20. März 2023Peter Pionke
Machtgier, Bestechung und Korruption im Spiegel der Zeit
Der Klassiker der Weltliteratur gehört heute längst zu den meist gespielten Theaterstücken. Jetzt hatte es im Wuppertaler Opernhaus Premiere. Die Geschichte erzählt von einer kleinen russischen Provinzstadt.
Sie gibt ein satirisch zugespitztes, in den sachlichen Details dabei präzises Bild des kleinstädtischen Beamtenwesens im zaristischen Russland des Jahres 1835. Der Autor zeigt eine verfilzte, auf Hierarchien ausgerichtete Gesellschaft zwischen Unterwürfigkeit und Größenwahn, Bestechung und Korruption.
Wollte Publikum lachen sehen…
Eigentlich wollte Nikolaj Gogol, Spross einer ukrainischen Gutsherren-Familie, sein Publikum nur vergnügen und zum Lachen bringen. Tatsächlich ist das Premierenpublikum, das „einfache“ Volk und auch der Zar von der Komödie begeistert. Im Gegensatz dazu geben sich die im Theater anwesenden Minister und Beamten mehrheitlich empört, da sie die dargestellten Umstände auf sich und ihren Zuständigkeitsbereich beziehen.
Sie machten geltend, dass nach jüngsten Bestimmungen jede kritische Wendung gegen die Autokratie sowie die Darstellung russischer Missstände unerwünscht ist und als Mangel an Patriotismus und Volksverbundenheit wahrgenommen wird, der zu bestrafen sei. In der Folge mischt sich die russische Zensur in das Geschehen ein, stufen das Stück von Komödie zur Farce zurück und setzten Änderungen des Textes durch.
Eine Gemeinde im desaströsen Zustand
In Gogols Geschichte löst die Nachricht hektische Betriebsamkeit aus, dass ein inkognito reisender Wirtschaftsprüfer, also ein Revisor aus der Hauptstadt Petersburg, zu erwarten sei. Bürgermeister Antonowitsch (Stefan Walz) weiß die öffentlichen Organe seiner Gemeinde in einem desaströsen Zustand. In der Vergangenheit wurden Fördergelder nämlich nicht immer korrekt verwendet, die Infrastruktur ist verlottert und das Rechtssystem wird sehr frei ausgelegt.
Als nun zeitgleich ein junger Beamter (Kevin Wilke) mit seinem Diener (Jonathan Schimmer) im örtlichen Gasthof absteigt, erregt das große Aufmerksamkeit. Bürgermeister und seine Stadtoberen sind überzeugt, dass dies der Wirtschaftsprüfer ist und schmieden sogleich Strategien zur Gefahrenabwehr.
Es geht hier nicht darum, die schlechte Praxis oder die systematische Selbstbereicherung ändern zu wollen, sondern vielmehr darum, passende Erklärungen parat zu haben. Erklärungen, die nicht nur wortreich, sondern durchaus auch „monetär“ sein sollen und auf Bestechung ausgelegt sind.
Unter dem Vorwand, man wolle sich um durchreisende Gäste kümmern, sucht man eilig das Gespräch. Hier erweisen sich diese Gäste indessen nicht unbedingt als die erwarteten, seriösen Staatsdiener, es haftet ihnen vielmehr eine merkwürdiger Unsicherheit an.
Den offensichtlichen Widerspruch erklären sich die Stadtoberen damit, dass der Revisor das schützende „Inkognito“ nicht aufgegeben möchte. Man verhält sich unterwürfig. Tatsächlich aber handelt es sich bei den Gästen um bankrotte Reisende aus Petersburg, die wegen ihrer Zahlungsunfähigkeit eigentlich die Verhaftung befürchten. Damit nehmen die Dinge einen fatalen, chaotischen Verlauf.
Stadthauptmann und seine Beamten müssen erst am Schluss des Stückes ihre Täuschung erkennen. In der Schlussszene ist man dann eher geneigt, das unfassbare Ganze dem Teufel zuzuschreiben, der „seine Hand im Spiele“ gehabt habe. Hier wird ein Grundsatz von Gogols Weltsicht erkennbar, dass nämlich „Alles Lug und Trug ist. Nichts ist so, wie es scheint“.
Gewollte Nachdenklichkeit
Die Wuppertaler Aufführung wurde von der Kroatin Maja Delinić inszeniert, die am hiesigen Theater zuletzt auch schon bei Shakespeares Sommernachtstraum Regie führte. Sie kommt zu dem Ergebnis „Jede starke Komödie ist tragisch“. Tatsächlich erlebt man dann ihr Publikum auch eher in Nachdenklichkeit als in Erheiterung.
Das ausdrucksstarke, überwiegend graue Bühnenbild von Ria Papadopoulou zeigt Betonflächen, verrostete Türen sowie eine große Kanalrohrmündung und mag so die Lebenswelt von Ratten symbolisieren.
Farbe kommt indessen durch die von Janin Lang entworfenen herrlichen Kostüme sowie mit den überragenden Akteuren ins Spiel. Thomas Walz brilliert in der Rolle des Bürgermeisters mit sprachlicher, mimischer und sportlicher Gewandtheit. Kevin Wilke gelingt in der Rolle des vermeintlichen Petersburger Revisors die Wandlung vom Hungerleider zum Hochstapler perfekt.
Nicht zu vergessen Silvia Munzón López, die als Frau des Bürgermeisters mit Tochter Rebekka Bienert belebende Figuren sind. Gewohnt souverän Konstantin Rickert in der Rolle des Richters und Julia Meier, die die Schlüsselrolle des „Postmeisters“ mit Bravour löst. Neu im Ensemble Jonathan Schimmer, hier als Diener an der Seite des Petersburger Beamten. Er gefiel auf Anhieb und hatte die Lacher an seiner Seiten, als er auf die Frage, was sein Herr besonders mag, verlauten ließ, „wenn man mir gut zu Essen gibt“.
Alles Schlechte sichtbar machen
Autor Nikolaj Gogol sagte vor knapp 200 Jahren: Im ’Revisor’ beschloss ich, alles Schlechte, das ich nur kannte, zusammenzutragen und mit einem Schlag dem Gelächter preiszugeben.“ Wie auch immer, der Zeitgeist zeigt sich in wesentlichen Punkten resistent. Die Wuppertaler Inszenierung in der bewährten Dramaturgie von Barbara Noth bietet nicht nur gute Unterhaltung, sie ist auch ein aktuelles Spiegelbild von seelenlosen Despoten und unseriösen Finanzmanagern. Somit ein absolut empfehlenswertes Stück!
Text: Siegfried Jähne
Weitere Termine im Wuppertaler Opernhaus:
16 April, 13. und 14. Mai sowie 10. Juni 2023
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