7. April 2023Peter Pionke
Lena Lichterbeck: Laos und Indien – zwischen den Extremen
Erinnerst Du Dich, wann Du das letzte Mal etwas zum ersten Mal getan hast? Eine spannende Frage, oder? Genau das sind doch die Momente, in denen man etwas über sich selbst lernt, vielleicht sogar eine neue Seite an sich entdeckt und am Ende persönlich wächst; sich weiterentwickelt.
Im Alltag zu Hause gab es für mich ehrlicherweise eher selten die Situation, etwas wirklich Neues auszuprobieren, aber hier auf Reisen gehört es schon fast zwangsläufig dazu:.
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Sei es das erste Mal selbst Roller zu fahren, Worte in einer völlig neuen Sprache zu lernen, neue, mir unbekannte Speisen zu probieren oder das erste Mal in einem Nachtbus – liegend auf einer Matratze – zu fahren und zu versuchen zu schlafen, während dieser bedrohlich schwankend über holprige Straßen fährt.
Auf der einen Seite sind diese neuen Erfahrungen wunderbar und bereichernd, auf der anderen Seite kann es aber auch anstrengend werden, wenn es zu viele neue Eindrücke und Erlebnisse auf einmal sind.
Nachdem wir Laos von Nord nach Süd durchquert haben, ist es daher für uns wichtig ein wenig auszuspannen und eine kleine Erholungsphase vom Reisen einzulegen – sozusagen Urlaub vom Reisen.
Diese Pause verbringen wir ganz im Süden, an der Grenze zu Kambodscha, auf der kleinen Insel Don Det. Gelegen in einem Flussdelta des Mekong, umgeben von unzähligen kleinen und größeren, grün bewachsenen Inseln, von denen nur ein paar wenige wirklich bewohnt sind. Sie werden auch die 4.000 Islands genannt, obwohl ich nicht glaube, dass sie jemals jemand wirklich gezählt hat.
Insgesamt neun Nächte verbringen wir in einem kleinen Homestay bei der lieben Gastgeberin Oi und ihrer Familie. Unser Zuhause für diese Zeit ist eine kleine, niedliche Holzhütte mit Veranda.
Dass es nur einen Deckenventilator gibt, erweist sich bei 40 Grad im Schatten dabei leider als echte Herausforderung. Das ist auch der Grund, weshalb wir die meisten der heißen Tage pendelnd zwischen unserer Terrasse und dem direkt am Mekong gelegen Restaurant von Ois Familie verbringen, ohne mehr von der Insel zu erkunden.
Wenig spektakulär, aber definitiv entschleunigend, auch wenn die Hitze wirklich grenzwertig und es in manchen Momenten kaum möglich ist, einen klaren Gedanken zu fassen.
In diesem Setting tauchen wir über die Zeit auch immer mehr in den Mikrokosmos dieser kleinen Familie ein, die unsere Unterkunft und das hübsche Restaurant (ich würde sagen, das am besten besuchte der gesamten Insel) liebevoll und mit vollem Einsatz betreiben.
Während wir dort frühstücken, am Mittag ein bisschen an unseren Laptops arbeiten, nachmittags ein kühles Bier mit Blick auf den Fluss trinken und dort auch unser Abendessen inklusive anschließender Cocktails zu uns nehmen, schwirrt die gesamte Familie fleißig und ununterbrochen um uns und die anderen Gäste herum.
Die gesamte Familie bedeutet dabei, Oi als Inhaberin, aber auch ihre vier Kinder im Alter von etwa drei bis zwölf Jahren. Die drei größeren Geschwister arbeiten dabei voll mit, von morgens bis abends, nehmen Bestellungen auf, servieren Essen und Getränke und räumen Geschirr ab.
Ob sie im Hintergrund nicht auch beim Kochen helfen, vermag ich nicht genau zu sagen, aber wundern würde es mich nicht, denn sonst wäre die Masse an Bestellungen eigentlich nicht zu bewältigen.
Es macht mich sehr nachdenklich zu sehen, dass keines der Kinder in die Schule geht und diese vier, fünf Bungalows plus Restaurant ihr ganzes Leben inklusive ihrer Zukunft zu sein scheinen.
Vieles, was wir in Deutschland als selbstverständlich ansehen, ist es für so viele Menschen in anderen Teilen der Welt einfach nicht und hier wird es einem gnadenlos vor Augen geführt. Für die Kleinste der vier Kinder, ist das Restaurant noch ein Abenteuerspielplatz.
Sie ist immer mitten im Geschehen, auf dem Tresen, wo abgerechnet und bezahlt wird, zwischen den Tischen und uns Gästen oder mit ihrem Plastik-Rennwagen am Eingang auf und ab fahrend.
Auf der einen Seite hat sie wahnsinnig viele Freiheiten und wächst mit einer bemerkenswerten Offenheit fremden Menschen gegenüber auf, aber auf der anderen Seite, muss sie sich auch viel mit sich selbst beschäftigen, denn niemand aus ihrer Familie hat wirklich Zeit für sie, während der Restaurantbetrieb läuft – also 16 Stunden am Tag.
Wie sehr die Kleine es genießt, wenn ihre Mutter dann doch einmal Zeit für sie hat, kann ich an einem Freitagabend gegen halb zehn sehen als es endlich etwas ruhiger wird: Das kleine Mädchen lacht und blüht auf, wie an keinem der anderen Tage.
Im Hintergrund läuft ein Lied von Bruno Mars und sie tanzt strahlend dazu; freut sich offensichtlich über die ungeteilte Aufmerksamkeit ihrer Mutter, der sie immer wieder ins Gesicht fasst. Beinahe so, als könne sie ihr Glück kaum fassen und müsse sich so der Anwesenheit ihrer Mutter versichern.
Diese Szene berührt mich, macht mich gleichzeitig traurig und ich werde in Zukunft bestimmt noch oft daran und an das kleine Mädchen denken.
Und dann heißt es auch schon wieder Abschied nehmen von Ois Familie, die wir sehr liebgewonnen haben in der Zeit.
Wir umarmen uns bei der Verabschiedung, wünschen uns gegenseitig alles Gute und machen uns auf nach Bangalore in Südindien. Das bedeutet, dass wir drei Tage unterwegs sind: Von Don Det mit der Fähre aufs Festland, mit dem Minivan mehrere Stunden zurück nach Pakse, weiter mit dem Reisebus, kurzzeitig zu Fuß durch einen verließartigen Tunnel, über die thailändische Grenze nach Ubon Rhatchathani, wo wir eine Nacht verbringen.
Seitdem wir aus dem Minivan und in den Reisebus umgestiegen sind, haben wir keine Touristen mehr gesehen und Englisch spricht hier auch niemand. So versuchen wir unser Abendessen mit Händen und Füßen zu bestellen, was damit endet, dass wir entmutigt einen Fisch-Burger bei McDonalds und am nächsten Vormittag unser Frühstück in einer Pizzeria essen – beides eher ungewöhnlich für uns, aber in diesem Fall die einzige Chance, die wir haben.
Ungefähr so geht es auch weiter als wir mit dem Minivan in den Nachbarort fahren, von dem abends unser Nachtbus nach Bangkok abfährt: Niemand spricht Englisch, aber zum Glück hat der Besitzer einer kleinen Garküche eine Übersetzungs-App und bereitet uns, nach einigen gegenseitig eingetippten Nachrichten, gebratenen Reis mit Gemüse und Ei zu, worüber wir sehr, sehr froh sind.
Denn ehrlicherweise haben wir uns schon Kekse oder Chips vom Kiosk zum Abendbrot essen sehen. Genau hier merken wir, wie abhängig wir doch von unserem funktionierenden Smartphone sind. Für die zwei Tage Aufenthalt in Thailand haben wir keine lokale Sim-Karte und sind somit offline, was gleichbedeutend mit aufgeschmissen ist, wenn kein Englisch gesprochen wird.
Leicht geschafft fallen wir danach in unsere Nachtbus-Sitze und werden in acht Stunden nach Bangkok gebracht; Ankunft 3:30 Uhr am Morgen, weiter mit dem Taxi zum Flughafen, wo wir nochmals mehr als acht Stunden Aufenthalt haben, bevor am Mittag – endlich – unser Flug nach Indien geht.
Übermüdet und etwas angespannt nach dieser Tour, setzen wir weitere dreieinhalb Stunden später am Flughafen in Bangalore auf. Vielleicht nicht die beste Gemütslage und Voraussetzung, um sich in eine indische Metropole mit über 13 Millionen Menschen zu stürzen, aber nun einmal alternativlos in diesem Moment.
Unser Taxi fährt uns in die Stadt und mit jedem Kilometer nimmt der Verkehr zu und entwickelt sich zu dem lärmenden Chaos, das ich in dieser Form bisher nur aus Filmen und Videos kenne.
Nicht zu vergleichen mit irgendeinem der anderen asiatischen Länder, in denen wir schon waren. Mehrere Male denke ich, dass ein Unfall gleich unvermeidbar ist, aber auf wundersame Weise finden doch alle Autos, Motorräder, LKWs, Kühe, Fußgänger und Hunde irgendwie ihren Weg – erstere unter lautstarkem Einsatz ihrer Hupen.
Und dieser Lärm verlässt uns auch nicht mehr, sondern wird unser verlässlicher Begleiter, der dafür sorgt, dass ich unterbewusst kontinuierlich im Alarm-Modus bin.
Ganz egal, wie sehr ich dachte, dass ich auf Indien vorbereitet bin, überfordern mich dieser Lärm, Dreck und Gestank, das hektische Treiben, der gnadenlose Verkehr, die Armut oder auch zu sehen, dass ein Mann auf dem Grab seiner Frau schläft und es scheinbar zu seinem zu Hause gemacht hat.
Es ist in jeder Weise das absolute Kontrastprogramm zu dem doch eher ruhigen Laos, das wir gerade erst hinter uns gelassen haben. Hinzu kommt das unangenehme Gefühl, wie ein Tier im Zoo von allen Seiten angestarrt zu werden, auch wenn wir ausnahmslos freundliche Worte und interessierte Fragen als Antwort auf unser Grüßen erhalten – als nahezu einzige Touristen weit und breit, fallen wir eben auf; das verstehe ich und doch fühlt es sich komisch an.
Zum Glück bereitet uns der Besitzer unserer Unterkunft an diesem Abend einen wirklich tollen Empfang, indem er uns auf einen warmen, süßen Chai-Tee einlädt, viel von Indien und dessen Kultur erzählt und uns bei der Auswahl der richtigen Speisen in seinem angrenzenden Restaurant berät.
Dennoch bin ich froh, dass es am nächsten Tag abends mit dem Nachtbus weiter nach Trivandrum geht, denn ich verspreche mir davon weniger Lärm, mehr andere Reisende und die Möglichkeit, ein wenig zur Ruhe zu kommen nach den letzten durchaus nervenaufreibenden Tagen.
Ob diese Hoffnung in Indien nun als naiv zu bezeichnen wäre oder nicht, kann ich gar nicht genau sagen, nur so viel: Sie erfüllt sich definitiv nicht. Während die Fahrt mit dem Nachtbus, auf einer überraschend bequemen Matratze, fast schon angenehm ist, erreichen wir nun einmal ungewaschen und klebrig unser Ziel am nächsten Vormittag und freuen uns riesig auf eine Dusche und ein sauberes Bett.
Entsprechend groß ist die Enttäuschung als wir nach einem schweißtreibenden Marsch durch die Stadt feststellen, dass unser Guesthouse überbucht ist. Spontan buchen wir also ein Zimmer in einem nahegelegenen Hotel und sind bereit dafür auch ein paar Euro mehr als ursprünglich geplant auszugeben, schließlich möchten wir nun einfach ankommen.
Ich kürze an dieser Stelle ein wenig ab: Mehrere Stunden und zwei Zimmerwechsel später – bedingt durch eine fehlende Dusche sowie Kakerlaken- und Schimmel-Befall – haben wir immerhin ein sauberes Bett und (k)eine Dusche, was heißt, dass wir uns damit arrangieren, heißes Wasser in einen Bottich laufen zu lassen und mit einem Messbecher über uns zu gießen.
Den Umstand, dass Wasser aus der Nachbarwand runter auf unseren Boden läuft, direkt vor unserem Fenster die Reklame des Hotels hängt, wodurch wir kein Tageslicht haben und etwa 15 Tauben gurrend und scharrend hinter dieser Reklame direkt vor unserem Fenster nisten, nehmen wir an diesem Punkt kommentarlos hin – noch ein Zimmerwechsel, kommt für uns einfach nicht in Frage.
Klar, am Ende ist das alles kein wirkliches Drama und würde uns normalerweise auch nicht sonderlich stressen, aber nach den vorherigen Tagen, ist es in Summe doch ein bisschen viel keinen Rückzugsort zu haben, an dem man die vielen Eindrücke verarbeiten und etwas zur Ruhe kommen kann.
Für mich ist es vielleicht sogar etwas zu viel: Denn am nächsten Tag treffen mich der Lärm und die Intensität Indiens mit voller Wucht als ich aus der Tür trete. Ich will überall, nur gerade nicht dort sein. Das Mittagessen in einem vollkommen überfüllten Restaurant, bei dem im Minutentakt irgendwelche unbekannten Speisen auf das Bananenblatt vor mir geschaufelt werden, die ich dann – traditionell indisch – mit den Fingern versuche in meinen Mund zu befördern, macht das Ganze nicht besser.
Auch wenn zwei sehr nette Polizisten an unserem Tisch versuchen, uns sowohl die Speisen als auch die Reihenfolge, in der man sie isst, zu erklären.
Mir einzugestehen, dass ich ganz einfach einen Kulturschock habe, fällt mir zunächst schwer, macht es aber am Ende sogar sehr viel leichter damit umzugehen als ich bereit bin diesen Fakt zu akzeptieren.
Einen Tag später – den wir am Kovalam Beach verbringen und alles etwas sacken lassen können – sieht die Welt zum Glück schon anders aus und ich fange wieder an die positiven und interessanten Seiten des Landes zu sehen. Ich bin also guter Dinge, dass das mit diesem Indien und mir doch noch was werden kann.
Lena Lichterbeck
5. April 2023
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