27. September 2022Peter Pionke
Jan Filipzik: Mit dem Rennrad von Bergamo über die Alpen
Es ist frisch, der Himmel leicht bewölkt, als ich in Bergamo losfahre. Mit dem Rad über die Alpen, am Gardasee vorbei, über Bozen und Meran, anschließend über zwei Pässe und dann hinunter nach Garmisch-Partenkirchen, weiter über Augsburg bis nach Heidelberg – das ist mein Plan. 900 Kilometer insgesamt.
Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, auf was ich mich einlasse, so eine Tour habe ich noch nie gemacht. Meine Sachen habe ich nach bestem Wissen gepackt und auch für die Taschen an meinem Rad ist es die erste Tour. Neuland also, für mich und für das Setup insgesamt, und ich bin gespannt, ob und wie es funktioniert – denn Zeit für einen Test vorab hatte ich nicht.
Womit ich mich definitiv verschätzt habe, ist die Temperatur. Ich friere ohnehin leicht und es ist kälter als gedacht. Und so ziehe ich mich im Laufe der ersten Kilometer, während die Sonne versucht sich einen Weg durch die dicke Wolkendecke zu bahnen, immer mehr an.
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Dicke Handschuhe, Weste, Mütze. Was ich außerdem merke: Durch das Anbringen meiner Lenkertasche haben sich die Kabelzüge der Gänge verstellt, so dass es im Wortsinn nicht ganz rund läuft bei mir, aber damit komme ich klar. Klingt nur ein bisschen komisch, aber ist dann eben so.
Mit Kreppband verbessere ich mein Setup
Mit mehr als 160 Kilometern steht direkt am ersten Tag die längste Etappe an, die ich je gefahren bin. Und so bin ich froh, als ich entspannt Kilometer um Kilometer abspule und bald schon wieder am Gardasee bin, wo wir noch vor Kurzem unsere Unterkunft hatten.
In einem Supermarkt kaufe ich ein bisschen Kreppband und klebe damit die Klettverschlüsse meiner Rahmentasche ab, die unangenehm an meiner Rennradhose scheuern. Problem gelöst. Als endlich mein Tagesziel Riva in Sicht kommt, beflügelt das zusätzlich.
Die letzten Kilometer gebe ich noch einmal Gas, die Strecke ist flach, inzwischen scheint die Sonne und es ist bestes Radfahrwetter. Um 16 Uhr erreiche ich mein Ziel – und bin tatsächlich ziemlich geschafft. Abends bestelle ich mir eine Pizza aufs Zimmer, um noch einmal nach draußen zu gehen, fehlt mir die Energie.
Es ist eine Radreise, kein Radrennen
Am nächsten Tag starte ich erholt – die Etappe heute wird deutlich lockerer. Bis auf einen extrem steilen Berg gleich zu Beginn ist es überwiegend flach und geht über einen toll ausgebauten Radweg bis nach Meran. Da Sonntag ist, sind unzählige andere Radfahrer unterwegs und es macht Spaß, ein Teil davon zu sein. Zwischendurch gibt es einen kleinen Kaffee, eine echte Mittagspause ergibt sich nicht, aber das ist okay.
Wichtig für mich ist vor allem, möglichst viel Kraft zu sparen – denn morgen steht die Alpenüberquerung an. Was ich deshalb schnell lerne: es ist eine Radreise, kein Radrennen. Eine ganz andere Art, unterwegs zu sein – zu der auch gehört, es gleichmütig zu ertragen, wenn man von anderen Radfahrern überholt wird. Und sich nicht mit voller Energie in jeden möglichen Wettkampf zu werfen, was eher meiner Natur entspricht.
Mit noch halbwegs fitten Beinen erreiche ich bei strahlendem Sonnenschein nach 130 Kilometern mein Tagesziel. Abends gibt es Pizza im Hotel, das hat sich bewährt. Einzig mein linkes Knie merke ich nach dem heutigen Tag. Ein Thema, das mich die kommenden Tage noch beschäftigen wird.
Mit Kreppband auch gegen die Kälte
Ich habe gut geschlafen und ziehe alles an, was ich habe. Denn es soll kalt werden. Heute geht es hinauf bis auf 1.800 Meter, die Überquerung des Reschenpass steht an – oben soll es laut Vorhersage Temperaturen im einstelligen Bereich geben.
Und tatsächlich: Mit jedem Höhenmeter merke ich, wie es kälter wird. Dazu kommt ein starker Wind – vorsorglich habe ich die Lüftungsschlitze an meinen Rennradschuhen mit Kreppband abgeklebt. Das sieht komisch aus, aber verhindert, dass meine Füße zu sehr auskühlen.
Der Aufstieg zum Pass ist anstrengend. Stundenlang geht es bergauf, insgesamt 1.600 Höhenmeter und 130 Kilometer stehen auf dem Plan. Irgendwann aber ist es geschafft und ich gönne mir einen warmen Tee auf dem höchsten Punkt. Binde mir meinen Loopschal vor mein Gesicht und starte die Abfahrt.
Da ich hier kaum trete und deutlich schneller fahre, kühle ich mit jeder Minute mehr aus und bin wirklich durchgefroren, als ich in Landeck ankomme. Nach dem heutigen Tag tut mir alles weh. Nicht nur mein Knie, sondern auch Schultern, Nacken, Handgelenke und eigentlich so ziemlich alles.
Zur Belohnung gibt es nach dieser anstrengendsten Etappe ein heißes Bad und anschließend eine Salattasche mit Pommes.
Temperaturen knapp über Null Grad
Als ich am nächsten Morgen starte, ist es noch kälter als am Vortag. Wieder habe ich alles angezogen, die Temperatur liegt knapp über dem Gefrierpunkt. Während mein Körper sich über Nacht gut regeneriert hat, tut mein Knie leider immer noch weh.
Vorsorglich hatte ich schon bei der Planung darauf geachtet, dass heute eine Erholungsetappe mit nur 80 Kilometern und 700 Höhenmetern bis nach Garmisch-Partenkirchen ansteht. Es geht über den Fernpass und – da ich keinen Schotter fahren möchte – über eine recht stark befahrene Straße Kurve um Kurve bergauf.
Oben zeigt sich ein wunderschöner Blick auf die schneebedeckten Berge und die Zugspitze. Die Abfahrt nach Garmisch ist superkalt aber auch wirklich schnell. Ich bin so früh in der Stadt, dass ich noch Zeit habe, in einer Fahrradwerkstatt vorbeizuschauen, wo man mir hilft, meine Gänge wieder vernünftig einzustellen.
Endlich wieder Ruhe beim Treten, das fühlt sich gut an. Mein Hotel liegt direkt an der Skisprungschanze, abends gibt es eine Pizza in der Stadt.
Der schönste Tag der ganzen Tour
Inzwischen macht mein Knie mir echt Sorgen, da für heute aber traumhaftes Wetter angekündigt ist und mein Rad nach dem Besuch in der Werkstatt endlich perfekt läuft, will ich den Tag auf jeden Fall noch fahren. Von Garmisch geht es 130 Kilometer bis nach Augsburg. Vorbei am Ammersee, über wunderschöne Fahrradwege, bei blauem, fast wolkenlosem Himmel. Und ich genieße jede Minute an diesem bislang schönsten Tag.
Auch weil unterwegs in mir der Entschluss reift, dass dies meine letzte Etappe der Reise sein wird. Zwei stünden nach heute noch an, aber mein Knie tut inzwischen wirklich weh und ich möchte es mir nicht kaputt machen.
Und so buche ich noch von unterwegs meine Zugfahrt von Augsburg zu meinem Ziel in Heidelberg, wo ich eigentlich erst übermorgen auf Lena treffen würde. Es ist die richtige Entscheidung, auch wenn sie mir nicht leichtfällt.
Mein Fazit fällt absolut positiv aus
So abrupt wie meine Reise begonnen hat, so plötzlich ist sie also auch wieder zu Ende, noch habe ich mich nicht wirklich darauf eingestellt, als ich am nächsten Tag im Zug sitze. Es war ein tolles Erlebnis und ganz sicher nicht meine letzte Radreise.
Auf diese Art unterwegs zu sein, stundenlang ohne Ablenkung einfach nur zu fahren und die Gedanken schweifen zu lassen, das tut unglaublich gut. Und auch mein Setup hat sich – ganz ohne Vorkenntnisse und Erfahrungen – am Ende absolut bewährt. Ich hatte die richtigen Sachen dabei, nichts war überflüssig oder hat gefehlt.
Nur auf eine Sache freue ich mich sehr: Die nächste Fahrt ohne Gepäck, mit einem leichten Rad bis zum Ende Vollgas zu geben. In dem Wissen, dass am nächsten Tag keine nächste Etappe ansteht, sondern ich mich ganz entspannt ausruhen und regenerieren kann.
Jan Filipzik
26. September 2022
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