellung davon, wie er das bewerkstelligen kann. Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die wirklich jeden Zahn mit irgendwelchen Tricks und modernster Technik retten wollen. Dabei weiß man genau, dass dieser Zahn häufig in drei Jahren sowieso weg ist. Aber das ist eben das akademische Ideal, das an der Uni gelehrt wird und der Maßstab für Menschen, die überhaupt keinen echten Bezug zu ihren Zähnen haben.“
DS: Wie ist das denn zu verstehen?
Detlef Schulz: „Auf der einen Seite steht das Wertigkeitsdenken einen Zahn um jeden Preis retten zu müssen. Aber viele Menschen haben während der Kindheit überhaupt kein Wertbewusstsein, was ihre Zähne angeht, mitbekommen. Dann besteht die Gefahr, dass der eine den anderen völlig missversteht. Die meisten Kollegen wollen den Patientenwunsch ja auch optimal umsetzen. Am Ende geht es darum, den Menschen die Lebensqualität zu erhalten und muss ihnen immer wieder klar machen, wie wertvoll ihre Zähne sind. Wir erhalten als Geschenk einen Satz bleibender Zähne, genau 28 Stück. An so einem Zahn kann man im Leben drei bis viermal bohren – und dann ist er einfach weg. Dieses Bewusstsein muss man haben und seine Zähne langfristig entsprechend pflegen und nicht immer nur von Kontrolle zu Kontrolle denken.“
DS: Welche Rolle spielt für Sie als Gesundheitscoach das Thema Patienten-Beratung?
Detlef Schulz: „Eine ganz wichtige Rolle. Das Ganze ist Vertrauenssache und immer ein Abwägen von Risiken, was man mit der jeweiligen Behandlung erreichen kann und welcher Investitions-Rahmen steht überhaupt zur Verfügung. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Eines ist klar: Die Sozialsysteme werden in Zukunft sicher weniger für Zahnbehandlungen und Zahnersatz ausgeben. Lohnt sich vielleicht eine Zahn-Zusatzversicherung? Und dann sollte man dem Patienten ganz offen und ehrlich sagen, ob man die vorgeschlagene Behandlung bei sich selbst überhaupt machen lassen würde.“
Ist der Zahnarztberuf im noch so eine Art „Erbkrankheit“?
Detlef Schulz (lacht): „Irgendwie schon! Viele Zahnärzte stammen aus Zahnarztfamilien. Ich bin mittlerweile die 4. Generation seit 1895. Mein Vater war als Zahnarzt handwerklich begnadet, aber menschlich sehr robust im Umgang mit Patienten und auch mit Kindern. Für mich war früh klar: Das wollte ich völlig anders machen. Für mich ist dieser Beruf ist eine Mischung aus Handwerk, Medizin, Ergebnis-Orientiertheit und einer sehr starken menschlichen Komponente. Anders als in anderen Berufen haben wir die komplette Produktionskette in den eigenen Händen. Wenn ich einen Zahn behandelt habe, ist er entweder saniert oder heraus. Ein schönes Gefühl in der heutigen Zeit der Teilschritte.“
DS: Sehe ich es richtig, dass Sie die heutigen Auswahl-Kriterien und Ausbildungs-Schwerpunkte für nicht mehr zeitgemäß halten?
Detlef Schulz: „Genauso ist das. Das fängt beim Numerus Clausus an, der bei einem Notenschnitt von 1,0 liegt und wirklich nichts über die Qualifikation, ein guter Mediziner zu werden, aussagt. Und beim Zahnarzt geht es ja nicht nur um medizinisches Wissen, sondern auch um handwerkliche Fähigkeiten.
Ganz zu schweigen davon, dass man im Studium den Menschen, den man später behandelt, gar nicht auf dem Schirm hat. Da geht es hauptsächlich um Theorie, Technik und Handwerk. Man lernt sehr viel Theorie, aber das, was diesen Beruf eigentlich ausmacht, den Menschen im Mittelpunkt zu sehen, ihn zu verstehen und ihn nicht nur als Gegenstand und Zahn zu betrachten, das wird im Studium nur am Rande berührt. Ich hatte übrigens nur einen Notenschnitt von 2,7. Es hat 3,5 gedauert, bis ich dann doch noch per Losglück einen Studienplatz ergattert habe. Mittlerweile gab es einige Reformen in der Studienordnung. Ob sie sich zum besseren entwickelt, vermag ich nicht zu beurteilen.“
DS: Vielen Dank für das offene, ehrliche und konstruktive Gespräch
Das Interview führte Peter Pionke
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