13. November 2021Peter Pionke
Das Zusammenspiel von Kultur, Ökologie und Technologie
Deshalb macht sich Enriqueta Llabres-Valls für deren Meinung und Mitwirkung in einem breit aufgestellten planerischen Prozess stark. Die in London lebende und an der Bartlett School of Architecture lehrende Architektin ist Inhaberin der fünften „Dr. Jörg Mittelsten Scheid-Gastprofessur“ in der Fakultät Architektur und Bauingenieurwesen an der Bergischen Universität. Eine Folge der Reihe „Transfergeschichten“.
Während Ihrer Ausbildung zur Architektin haben Sie sich mit den Beziehungen zwischen Technologien, Innovationen, Kultur und Ökologie beschäftigt, weil Sie glauben, dass diese Aspekte einen entscheidenden Einfluss auf die gebaute Umwelt haben. Wie sieht dieser Einfluss aus?
Enriqueta Llabre-Valls: „Dieser Einfluss ist Teil meiner vitalen Beziehung mit der Umwelt von Kindheit an und auch später, als ich zur Universität ging. Es begann mit Ökologie und Kultur. Ich stamme von den Kanarischen Inseln und bin auch dort aufgewachsen. Meine Familie stammt von dort. Ich bin nach Aufenthalten an vielen verschiedenen Orten dann auf die Kanarischen Inseln zurückgekehrt und habe dort mein Leben verbracht. Die Kanarischen Inseln sind wie ein Mikrokosmos. Es sind kleine Inseln und sie haben eine sehr reiche, natürliche, aber auch zerbrechliche Umwelt. Ich bin also mit dem Meer und dem Ökosystem aufgewachsen.
Meine Kindheit war sehr eng mit der Landschaft und dem Gebiet verbunden. Aber die Kanarischen Inseln haben gelitten. Ich meine, sie haben sich entwickelt, es gab wirtschaftliches Wachstum, aber das hat sich auf das Gebiet und die Landschaft ausgewirkt und auch auf die Bebauung. Es gab eine Menge Kontroversen darüber, wie es entwickelt wurde und die insgesamt sieben Inseln haben sich auch nicht gleichmäßig entwickelt. Jede ist ein kleines Entwicklungslabor.
Eine Insel, die mich sehr beeinflusst hat, bevor ich meine Karriere begann, ist Lanzarote. In meiner Kindheit war Cesar Manrique, ein sehr bekannter Künstler und Landschaftsgestalter, an der Entwicklung von Lanzarote beteiligt. Er arbeitete mit Architekten zusammen und es gibt eine Vielzahl von Landschaftsprojekten von ihm.
Er erkundete die Dörfer der Insel, denn der einzige Reichtum, den wir auf Lanzarote hatten, waren die Landschaft und das Ökosystem. Und wenn wir uns nicht darum gekümmert hätten, gäbe es dort gar nichts mehr, denn Lanzarote hatte kein Wasser. So ging Manrique in die Dörfer, um mit den Menschen zu kommunizieren. Die Entwicklung der Kulturlandschaft, die Cesar Manrique auf Lanzarote vorantreiben wollte, führte zum wirtschaftlichen Aufschwung, wirkte sich aber auch auf das Bewusstsein der Menschen aus, die sich an der Gestaltung der Landschaft beteiligten. So ein Beispiel hat meine Denkweise über Architektur, Landschaft, Territorium usw. immer beeinflusst.
Deshalb habe ich 2012 an der London School of Economics Lokale Wirtschaftsentwicklung studiert und angefangen, mit der Idee der relationalen urbanen Bescheidenheit und des relationalen Kapitals zu arbeiten, nach der Menschen zusammenkommen und eine Idee von einer Stadt, eine Idee von öffentlichem Raum, eine Idee von einem Gebäude entwickeln können. Die Räume, die gebaut werden, sind also diejenigen, die in der Lage sind, verschiedene Visionen unterschiedlicher sozialer Gruppen zu berücksichtigen.
Die Vielfalt der Meinungen ist etwas, was zelebriert werden sollte, weil es sonst bedeutet, dass bspw. ein dominantes Haus die Vielfalt der Bedürfnisse und Bedingungen, die jeder Mensch hat, überdeckt. Zwar gilt es immer, wenn man den Beruf des Architekten und der traditionellen Architektur ausübt, den Kundenwunsch zu berücksichtigen, aber bei einer Vision der Integration von Ökologie, der Integration von Landschaft darf man nicht nur wie ein Architekt denken, denn die gesamte Architektur beeinflusst das Territorium und die Biodiversität.
An dieser Stelle denke ich, dass das Konzept des relationalen Urbanismus und die Tatsache, dass das Territorium eine kulturelle Konstruktion ist, grundlegend ist.
In Bezug auf das, was die Technologie betrifft, hat mein Vater einen entscheidenden Einfluss auf mich gehabt, der jedoch nichts mit Architektur zu tun hatte.
Mein Vater hat mir von klein auf eine Leidenschaft für die Wissenschaft und für die Mathematik beigebracht. Mein Interesse an der Technologie hat mit der Tatsache zu tun, in welcher Art und Weise wir Wissen konstruieren, wie wir unser Wissen über die Umwelt konstruieren und wie das unsere kulturelle Konstruktion dieser Umwelt beeinflusst.
In der Barlett School in London, wo ich unterrichte, untersuchen unsere Studierenden, wie landwirtschaftliche Praktiken in der Anwendung des Phosphors über die Jahre zu einem großen Emissionsproblem in der Ostsee führen. Das Problem der Sphärenhaftigkeit und die Fähigkeit, die Probleme von der planetarischen Skala bis zur Skala der Struktur und des materiellen Systems zu sehen, ist also von grundlegender Bedeutung.
Und wir können dies nur durch Technologie erreichen und vermitteln. Wir müssen dieses komplexe System von Größenverhältnissen verstehen, um rechtzeitig Lösungen für das Umweltproblem anbieten zu können, wir müssen es auch visualisieren und kommunizieren.
Heute ist die Technologie in der Lage, uns bei der Verwaltung großer Datensysteme zu helfen. Sie hilft uns, große Gruppen von Menschen zu erreichen. Technologie ist für mich also ein grundlegendes Element der Designmethodik. Es ist wichtig, dass man bei der Nutzung von Technologie kritische Reformen durchführt und sich vor einer extrem positivistischen Sichtweise der Technologie hütet. Und deshalb ist das Zusammenspiel von Kultur, Ökologie und Technologie von grundlegender Bedeutung.
Bei den meisten Umweltproblemen handelt es sich zwar um Probleme, die nicht technisch gelöst werden können, aber sie beruhen darauf, wie wir miteinander in Beziehung treten, wie wir miteinander um Ressourcen konkurrieren und wie die Gesellschaft öffentliche Güter verwaltet.
Ich stehe immer vor dem Problem, zu konsumieren oder die Umwelt nicht zu verschmutzen, um den Preis, dass ich meinen individuellen Nutzen für das Gemeinwohl opfern muss. Ich kann aber niemanden zwingen, es zu tun. Es muss also ein Bewusstsein auf Seiten des Einzelnen geben, um eine koordinierte Vision zu haben, die ein Engagement ermöglicht, um damit besser leben zu können. Und die Technologie hat da eine wichtige Funktion.“
Viele Ihrer Arbeiten haben Preise gewonnen, darunter der Le Fanu Park mit einer großen Skateranlage in Dublin. Was war Ihnen bei dieser Arbeit wichtig?
Enriqueta Llabre-Valls: „Das Wichtigste an diesem Projekt war der Prozess der Beteiligung der verschiedenen Gemeinschaften. Dadurch wurde ein Gefühl der Eigenverantwortung und Zugehörigkeit geschaffen. Wir konnten mit einfachen Mitteln den Raum gestalten, den wir zum Skateboarden brauchten. Wir haben uns ausführlich beraten und den Park zu einem integrativen Ort gemacht. Es ist ein Platz zum Skaten, der aber auch für einen anderen Teil der Bevölkerung nutzbar ist.
Wir haben versucht, unterschiedliche Akteure und ihre verschiedenen Befindlichkeiten über das Skating einzubeziehen, so dass nicht der ganze Park nur aus Beton besteht. Einige Geometrien sind sehr einfach, sehr direkt, andere Geometrien sind komplexer und es gibt eine Beziehung zwischen den verschiedenen Räumen, in denen die Menschen einfach nur beobachten können. Dieses Projekt wurde anfangs in der Gemeinde Ballyfermot (Dublin) nicht sehr gut angenommen, da das Gebiet seit Jahren ein Problemviertel war. Die Anwohner wollten zunächst keinen Skatepark, weil sie die positive Wirkung nicht sahen. Es gab also Verhandlungen mit den Nachbarn.
Am Ende ist dies ein multifunktionaler Raum, ein Skatepark geworden, aber auch ein Spielplatz für Kinder sowie ein Landschaftsprojekt, das auch die visuelle Qualität des Gebiets verbesserte. Es gab die Skater- und BMX-Community, die das Projekt förderte, wir haben die örtlichen Schulen miteinbezogen und neben dem Park eine Sporteinrichtung angelegt.
Wir sind bei bestimmten Anlässen dorthin gegangen wo es wichtige Aktivitäten in der Gemeinde gab, haben Gespräche geführt und das Projekt beworben. Die ortsansässigen Familien hatten die Möglichkeit mitzubestimmen und wir fanden auch Menschen, die sich für den Park verantwortlich fühlten. Letztendlich muss man also die Befindlichkeiten der einzelnen Gruppen verstehen und versuchen, das Design zu orchestrieren. Die Vision des Raums und das Design waren dabei führend. Jeder ist in der Lage, seine Konstanten auszudrücken, aber letztlich folgen sie der Führung der Vision, die vorgeschlagen wird. Das ist es, was uns als Architekten die Fähigkeit gibt, zu führen.“
Wie haben Sie die Menschen, die Zweifel an diesem Park hatten, von Ihrer Vision überzeugt?
Enriqueta Llabre-Valls: „Es gab einerseits die Verpflichtung zu sagen, okay, wir machen den Skatepark, aber wir machen ihn auch für die Bewohner dort. Wir haben also eine Strategie entwickelt, um die Leute zu überzeugen. Die Erde aus den Bauarbeiten haben wir dafür genutzt, um einen Hügel zu bauen, so dass man von der Straße aus die Skaterbahn nicht sieht und hört. Mit dieser Gestaltungsstrategie wird also ein Verhandlungspunkt zwischen den beiden Parteien erreicht. Und schließlich ist es ein multifunktionaler Raum, der nicht nur aus einem Skatepark besteht, sondern auch andere Aktivitäten bietet, die nichts mit Skating zu tun haben, sondern eher mit dem Spiel der Kinder. Die Umwandlung des öffentlichen Raums kam auch den dort wohnenden Hausbesitzern zugute, weil es eine Wertsteigerung mit sich brachte.“
Gibt es ein Werk oder ein Gebäude, dass das Konzept des relationalen Urbanismus besonders deutlich umsetzt?
Enriqueta Llabre-Valls: Ich denke, der Skatepark ist ein gutes Beispiel für das Konzept des relationalen Urbanismus, denn, wenn man sich das dazugehörige Video anschaut, kann man sehen, dass die Kinder ihren Skatepark selber reinigen. Und das ist es! Ich war an der Produktion dieses Videos überhaupt nicht beteiligt. Es gibt ein Kind, das sagt, dass dies kein Raum ist, um den sich die Stadt kümmert. Dies ist unser Raum, wir haben die Verantwortung und wir müssen uns darum kümmern.
Ich denke, die Architekturfakultäten müssen anfangen, sich damit zu befassen, wie die Praxis der Stadtplanung und die Praxis der Architektur miteinander verbunden sind und die Beziehung der Menschen zu ihrem Territorium, zu ihrer Arbeit beeinflussen.“
Welchen Einfluss haben die Materialien auf das Bauen der Zukunft, wenn man bedenkt, dass die Ressourcen immer knapper werden?
Enriqueta Llabre-Valls: „Die Technologien sollten uns dabei helfen, Architektur mit weniger Fußabdrücken zu schaffen, d.h., durch Technik unsere Materialien auf Kostenintensivität und Recycling zu prüfen. Ich denke, dass die Architektur als ein Kreislauf verstanden werden muss, der Bau, Nutzung, Demontierung, Wiederbenutzung oder Recycling berücksichtigt und nicht auf Abfall ausgerichtet ist.
Neue Materialien können aus Holz gewonnen werden. Dies ist von grundlegender Bedeutung. Wir arbeiten an einem Thema, das mit Abfällen und mit Rückständen zu tun hat. Die Richtung sollte dahingehen, dass ein Konzept des Abfalls verschwinden muss, denn, unsere Abfälle verschwinden nicht, sie bleiben in der Umwelt. Die einzige Möglichkeit besteht also darin, sie wiederzuverwenden oder das Gebiet so zu gestalten, dass es sie aufnehmen kann. Auch die Baumaterialien müssen sich in diese Richtung entwickeln.
Ich denke, wir befinden uns an einem Punkt in der Geschichte der Menschheit, der in Bezug auf die Umwelt keine Kompromisse zulässt. Wenn man sich ansieht, was passiert ist: die Hitzewelle in Kanada, die Dürre in Kalifornien, die Zerstörung des Amazonas, dann glaube ich, dass wir unter Schock stehen. Es hat eine Pandemie gegeben, die damit zu tun hat, wie wir mit Tieren umgehen. Wir befinden uns nicht in einem Zustand, in dem wir einfach sagen können, weiter so! Es ist wirklich ein bisschen absurd, und ich versuche auch meine intellektuellen Bemühungen so weit wie möglich auf die Auseinandersetzung mit der ökologischen Realität des Planeten zu richten.“
Welche Bedeutung hat Design in der Architektur der Zukunft?
Enriqueta Llabre-Valls: Sie ist grundlegend. Letztendlich müssen wir uns gegenseitig verstehen oder die menschliche Natur, wie sie funktioniert. Unsere kulturelle Entwicklung hat unsere biologische Evolution bei weitem überholt. Der Mensch steht meiner Meinung nach stets zwischen dem Rationalen und dem Irrationalen. Wir mögen die Dinge, die wir verstehen, aber wir haben auch eine Bindung an Werte, die wir kulturell konstruieren, wie die Flagge, die Idee eines Landes, die Idee einer Gemeinschaft, die Idee einer Stadt. Letztlich handelt es sich um kulturelle Konstruktionen.
Und Design ist der maximale Ausdruck dieser kulturellen Konstruktion von Ländern. Architektur ohne Design ist also keine Architektur, und Design ist in der Lage, die Sensibilität des Menschen zu erreichen. Wir müssen also das Design nutzen, um mit den Menschen in Kontakt zu treten. Fragen der Schönheit, der Liebe oder der Leidenschaft, des Hasses sind sehr menschliche Dinge, die Eingang in die Entwürfe finden müssen, wenn wir ein bis dahin unattraktives Gebiet erhalten wollen.
Es ist auch die Art zu handeln, wie es im LeFanu Skate Park geschieht. Das Design übernimmt die Führung, weil es die Vision hervorbringt, eine Vision, die die Menschen wollen, die ihnen gefällt.
Das Interview führte Daniel Vazquez Capilla
Über Prof. Enriqeta Llabres-Valls
Prof. Enriqueta Llabres-Valls lehrt an der Bartlett School of Architecture in London. Sie ist Inhaberin der fünften „Dr. Jörg Mittelsten Scheid-Gastprofessur“ an der Bergischen Universität Wuppertal.
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