26. Januar 2022

Experte „Kalla“ Scheer rechnet mit dem Handball ab

Die deutschen Handballer sind gescheitert. Bei der Europameisterschaft in Ungarn und Slowenien kam das „Aus“ bereits in der Hauptrunde. In erster Linie Corona bedingt, wie man weiß. Wir haben über die Situation mit dem Wuppertaler Handball-Experten Karl-Heinz Scheer gesprochen, den in Handballer-Kreisen alle nur "Kalla" nennen.

Karl-Heinz „Kalla“ Scheer (l.) mit Dargur Sigurdsson, ehemaliger Nationaltrainer, Europameister  und Spieler des LTV Wuppertal – © privat

Der Wuppertaler Steuerberater Karl-Hein „Kalla“ Scheer (76) hatte durch kluges Management beim LTV den Wuppertaler Handball 1996 in die Bundesliga geführt. Sein Fazit zur aktuellen Situation: „Es werden viele Fehler gemacht, zu viele!“

DS: Wie schätzen Sie das Abschneiden der deutschen Mannschaft ein?

„Kalla“ Scheer: „Unsere Mannschaft ist sportlich ausgeschieden, daran ist nicht zu rütteln. Was mich allerdings sehr aufregt, ist der Umgang mit unserem Team durch den Europäischen Verband (EHF). Wir hatten coronabedingt mit 15 betroffenen Akteuren den Totalausfall der halben Mannschaft und konnten uns nur retten, weil wir nachnominierten. So wurden auch die Rückraumspieler David Schmidt und Lukas Stutzke (beide Bergischer HC) nach Bratislava beordert. Was hätte es geschadet, wenn der EHF dem deutschen Team ihrem Wunsch entsprechend eine Spielverlegung nur um einen Tag zugestanden hätte? Die Gesundheit der Sportler  sollte auch hier Vorrang haben. Man muß dazu wissen, dass unsere Handballer im europäischen Verband so gut wie keinen Einfluss haben, obwohl es vor allem hiesige Firmen sind, die das ganze Spektakel mit Werbung finanzieren.“

DS: Warum hat die Mannschaftsleitung die Mannschaft angesichts dieser Situation nicht einfach zurückgezogen und ist abgereist?

„Kalla Scheer“: „Das wollte sie ja. Da hat der EHF aber mit drakonischen Strafen gedroht. Die deutsche Mannschaft wäre gesperrt worden und hätte bei den nächsten internationalen Wettbewerben nicht mehr teilnehmen können.“

Wurde für die EM nachnominiert: BHC-Rückraumspieler Martin Schmidt – © BHC 06

DS: Sie kritisieren also die Politik des EHF?

„Kalla“ Scheer: „So ist es. Der EHF hat sich in den letzten Jahren in der Verwaltung von drei auf 78 Mitarbeiter aufgebläht. Bei der Europameisterschaft, die 2024 in Deutschland ausgerichtet wird, plant man Handballspiele in der Düsseldorfer Merkur-Arena (früher Rheinstadion) und kalkuliert mit 50.000 Zuschauern. Das ist Handball wie bei „Playmobile“. Das ist nicht mehr basisgerecht und schadet dem Ansehen des Handballsportes, der in der Halle auf dem Kleinfeld seine Wirkung erzielt. Es geht offenbar nur noch um Geldverdienen, da kann ich nur noch mit dem Kopf schütteln. Mit 18.000 Zuschauern, wie etwa in der Kölner Lanxess Arena möglich, sind die Grenzen des machbaren erreicht.“

DS: Für den deutschen Handball war es das siebte Turnier hintereinander ohne Halbfinalteilnahme. Wo liegen die Gründe für das schwache Abschneiden in den letzten Jahren und wie sehen Sie die sportliche Entwicklung des Handballs überhaupt in Deutschland?

„Kalla“ Scheer: „Die Fehler springen einen förmlich an. Da gibt es die Vorgabe, dass jeder Erst-Bundesligist ein Jugendzertifikat haben soll, andernfalls 20.000 Euro Strafe abdrücken muß. Das Ergebnis ist, dass außer Julian Köster heute nicht ein einziger deutscher Nationalspieler aus diesen Jugendzentren kommt. Spieler wie Stefan Kretzschmar, Martin Schwalb oder Andreas Thiel waren noch Naturtalente, die von ihren Vereinen gefördert zu Weltstars wurden.“ 

DS: Damit ist das Phänomen aber noch nicht erklärt. Wo liegen die Gründe wirklich?

„Kalla“ Scheer: „Die Vereine konzentrieren sich vor allem auf dem Weltmarkt und kaufen hier die Spieler ein, die sie zu brauchen glauben. Eigene Nachwuchsarbeit gerät damit ins Hintertreffen. Der SC Magdeburg bildet da ein absolutes Negativbeispiel. Hinzu kommt, dass die Spieler inzwischen aufgrund der aufgeblähten Spielpläne überfordert werden. Die Mannschaften kommen leicht auf 70 Spiele im Jahr, rechnet man alle Bundesliga, Pokal und Spiele in internationalen Wettbewerben zusammen. Da das Jahr ja bekanntlich nur 52 Wochen hat, kommt es dazu, dass inzwischen sogar Weihnachten gespielt wird. Der deutsche Handball-Bundestrainer Alfred Gislason ist ein armer Kerl, hat er seine Spieler doch so wenig zusammen wie kein anderer internationaler Trainer im Vergleich. Da darf man sich auch nicht wundern, wenn einzelne Spieler ihre Teilnahme an großen Turnieren einfach absagen, weil sie auch einmal ein paar Tage zu Hause sein wollen. Hier unterscheidet sich indessen die deutsche Mentalität von der anderer Ländern, was am Ende für uns zum Wettbewerbsnachteil führt.“

Wurde bei der EM nachnominiert: Lukas Stutzke – © BHC 06

DS: Wo sehen Sie denn überhaupt Lösungsansätze?

„Kalla“ Scheer: „Ich hätte schlicht die zahlreichen deutschen Sponsoren der Europameisterschaft eingeladen und mit denen nach Lösungen gesucht. Wenn es um das Geld geht, reagiert der europäische Verband.“

DS: Und wie sehen sie die Entwicklung des Handballs in Wuppertal?

„Kalla“ Scheer: „Wir haben mit dem BHC eine ausgezeichnete Vertretung, die sich sehr gut behauptet. Allerdings sehe ich keine Stimmigkeit zwischen Solingen und Wuppertal. Das ist noch keine Bergische Einheit. Ich hätte mir auch mehr Einsatz seitens der Politik gewünscht, die notwenige Sporthalle in Wuppertal zu bauen. Mit der ehemaligen Post am Kleeblatt hätten wir hierzu ein ideales Gelände mit Anbindung an die erforderliche Infrastruktur. Hier hätte sich unser Oberbürgermeister ganz anders ins Zeug legen müssen. Auch die Wuppertaler Wirtschaft hat es nach meiner Ansicht am notwenigen Engagement fehlen lassen. Eine „Barmenia-Halle“ oder „Vorwerk-Arena“ als Namensgeber wäre ein glänzender Werbeträger gewesen. Diese Chance wurde vertan.“

Das Interview führte Siegfried Jähne 

Link zur Webseite von Karl-Heinz „Kalla“ Scheer:

http://www.kalla-scheer.de

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