17. April 2023Peter Pionke
Jan Filipzik: Die ganze Wucht Indiens
Ich liege im Pool. Lasse mich vom Wasser treiben. Ein kühles Bier in der Hand. Die Hitze des Tages verlässt langsam meinen Körper, während die Sonne Richtung Horizont sinkt und die Schatten länger werden. Unser Hotel, diese kleine Oase hier. Ein altes Gebäude, fünf Meter hohe Decken, abgetretene Steinfliesen, ein schöner Innenhof, ein betagter Baum, grüne Blätter vor blauem Himmel, gedämpfte Schritte im Hintergrund.
Auch das ist Indien – und ich bin wahnsinnig froh, dass wir diesen Ort gefunden haben. Denn nach dem holprigen Start, erst in Bangalore und dann in Trivandrum, der auch mir einiges abverlangt hat und an die Substanz gegangen ist, genieße ich die Ruhe und die Entspannung umso mehr. Wir sind in Alleppey angekommen, der dritten Stadt auf unserer Reise durch Indien und hier endlich stellt sich das Gefühl ein: Ja, so kann das funktionieren, mit uns und diesem Indien.
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Nach ziemlich genau 20 Jahren bin ich zurück. Meine erste echte Reise, allein mit dem Rucksack und außerhalb Europas, hat mich damals nach Indien geführt, nach Delhi und Rajasthan, und ich war gespannt, wie ich das Land heute sehen würde. Mit älteren Augen und mit mehr Erfahrung.
In meiner Erinnerung ist Indien vor allem eines geblieben: unglaublich intensiv, auf allen Ebenen. Deswegen bin ich dankbar und aufgeregt, dass unsere Weltreise es mir ermöglicht, dieses Land ein zweites Mal zu erleben. Und auch wenn wir im tendenziell ruhigeren Süden starten, kann ich schon nach wenigen Stunden sagen: Indien hat nichts von seiner Intensität und Wucht verloren.
Im Vergleich zu jedem anderen Land, das ich bislang in Asien bereist habe, ist Indien von allem einfach mehr. Es ist lauter, anstrengender, komplizierter, dreckiger, bunter, mit mehr Menschen, mehr Verkehr, mehr Gerüchen und mehr Eindrücken. Diese Masse erschlägt einen, wenn man ankommt, und man braucht Zeit, um all das zu verarbeiten und sich darauf einzustellen.
Umso wichtiger ist es für uns, die Unterkunft als schönen, ruhigen und sicheren Rückzugsort zu haben, an dem wir runterkommen und abschalten können. Und damit sind wir wieder beim Pool und unserem Hotel in Alleppey. Wobei man auch sagen muss, dass Alleppey definitiv eine Stadt ist, die es einem verhältnismäßig einfach macht.
Der Verkehr ist weniger dicht, es ist nicht so laut, auch als Fußgänger kommt man gut voran und wir erleben hier eine schöne Zeit. Wir besuchen ein privates Museum, eingerichtet von der Familie eines verstorbenen Großindustriellen, mit einer beeindruckenden Sammlung an – ja, an was eigentlich?
So ziemlich alles hat der Mann im Laufe seines Lebens zusammengetragen, aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt, alte Möbel, Elfenbein, Porzellan, Gemälde, Statuen, Schnitzereien, Kristalle und vieles, vieles mehr. Wir lassen uns durch die Straßen treiben und klettern auf den Leuchtturm, dem Wahrzeichen der Stadt, von wo aus wir einen schönen Blick auf das Meer haben.
Buntes Treiben:Typisch Indien – © reisen-ist.jetztBekannt ist Alleppey allerdings vor allem für die sogenannten Backwaters – ein dichtes Netz aus Kanälen und Wasserstraßen, das man perfekt mit dem Boot erkunden kann. Spontan besteigen wir eine Fähre, die gerade zufällig am Steg wartet, und fahren mit den Einheimischen bis in den nächsten Ort, vorbei an mit Palmen gesäumten Ufern.
Unterwegs freunden wir uns mit Sarah an, einer Backpackerin aus England, zusammen mit dem Bootsführer trinken wir am Zielort einen Tee und probieren indisches Gebäck, bevor sich die Fähre mit uns wieder auf den Rückweg macht. Ich bin froh, Indien auf diese Weise erleben zu dürfen. Keine überteuerten Touren für Touristen, sondern das authentische Leben der Menschen vor Ort.
Und das bekommen wir auch am nächsten Tag zu sehen – den nämlich verbringen wir zusammen mit Sarah am Marari Beach, einem Stand etwa zehn Kilometer nördlich von Alleppey, an dem wir die einzigen westlichen Touristen sind. Während die Inder in voller Bekleidung am Ufer stehen und kreischend den Wellen davonlaufen, sind wir die einzigen Schwimmer in Badekleidung und die Attraktion am Strand. Sogar für einige Selfies dürfen wir herhalten.
Was uns nach wie vor zu schaffen macht, ist die unglaubliche Hitze in Indien. Laut Thermometer sind es zwar nur 32 bis 33 Grad, doch die fühlen sich deutlich heftiger an als die teils 39 Grad, die wir in Laos erlebt haben. Und so sind wir froh, dass es für uns nach fünf Nächten von Alleppey nach Munnar geht, mit dem Bus gut vier Stunden entfernt und auf mehr als 1.000 Metern Höhe gelegen.
Das Highlight hier sind die Teeplantagen – und wir sind zunächst skeptisch, denn die hatten wir schon in Malaysia gesehen, doch tatsächlich ist Munnar noch einmal ein anderes Level. Es sieht einfach unglaublich schön aus, die Landschaft ist beeindruckend, der Ausblick, die Natur, alles ist grün und satt und wunderschön.
Da die Wanderwege nicht allein gegangen werden dürfen, unternehmen wir eine Tour, und haben Glück. Wir sind an diesem Tag die einzigen Gäste von Guide Philip. Unterwegs zum Gipfel des 500 Meter höher gelegenen Berges erfahren wir alles über den Anbau und die Produktion von Tee, über die heimischen Pflanzen und ihre Wirkung, beobachten Vögel und untersuchen Tierspuren. Denn auch wenn es nicht so aussieht – hier oben auf 1.700 Metern Höhe gibt es nicht nur wilde Hühner, Hunde und Schweine, sondern auch Büffel, Leoparden, Pumas und Elefanten.
Vor allem die Büffel und die Elefanten sind in Munnar und Umgebung ein Problem. Während erstere besonders in den Abendstunden durch die Teeplantagen trampeln und dort Schäden anrichten, sind die Elefanten für die Menschen gefährlich. Immer wieder kommt es zu Todesfällen, weil die Elefanten gelernt haben, dass die Menschen ihnen tendenziell nichts Gutes wollen und entsprechend schnell aggressiv reagieren.
In dem Fall haben wir also Glück, dass wir sie an diesem Tag nicht zu Gesicht bekommen, wobei die meisten von ihnen, das lernen wir von Philip, die heißen Mittagsstunden ohnehin am liebsten im dichten und schattigen Unterholz verbringen. Als später ein kurzer Abschnitt unseres Weges genau dort hindurchführt, machen wir stattdessen Bekanntschaft mit ganz anderen Tieren, die wir bislang eher in Gewässern vermutet hatten.
Im feuchten und von den Hufen der Büffel aufgewühlten Schlamm leben zahlreiche Blutegel, die sich gierig unseren Füßen und Beinen entgegenstrecken, als wir an ihnen vorbeigehen. Das habe ich vorher auch noch nie gesehen.
Total beeindruckend: Die riesigen Teeplantagen – © reisen-ist.jetztNicht nur wegen der angenehmen Temperatur fühlen wir uns in Munnar rundum wohl. Auch hier haben wir mit unserer Unterkunft Glück, sie ist modern und sauber, die Mitarbeiter sind eher wie eine Familie und der Ausblick auf die umliegenden Berge und Täler ist wunderschön.
Hier morgens den typischen indischen Tee zu trinken, fühlt sich schon verdammt gut an. Munnar selbst ist hingegen recht touristisch, im Sinne von: es gibt unzählige Shops, die neben Tee vor allem Gewürze, Früchte und Schokolade verkaufen, viel Gewimmel auf den Straßen, Horden von Tuk Tuks, die auf ihre nächsten Fahrgäste warten und mit Schildern am Straßenrand winkende Hotelbesitzer, die versuchen, ihre noch leeren Zimmer zu füllen.
Lena & Jan: Schnappschuss vor der tollen Aussicht – © reisen-ist.jetztBei alldem ist Munnar trotzdem wahnsinnig entspannt und vergleichsweise ruhig – und wird damit eines der bisherigen Highlights unserer noch jungen Reise durch Indien. Die wiederum führt uns nach drei Nächten zurück an die Küste, in die Hafenstadt Kochi.
Unterwegs im Bus, ohne Klimaanlage, mit offenen Fenstern, genießen wir den kühlen Fahrwind, der mit jedem verlorenen Höhenmeter wärmer und wärmer wird, bis er sich mehr anfühlt wie ein Fön. Mit nassgeschwitztem Rücken, einen Podcast auf den Ohren, blicke ich aus dem Fenster, lasse Indien an mir vorbeiziehen und bin gespannt, was uns am nächsten Ziel erwartet.
Jan Filipzik
15. April 2023
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