14. Januar 2023Peter Pionke
Else Lasker-Schüler kehrt als Gemälde ins Tal zurück
Dem Unternehmer aus Nordrhein-Westfalen ist es gelungen, auf einer Auktion beim Auktionshaus Ketterer in München am 9. Dezember 2022 das berühmte Bild „Lesende (Else Lasker-Schüler)“ von Karl Schmidt-Rottluff (1912) aus der Sammlung Hermann Gerlinger zu ersteigern. Als Dauerleihgabe wird es dem Von der Heydt-Museum Wuppertal nun übergeben. Damit kommt die berühmte jüdische Dichterin Else Lasker-Schüler (1869-1945) im Bild zurück an ihren Geburtsort (Wuppertal-)Elberfeld.
Museumsdirektor Dr. Roland Mönig: „Wir sind überglücklich, dass Else Lasker-Schüler mit diesem Bildnis quasi nach Hause kommt. Das Werk belegt Schmidt-Rottluffs ganze schöpferische Wucht auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Else Lasker-Schülers schillernde Persönlichkeit hat er in einer einzigartigen Komposition eingefangen, in der eine expressive, leuchtende Farbigkeit sich mit kubistischen Formexperimenten verbinden. Dieses kostbare Meisterwerk schließt eine Lücke in unserem Bestand zur Kunst des Expressionismus. Sein Gegenstück im Von der Heydt-Museum ist das berühmte Bildnis Else Lasker-Schüler‘, das Jankel Adler 1924 schuf.“
Der Kunstmäzen, der anonym bleiben will: „Es war mir ein großes Anliegen, dieses besondere Bild nach Wuppertal zu holen. Hier gehört es hin! Ich freue mich sehr, es dem Von der Heydt-Museum als Dauerleihgabe zur Verfügung zu stellen.“
Das Werk von Karl Schmidt-Rottluff war als Leihgabe 2019/2020 in der Ausstellung „Else Lasker-Schüler. ‚Prinz Jussuf von Theben‘ und die Avantgarde“ im Von der Heydt-Museum zu sehen.
Das Bild wird ab Ende Januar 2023 im Von der Heydt-Museum Wuppertal ausgestellt sein – ein genauer Zeitpunkt wird noch bekanntgegeben.
Die Provenienz des Werkes ist unbelastet: Schmidt-Rottluff selbst übergab das kostbare Werk „Lesende (Else Lasker-Schüler)“ aufgrund seines besonderen Vertrauensverhältnisses seinem langjährigen Freund Hermann Gerlinger, einem Würzburger Unternehmer und Mäzen, der seit den 1950er Jahren eine der bedeutendsten Kunstsammlungen zur Kunst der „Brücke“ überhaupt zusammengetragen hatte – eine reiche Sammlung von geradezu musealer Qualität und hoher Aussagekraft, die 2022 in mehreren Auktionen versteigert wurde.
„Schmidt-Rottluff hat mich im Zelt sitzend gemalt. [..] Bin entzückt von meiner bunten Persönlichkeit, von meiner Urschrecklichkeit, von meiner Gefährlichkeit, aber meine goldene Stirn, meine goldenen Lider, die mein blaues Dichten überwachen. Mein Mund ist rot wie eine Dickichtbeere, in meiner Wange schmückt sich der Himmel zum blauen Tanz, aber meine Nase weht nach Osten, eine Kriegsfahne, und mein Kinn ist ein Speer, ein vergifteter Speer. So singe ich mein hohes Lied“, schrieb Else Lasker-Schüler – Briefe nach Norwegen – in: „Der Sturm“. Monatsschrift für Kultur und die Künste, Nr. 94, Januar 1912, S. 752.
Biografie Karl Schmidt-Rottluff
Der Maler, Grafiker und Plastiker Karl Schmidt (1884 – 1976) wird 1884 in Rottluff bei Chemnitz als Sohn eines Müllers geboren. 1905 beginnt Schmidt-Rottluff ein Architekturstudium an der Technischen Universität in Dresden. Dort lernt er Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Fritz Bleyl kennen, mit denen er im selben Jahr die Künstlergemeinschaft „Die Brücke“ gründet.
1906 erscheint die erste gemeinsame Grafikmappe. In seinen expressionistischen Bildern verleiht der Maler der leidenschaftlich aufgetragenen und bildbestimmenden Farbe eine intensive Leuchtkraft und geht in der Verwendung der unvermischten Primärfarben im Vergleich zu seinen Künstlerkollegen am weitesten. Bis 1912 hält sich Schmidt-Rottluff immer wieder für längere Zeit im Dangastermoor bei Varel in Oldenburg auf, wo er zahlreiche Motive für seine Landschaftsgemälde findet.
Mit seiner Übersiedlung nach Berlin im Jahr 1911 wendet er sich verstärkt formalen Problemen zu und entwickelt eine zunehmend reduzierte, geometrische Formensprache. Der Ausbruch des Krieges unterbricht diese Entwicklung. Während seines Militärdienstes entsteht ein Zyklus von religiösen Holzschnitten, in dem Schmidt-Rottluff die Schrecken des Krieges verarbeitet und der als sein grafisches Hauptwerk gilt.
1918 kehrt er nach Berlin zurück. Seinen Arbeitsrhythmus mit Malreisen im Sommer und der Atelierarbeit im Winter behält er auch in den zwanziger Jahren bei. Aufenthalte in Pommern, am Lebasee, im Tessin und im Taunus, ferner in Rom als Studiengast der deutschen Akademie in der Villa Massimo (1930) inspirieren Schmidt-Rottluff zu seinen reifen Stillleben und Landschaften.
1937 wird seine Kunst auf der Münchner Ausstellung „Entartete Kunst“ diffamiert, 1941 folgen das Malverbot und der Ausschluss aus dem Berufsverband. Nach dem Zweiten Weltkrieg nimmt Schmidt-Rottluff einen Lehrstuhl an der (West-) Berliner Hochschule für bildende Künste an. Sein Spätwerk schließt motivisch an die expressionistische Phase an, ist farblich jedoch differenzierter und weniger intensiv.
Der als Erneuerer der Kunst, als Revolutionär Angetretene erhält 1956 den Orden „Pour le Mérite“ und sieht sich als Klassiker geehrt. 1967 wird das auf seine Initiative hin gegründete Brücke-Museum in Berlin eröffnet. Zahlreiche Ausstellungen ehren Karl Schmidt-Rottluff, der von der Kunstgeschichte zu den wichtigsten Vertretern des deutschen Expressionismus gezählt wird.
In folgenden Ausstellungen und dazugehörigen Katalogen war das Werk bereits zu sehen:
Maler der Brücke in Dangast von 1907 bis 1912. Karl Schmidt-Rottluff, Erich Heckel, Max Pechstein, Emma Ritter, Oldenburger Kunstverein, Oldenburg, 2.6.-30.6.1957, Nr. 75 (m. Abb. S. 59).
Brücke 1905-1913, eine Künstlergemeinschaft des Expressionismus, Museum Folkwang, Essen, 12.10.-14.12.1958, Nr. 156.
Karl Schmidt-Rottluff zum 100. Geburtstag, Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, Schloss Gottorf, Schleswig, 3.6.-12.8.1984, Kat.-Nr. 14 (m. Abb.).
Karl Schmidt-Rottluff, Retrospektive, Kunsthalle Bremen, 16.6.-10.9.1989; Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 27.9.-3.12.1989, Kat.-Nr. 104 (m. SW-Abb., Farbtaf. 43).
Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, Schloss Gottorf, Schleswig (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 1995-2001).
Frauen in Kunst und Leben der „Brücke“, Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, Schloss Gottorf, Schleswig, 10.9.-5.11.2000, Kat.-Nr. 126 (m. Abb. S. 205).
Kunstmuseum Moritzburg, Halle an der Saale (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 2001-2017).
Der Potsdamer Platz. Ernst Ludwig Kirchner und der Untergang Preußens, Neue Nationalgalerie, Berlin, 27.4.-12.8.2001, Kat.-Nr. 43 (m. Abb. S. 103).
Das andere Ich. Porträts 1900-1950, Staatliche Galerie Moritzburg, Landeskunstmuseum Sachsen-Anhalt, Halle (Saale), 6.4.-15.6.2003, Kat.-Nr. 258 (m. Abb.).
Die Brücke und die Moderne, 1904-1914, Bucerius Kunst Forum, Hamburg, 17.10.2004-23.1.2005, Kat.-Nr. 174 (m. Abb.).
Expressiv!
Die Künstler der Brücke. Die Sammlung Hermann Gerlinger, Albertina Wien, 1.6.-26.8.2007, Kat.-Nr. 24 (m. Abb.).
Buchheim Museum, Bernried (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 2017-2022).
Brückenschlag: Gerlinger – Buchheim!, Buchheim Museum, Bernried, 28.10.2017-25.2.2018, S. 242-245 (m. Abb.).
Schmidt-Rottluff. Form, Farbe, Ausdruck!, Buchheim Museum, Bernried, 29.9.2018-3.2.2019, S. 178f. (m. Abb.).
Else Lasker-Schüler. „Prinz Jussuf von Theben“ und die Avantgarde, Von der Heydt-Museum, Wuppertal, 6.10.2019-16.2.2020, S. 141 (m. ganzs. Abb.).
Link zur Webseite des Von der Heydt-Museums:
Weiter mit:
Kommentare
Neuen Kommentar verfassen