16. Februar 2022Peter Pionke
Rasante Wege ozonschädigender Substanzen in die Stratosphäre
Atmosphärenphysiker der Bergischen Universität Wuppertal haben während einer Messkampagne mit dem Forschungsflugzeug HALO stark erhöhte Konzentrationen ozonabbauender Substanzen in der unteren Stratosphäre über dem Nordatlantik beobachtet und die Transportwege dieser Luftmassen bis zu ihren Ursprungsregionen am Boden analysiert.
Die Studie, an der auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Forschungszentrum Jülich und der Universität Mainz beteiligt sind, wurde Anfang der Woche im international renommierten Fachjournal Atmospheric Chemistry and Physics als „Highlight“ veröffentlicht.
Die Ergebnisse belegen erstmals durch direkte Beobachtung, dass kurzlebige organische Chlorverbindungen, die hauptsächlich in Asien produziert und in die Atmosphäre abgegeben werden, im Sommer durch den asiatischen Monsun auf über 14 Kilometer Höhe katapultiert und dann global in der unteren Stratosphäre weiter verteilt werden, wo sie zum Abbau der Ozonschicht beitragen.
Erwartete Erholung könnte sich verzögern
Um der fortschreitenden Schädigung der stratosphärischen Ozonschicht entgegenzuwirken, ist die Herstellung ozonabbauender Substanzen schon seit den späten 1980er Jahren durch internationale Abkommen reguliert. Daraufhin wurde insbesondere die Produktion der sehr langlebigen und schädlichen Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs) fast vollständig eingestellt. Hingegen wurde die Herstellung sehr kurzlebiger chlorierter Kohlenwasserstoffe, darunter Dichlormethan (CH2Cl2) und Chloroform (CHCl3), bis heute nicht reguliert.
Da diese Substanzen in der unteren Atmosphäre, also unter acht Kilometern Höhe, binnen weniger Monate bereits abgebaut werden, wurde bislang angenommen, dass sie nur in sehr geringen Mengen in die Stratosphäre gelangen. Allerdings hat sich die Produktion dieser beiden Substanzen in Asien, insbesondere in China, in den letzten 20 Jahren stark erhöht, sodass neuere Modellsimulationen der Erdatmosphäre eine starke Zunahme dieser Substanzen auch in der unteren Stratosphäre prognostizieren.
Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, könnte sich die erwartete Erholung der Ozonschicht in den nächsten Jahrzehnten signifikant verzögern.
Messungen mit neuen Instrumenten zeigen deutlich erhöhte Werte
Ein Team von Wuppertaler Atmosphärenphysikern unter Leitung von Prof. Dr. Michael Volk hat in den vergangenen Jahren ein neues Instrument „HAGAR-V“ entwickelt, um auf dem Forschungsflugzeug HALO bis 15 Kilometer Höhe direkte und räumlich hoch aufgelöste Messungen einer ganzen Reihe klimawirksamer und ozonschädigender Spurengase durchzuführen.
Im Rahmen der vom Forschungszentrum Jülich und der Universität Mainz koordinierten HALO-Mission WISE (Wave-driven Isentropic Exchange) wurden damit im September und Oktober 2017 vom irländischen Shannon aus über dem Nordatlantik unter anderem die Konzentrationen von Dichlormethan und Chloroform gemessen. Bei mehreren von insgesamt 15 Messflügen wurden – gegenüber typischen Hintergrundwerten – um bis zu 150 Prozent erhöhte Konzentrationen festgestellt.
Mithilfe von Berechnungen zur Luftbewegung sowie Modellsimulationen am Forschungszentrum Jülich konnte gezeigt werden, dass diese stark mit Dichlormethan und Chloroform angereicherten Luftmassen größtenteils aus bodennahen Schichten im süd- und ostasiatischen Raum stammen. Sie stiegen im Bereich des asiatischen Monsuns schnell auf über 14 Kilometer, dann langsamer noch einige Kilometer weiter in die Stratosphäre auf, bis sie östlich über den Pazifik und Nordamerika transportiert wurden und schließlich nach insgesamt sechs bis elf Wochen Transportzeit über dem Nordatlantik beobachtet wurden.
Das neu entwickelte Instrument „HAGAR-V“
„Unsere Messungen und Analysen zeigen, wie stark die Zusammensetzung der Luft in der unteren Stratosphäre durch den asiatischen Monsun bestimmt wird und wie die globale Ausbreitung der durch den Monsun eingetragenen Luftmassen im Detail funktioniert“, erklärt Prof. Dr. Michael Volk. „Bodennahe Luftmassen aus ganz Süd- und Ostasien, die mit Luftschadstoffen und Treibhausgasen angereichert sind, werden durch den Monsun wie durch einen riesigen Fahrstuhl auf direktem Weg in die untere Stratosphäre katapultiert, wo sie sich anschließend weltweit verteilen. Weil dieser Transport so schnell geht, bleibt auch bei kurzlebigen Schadstoffen wie Dichlormethan und Chloroform nicht genügend Zeit für chemischen Abbau, sodass sie die Stratosphäre fast unvermindert erreichen.“
Die Zukunft der Ozonschicht ist maßgeblich von Emissionsentwicklung im süd- und ostasiatischen Raum bestimmt.
Einen weiteren rasanten Transportweg in die Stratosphäre haben die Wuppertaler Forscher über Zentralamerika identifiziert, hier in Verbindung mit dem nordamerikanischen Monsun oder punktuell durch Hurrikane. „Auf mehreren Flügen haben wir Luftmassen beobachtet, die wenige Wochen vorher vom Hurrikan Maria in der Karibik direkt senkrecht auf über 14 Kilometer Höhe geschleudert wurden. Danach querten sie nordöstlich in die Stratosphäre über dem Nordatlantik“, erläutert Dr. Valentin Lauther, Erstautor der Studie.
„Anders als in Asien steht der „Fahrstuhl“ in die Stratosphäre hier aber nicht in einer Region mit starken Emissionsquellen am Boden. Die Luft, die aus dem zentralamerikanischen Raum in die Stratosphäre gelangt, ist vergleichsweise sauber.“
Vor allem der asiatische Sommermonsun stellt also eine effiziente Kopplung der wichtigsten industriellen Quellregionen von Dichlormethan und Chloroform mit der unteren Stratosphäre dar. Die Zukunft der Ozonschicht wird damit maßgeblich von der Entwicklung der Emissionen dieser Gase im süd- und ostasiatischen Raum abhängen.
Link zur Originalarbeit: https://doi.org/10.5194/acp-22-2049-2022
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