20. Dezember 2021Peter Pionke
Schöne Bescherung: Eine Weihnachtsstory zum Schmunzeln
Nichts erschien uns erfreulicher, als ausgerechnet zu Weihnachten Freunde und Verwandte einzuladen. Zum Fest der Harmonie.
Die Gäste kommen begeistert mit Kind und Kegel, Sack und Pack. Und da bekanntlich Raum ist in der kleinsten Hütte, vorausgesetzt, man ist willkommen, verwandelt sich unser Häuschen zu einem Heerlager. Wartezeiten gibt‘s zwar im Bad, doch glücklicherweise haben wir im Keller eine zusätzliche Dusche und ein Gästeklo.
Unsere Besucher lassen sich, aber das wussten wir vorher, in zwei Gruppen einteilen. In die erste gehören diejenigen, die von zu Hause selbst gebackene Plätzchen mitbringen, in die zweite, die, die das nicht tun. Die erste Gruppe deckt sich mit denen, die ungefragt mithelfen: Beim Mahlzeiten vorbereiten, Tisch decken, Abräumen, Abwaschen, klar Schiff machen, Kinder beschäftigen.
Die zweite hat für Weihnachtsvorbereitungen nie Zeit, war und ist zu sehr im Stress, muss sich in festtaglicher Harmonie erholen. Auch bei uns. Wir wussten das vorher, kennen uns, schätzen uns trotzdem.
Damit genug Zeit ist, um möglichst viel von Wuppertal zu sehen, kommen die Gäste zwei Tage vor Heiligabend. Wir gehen gemeinsam bummeln, sind hocherfreut, dass diejenigen, die von weither kommen, begeistert loben, sie kennen keine anderer Stadt, wo so unterschiedlich attraktive Weihnachtsmärkte veranstaltet würden – der so heimelige in Barmen vor dem Rathaus und der so weitläufige in Elberfelds Fußgängerzone.
Die Kinder – von zwei bis acht – schauen sich an einem Riesenschaufenster am Neumarkt die Nasen platt, sind beim ersten Mal nur durch Bestechung zum Weitergehen bereit (dürfen mit der Kindereisenbahn fahren), müssen anschließend natürlich zum zweiten Mal hin. Ausgestellt sind niedliche Stofftiere vom Teddybär zur Schildkröte (alle mit dem Knopf im Ohr).
Weil meine Frau, so war das bei ihr zu Hause Tradition, unbedingt Karpfen auf den Festtisch stellen will, lassen wir Heiligabend das Mittagessen ausfallen, gehen stattdessen mit den Kindern in den Wald, suchen – allerdings vergeblich – Christkind und Weihnachtsmann, setzen uns dann zu Hause zu Tee, Kaffee, Kuchen und Plätzchen zusammen und machen dann einen riesigen Fehler.
Statt die Kinder gleich zu bescheren (den Weihnachtsbaum hatten sie und ich morgens früh bereits geschmückt), geben wir sie in die Obhut einer lieben Tante, die sie ausgiebig badet und festlich einkleidet. Ergebnis: Die Kinder sehen aus wie Engel, riechen auch so, sind aber stinkig und total übermüdet.
Doch inzwischen sind die Karpfen gekocht (in zwei großen Töpfen von Nachbarn) und müssen gegessen werden. Also wird die Bescherung noch weiter hinausgeschoben.
Statt zu essen, maulen die Kinder. Meine Frau, mit den Nerven am Ende, wird immer schweigsamer. Die Kleinen, die nur wegen der Aussicht auf die Geschenke durchhalten und beim Weihnachtsliedsingen streiken, sind nervös und hampelig, kippen aus Versehen eine Riesenkaraffe mit Orangensaft um. Macht nichts, der Boden hält‘s aus, ich helfe beim Aufwischen.
Dann die Bescherung. Die Kinder streiten sich, halten erst inne, als einer der Erwachsenen mit „Hurra! Champagner vom Feinsten“ eine Papiertasche hochreißt. Die zerreißt, die Flasche zerschellt, auf dem Boden sind eine Champagnersee und tausend Scherben.
Während ich Schaufel, Handfeger und Tücher besorge, entdeckt mein Sohn an seinen Schuhen, rote, gelbe, grüne und blaue Knete, und er freut sich, dass den anderen das auch so geht. Die Erklärung ist einfach: Eines der Kinder hatte seinen neuen Knetkasten ausgepackt und hemmungslose Kreativität entwickelt.
Irgendwie überleben wir dieses Tollhaus, den Abend und die Gäste. Doch meine Frau, in den letzten zwei Tagen um zwei Kilo abgemagert, flüstert vor dem Einschlafen: Im nächsten Jahr laden wir uns ein. Auf ein harmonisches Weihnachtsfest!“
Text: Prof. Dr. Ernst-Andreas Ziegler
Nachtrag: Prof. Ernst-Andreas Ziegler: „Unsere Kinder sind natürlich längst erwachsen. Doch die kleine Weihnachts-Geschichte ‚Schöne Bescherung‘ ist bei Familientreffen immer wieder Gesprächsthema“.
Das Buch „Auf der Suche nach der Wuppertaler Seele“ ist im BORN-Verlag Wuppertal erschienen.
ISBN 10: 3870930780 – ISBN 13: 9783870930783 – Verlag: Born, J H, 1996
Wer also noch ein ausgefallenes, gehaltvolles, anspruchvolles Weihnachtgeschenk sucht…
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