7. November 2022Peter Pionke
Jan Filipzik: Okay, dann bin ich halt ein Stadtkind.
Ganz ehrlich: Was für eine Wohltat. Menschen, Geschäfte, Lachen, Leben, Möglichkeiten. Wir sind in Chemnitz angekommen, wo wir bis Ende November bleiben werden. Die letzte externe Station unserer Reise durch Deutschland sozusagen, denn danach geht es wieder zurück in die Heimat – bis zu unserer Abreise in wenigen Wochen.
Und ja, Wiesmoor war auch schön, die Wohnung liebevoll eingerichtet mit mehr Tassen und Geschirr als wir je hätten benutzen können und mit einer Terrasse, die wir aus dem warmen Wohnzimmer heraus gewürdigt haben, weil es draußen dann doch recht kühl war.
Aber Wiesmoor ist eben auch: ein Kaff. Die Wochenenden waren schön, wenn wir ans Meer fahren konnten oder auch mal ins Kino oder essen gegangen sind. Aber ansonsten war da dieses Gefühl, ganz weit weg von allem zu sein, an einer schnurgeraden, eher stark befahrenen Landstraße, mit wenigen Geschäften einige Kilometer entfernt – an einer weiteren, schnurgeraden und stark befahrenen Straße. Wiesmoor Ende.
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Ein bisschen hatte ich den Verdacht auch vorher schon. Klein-Rehberg, dieses Gehöft an der Mecklenburgischen Seenplatte am Anfang unserer Reise, hat auch nur gezündet, weil die Landschaft und das Wetter wirklich traumhaft waren und wir viel draußen und unterwegs sein konnten.
Dann später der Gardasee; die Städte und Dörfer wunderschön, aber wir wieder recht abgelegen und ich tendenziell nicht so glücklich mit der Situation. Damit – spätestens mit diesem inneren Moment des Aufatmens als wir am Samstag nach unserer Ankunft durch die Innenstadt von Chemnitz gelaufen sind – dürfte nun endgültig feststehen: Ich bin ein Stadtkind.
Ich mag den Trubel, die vielen Möglichkeiten, das Gefühl, dort zu sein, wo die Dinge passieren. In meiner romantisierten Vorstellung kann ich auch dem Leben auf dem Land viel abgewinnen – an einem sonnigen Tag mit dem Gesang der Vögel aufstehen, draußen unter einem Apfelbaum sitzen, abends ein Glas Rotwein mit Blick über Felder und Wiesen, dazu ein paar Insekten, die sich träge vom leichten Wind treiben lassen.
Doch hier haben Fantasie und Wirklichkeit bislang eindeutig noch nicht zueinandergefunden.
Was mir auch sehr bewusst geworden ist: Wie sehr eine schön eingerichtete Wohnung die Stimmung beeinflusst. Möbel, die einem gefallen, helle Räume, eine gute Aufteilung, dezente Dekorationen, schönes Geschirr.
Es ist beeindruckend, wie sehr das alles ausschlaggebend dafür ist, wie wohl man sich dort fühlt, wo man gerade ist. Kurz gesagt: Wenn schon die Gegend Mist ist, hilft es viel, eine schöne Wohnung zu haben. Und schönes Wetter dazu. Nichts von alledem zu haben, ist umgekehrt schon fast der Garant für schlechte Laune. Wegen all dieser Dinge fühle ich, fühlen wir uns in Chemnitz gerade sehr wohl.
In die Innenstadt sind es zu Fuß nur ein paar Minuten, wir haben Supermärkte gleich um die Ecke und ein Fitnessstudio nur eine Querstraße weiter, mit sehr freundlichen Menschen, die nach zwei Besuchen schon unsere Vornamen kennen.
Da stört es auch nicht, dass die Stadt selbst – bis auf die Tatsache, dass sie halt eine Stadt ist – weniger spektakulär ist. Es gibt keine herausragenden Highlights, sondern schlicht das, was man auch erwarten würde: ein paar Parks, die üblichen Kaufhäuser, bekannte und weniger bekannte Restaurants, einige Museen, ein paar öffentliche Plätze, Wohnviertel unterschiedlicher Couleur.
Was mich dagegen tatsächlich überrascht hat, ist wie sehr sich mein Feed in Social Media mit unserer Ankunft in Chemnitz schlagartig verändert hat. Natürlich wissen die Algorithmen, wo ich mich gerade aufhalte. Und plötzlich bekomme ich Dinge angezeigt, die mir vorher nie angezeigt wurden.
Grob gesagt sind es drei recht gegensätzliche Kategorien, aus denen sich vor allem die kurzen Videos zusammensetzen, die ich zu sehen bekomme: ganz besonders linke Inhalte, mit zornigen Veganern und militanten Umweltschützern.
Ganz besonders rechte Inhalte, mit AfD-Videos, fragwürdigen Montagen und Anspielungen auf Adolf Hitler. Und ganz besonders islamistische Videos, die den Islam vor allen anderen Religionen propagieren und sich über andere, vor allem christliche, Werte lustig machen.
Als jemand, der von sich sagen würde, eindeutig in der Mitte zu stehen, ist das schon ein komisches Gefühl, diese drei Welten auf seinem Handy so aufeinander prallen zu sehen. Aber vielleicht ist das auch ein ganz guter Grund, das Smartphone noch öfter mal zur Seite zu legen. Und das echte Leben zu genießen.
Jan Filipzik
6. November 202
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