5. Januar 2022

Wie gut sind Lehrkräfte auf ihren Beruf vorbereitet?

„Angehende Lehrkräfte sind schlecht auf den Beruf vorbereitet“, sagt der Passauer Schulpädagogik-Professor Norbert Seibert und mischt damit die bundesdeutsche Bildungslandschaft gehörig auf. Ohnehin schon niedrige Standards würden nicht erreicht, ein Großteil der Lehrkräfte sei ungeeignet und mangelnde Präsenzveranstaltungen hätten die Durchfallquote fast verdoppelt. Wie sieht das die Diplom-Psychologin Dr. Kathrin Fussangel.

Diplom-Psychologin Prof. Dr. Kathrin Fussangel – © UniService Transfer

Diplom-Psychologin Prof. Dr. Kathrin Fussangel forscht und lehrt am Institut für Bildungsforschung der Bergischen Universität. Mit ihr hat sich Uwe Blass im Rahmen der Uni-Reihe „Transfergeschichten“ unterhalten.

Sind angehende Lehrkräfte wirklich so schlecht auf den Beruf vorbereitet?

Dr. Kathrin Fussangel: „Ich finde, dass wir die Lehramtsstudierenden eigentlich ganz gut vorbereiten“, beginnt die Wissenschaftlerin, deren Hauptaugenmerk auf der Empirischen Schulforschung liegt. Man müsse die verschiedenen Vorbereitungsformen im Rahmen der Professionalisierung von Lehrkräften berücksichtigen.

„Wir reden in der Lehrerbildung tatsächlich von drei Phasen der Lehrerbildung. Die erste Phase ist das Universitätsstudium, in der eher theoretische, wissenschaftliche Grundlagen vermittelt werden. Dann kommt das Referendariat als praxisbezogene Ausbildungsphase und die gesamte berufliche Praxis wird als dritte Phase der Lehrerbildung bezeichnet, denn das lebenslange Lernen spielt natürlich auch bei Lehrkräften eine große Rolle.“

Man müsse sich auch als Lehrperson immer fort- und weiterbilden, Lerngelegenheiten in der Schule nutzen, mit Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten und sich dort auch ständig weiterbilden. Ein Universitätsstudium vermittele im Wesentlichen die wissenschaftlichen und theoretischen Grundlagen, und das gelänge in Wuppertal sehr gut.

„In den letzten Jahren gibt es tatsächlich auch Bemühungen, die Verzahnung zwischen Theorie und Praxis zu stärken“, erklärt Fussangel. „So haben wir ja auch hier in Wuppertal im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung einen Schwerpunkt mit Blick auf das Praxissemester.“

Kids bei den Schularbeiten – © Pixabay

Diese erweiterte Praktikumsphase im Studium werde von den Studierenden gut angenommen, müsse aber intensiv begleitet werden. Die Anleitung zur Reflexion dieser Erfahrungen vor dem Hintergrund des theoretisch Gelernten gehöre zu den wichtigen Aufgaben im Praxissemester für die Bildungswissenschaften und sei für die Studierenden von wesentlicher Bedeutung.

Eigene Rolle als Lehrerin oder Lehrer reflektieren

„Die Studierenden im Praxissemester begleiten über eine längere Phase dieselbe Lerngruppe und bekommen ein Gefühl dafür, wie sich eine Beziehung zwischen Lehrer und Schüler entwickeln kann“, erklärt Fussangel. „Wir müssen sehr früh im Studium mit den Studierenden ihre eigene Lehrerrolle reflektieren. Was heißt es eigentlich, Lehrkraft zu sein? Was hat das mit mir als Person zu tun? Wie kann ich Interaktionen mit Schülerinnen und Schülern gestalten, und welche Anforderungen hat der Lehrerberuf überhaupt an sich?“

Die Rückmeldungen der Studierenden würden deutlich zeigen, dass sie im Praxissemester viel gelernt hätten und mit dieser Erfahrung sehr zufrieden seien. „Das halbe Jahr tatsächlich in der Schule sein zu können, hat Vorteile“, sagt die Psychologin und fährt schmunzelnd fort, „auch wenn sie sich dann natürlich beschweren, wenn sie wieder zurück an die Uni müssen.“

Sie seien regelrecht praxishungrig und es falle einigen nach einer so langen Zeit schwer, sich wieder dem Universitätsalltag anzupassen. Die kontinuierliche Reflexion des Erlernten müsse man das gesamte Studium über mit verschiedenen Schwerpunkten immer wiederholen.

Die Pandemie mit der Absage an Präsenzveranstaltungen hin zu digitalen Formaten hat alle Lehrenden vor neue Hausforderungen gestellt. Dabei hat Fussangel auch gute Erfahrungen mit digitalen Prüfungen gemacht. „Bei uns haben sich die Ergebnisse der Prüfungen nicht grundlegend verändert. Wir haben natürlich auch im Kollegenkreis intensiv über die Vor- und Nachteile dieser digitalen Prüfungsformate diskutiert, aber im Großen und Ganzen sind wir damit gut durch diese Coronazeit gekommen.“

Sind die Studienordnungen zu praxisfern?

Immer wieder entzündet sich die Kritik der mangelnden Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit junger Lehrkräfte im Schuldienst auch an den scheinbar zu praxisfernen Studienordnungen. Dazu Dr. Kathrin Fussangel: „Natürlich kann man der Lehrerbildung den Vorwurf machen, dass sie theorielastig und wissenschaftsbasiert ist. Ich halte das aber für wichtig, denn Lehrkräfte müssen Schülerinnen und Schülern Fachwissen vermitteln. Sie müssen eine gute fachliche Basis haben. Das ist relevant für die Gestaltung von didaktischen Konzepten.“

Ein Klassenzimmer heute – © Pixabay

Gleichwohl findet sie die Erhöhung der Praxisanteile, wie es im bestehenden Praxissemester der Fall ist, gut, deren verschiedene Perspektiven jedoch noch besser zusammengeführt werden müssten. „In Wuppertal sind wir auch auf dem Weg, z.B. die Verzahnung zwischen den Institutionen weiterzuentwickeln. Die Studierenden werden ja im Praxissemester einerseits von der Universität begleitet, aber auch von den Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung, also von den ZfsL, und sie haben noch Mentoren an den Schulen, die sie begleiten. Diese drei Perspektiven zusammenzuführen, das ist die große Herausforderung.“

Zwar gibt es im internationalen Vergleich durchaus Lehrerausbildungsmodelle, die in dualer Form immer parallel Universität und Schule anbieten, aber die wissenschaftliche Grundlage, die geschaffen werden muss, um auch eine gute Lehrperson zu sein, hält die Wissenschaftlerin für wichtig.

Distanzunterricht vernachlässigt sozial-emotionale Kompetenzen

Online-Zoom-Meetings fördern nicht gerade das Sozialverhalten. Berufsanfänger haben häufig Probleme damit, die komplexe soziale Situation im Unterricht zu bewältigen und berichten von einem erhöhten Stresserleben. Wie fördert man ob solcher Bedingungen die sozial-emotionalen Kompetenzen angehender Lehrerinnen und Lehrer?

„Unter Coronabedingungen war das tatsächlich schwierig“, berichtet Fussangel und hat dahingehend auch eigene Erfahrungen gemacht. „Man sitzt vor dem Bildschirm mit 30 Kacheln, die Hälfte der Zuschauer hat die Kamera nicht eingeschaltet. Es war auch für die Praxisphasen schwierig, weil die Studierenden nicht in die Schulen konnten, da diese geschlossen waren.“

Nach der Wiedereröffnung hätten die Schulen wiederum mit vielen Problemen zu kämpfen gehabt, so dass dann auch Studierende weniger Unterrichtserfahrung sammeln konnten. Die direkte Kontaktaufnahme zu Schülerinnen und Schülern über digitale Formen sei schwierig und die Beziehungsgestaltung sicher zu kurz gekommen. „Das muss man jetzt nachholen. Wenn man sich dessen bewusst ist, erkennt man auch, dass man Interaktionsgestaltung und Unterrichtsgespräche lernen und trainieren kann..“

Lehrer sein = tägliche Interaktion mit Kindern und Jugendlichen

Wenn man ein Lehramtsstudium aufnimmt, um danach im Schuldienst zu arbeiten, sei eine der Grundvoraussetzungen die Begeisterung an der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, postuliert Fussangel. Niemand wisse schon zu Beginn, wie sich die berufliche Tätigkeit als Lehrerin und Lehrer für einen selber entwickeln werde, aber, „die Kompetenzen, die man für den Lehrerberuf braucht“, sagt sie, die könne man erlernen und damit auch Routinen entwickeln, für die man wiederum die theoretischen Grundlagen brauche, die eine Universität biete.

Ein Computer darf heute im Schüler-Alltag nicht fehlen – © Pixabay

Erst dann könne ein realistisches Bild des Lehrerberufes mit all seinen Aufgaben entstehen. Jeder von uns war einmal in der Schule und Fussangel weiß, dass wir alle Bilder in unseren Köpfen haben, die positiv oder auch negativ sind. Davon sollten sich Lehramtsstudierende allerdings lösen, und durch wissenschaftliche und theoretische Hochschulangebote die eigene Lehrerrolle neu entwickeln. „Der Lehrerberuf bedeutet, dass man jeden Tag in die Interaktion mit Kindern und Jugendlichen tritt. Das ist die Haupttätigkeit unabhängig vom Fach. Dafür muss man sich begeistern können. Wenn man zudem noch für das eigene Fach brennt, dann kann man auch andere begeistern und motivieren.“

Damit ist Fussangel einer Meinung mit dem Potsdamer Professor für Erziehungswissenschaftliche Bildungsforschung, Dirk Richter, der sagt: „Ein guter Lehrer muss vor allen Dingen gut erklären können, er muss sich in seinem Fach gut auskennen, er muss pädagogische und psychologische Kenntnisse, aber auch Spaß am Unterricht haben, und sich aktiv in die Schule einbringen. Und zu guter Letzt gehört natürlich auch Respekt und Wertschätzung gegenüber den Schülerinnen und Schülern dazu.“

Eine stärkere Verzahnung von universitärer und schulischer Ausbildung der Lehramtsstudierenden, dazu mehr Zeit für den Austausch mit Kollegen, für Fortbildungen sowie für die Reflexion über den eigenen Unterricht, wären wünschenswerte Rahmenbedingungen, die sich bei den Schülerinnen und Schülern im Schulalltag auszahlen würden.

Uwe Blass

 

Über Prof. Dr. Kathrin Fussangel

Prof. Dr. Kathrin Fussangel leitet den Bereich Empirische Schulforschung am Institut für Bildungsforschung in der School of Education an der Bergischen Universität.

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