27. Mai 2023Peter Pionke
Thomas Manns ‚Zauberberg‘: Eine einzigartige Produktion
Die vielbeachtete Uraufführung fand im ausverkauften Theater am Engelsgarten statt. Thomas Mann (1875 – 1955) zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Mit ihm erreichte der moderne deutsche Roman den Anschluss an die Weltliteratur.
Manns vielschichtiges Werk “Der Zauberberg“ aus dem Jahr 1924 hat eine weltweit kaum zu übertreffende positive Resonanz gefunden. Es wird längst als „Bildungsroman“ verstanden. Die lange Entstehungsgeschichte in den Jahren von 1912 bis 1924 unterstreicht die historische Dimension, welche das inneren Bild dieser Epoche widerzuspiegeln versucht. Ein eindringliches Porträt der europäischen Gesellschaft vor und nach dem Ersten Weltkrieg.
Eindringliches Porträt der Europäischen Gesellschaft
Angeregt wurde Thomas Manns Werk durch die Verhältnisse in einem Davoser Sanatorium oben auf dem Schweizer Berg, das er 1912 beim Besuch seines chronisch kranken Cousin Joachim Ziemßen (Konstantin Rickert) tatsächlich kennengelernt hatte. Nahezu alle Protagonisten leiden dort an der Tuberkulose, die seinerzeit als Volkskrankheit und Geißel der Menschheit galt. Die Krankheit beherrschte den Tagesablauf, die Gedanken und Gespräche.
Eine anspruchsvolle Thematik, schauspielerisch nicht ganz leicht zu vermitteln. Thomas Mann selbst (gespielt von Julia Wolff) hilft in der Wuppertaler Inszenierung mit begleitenden Erklärungen aus seinem über 1.000 Seiten umfassenden literarischen Werk. Sein/Ihr interpretierender und einfühlsamer Auftritt im zeitgemäßen weissen Frack bietet Orientierung.
Im Roman trifft der junge angehende Ingenieur Hans Castorp (gespielt von Rebekka Biener) während seines Aufenthalts in der Zeit vor dem Jahr 1914 in der abgeschlossenen Welt eines Sanatoriums im Hochgebirge auf weltentrückte Figuren, die ihn mit Politik, Philosophie, aber auch Liebe, Krankheit und Tod konfrontieren. Verzaubert durch die Liebe zu Clawda Chauchat (Aline Blum), die den Bi-Sexuellen Mann an seine Jugendliebe erinnert, bleibt er statt geplanter dreier Wochen dort auf eigenem Wunsch für sieben Jahre.
Seine Abreise verschiebt er immer wieder, der Zaungast wird damit selbst zum Patienten, die Krankheit eröffnet ihm neue Horizonte. Was ist schon Zeit? Eine Geheimnis – wesenlos und allmächtig, konstatiert Thomas Mann. Im Stück erinnert das Ticken einer Uhr an Gedanken über den Zeitbegriff.
Skurrile, weltentrückte Persönlichkeiten
Hans Castrop ist eigentlich ein Träumer, harte Arbeit strengt ihn eher an. Im Sanatorium macht er Bekanntschaft mit skurrilen Persönlichkeiten und versinkt immer tiefer in philosophischen Reflexen, eben über Krankheit, Leben und Tod. Da ist „Settembrini (Alexander Pfeiler), der sich sich als Erbe der Aufklärung und Vorkämpfer für Republik und Demokratie“ präsentiert; er ist Humanist und Freimaurer, der ihm allmählich zum Freund und Mentor wird.
Eindringlich warnt Settembrini seinen Schützling davor, sich von dem morbiden Reiz der Anstalt beeindrucken zu lassen und drängt ihn mehrfach zur Abreise. Und da ist der Jesuit und Kommunist Naphta (Hans Richter), mit dem Settembrini weltanschaulich streitet.
Naphtha teilt nicht die Septemberschen Parolen „Persönlichkeit, Menschenrecht, Freiheit!“, sondern erklärt den Gehorsam zu einem Prinzip der Freiheit. Zudem vertritt er die Meinung: „Nicht Befreiung und Entfaltung des Ich sind das Geheimnis und das Gebot der Zeit. Was sie [die Jugend] braucht, wonach sie verlangt, was sie sich schaffen wird, das ist – der Terror.
Das medizinische Personal des Sanatoriums wird durch die Ärzte Hofrat Behrens (Flora LI / Nora Krohm) und Dr. Edhin Krokowski (Mona Krohm) sowie durch die Oberin Frau Adriatica (Marvin Löffler) repräsentiert, die sich zwischen den Routinen Fiebermessen, den Mahlzeiten mit hustender Patienten eindrucksvoll in Szene setzen.
Dem Tod keine Herrschaft über seine Gedanken einräumen
Das Schauspiel endet im mit Lichteffekten und Geräuschen dargestellten Wirrwarr des Krieges und der Erkenntnis Catorps „Der Mensch soll um der Güte und der Liebe Willen dem Tode über seine Gedanken keine Herrschaft einräumen“. Während der Vetter an seiner Krankheit stirbt, findet Castorp sein abruptes Ende in dem ausbrechenden Ersten Weltkrieg, in dem sich die Spur des Helden verliert.
Regisseur Henri Hüsters (Jahrgang 1989) aktuelle Inszenierung will die heutige Relevanz im gesellschaftlichen Umgang mit diesen Themen aufzeigen. Seit dem Spieltriebe-Festival 2015 arbeitet Henri Hüster kontinuierlich mit der Tänzerin und Choreografin Vasna Aguilar zusammen, so auch in Wuppertal. Gemeinsam suchen sie auch hier nach einer Theaterform zwischen Schauspiel und Tanz und konzentrieren sich dafür auf Stückentwicklungen und Adaptionen.
Die begleitende inspirierende Musik stammt von Florentin Berger-Monit und Johannes Wernicke, die seit 2018 gemeinsam Kompositionen und Sound Design entwickeln.
Neue Wahrnehmung von Inklusion
Das Gemeinschaftsprojekt des Wuppertaler Schauspiels mit dem inklusive Schauspielstudio ist in dieser Form bisher in Deutschland einzigartig. Die Produktion versteht sich als innovative und künstlerische Ergänzung und genießt die Förderung u.a. durch das Düsseldorfer Ministerium für Kultur und Wissenschaft.
Ziel ist es, für die Wahrnehmung und einer neuen Normalität von Inklusion in der Stadtgesellschaft zu sorgen sowie Berührungsängste im Umgang mit Menschen mit Behinderung abzubauen. Hierfür bietet das Stück aus vielen unterschiedlichen Blickwinkeln durchaus sympathischen Anschauungsunterricht.
Text SIEGFRIED JÄHNE
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