1. April 2023Peter Pionke
Jan Filipzik: Wie es ist, auf Weltreise zu sein
Es ist die längste Reise, die ich bislang in meinem Leben gemacht habe. Jetzt schon. Seit zweieinhalb Monaten sind wir unterwegs, elf Wochen, um genau zu sein.
Und ich würde sagen: Wir sind angekommen, im Weltreise-Modus, es fühlt sich nicht länger nur nach Urlaub an – und für mich ist das die Gelegenheit, einmal auf das zu schauen, was ich bislang herausgefunden habe. Wie fühlt es sich nun also an, auf Weltreise zu sein?
Wir sind irgendwie so dazwischen
Das Offensichtlichste zuerst: Vom Alter her liegen wir absolut dazwischen. Oder anders ausgedrückt: Nur die wenigstens Reisenden sind so alt wie wir. Die meisten sind deutlich jünger, die erwartungsgemäß anzutreffenden Studenten halt, viele von ihnen Engländer, vor allem in Thailand und Laos, was mich dann doch etwas überrascht.
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Also überrascht im Sinne von: hatte ich so halt nicht auf dem Schirm. Ein paar Reisende treffen wir, die wir zu der zweiten, allerdings bereits deutlich kleineren Gruppe zählen würden: Den Rentnern, wie ich sie jetzt einmal salopp nenne. Und dann gibt es noch alle anderen, zu denen auch wir gehören. Die weder das eine noch das andere sind, so halt dazwischen eben.
Die Gespräche sind oft ähnlich
Ich stehe dazu, zu sagen, dass ich auf der Gesprächsebene mit den meisten, jungen Reisenden, egal woher, nur wenige Gemeinsamkeiten finde. Entsprechend mache ich um solche Gespräche oft einen Bogen.
Und ehrlich gesagt vor allem um die der Engländer, denn die laufen, nach allem was ich bislang mitbekommen habe, immer nahezu identisch ab. Es geht darum, wer wo welche Aktivitäten erlebt hat, wie teuer das alles ist, wie cool das alles war und was für aufregende Geschichten man sonst noch erlebt hat.
Auch wir tappen natürlich in diese Falle. Trotzdem versuchen wir das Gespräch schnell auf andere Themen zu lenken, wenn wir uns mit Reisenden unterhalten. Einfach auch, weil es spannender ist als die Frage, wo welche Unterkunft jetzt wie teuer und welcher Strand besonders schön war.
Wenn man älter ist, ist eine Weltreise nicht mehr ganz so krass
Ein klassisches Bild einer Weltreise, das sich für uns in Gesprächen auch immer wieder bestätigt hat, sieht so aus: Der oder die Protagonisten gehen auf Weltreise, sind absolut geflasht und wissen schon nach drei Wochen, dass sie alles anders machen und nie wieder zurückkommen wollen.
Genau das fühle ich nicht. Eine Weltreise öffnet einem in vielerlei Hinsicht die Augen und lässt einen umdenken, siehe auch weiter unten, aber für mich kann ich, jedenfalls zum aktuellen Zeitpunkt, nahezu ausschließen, demnächst die obligatorische Strandbar auf Bali eröffnen zu wollen.
Was daran liegen kann, dass eine Weltreise mit fast 40 nicht mehr ganz so krass ist, wie mit Anfang 20. Ich habe halt schon viel gesehen von der Welt, bin oft in Asien und auf anderen Kontinenten gewesen, und wenig von dem, was ich hier erlebe, ist wirklich absolut und fundamental neu.
Das macht die Weltreise als Reise an sich, wenn man jetzt in Bildern und Eindrücken denkt, etwas weniger krass. Was aber auch ganz gut ist, ich bin nicht traurig darüber.
Reisen ist manchmal anstrengend
Der ganze Gesprächs-Teil mit anderen Reisenden macht das Reisen manchmal anstrengend. Doch auch abseits davon gibt es so etwas wie einen Alltag, der nicht immer zu den Dingen gehört, die wir am liebsten tun.
Wir kommen in einer neuen Stadt an, suchen den nächsten Waschsalon, schauen, wo die Supermärkte sind und die Restaurants, die uns interessieren. Planen unsere Aktivitäten und verteilen sie grob auf die Tage, die wir zur Verfügung haben. Recherchieren parallel zu unserem nächsten Ziel. Wo wollen wir hin, wie lange wollen wir bleiben, was wollen wir machen?
Suchen nach den passenden Verbindungen, besorgen die Tickets, es kommt der Transfertag, die neue Stadt – und alles fängt wieder von vorne an.
Vor allem bei komplexeren Vorhaben – so wollen und werden wir Ende des Monats nach Indien fliegen – kann so eine Menge Zeit vergehen und zwischendurch wird es auch wirklich nervig.
Qualität ist besser als Quantität
Der grundlegende, wiederkehrende Ablauf des Reisens ist nicht schlimm, ich will mich auch gar nicht beschweren, aber er führt dazu, dass wir uns schon lange nicht mehr jeden Tempel, jede Lagune, jede Höhle und jedes Reisfeld anschauen.
Stattdessen suchen wir uns sehr gezielt raus, was uns interessiert, und genießen das in Ruhe. Und es kommt auch schon einmal vor, dass wir spontan eine eigentlich geplante Sache einfach ersatzlos streichen – und es fühlt sich gut an, dass sich das nicht schlecht anfühlt.
Das ist halt eines der Privilegien der Weltreise, die wir definitiv genießen.
Man braucht ein gewisses Level an Komfort
Eine Weltreise bringt zwangsläufig Entbehrungen mit sich. Unser Budget ist – wenngleich immer noch recht komfortabel – anders als bei einem klassischen, dreiwöchigen Backpacking-Urlaub durch Mexiko.
Wo man im Zweifel sagt: War jetzt am Ende teurer, ist aber auch kein Problem. Und selbst mit noch mehr Geld, lässt sich eine Tatsache nicht wegdiskutieren: Wir haben kein Zuhause mehr.
Inzwischen haben wir in 19 verschiedenen Unterkünften und drei Nachtbussen geschlafen. Je nach Ort und Lust und Laune mal mehr und mal weniger komfortabel, aber gerade deshalb funktioniert es nicht, ständig auf alles zu verzichten.
Nach einiger Zeit in besonders abgerockten Unterkünften, braucht es dann auch wieder ein gewisses Level an Komfort. Das muss gar nicht viel sein, oft reichen schon ein wirklich gemütliches Bett, eine saubere Dusche, eine schöne Einrichtung und ein nettes Ambiente.
Aber von Ameisenstraßen im Bad, Klebestreifen, die den Bodenbelag zusammenhalten, abblätternden Tapeten, dreckigem Geschirr beim Frühstück, rostigen Fenstergittern und Co., braucht man auch mal eine kleine Auszeit.
Man verliert das Gefühl für die Zeit
In den vergangenen Wochen haben wir völlig das Gefühl für die Zeit verloren. Oft wissen wir nicht, welcher Wochentag gerade ist – und noch krasser ist das bei Dingen wie Jahreszeiten. Hier ist es einfach immer warm und sonnig und die Dinge ändern sich nicht groß.
Als in meiner Timeline bei Facebook dann neulich Bilder von verkleideten Menschen auftauchten, konnte ich das zuerst überhaupt nicht zuordnen. Es hat gedauert, bis ich begriffen habe, dass diese Leute gerade Karneval feiern.
Und, dass bald Ostern ist und die Krokusse blühen und die Menschen daheim gerade nicht draußen in der Sonne sitzen können, sich das aber bald ändert – das ist derzeit komplett unbegreiflich.
Wir tauschen Geld gegen Zeit
Trotzdem ist uns inzwischen sehr bewusst geworden, was wir hier eigentlich tun. Wir tauschen unser Geld gegen freie Zeit, nichts anderes ist letztlich eine Weltreise.
Wo andere vielleicht ein Startkapital für einen Hausbau gesehen hätten, haben wir uns dafür entschieden, das Geld zu verwenden, um aktuell nicht arbeiten zu müssen.
Das fühlt sich gut an, allerdings macht es einem auch umso mehr bewusst, dass dieser Zustand nicht für immer so bleiben wird.
Man fragt sich, was danach kommt
Auch wenn wir noch mehr als ein Jahr Zeit haben, bis zu unserer geplanten Rückkehr, merke ich trotzdem, wie ich mich frage, was eigentlich danach kommt. Und mehr noch: Was ich eigentlich möchte, was danach kommt.
Wieder ein Vollzeitjob? Im alten Beruf? Oder was ganz anderes? Weniger arbeiten? Als Selbstständiger?
Noch habe ich diese Fragen für mich nicht beantwortet, muss es auch noch nicht, aber es ist trotzdem ein komisches Gefühl, es nicht zu wissen und auch kein Gespür dafür zu haben.
In den vergangenen Jahren hat mein beruflicher Werdegang immer mehr einer Wanderung durch die Berge geglichen. Meist ging es irgendwie bergauf, das war anstrengend, dafür war der Weg recht klar – zumindest für mich – und ja, ich hätte jederzeit auch alles anders machen können.
Aber – um in der Metapher zu bleiben – so ein Bergpfad ist auch nicht mal eben so verlassen und der Weg ins Tal und wieder hinauf auf den nächsten Berg kann anstrengend sein.
Jetzt fühlt es sich komplett anders an, ich bin unten, nicht nur im Tal, sondern in einer riesigen Ebene und plötzlich ist alles möglich. Im Hintergrund die Berge, viele verschiedene, und ein jeder wäre gangbar.
Doch ich weiß noch nicht einmal, ob ich überhaupt Lust habe, die Wanderschuhe noch einmal anzuziehen. Metapher Ende.
Es gibt Dinge, die uns fehlen
Es mag jetzt hart klingen, wenn ich an erster Stelle nicht unsere Familie und Freunde nenne. Aber es ist auch ein Kompliment. Denn die Verbindungen sind so eng und intensiv, und Dank des Internets auch jederzeit zumindest digital erfahrbar, dass wir wissen und spüren, dass sie da sind und auch nicht weggehen werden.
Es wäre oft schön, sie in gewissen Situationen dabei zu haben und sehen zu können, aber es geht halt nicht, so ist das eben. Was uns aktuell fehlt, nicht von Herzen, aber so, dass wir mal wieder Lust darauf hätten, sind eher westliche Dinge, wie: ein gemütliches Kochen in einer schönen Küche, mit einem leckeren Glas Wein dazu.
Oder auch einfach mal durch eine vertraute Umgebung zu gehen, in der man jeden Stein kennt. Und tatsächlich Kraftsport. Wir haben zwar unser Equipment dabei und sind auch fleißig, aber ich würde wirklich sehr gerne wieder eine echte Routine im Fitnessstudio haben, mit meinen Eiweißshakes und gesunden Müslis und den sichtbaren Ergebnissen vor dem heimischen Badezimmerspiegel.
Hach ja, wie oberflächlich ich bei Bedarf sein kann – und nein, das wäre nie ein Grund, auf eine Weltreise zu verzichten.
Es gibt Dinge, die wir nicht brauchen
Das meine ich jetzt gar nicht im übertragenen Sinn, sondern ganz praktisch. Einiges von den Sachen, die wir eingepackt haben, haben wir noch kein einziges Mal gebraucht.
Allerdings liegt das in den meisten Fällen auch daran, dass wir bislang fast ausschließlich in warmen Gegenden unterwegs waren, in denen das Essen noch dazu so günstig ist, so dass wir nicht selbst zu kochen brauchen.
Deswegen zählen unter anderem dazu: Sämtliche lange Unterwäsche, sämtliches Kochzubehör inklusive Teller und Besteck, der Wasserfilter, aber auch Dinge wie unsere Schlösser, ein bestimmtes Kartenspiel, unsere Hüttenschlafsäcke.
Und ein paar Sachen haben wir bislang nur in Ausnahmefällen benötigt, konkret als wir in Malaysia in den Bergen waren: Unsere Regenjacken, lange Hosen, Jacken und Pullover. Aber auch das wird sind sich in den kommenden Wochen und Monaten noch ändern.
Man ist nicht automatisch immer glücklich
Die letzte Erkenntnis ist eine Binsenweisheit. Und ich schreibe sie trotzdem auf: Auch auf einer Weltreise ist man nicht automatisch ständig glücklich.
Wenngleich viele Faktoren, die tendenziell zu schlechter Laune führen können, wegfallen, gibt es immer noch Tage, an denen man einfach genervt aufwacht, sich über Dinge ärgert, schlechte Laune hat, weil die Sonnencreme zu viele Pickel macht, sich den Zeh stößt oder mit einer rostigen Kante über das Tattoo schrammt, was noch ärgerlicher ist.
Ja, eine Weltreise macht nicht zwangsläufig glücklich. Aber sie fühlt sich insgesamt doch viel besser an, als immer den gleichen Alltag zu leben.
Jan Filipzik
21. März 2023
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