26. August 2022Peter Pionke
Lena & Jan: Eine Woche Schweiz mit Rucksack und Zelt
„Eine Woche lang den Sardona-Welterbe-Weg in der Schweiz als Selbstversorger mit Rucksack und Zelt bezwingen – das war unser Vorhaben. Ganz so ist es am Ende nicht gekommen, und wir sind mehr als einmal an unsere Grenzen gestoßen. Hier erfahrt ihr, wie es uns ergangen ist:
Samstag
Ankunft in Filzbach, oberhalb des Walensees, dem Ausgangspunkt unserer ersten Etappe. Ein überragend großer Dank geht an Simon vom Seminarhotel Lihn, der es möglich macht, dass wir hier unsere Kartons, Kisten und Fahrräder für eine Woche unterstellen können. Zu Fuß geht es 300 Höhenmeter hinunter nach Gäsi, einem Zeltplatz direkt am See. Dass die neuen Heringe nicht in die Ösen des Zelts passen, lösen wir recht fix. Dass Lenas Isomatte Luft verliert, ist schon eher ein Problem. Wir teilen uns meine Matte und haben eine recht kurze, harte Nacht.
Sonntag
Uns gelingt es, das Ventil der Isomatte zu reparieren, zumindest hoffen wir es. Eine Alternative gibt es nicht. Bei strahlendem Sonnenschein startet die erste Etappe: wieder hinauf nach Filzbach und von dort zur Bergstation Habergschwänd. Wir hätten diesen Teil, immerhin insgesamt 600 Höhenmeter, auch mit der Seilbahn fahren können, sind aber zu stolz – was sich wenige Kilometer später rächt. Wir sind platt und die Hitze macht es nicht besser. Nach weiteren 900 Höhenmetern und insgesamt 15 Kilometern ist Schluss, nichts geht mehr. Da die Bäche fast alle ausgetrocknet sind und wir Wasser brauchen, steigen wir noch hinab in ein kleines Tal, wo wir einen wunderschönen Platz direkt an einem Bach finden. Was trinken, Socken ausspülen, Füße waschen, Abendessen – top. Und auch Lenas Luftmatratze tut, was sie soll.
Montag
Nachts hat es geregnet, draußen ist es grau. Wir starten den zweiten Tag mit einem Anstieg zum Murgsee. Für den Nachmittag sind Gewitter angekündigt und der Wirt rät uns, eine Alternative zum Sardona-Weg zu nehmen, so dass wir früher auf dem Gipfel und schneller wieder im Tal sind. Der Plan geht absolut schief. Genau oben auf dem Grat setzt das Gewitter mit Regen und Hagel ein. Wir verkriechen uns unter einem Felsvorsprung knapp unterhalb der Spitze, während um uns herum die Blitze einschlagen. Zum Glück geht alles gut. Danach wollen wir nur noch ins Tal und erreichen nach 1.150 Höhenmetern gegen Abend das Etappenziel: In der Spitzmeilenhütte wärmen wir uns auf und trinken was. Obwohl es regnet, entscheiden wir uns gegen eine Übernachtung in der Hütte. Es gelingt uns, das Zelt so aufzubauen, dass es innen trocken bleibt. Allerdings ist der Platz für unsere nassen Sachen viel zu klein, sodass wir eine wirklich unruhige Nacht erleben.
Dienstag
Regen von außen, nasse Sachen innen – das ist definitiv zu viel für unser Zelt. Als wir wach werden scheint zum Glück die Sonne, sodass wir die ersten drei Stunden des Tages alles trocknen, umringt von einer neugierigen Schafherde. Die anstrengenden Etappen machen sich bemerkbar, mein Gürtel ist inzwischen zwei Löcher enger. Ohne viele Höhenmeter und begleitet von Kuhgeläut geht es heute vor allem über die Höhen. Dazu weiterhin Sonnenschein und ein fantastischer Fernblick – so hatten wir uns das vorgestellt. Auf dem Weg nach Weisstannen, unserem Etappenziel, finden wir nicht wirklich einen Platz für unser Zelt und brauchen auch unbedingt mal eine erholsame Nacht, sodass wir uns entschließen, ein Hotel zu nehmen. Die Dusche ist großartig. Auf dem Zimmer kochen wir uns noch schnell ein Abendessen mit dem Kocher, dann fallen uns die Augen zu.
Mittwoch
Für heute sind Regen und starke Winde angesagt, deshalb wissen wir schon zu Beginn der Etappe, dass das Zelt keine Option für die Nacht ist. Nach der Nacht mit ausreichend Schlaf machen wir uns gestärkt auf den Weg zum Etappenziel Sardonahütte, 1.500 Höhenmeter liegen vor uns. Die erste Hälfte des Tages geht es steil bergauf, vorbei an freundlichen Herdenschutzhunden und fast zahmen Murmeltieren, später wird das Gelände flacher. Es ist stürmisch und die Hütte – hoch gelegen in einem riesigen Talkessel – sehen wir schon Stunden bevor wir sie erreichen. Hier ist die Landschaft karger und unwirtlicher, trotzdem schön und beeindruckend. Die Hütte haben wir fast für uns allein, nur ein anderes Pärchen ist da. Die Wirtin zeigt uns Videos von Felsstürzen, die hier derzeit täglich abgehen. Gegen Abend setzt fast schon planmäßig der Regen ein. Da für die nächsten Tage starke Regenfälle und weitere Gewitter angekündigt sind, entscheiden wir uns an dieser Stelle, den Sardona-Welterbe-Weg zu verlassen und ab morgen eine eigene Route durch die Täler zu nehmen, wo es nicht ganz so gefährlich ist.
In Lenas & Jans Reiseblog „reisen-ist.jetzt – Unterwegs ist da, wo wir sind“ finden Sie noch viel mehr Fotos, Infos und Impressionen:
Donnerstag
Wir liegen noch im Bett, als uns die Wirtin aus den Schlafsäcken wirft. Wegen der Felsstürze und des Regens ist der eigentliche Wanderweg nicht passierbar – deshalb nimmt sie uns auf einer alternativen Route mit ins Tal. 20 Minuten später, noch mit Schlaf in den Augen, hasten wir querfeldein den Berg hinunter. Es ist nebelig, nass und rutschig und auch die Wirtin tut sich schwer, den Weg zu finden. Wir sind dankbar, als wir unten wieder unser eigenes Tempo anschlagen können. Kurz vor unserem Tagesziel Bad Ragaz setzt der Regen ein, noch dazu verdreht Lena sich das Knie – und nach insgesamt 27 Kilometern sehen wir ein: es geht nicht mehr. Nass und humpelnd rufen wir uns für die letzten Kilometer ein Taxi und fahren in unsere Unterkunft. Auch für diese Nacht ist das Zelt keine Option, die Bedingungen sind einfach zu heftig.
Freitag
Heute soll es den meisten Niederschlag geben, deshalb stimmen wir uns mental drauf ein und ziehen an Regenschutz alles an, was wir haben. Lenas Knie geht es einigermaßen okay, so dass wir unsere zwischenzeitlich gefasste Idee, zu Fuß zurück nach Filzbach zu laufen, in die Tat umsetzen wollen. Vom ersten Schritt an regnet es – und am Anfang ist das auch in Ordnung. Das ändert sich ein paar Stunden später. Noch nie bin ich bei so katastrophalen Bedingungen gewandert, das Starkregenereignis schafft es in die Schweizer Schlagzeilen und der Pegel des riesigen Walensees steigt an diesem Tag um 80 Zentimeter an. Für die Mittagspause retten wir uns nach 12 Kilometern noch in Heiligkreuz in einen Kebap Laden. Dort müssen wir einsehen, dass es keinen Sinn mehr hat. Das Wasser steht in unseren Schuhen, unsere Unterwäsche ist nass, die Hände gefühllos, der Regen sammelt sich in den Raincovern unserer Rucksäcke und durchweicht unsere Schlafsäcke. Abbruch. Wir nehmen den Zug zum Etappenziel nach Mols. Im Zimmer der Unterkunft nutzen wir jeden Quadratzentimeter, um unsere Sachen auszubreiten und zu trocknen. Der Föhn läuft im Dauerbetrieb, anders geht es nicht.
Samstag
Letzter Tag. Über Nacht ist fast alles trocken geworden und wir sind entschlossen, die letzten Kilometer nach Filzbach zu laufen. Das Wetter spielt mit und die 400 Höhenmeter sind kurz und heftig, aber auch schnell überstanden. Gegen Mittag, nach insgesamt 120 Kilometern zu Fuß, mit etwas mehr als 5.850 Höhenmetern, erreichen wir wieder unseren Ausgangspunkt. Das Seminarhotel in Filzbach. Nach der Dusche frische Sachen anziehen zu können, fühlt sich großartig an. Und die Pizza mit der Flasche Wein und dem Nachtisch haben wir uns mehr als verdient. Und klar, wir hätten gerne bessere Bedingungen gehabt, um noch mehr in der Natur sein zu können. Aber auch so war es eine wirklich eindrucksvolle Reise, die uns mehr als einmal unsere Grenzen und die unseres Materials aufgezeigt hat – und die uns noch lange in Erinnerung bleiben wird.“
Lena & Jan
Link zum Reiseblog „reisen-ist.jetzt – Unterwegs ist da, wo wir sind“
Das STADTZEITUNGS-Team wünscht GUTE REISE!
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