2. Januar 2023Peter Pionke
Martina Steimer: ‚Zero-Waste‘-Restaurant als Wunschtraum
Martina Steimer schrieb Kulturgeschichte in Wuppertal. Sie verhalf dem REX-Theater mit Kultur-Highlights zu bundesweitem Ruhm. Unter dem Brand „Forum Maximum“ setzt sie noch heute noch kulturelle Glanzlichter in der Historischen Stadthalle, der Unihalle und anderen Wuppertaler Event-Locations.
Die bestens vernetzte Kultur-Managerin holte Comedians wie Ingo Appelt, Eckard von Hirschhausen, Torsten Sträter, Paul Panzer, Dieter Nuhr oder auch den Kabarettisten Volker Pispers an die Wupper.
Einigen Künstlern wie etwa Mario Barth ebnete Martina Steimer den Weg in eine steile Karriere: „Bei der ersten Veranstaltung mir Mario im REX verloren sich gerade einmal 15 Zuschauer in den Sitzreihen“, erinnert sie sich.
Seit einigen Jahren leitet Martina Steimer das Pantheon-Theater in Bonn sehr erfolgreich.
Die Tierfreundin liebt die Kultur und sie mag Katzen total. Immer wenn sich Martina Steimer in ihrer zweiten Heimat Griechenland aufhält, ist es für sie eine Ehrensache, die Helferinnen und Helfern des dortigen Tierschutzvereins tatkräftig zu unterstützten und tagtäglich an verschiedenen Orten streunende Katzen zu füttern.
Im Interview mit der STADTZEITUNG erklärt die Kultur-Managerin, mit welchen Eindrücken und Gefühlen er auf das Jahr 2022 zurückblickt.
DS: Wie sieht Ihre persönliche Bilanz des Jahres 2022 aus?
Martina Steimer: „Sehr durchwachsen. Die Corona-Zeit und die damit verbundenen großen emotionalen Belastungen wirken nach, ich habe entsetzt zur Kenntnis genommen, wie viele von mir eigentlich sehr geschätzte und geachtete Menschen durch Panik und Propaganda Züge entwickelt haben, die mir Angst machen. Hetze, Ausgrenzung und Aggression dürfen niemals das menschliche Miteinander prägen, haben das aber in den letzten drei Jahren viel zu oft getan. Im Laufe des Jahres wurden sich aber offensichtlich zunehmend mehr Menschen darüber klar, dass es so nicht weiter geht, und eine gewisse Aufarbeitung begann. Deshalb: Zum Jahresende ein gewisser Hoffnungsschimmer.“
DS: Was ist aus Ihrer Sicht positiv gelaufen?
Martina Steimer: „Was man extrem beobachten kann: Ein riesiger Run auf die Kultur! Ab dem Sommer strömten die Menschen zurück in die Stadien und Hallen, und als es dann wieder kälter wurde auch in die Theater. Ich interpretiere das als Drang nach einer Nähe, die man seit 2020 schmerzlich vermisst hat, als Wunsch nach Gemeinschaftserlebnissen und gesellschaftlicher Teilhabe, Orientierung und einfach Spass! Eine großartige Entwicklung und Erfahrung!“
DS: Was hat Sie eher nachdenklich gestimmt oder gar schockiert?
Martina Steimer: „Jeden Tag die Nachrichten zu verfolgen. Viel zu vieles liegt im Argen, und nur das, was man über moralisch und rechtlich nicht einwandfreie Deals auf Bundes-, Landes- und EU-Ebene weiß, ist entsetzlich. Angeblich vertrauen mehr als die Hälfte der Bundesbürger weder den Medien noch der Politik mehr. Ich kann es verstehen.“
DS: Wie interpretieren Sie für sich das „Wort des Jahres“ Zeitenwende?
Martina Steimer: „Als hohle Phrase eines Bundeskanzlers, den ich für absolut ungeeignet halte, das Land in so einer schweren Zeit zu führen.“
DS: Haben die aktuellen Ereignisse sogar dazu geführt, dass Sie alte Überzeugungen über Bord geworfen und Ihre Meinung geändert haben?
Martina Steimer: „Nein. Aber ich habe viel dazu gelernt. Über Menschen, über Politik, über Geschichte. Ich habe mich schon immer sehr für Historie interessiert und war auch schon immer ein Bücherwurm, aber durch meinen Beruf habe ich schon viele Jahre lang nicht mehr so viel lesen können weil ich nachts meist völlig müde heim kam. Das war natürlich in den Lockdowns anders, und wie immer in schweren Zeiten haben mich Bücher über Wasser gehalten. Ich habe viel gelesen über die Jahre vor dem 1. Weltkrieg und auch danach, und gesehen, so viele Muster wiederholen sich immer wieder, es ist erschreckend. Umso mehr, als durch die immer schlechter werdende Schulbildung in Deutschland auch immer weniger Bewußtsein darüber herrscht, wie Krisen sich entwickeln und wie man Ereignisse einordnen kann und dass es auf jeden Einzelnen ankommt, einen sozialen, funktionierenden, menschlichen Staat zu gestalten und aufrecht zu halten. Davon sind wir mehr entfernt als jemals vorher in meinem nicht gerade kurzen Leben.“
DS: Löst Putins Krieg in der Ukraine sogar Zukunftsängste bei Ihnen aus?
Martina Steimer: „Nicht mehr als andere Kriege. Jeder Krieg ist eine Katastrophe, und jeder Krieg macht mir große Angst. Ich glaube nicht, dass Deutschland gefährdet ist, dass direkte Kriegshandlungen hierhin übergreifen, aber die Auswirkungen, nicht nur dieses sondern auch anderer Kriege, die erleben wir schon lange. In Form von Migration, Rohstoffproblemen, aber – wie bei Corona – auch teilweise vehement vertretener unterschiedlicher Meinungen die das Land weiter spalten. Und natürlich darf man nicht vergessen: Kriege sind die größten Klimakiller. Was erstaunlich wenig thematisiert wird.“
DS: Was sind Ihre größten Sorgen?
Martina Steimer: „Das sind viele. Wie schön mehrmals gesagt die zunehmende Aggression und Entfremdung zwischen den Menschen, die Intolerenz und Ausgrenzung, wenn man nicht einer Meinung ist. Ich bin noch so aufgewachsen, dass es spannend ist, von ganz unterschiedlichen Standpunkten aus zu diskutieren und Einblicke zu bekommen in andere Gedankenwelten. Die muss man sich dann ja nicht zu eigen machen, und ich weiß auch, dass manche Menschen unbelehrbar sind – aber die gibt es in allen Ecken, rechts und links. Ideologien dürfen keine Argumente ersetzen, und „Haltung“ darf nicht über allem stehen.
Darüberhinaus mache ich mir natürlich Sorgen über ganz greifbare Probleme: Inflation, Energie, die immer schlechter funktionierende Infrastruktur. Warum zahlen wir rekordverdächtige Steuern, wenn keine Straße mehr intakt ist, kein Zug pünktlich kommt (mein Arbeitsweg beträgt 75 km, ich weiß wovon ich rede), keine Schule mehr in menschenwürdigem Zustand ist, Behörden und Ämter so disfunktional sind wie man es sich im Leben nicht vorstellen konnte? Was ist mit der erschreckenden Zunahme von Armut? Wo soll das alles noch hinführen, entlädt sich das alles mal in noch größerer Aggression, und werden zunehmend Menschen, die man gemeinhin „Leistungsträger“ nennt, das Land verlassen, weil sie für sich keine Perspektive mehr sehen? Es gibt sehr viele Fragen und nicht das Gefühl, dass auch nur irgendeine politische Partei unsere Probleme anfasst und lösen könnte.“
DS: Was macht Ihnen denn Hoffnung?
Martina Steimer: „Mein wunderbares privates Netzwerk, die wie oben schon erwähnte Rückbesinnung zur Kultur und damit der Blick über den Tellerrand, den wir dringend brauchen.“
DS: Welches war für Sie der rührendste, emotionalste Moment im angelaufenen Jahr?
Martina Steimer: „Bahnbrechend war, als ich nach all diesen Lockdowns und Beschränkungen an einem wunderschönen Frühlingstag über die Haupteinkaufsstraße in Athen lief und ein großartiger Straßenmusiker gerade mein Lieblingslied von Manos Hatzidakis anstimmte, die englische Fassung heißt „All alone am I“, und ich blieb stehen und weinte mitten auf Kapnikarea mehr als die ganzen zwei Jahre davor, so als ob Blockaden sich lösten. Ich bin froh darüber, weil ich sicher bin, dass man die letzten Jahre nur überleben kann, ohne ein Trauma davon zu tragen, wenn man Gefühle zuläßt. Fast jeder hat gelitten unter dem was passiert ist, fast jeder hatte Freunde oder Verwandte die alleine bleiben mussten in schweren Zeiten, fast jeder hat die unmenschlichen Zustände in Altenheimen, Krankenhäusern und bei Heranwachsenden und Kindern erlebt. Und wir alle waren hilflos, gefangen zwischen den eigenen Ängsten und dem öffentlichen Druck. Die eigene Schwäche so zu erleben, das prägt nachhaltig. Wir müssen darüber reden, das hilft und verbindet. Und jedes dieser Gespräche ist dann im besten Fall auch rührend und emotional. Und dann sind wir auch nicht „all alone“.
DS: Mit welchen Vorsätzen gehen Sie ins neue Jahr?
Martina Steimer: „Mit wieder erstarkender Kraft weiter meine Ideale und Visionen verfolgen. Ein tolles Kulturprogramm zu machen, Menschen eine gute Zeit zu bescheren und sie zusammen zu bringen. Es wird nie wieder so sein wie vor 2020, aber damals war auch Vieles nicht erstrebenswert und die letzten Jahre haben den Bruch deutlicher gemacht. Es liegt jetzt an uns, daraus das Beste zu machen. Oder, wie der wunderbare Leonard Cohen sang: ‚There is a crack in everything. That’s how the light gets in‘ (sinngemäß übersetzt: „In allem ist ein Riss. So kommt das Licht herein“).“
DS: Welche Wünsche haben Sie für 2023?
Martina Steimer: „Mehr Kommunikation untereinander. Mehr Toleranz. Mehr Spass. Mehr Musik – was habe ich Live-Musik in den Lock-Downs vermisst. Das muss alles nachgeholt werden!“
DS: Was können die Wuppertalerinnen und Wuppertaler von Ihnen im nächsten Jahr als Kulturschaffende erwarten?
Martina Steimer: „Als nächstes spielt Hagen Rether in der Stadthalle, und es ist bemerkenswert, wie sehr der Vorverkauf auch ohne Werbung schon abgeht. Abgesehen davon, dass Hagen einer toller Künstler ist, erkläre ich mir das auch so, dass die Menschen auch interessiert sind an moralischer Führung, die sie in der Politik nicht mehr wahrnehmen.
Da das Kulturleben jetzt wieder reibungslos läuft, plane ich auch verstärkt weitere Projekte. Und ich habe immer noch recht weit oben auf meiner Wunschliste, ein „Zero Waste“-Restaurant (plastik- & abfallfreies Restaurant) auf gehobenem Niveau zu verwirklichen. Vor Corona war die Idee schon ziemlich weit gediehen, als dann die Lockdowns kamen war ich froh, kein Ladenlokal am Hals zu haben, aber begraben ist die Idee nicht. Wir werden sehen. Es ist eine spannende Zeit, und die Zukunft gehört denen, die sie gestalten und sich nicht einfach treiben lassen.“
Das Interview führte Peter Pionke
Link zur Webseite des „Forum Maximum“:
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