6. Mai 2022Peter Pionke
Putins Krieg hat Krystynas Glück zertrümmert
Krystyna Volobuiera (38), Buchhalterin in einem Unternehmen, das auf die Produktion von Special-Ziegelsteinen für Kamine und Öfen herstellte, und Eheman Sergey (41), Betreiber E-Scooter-Firma, besassen alles, was sie sich erträumt hatten.
Es gab keine Geldsorgen und im Freundeskreis waren sie beliebt. Ihren Kater hatten sie von einer Deutschland-Reise mitgebracht. Stiven Kotlinger fristete bis dahin sein Leben in einem Tierheim.
Die dramatische Flucht aus ihrer Heimatstadt Donezk vor den Russen 2014 hatten sie fast vergessen oder zumindest verdrängt. Nichts deutete lange Zeit darauf hin, dass die Vergangenheit Krystyna Volobuiera und Sergey Volobuier einholen und das Schicksal so grausam und so erbarmungslos zuschlagen würde.
Die Hölle begann am 23.02.2022, dem Tag, an dem Putins Tuppen in die Ukraine einmarschierten und sofort Raketenangriffe auf Mariupol starteten. Das Hochhaus, in dem das Ehepaar mit seiner Tochter wohnte, wurde von mehreren schweren Geschossen getroffen und brannte zum Teil aus.
Krystyna, Sergey und Elina flüchteten mit Kater Steven Kotlinger im Gepäck zu Freunden, die ein Einfamilienhaus in einem Vorort von Mariupol bewohnten, dessen Keller zu einer Art Bunker ausgebaut war.
„Tage und Nächte haben wir dort im Keller verbracht. Verlassen haben wir den sicheren Ort nur, wenn wir Lebensmittel einkaufen mussten. Rund um die Uhr hörten wir die Raketeneinschläge. Nachts hatte jeder von uns eine Taschenlampe griffbereit, damit wir im Notfall schnell reagieren konnten“, schildert Krystyna.
Wer kann Krystyna und Elina helfen?
Wer hat ein Job für Krystyna? Wer kann ihr, ihrer Tochter und ihrem Kater eine Wohnung zur Verfügung stellen? Wenn Sie helfen können, melden Sie sich bitte unter info@standwithua.de – unter p.pionke@diestadtzeitung.de oder unter Mobil: +49-172-2998338.
Sie zeigt mir ein Handy-Video, das Raketeneinschläge und Verwüstung in Mariupol hautnah zeigt. Fast noch schlimmer als die Bilder ist der Ton. Alle paar Sekunden zischt es, kracht es. Furchtbare Geräusche, die durch Mark und Bein gehen.
Krystyna berichtet, dass sie verzweifelte Mütter gesehen hat, die ihre Kinder neben ein paar Tüten mit Lebensmitteln in einen Supermarkt-Einkaufswagen gesetzt haben und damit zu Fuß aus Mariupol geflüchtet sind. „Einige haben auf diese Weise 50 Kilometer zurückgelegt. Wer Glück hatte, war nach dem Gewaltmarsch völlig erschöpft, aber vorerst in Sicherheit. Viele Mütter haben es aber leider nicht geschafft“, weiss die 38jährige.
Krystyna und Sergey hatten das vermeindliche Glück, ein Auto, einen weissen Toyota, zu besitzen, der zudem vollgetankt war, obwohl Sprit zu der Zeit schon absolute Mangelware in der umkämpften Stadt war. Mit diesem wollten sie aus Mariupol flüchten, sobald sich ein sicherer Fluchtkorridor auftat.
Immer mehr Menschen suchten in dem Haus der Freunde der Volobuiers Schutz. So auch am 15.03.2022. Sergey stand draußen im Garten vor der Stahltür zum Keller, wies den Neuankömmlingen den Weg und liess ihnen den Vortritt. Plötzlich wurde er von einem 30 x 25 Zentimeter großen Metall-Teil getroffen – ein Raketen-Trümmer.
Lebensgefährlich verletzt sank Sergey zu Boden. Der 41jährige verblutete vor den Augen seiner völlig verzweifelten Ehefrau Krystyna. Bittere Tränen fliessen ihre Wangen hinunter, als sie diese dramatische Szene schildert, die ihr Leben für immer veränderte.
Tochter Elina musste diese tragischen Bilder zum Glück nicht miterleben. Sie hielt sich während des dramatischen Zwischenfalls im Bunker-Keller auf.
Die anderen total geschockten Flüchtlinge ließen das Mädchen erst nach oben, als der Leichnam ihres Vater vom vielen Blut gereinigt und in eine Plastikfolie gehüllt war. Elena glaubt bis heute, dass ihr Vater sein Leben geopfert hat, um sie zu retten. Diese Überzeugung hilft ihr wahrscheinlich, den plötzlichen Tod ihres Vaters ein wenig besser zu verarbeiten.
Eigentlich sollte Sergey noch am gleichen Abend beerdigt werden. Männer begannen damit, ein Grab im Garten auszuheben. Dabei entdeckten sie in der Nähe eine verdächtige Person, die mit einem Mobiltelefon hantierte. Aus Sorge, es könnte sich um einen russischen Informanten handeln, der für die Truppe mögliche Angriffsziele markiert, zogen sie sich aus Sicherheitsgründen in den Bunker zurück.
Sergeys Leichnam wurde für die Nacht in einem Schuppen abgelegt. Gerüchte von einen grünen Korridor – also einem Fluchtkorridor – machten die Runde. Krystyna entschloss sich, am nächsten Morgen (16.03.) einen Fluchtversuch zu starten.
Krystyna und Elena hoben Sergeys Körper kurz vor Sonnenaufgang in den SUV und fuhren los. Mit dabei Kater Stiven Kotlinger. „Ich habe es nicht übers Herz gebracht, meinen toten Mann einfach zurück zu lassen. Ich wollte, dass er als gläubiger Christ ein würdiges Begräbnis bekommt“, erzählt die Ukrainerin. Was für eine starke Frau!
Sie fuhren Richtung Jalta. Auf halber Strecke gab es einen kleinen Ort, in dem Freunde von Krystina und Sergey wohnten. Dort auf dem Friedhof sollte ihr Mann würdevoll beerdigt werden.
Das große Problem: Es gab keinen offiziellen Flucht-Korridor. Überall brennende Häuser, die Straße war wegen der starken Rauchentwicklung kaum zu erkennen. Am Steuer saß eine Frau, die ihren schier unerträglichen Schmerz am Liebsten mit Medikamenten betäubt hätte.
Aber sie musste alle Sinne beisammen haben und voll konzentriert sein, in dieser dramatischen, lebensgefährlichen Situation. „Ich hatte meinem Mann versprochen, dass ich unsere Tochter aus der Hölle Mariupol heraus und in Sicherheit bringen würde“, so erklärt Krystyna, warum sie in dieser Notsituation fast übermenschliche Kräfte entwickelte.
„Ich war aber auch offen und ehrlich zu meiner Tochter. Ich habe ich gesagt, dass wir damit rechnen müssten, dass wir von einer Rakete oder einer Granate getroffen würden. Dann sei das eben so, dann wären wir eben alle drei tot“, verrät sie heute.
Immer wieder, wenn Leichen Strassenrand lagen, forderte Krystyna ihre Tochter auf, die Augen zu schließen. Sie wollte dem Mädchen diesen grauenvollen Anblick ersparen.
In dem kleinen Ort, in dem die Freunde wohnten, gab es auch einen Bestatter. Hier kaufte Krystyna einen Sarg, ein Kreuz und Blumengestecke für eine christliche Beerdigung.
Eine kleine Trauergemeinde trug Sergey dann auf dem Dorffriedhof zu Grabe. Ihr geliebter Mann hatte doch noch eine würdevolle letzte Ruhesstätte gefunden. Krystyna und Elena hoffen, diese irgendwann einmal wieder besuchen zu können.
Ihre Flucht ging weiter. An 18 russischen Checkpoints musste Krystyna anhalten – immer in Angst, gefangen genommen zu werden. Ihr Handy versteckte sie vor jedem Kontrollpunkt. Auf Smartphone waren die Fotos vom brennenden Häuserfluchten in Mariupol, von ihrem getöteten Mann, von dessen Beerdigung und von toten Zivilisten am Straßenrand abgespeichert. Fotos, die später einmal als Beweise dienen könnten.
Mutter und Tochter erlebten mit, wie ein anderes Auto von bis an die Zähne bewaffneten russischen Soldaten durchsucht, alle Lebensmittel und ein Laptop „beschlagnahmt“ wurden.
Persönlich bedroht oder belästigt wurde Krystyna zum Glück nicht. Dazu 38jährige: „Mich liess man möglichweise in Ruhe, weil meine Tochter mit im Auto sass und weil ich die ganze Zeit rote, total verweinte Augen hatte. Ich habe unterwegs viele Tränen um meinen Mann vergossen.“
Über Winnyzja landeten die tapfere Mutter und ihre Tochter schließlich in der polnischen Hauptstadt Warschau. Endlich in Sicherheit!
Beim Surfen im Internet stieß Krystyna Volobuiera auf die Webseite „Stand wist UA“, der Initiative, die von den gebürtigen Ukrainern Yevgen Besedin, seiner Ehefrau Iryna Grussu, Oleg Punov sowie der Wuppertaler Ex-Stadtverordneten Rosemarie Gundelbacher und dem Bundestagsabgeordneten Helge Lindh gegründet wurde.
Sie nahm Kontakt mit der Intiative auf und nach einem Telefongespräch stand für sie fest: „Ich möchte mit meiner Tochter nach Wuppertal“. „Stand with UA“ hatte für beide schnell einen Platz in einer Flüchtlingsunterkunft im Tal organisiert.
Am 26. März kamen Krystyna, Elena mit Kater Stiven Kotlinger im Schlepptau in Wuppertal an. Außer dem Auto war den beiden Ukraine-Flüchtlingen nur das geblieben, was sie am Leib trugen: Jeans und T-Shirt.
Die Ukrainerin, die in Donezk geboren wurde, von dort 2014 nach Mariupol flüchtete, wo sie glaubte, in Sicherheit zu sein, denkt oft an ihre Freunde, die immer noch in der fast völlig zerstörten Stadt ausharren, telefoniert regelmässig mit ihnen. Ihr ist zum zweiten Mal die Flucht vor der russischen Arme gelungen.
Putins Krieg hat sie zur Witwe gemacht. Ein hoher, ein bitterer Preis! Ihr geliebter Ehemann starb einen völlig sinnlosen Tod – wie viele seiner unschuldigen Landsleute.
Inzwischen besucht Elena in Wuppertal ein Gymnasium. Mutter Krystyna hat sich sofort für einen Deutschkurs angemeldet.
Ihre Zukunft sieht sie in Deutschland. Sie hofft, schnell einen Job als Buchhalterin zu finden, damit sie sich eine kleine Wohnung leisten kann, um darin mit Tochter Elena und Kater Stiven Kotlinger in Frieden zu leben.
„Wenn wir uns in einem halben Jahr wieder treffen, unterhalten wir uns auf Deutsch“, lässt sie mir zum Abschied über Yevgen Besedin ausrichten, der als Dolmetscher fungiert. Zum ersten Mal huscht ein kleines Lächeln über ihr Gesicht.
Ich kaufe der starken, tapferen Frau dieses Versprechen ab.
In die Ukraine zurück will sie nur, um ihre Freunde zu besuchen und natürlich auch das Grab ihres Ehemannes Sergey.
Text: Peter Pionke
Link zur Webseite der Initiative „Stand with UA“
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