5. November 2023Peter Pionke
Arsen & Spitzenhäubchen: Das war ‚Großes Kino‘
Das gesamte Ensemble verdiente sich Bestnoten, aber das, was Thomas Braus und Stefan Walz als „alte Damen“ sowie Kevin Wilke in seinen vier Rollen zeigten, war absolute komödiantische Spitzenklasse.
Die Wuppertaler Inszenierung ist von Roland Riebeling, den die meisten Zuschauer als deutschen Schauspieler kennen. Seit 2018 ist er als Assistent Norbert Jütte im Kölner „Tatort“ neben Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär zu sehen. Bereits 2004 und 2005 wurde der Essener mit dem Deutschen Comedy-Preis ausgezeichnet. Für seine Darstellung als alleinerziehender Vater in der Nettflix Serie „How to sell drugs online“ wurde er mit dem Grimme Preis ausgezeichnet.
„Tatort-Star“ führt Regie
In dem Stück Arsen und Spitzenhäubchen haben die Brewster-Schwestern Abby und Martha ein großes Herz und sind allseits beliebt. Geradezu auf den Leib geschneiderte Paraderollen für die Protagonisten Braus und Walz. Sie umsorgen und helfen, wo sie können. Ihre Nächstenliebe geht so weit, dass sie ältere alleinstehende Herren vergiften. Bei einem leckeren, lebensgefährlichen Gläschen selbst gemachtem Holunderwein sollen die Männer ihren Frieden finden – denn ein Lebensabend in Einsamkeit? Gott bewahre!
Praktisch, dass ihr Neffe Teddy in einer Fantasiewelt lebt und seinen Tanten im Glauben, auf wichtiger Mission zu sein, assistiert. Als ihr zweiter Neffe Mortimer ( Kevin Wilke ) eine Leiche im Haus entdeckt und völlig unerwartet auch noch der lang verschollene dritte Neffe Jonathan vor der Tür steht, wird’s kompliziert. Vor allem, weil Jonathan selbst noch eine Leiche im Kofferraum liegen hat … Die passenden Dialoge:
„In dieser Truhe ist eine Leiche“
„Ja, Liebling, das wissen wir schon … Ich habe Mr. Hoskins nur deshalb in die Fenstertruhe gelegt, weil Dr. Harper kam.“ – „Dann hast du also gewusst, was du getan hast. Du wolltest nur nicht, dass Dr. Harper die Leiche sieht?!“ –
„Doch nicht zum Tee – das wäre nicht so nett gewesen.“
Neffe Mortimer, sonst als Theaterkritiker unterwegs, stellt die Tanten zur Rede und muss erfahren, dass sie, als Zimmervermietung getarnt, aus Mitleid alte einsame Männer in ihr Haus locken und mit einer Mischung aus Wein und den Giften Strychnin und Zyankali töten, um sie „Gott näher zu bringen“.
Zur Beseitigung der Leichen instrumentalisieren sie Mortimers geisteskranken, persönlichkeitsgestörten Bruder Teddy. Teddy hält sich für Präsident Theodore Roosevelt und ist in der Nachbarschaft und bei der Polizei als Ruhestörer bekannt, weil er im Zuge seiner Wahnvorstellungen regelmäßig laut auf seiner Trompete zum Angriff bläst.
Glücksmoment „Ich bin ein Bastard“
Eine der Schlüsselszenen des Stückes ist der Moment, in dem die alten Damen ihrem Neffen „Mortimer“ gestehen, in Wahrheit nicht Spross der verrückten Familie Brewster zu sein. “Ich bin ein Bastard“ rief Mortimer in einer Schlussszene überglücklich. Ohne die genetischen Vorbelastungen war jetzt der Weg frei für die von ihm mehrfach verschobene Hochzeit.
Darauf kannst du Gift nehmen
Zur Schlussszene hatte viel mit dem Titel des Schauspiels zu tun, in dem die Dialoge mit dem geflügelten Wort „Drauf kannst du Gift nehmen“ eine ganz neue Bedeutung erlangen. Thomas Braus unterbrach den lange anhaltenden Schlussapplaus als er aus seiner Rolle des Schauspielers wieder in die des Intendanten schlüpfte mit den Worten: „Wir laden zur Premierenfeier ein. Es gibt auch unseren selbst gemachtem Holunderwein“.
Acht Akteure in 15 Rollen
Unglaublich, was die Schauspieler und die für die Kostüme zuständige Silke Rekord hinter der Bühne leisten. Kevin Wilke war gleich in vier verschiedenen Rollen gefordert, ohne dass dem Zuschauer die Übergänge seiner vier Rollen auffallen mussten. Die acht Schauspieler sind in 15 Rollen Rollen zu sehen, bei denen Elisabeth Wahle für die Dramaturgie verantwortlich zeichnet.
Die glänzende Aufführung dauert zwei Stunden und zehn Minuten, inklusive einer Pause. Sie steht im Wuppertaler Opernhaus noch bis zum 6.Juli 2024 noch 14 mal auf dem Programm zum „grossen Kino“ einlädt.
Text: Siegfried Jähne
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