5. August 2023Peter Pionke
Zehn Tage Meditations-Retreat – zumindest fast
Ich sitze am Pool, lausche dem Plätschern des Wassers und warte auf Lena, die nach dem letzten Tag im Meditations-Retreat gleich ebenfalls hier ankommt. Moment – waren wir nicht zusammen dort? Wollten wir die zehn Tage Retreat (Rückzug) nicht gemeinsam machen?
Doch, das ist schon richtig. Wir sind auch zusammen gestartet und normalerweise wäre ich auch bis zum Ende geblieben, aber nicht, nachdem ich versucht habe, mir selbst den Rücken einzurenken. Doch ich will am Anfang beginnen – und da steht die Frage, was so ein Retreat überhaupt ist und was es soll.
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Konkret haben wir ein zehntägiges sogenanntes Vipassana-Retreat gemacht. Dort geht es also darum, eine ganz bestimmte Form der Meditation kennenzulernen und zu praktizieren – nämlich Vipassana.
Die Rahmenbedingungen sind schnell erklärt: Zehn Tage vor Ort, Handys und elektronische Geräte abgeben, Männer und Frauen leben getrennt, es darf nicht gesprochen und auch nicht anderweitig kommuniziert werden, beispielsweise mit Gesten oder Blicken. Jeder hat ein einfaches Zimmer mit nicht viel mehr als einem Bett und einem kleinen Nachttisch.
Es gibt Gemeinschafts-Duschen und -Toiletten, jeden Morgen ein kleines Frühstück, dann Mittagessen und abends noch ein bisschen Obst. Um vier Uhr früh wird man mit einem Gong geweckt, um 4:30 Uhr beginnt die erste Meditation.
Abgesehen von kleinen Pausen wird dann bis abends meditiert, dazu gibt es Anleitungen und Vorträge, um 21 Uhr ist Ende, um spätestens 22 Uhr wird das Licht ausgemacht. Und am nächsten Tag geht es genauso wieder von vorne los. Das Ganze ist kostenlos. Lediglich am Ende des Kurses kann man eine Spende abgeben, um so die Unterkunft und die Verpflegung für die Teilnehmer des nächsten Kurses zu finanzieren.
Bleibt die Frage, was das Ganze soll. Den Ansatz finde ich sehr spannend, denn natürlich geht es auch viel um buddhistische Lehren und Sichtweisen – wie etwa die Frage, warum wir unser Glück eigentlich oft vor allem in materiellen Dingen suchen oder warum wir immer nach noch mehr streben, warum uns das unglücklich macht und wie das enden kann.
Aber zentral ist eigentlich ein Experiment: Denn üblicherweise richten wir unseren Blick fast den ganzen Tag über nach außen. Wir schauen, was in der Welt vor sich geht, arbeiten, kaufen und konsumieren Dinge und glauben die ganze Zeit, das echte Leben fände dort draußen statt.
Was passiert aber, wenn man sich für zehn Tage von fast allen Reizen abschirmt, der Geist zur Ruhe kommen und man den Blick komplett nach innen richten kann? Was findet sich dort, was lässt sich beobachten, wie ist die Wirklichkeit im Inneren?
Das ist es, worum es bei so einem Vipassana-Retreat geht – und ich kann sagen, dass die Antwort auf diese Fragen ist: eine ganze Menge.
Zehn Tage ohne Handy und E-Reader
Ich werde jetzt nicht im Einzelnen beschreiben, was ich alles erlebt habe und wie es sich angefühlt hat – denn tatsächlich ist diese Erfahrung für jeden anders und zeigt sich unterschiedlich. Für mich zum Beispiel war es nicht schwierig, auf mein Handy und meinen E-Reader zu verzichten, zehn Tage zu schweigen und nicht zu kommunizieren.
Mir ist auch kein bisschen langweilig geworden. Aus Gesprächen mit anderen Teilnehmern am letzten Tag – dann darf man wieder reden – weiß ich, dass andere da mehr Probleme hatten.
Eine der größten Herausforderungen bei den täglich zehn Stunden Meditation – und das sicherlich für alle – ist das stundenlange Sitzen in der Meditationshaltung. Schon nach wenigen Minuten fängt der Hintern an zu drücken, der Rücken sticht, die Knie schmerzen.
Natürlich kann man ein wenig hin und her rutschen auf dem Meditationskissen, manchmal wird es dadurch auch kurzfristig ein bisschen besser, aber unter dem Strich ändert sich nicht viel.
Noch dazu gibt es nach einer kleinen Eingewöhnungsphase jeden Tag drei einstündige Meditationen, in denen man sich möglichst gar nicht bewegen soll, kein bisschen, auch nicht, wenn die Nase ganz doll juckt oder das Knie nun wirklich höllisch wehtut.
Diese Erfahrung ist bewusst Teil eines solchen Retreats. Es geht darum zu lernen, nicht jedem Impuls sofort nachzugeben, sondern stattdessen nach innen zu schauen: wie er entsteht, anhält und am Ende auch wieder vergeht.
Auf diese Weise entwickelt man eine Menge Gleichmut, lernt, gelassener mit Situationen umzugehen und nicht jedes Mal direkt zu reagieren. Sondern innezuhalten und neugierig zu schauen, was es mit einem macht.
Letztlich bemisst sich daher auch der Erfolg der Vipassana-Praxis an der Menge an Gleichmut und Gelassenheit, die man im Laufe der Zeit im Retreat und vor allem aber auch danach entwickelt.
Aber um mit einem Beispiel einem Missverständnis vorzubeugen: Es geht nicht darum, zu lernen einfach gleichgültig alles irgendwie zu ertragen. Es geht nicht darum, unterwegs zu sein und es fängt an zu regnen und man denkt sich: Ja ach, was soll‘s, dann werde ich halt nass – wenn man doch eigentlich einen Schirm dabeihat oder sich irgendwo unterstellen kann.
Aber wenn man nun keinen Schirm hat und sich auch nicht unterstellen kann und man schließlich so richtig nass wird, dann lernt man mit der Zeit, anders damit umzugehen. Das Gleiche trifft auf den Umgang mit allen anderen Situationen zu, guten wie schlechten, denn am Ende ist nichts für immer und geht wieder vorbei.
Auch für mich war das stundenlange Sitzen die größte Schwierigkeit. Trotz Sport neige ich schon seit Jahren zu Rückenschmerzen – und im Retreat werden die schon nach kurzer Zeit wirklich unerträglich. Jedes Einatmen ist wie ein Schnitt mit der Rasierklinge quer über den Rücken, jede Sekunde habe ich Schmerzen, auch wenn wir schließlich wieder aufstehen können oder ich abends im Bett liege.
Ich dehne mich viel und lege mich in jeder freien Minute auf mein Bett, um meinen Rücken zu entspannen, doch an Tag sieben bin ich abends so fertig, dass ich aufgeben möchte. Ich kann nicht mehr – und an eine tiefe Meditation ist unter diesen Umständen sowieso nicht mehr zu denken.
Wirbel nach Jahren wieder eingerenkt
Ich liege mal wieder auf dem Bett, dehne meinen Rücken, als es plötzlich passiert: Es gibt ein lautes und dumpfes, doppeltes Knacken und ein Wirbel, der schon seit Jahren ausgerenkt gewesen ist, sitzt wieder an der richtigen Stelle. Es ist ein so befreiendes Erlebnis.
Ich hatte gelernt, mit den Schmerzen zu leben, schon seit etwa zwanzig Jahren, weil ich schlicht dachte, es müsse halt so sein und wäre normal – und nun kann ich zum ersten Mal seit langer Zeit ohne Beschwerden aufrecht sitzen, mich bewegen und sogar deutlich tiefer atmen.
Nachdem der Wirbel so lange Zeit mein Zwerchfell eingeschränkt hat, vergrößert sich mein Lungenvolumen schlagartig und sogar meine Stimme wird ein bisschen tiefer. Ich bin unendlich dankbar.
Das Erlebnis ist abgefahren und hat natürlich mit der Meditation selbst nichts zu tun, sondern vielmehr mit deren Umständen. Und das Gefühl ist so gut, dass ich in den kommenden Tagen versuche, mir auch die übrigen Wirbel – von denen ich jetzt merke, dass eine ganze Reihe ebenfalls nicht an Ort und Stelle sitzen – selbst einzurenken.
Das geht an Tag acht und auch an Tag neun zunächst sehr gut und ich mache Fortschritte. Bis es an Tag neun abends plötzlich ein lautes Knacken gibt. Zunächst bin ich froh und denke, ich hätte einen weiteren Wirbel eingerenkt. Doch dann stelle ich fest, dass etwas ganz anderes passiert ist: Ich habe mir mit aller Gewalt selbst den Nacken ausgerenkt.
Die Folgen sind Schwindel, Probleme beim Atmen und Schlucken, ein Kribbeln in den Armen und ständig das Gefühl, als würde mir jemand am Hals die Luft abdrücken. Es ist fürchterlich – und noch am selben Abend beschließe ich, das Retreat am nächsten Mittag zu verlassen, den letzten Tag auszulassen und zu einem Arzt zu gehen. Denn die Situation macht mir wirklich Sorgen.
Während für die übrigen Teilnehmer also die letzten 24 Stunden anbrechen, sitze ich kurz darauf in Denpasar beim Chiropraktiker, der sich die ganze Situation recht ungläubig anschaut und mir zunächst nicht glauben möchte, dass ich das mit dem Nacken tatsächlich selbst veranstaltet habe. Mit viel Massieren und einigen spannenden Handgriffen gelingt es ihm schließlich, nicht nur den Nacken, sondern auch viele andere Wirbel an ihre richtigen Positionen zu befördern.
Danach tut mir zwar der ganze Körper ein wenig weh – trotzdem fühle ich mich wie neugeboren. Seit zwanzig Jahren konnte ich nicht mehr so frei atmen und mich so schmerzfrei bewegen. Natürlich ist noch nicht alles perfekt, zur Sicherheit mache ich anschließend noch eine komplette Röntgenaufnahme der Wirbelsäule, deren Ergebnisse ich in den nächsten Tagen bekommen werde.
Nach so viel Einkehr zurück auf die Inseln
Vielleicht steht dann noch einmal eine Sitzung an – aber schon jetzt ist das Ergebnis großartig. Und so kommt es also, dass ich einen Tag vor Lena in unserem Hotel bin und mich langsam wieder an das normale Leben gewöhne – und an die ganzen Reize, die abseits so eines Retreats auf einen einstürmen.
Ja und wie war das Retreat nun für mich, abgesehen von der Geschichte mit meinem Rücken? Trotz aller Probleme habe ich viel mitnehmen können, viel über mich herausgefunden und eine neue Art der Meditation kennengelernt, die ich auch in Zukunft beibehalten werde.
Und mit ein bisschen mehr Vorbereitung – vor allem, was die Sitzhaltung betrifft – kann ich mir gut vorstellen, so einen Kurs noch einmal zu machen. Nicht mehr in diesem Jahr, aber vielleicht nach unserer Weltreise.
Für uns geht es nach so viel Einkehr aber nun erst einmal wieder auf die Inseln. Eine Nacht bleiben wir gemeinsam auf Bali, dann nehmen wir die Fähre nach Gili Trawangan und nach ein paar Tagen dort reisen wir weiter nach Lombok. Alles ganz entspannt, mit viel Zeit für Strand und Meer – und sicher auch für die ein oder andere Meditation.
Jan Filipzik
01. August 2023
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