5. Juni 2022Peter Pionke
„Die Welt ist wie sie ist, nicht wie sein soll“
So erklärt sich, dass jetzt von den Wuppertaler Bühnen in Kooperation mit dem Theater Luxemburg „Goethes Stella“ als ein Schauspiel für Liebende präsentiert wird.
Stefan Maurers Inszenierung leuchtet das utopische Potential der frühen Textfassungen von Goethe aus. Premiere ist am Samstag (11.06.) im Theater am Engelsgarten.
Die Uraufführung 1776 in Hamburg war ein gesellschaftlicher Skandal und bekam „Aufführungsverbot“, weil sein freiheitliches Werk dem Gedanken nach Absolutheit der damaligen Zeit widersprach. Goethe arbeitetet das Stück später um und gab ihm ob der „gesellschaftlichen Verwerfungen“ einen tragischen und damit angemessenen, zeitgemäßeren Schluss.
Goethe veränderte 1806 die Weimarer Inszenierung
In der Weimarer Inszenierung 1806 veränderte der Dichter das Stück und ließ die Ménage à trois„ (Ehe, Familie zu dritt“) durch kollektiven Freitod verhindern. Obwohl weit über 200 Jahre her, findet sich nach Meinung des im Wuppertaler Schauspiel tätigen freien Regisseur Stefan Maurer auch in der heutigen Gesellschaft noch immer antiquiertes Gedankengut. Handlung und Sujets, also Gegenstand und Motiv der künstlerischen Gestaltung, sind auf sein Leben und die heutige Gesellschaft projiziert.
„Die Welt ist wie sie ist, nicht wie sein soll“, so Stefan Maurer. Er erkennt Goethes Sehnsucht nach Lässigkeit und Freiheit, die er in der Realität so nicht auszuleben vermochte. Der Dichter soll ein durchaus turbulentes Liebesleben gehabt haben, dessen Beziehungen allerdings oft nicht zu seiner Zufriedenheit liefen. „Stella“ soll jetzt einen Beleg liefern, wie sich gesellschaftliche Normen manifestieren und einen Veränderungsprozess nur ganz langsam in Gang bringen lassen.
Aufbruchstimmung mit Willy Brandt
Als Beispiel nennt der 1965 in Karlsruhe geborenen und in Frankfurt aufgewachsene Maurer die 1970ger Jahre, als schon die Frisur mit langen Haaren zur weltanschaulichen Bedeutung wurde und durchaus tief greifende Ablehnung erfahren ließ. Ex-Bundeskanzler Will Brandt stehe exemplarisch für die folgende damalige Aufbruchstimmung, als er sich in den USA im Freizeitlook mit Badehose und einer Dose Cola fotografieren ließ.
Die Leichtigkeit der damaligen Zeit seien heute verflogen. Eher verkrampft würden Genderfragen diskutiert, statt Emanzipation selbstverständlich zu nehmen, was die Sehnsucht nach Entspannung erst recht nähre.
Die Zwei Frauen – ein Mann. Kampf und Utopie. Stella hängt der Liebe zu einem Mann nach, der sie vor Jahren verlassen hat. Sie lebt sehr zurückgezogen und will eine junge Frau, Lucie, zur täglichen Hilfe einstellen. Lucie reist mit ihrer Mutter Cäcilie an.
Diese erkennt in Stellas Schicksal zugleich ihr eigenes: Auch sie liebt einen Mann, der sie verlassen hat. Als Fernando eintrifft, um zu Stella zurückzukehren, stellt sich heraus, dass beide Frauen von ihm verlassen worden sind. Cäcilie ist seine ehemalige Frau, Lucie seine Tochter und Stella die Geliebte. Das Verwirrspiel der großen Gefühle beginnt: Gibt es einen Weg, Liebe und Freundschaft unter einen Hut zu bringen? Gar in Form einer Ménage-à-trois?
Frauen vom Opferstatus befreit
Dramaturgin Barbara Noth sieht in dem utopischen Ansatz in „Stella“ die Verknüpfung zu Frauen mit starken Positionen. Noth: „Goethes Haltung spiegelt sich in den Frauen, die er vom Opferstatus befreit und zu starken Persönlichkeiten macht. Hauptfigur Stella (Nora König) ist die Person mit mit maximalen Gefühlen, Mutter Cäcilie (Julia Wolff) steht dagegen für Pragmatismus und Verstand, während der Mann Fernando (Thomas Braus) in verschiedenen Rollen erkennbar ist.“
Goethes eigene Biografie spiegelt sich nach Meinung von Barbara Noth eher in der Wankelmütigkeit von Fernando wider. Ergänzt wird das Trio von Lucie (Maditha Dolle), die für Leben und Zukunft stehen und dem Wirt (Germain Wagner), der Goethes Gedichtsammlung zum Thema Liebe und Gefühle mit den Gegensätzen jung und alt sowie Anfang und Erfahrung zum Ausdruck bringt.
Kontrapunkt zu Ordnung und Disziplin
Der für Bühne & Kostüm zuständige Luis Graninger fand nach anfänglichen Vorbehalten zu „Goethes Trauerspiel“ erst in der direkten Konfrontation mit dem entstehenden neuen Werk seine überaus positive Position. Er baute die Assoziationen eines bunten Lebens als Kontrapunkt zu Ordnung und Disziplin. Der Moment der Freiheit, Sehnsucht und des Gefühls, ohne Bewertungen und ohne Schuld, so wie Stefan Maurer und wohl auch Wolfgang Goethe es sahen, wird breiter Raum gegeben.
Das Schauspiel ist für 80 Minuten (ohne Pause) konzipiert und wird im Engelsgarten am 11. Juni (19.30 Uhr) 12. Juni (18 Uhr) und 25. Juni (19.30 Uhr) aufgeführt. Im neuen Jahr geht die Inszenierung nach Luxemburg.
Text: Siegfried Jähne
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