22. Juni 2023

Free Jazz-Legende Peter Brötzmann ist tot

Wuppertal trauert um Peter Brötzmann! Die Free Jazz-Legende starb am Donnerstag (22.06.) in Wuppertal im Alter von 82 Jahren. "Sanfter Wüterich" ist nur Etikett, das dem selbstbewussten Saxophonisten aufgeklebt wurde, um zu dokumentieren., wie er die Welt des Jazz auf den Kopf gestellt hat.

Peter Brötzmann – © Von der Heydt-Museum

Peter Brötzmann wurde am 06. März 1941 in Remscheid geboren. Er hat Musikgeschichte geschrieben und wurde mit Auszeichnungen förmlich überschüttet.

Der Journalist und Buchautor Dr. Matthias Dohmen erinnert in einem sehr persönlichen Porträt, das er aus Anlass des 70. Geburtstags von Peter Brötzmann verfasst hat, respektvoll an den großartigen Menschen und Musiker. Hier wird er scheinbar für einen Moment noch einmal lebendig:

Jazz ist ein politisches Genre

„In der Welt daheim und in Wuppertal zu Hause“, könnte man in Adaption des Werbespruchs einer bayerischen Hefeweizenbrauerei von ihm sagen. 250 Tage im Jahr ist er immer noch on tour, tritt rund um den Globus auf, je älter er wird, um so lauter ruft die Musikwelt nach ihm. Es ist beschwerlich, so plagte ihn kürzlich ein Bandscheibenvorfall, aber auch schön. Man will ihn hören, den am 6. März vor 70 Jahren geborenen Saxophonisten und Maler.

Ursprünglich stammt er aus Remscheid, wo er auch zur Volksschule und zum Gymnasium ging, das er allerdings nicht abschloss. Ihm lag mehr am Basteln und Zeichnen. In der Wuppertaler Werkkunstschule wurde er, gerade 18 geworden, gleich angenommen. Gebrauchsgrafiker nannte sich der Ausbildungsgang damals.

Mit 21 hat er dann geheiratet, seine Frau ist vor ein paar Jahren gestorben, ein Sohn und eine Tochter wohnen in Berlin. Beide sind künstlerisch veranlagt, der Sohn tritt sogar hin und wieder mit dem Vater auf. 

20 Jahre hat er in der Siegesstraße gewohnt, ein kleines Werbebüro unterhalten, auch schon mal bei seinem Schwiegervater in der Schmiede ausgeholfen oder bei Wicküler gejobbt. Die Musik, lang ist’s her, war Nebenbeschäftigung.

Peter Brötzmann auf der Bühne – © Alex Phillipe Cohen

Gegen Ende der 1960er Jahre dann nicht mehr: Ab 1964 nimmt er an einer Reihe von Festivals im In- und Ausland teil, seine Werke stellt er zu Hause und in den Niederlanden aus. Zwei Jahre später nimmt er mit dem drei Jahre jüngeren und 2002 in New York verstorbenen Peter Kowald die erste Platte auf.

Es folgten Engagements in die Niederlande, nach Belgien, Großbritannien, Frankreich und den skandinavischen Raum, vielfach Osteuropa, ab den 70er Jahren in die USA, wieder ein Jahrzehnt später nach Japan. In Afrika ist er auf Einladung des Goethe-Instituts gewesen, wo er in Kamerun, Ghana und der Elfenbeinküste auftrat. 

Maßgeblich haben ihn die 1960er Jahre geprägt, als er und viele seiner Kollegen mit der Musik „die Welt verändern“ wollten. Daran glaubt er nicht mehr. „Trotzdem: Jede künstlerische Äußerung ist eine politische Äußerung.“ Musik sei die „direkteste Art, Menschen zu erreichen“. Der Kontakt zum Publikum nach einem zweistündigen Konzert ist ihm wichtig.

Jazz & Blues ist die Musk der „Underdogs“

Wenn schon nicht mit der Schuld, so lebt man doch mit der Scham. Als Brötzmann zum ersten Mal in Tel Aviv auftritt, sind nicht nur, wie gewohnt, junge Leute da, sondern auch Israelis seines Alters, „die mich auf Deutsch angesprochen haben“. Das vergisst man so schnell nicht.

Jazz und Blues waren immer „die Musik der Underdogs“, und sie sind es für ihn heute noch. Auf seiner Internetseite, www.peterbroetzmann.com, kann man nachlesen, mit wem er rund um den Globus auftritt. In seiner Generation und der darauf folgenden habe sich niemand dem Jazz, der „nicht in Konzertsälen groß geworden ist“, verschrieben, „der rechts ist“.

Er stammt aus einer normalen bürgerlichen Familie. Aus Pommern stammen beide Eltern, der Vater hört deutsche und russische Klassik, bis es dem Sohn „zum Hals heraus hängt“, der sich folgerichtig musikalisch anders orientiert. Im Zusammenhang mit dem Besuch der Werkkunstschule zieht er, ein halbes Jahrhundert ist das jetzt her, in die Stadt an der Wupper, zuerst nach Wichlinghausen in ein „Rattenloch“ am Gaskessel, das er für 15 Mark mietet.

Peter Brötzmann im Gespräch – © Alex Phillipe Cohen

Seit über 20 Jahren hat er seine Zelte im Luisenviertel aufgeschlagen, wo er in der Obergrünewalder Straße über eine Wohnung, ein Büro und – hinter Hof und Garten – ein Atelier verfügt. Das Malen ist ihm ein „guter Gegensatz zum Leben unterwegs“, bei dem man zu zweit, zu dritt, zu viert oder zu zehnt, sich 24 Stunden am Tag auf der Pelle hockt.

Wuppertal war in den letzten Jahrzehnten für die Kunst kein schlechtes Pflaster, meint der Von-der-Heydt-Preisträger und verweist auf das Schauspielhaus, das manchen berühmten Regisseur und Schauspieler anzog. „Peter Zadek zum Beispiel.“ Den Austausch unter den Künstlern der Stadt beschreibt er als intensiv und lebhaft.

Doch vieles liege im Argen, das kulturelle Leben bedürfe dringend neuer Impulse. Dass in einer solchen Situation darüber nachgedacht werde, das Schauspielhaus zu schließen, kommt ihm beispielhaft vor: „Wenn eine Stadt dieser Größenordnung einen solchen Kulturtempel schließt, stellt sie sich ein Armutszeugnis aus.“

„Im Grunde genommen bin ich Amateur“

Die Antwort auf die Frage, welche Hobbys er pflege, fällt überraschend aus. Seine wichtigste Lieblingsbeschäftigung ist nämlich der Jazz, denn „im Grunde genommen bin ich Amateur“. Immerhin ein solcher, dessen Instrumentenbauer in Japan arbeitet. Brötzmann liebt es, in der wenigen Zeit, die er in Wuppertal verbringt, mit Kollegen zusammen zu sein. Oder im Briller Viertel, auf Scharpenacken und im Gelpetal spazieren zu gehen, locations und Landschaften, in denen er sich Anregungen für seine Malerei holt. 

Er liest gern US-amerikanische Romane und Kriminalgeschichten, zumeist in Originalausgaben, die großen Epiker wie Thomas Wolfe oder Upton Sinclair, Lyriker vom Schlag eines Kenneth Patchen oder Tom Sawyer, Spannung pur by Michael Connelly und Dashiell Hammet.

Dr. Matthias Dohmen

 

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