26. November 2023

Jan Filipzik: Tausend Meilen Natur

Sie sind auf dem Weg, sich ihren grossen Traum zu erfüllen - die Unternehmensberaterin Lena Lichterbeck und der Berater Jan Filipzik, Ex-Chefredakteur des Wuppertaler Magazins "talwärts". Die beiden haben ihre gemeinsame Wohnung aufgegeben und sind unterwegs auf großer Weltreise. Dabei begleiten wir Lena und Jan. Gehen SIE mit auf große Reise - wenn SIE mögen...

Lena Lichterbeck und Jan Filipzik geniessen die atemberaubende Natur in Amerika – © rteisen-ist.jetzt

Ich hätte nie gedacht, mich einmal so für Amerika begeistern zu können – aber ich kann von diesem Land gar nicht genug bekommen. Das allerdings bezieht sich nicht auf die zahlreichen, großen Städte, sondern vor allem auf die Natur, die einfach atemberaubend schön ist. Und von der gibt es in den Tagen nach unserem Aufbruch aus Las Vegas viel.

Da ist der Besuch am Grand Canyon, auch hier bin ich vor 17 Jahren schon einmal gewesen, und trotzdem überwältigt mich der Anblick aufs Neue. Wir verbringen fast einen halben Tag hier, gehen einige Kilometer am Kraterrand entlang spazieren, wobei sich hinter jeder Kurve neue Perspektiven ergeben und ich froh bin, dass die Zeit der analogen Kameras vorbei ist.

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So viele Filme hätten wir nie mitnehmen können, wie wir hier Fotos machen. Noch am gleichen Tag schauen wir uns den Sonnenuntergang am berühmten Horseshoe Bend an, dort wo der Colorado River eine filmreife Kurve dreht, bevor er gemächlich weiter Richtung Süden fließt.

Der berühmte Horseshoe Bend, wo der Colorado River eine filmreife Kurve dreht – © reisen-ist.jetzt

Es ist schade, dass sich – zumindest mit meinen Fähigkeiten – kaum auf Bildern festhalten lässt, wie es sich wirklich anfühlt, hier zu sein und alles das zu sehen. Es ist eine Landschaft, die für meine Augen völlig neu ist und die es so wohl nur an wenigen Orten der Welt gibt. Da ist diese riesige Ebene – und während wir es gewohnt sind, dass sich aus einer solchen Fläche heraus Berge erheben, ist es hier genau umgekehrt.

Die Ebene ist oben und von ihr aus gehen tiefe Täler und Schluchten nach unten – wie andersherum und in den Boden eingelassene Berge, als hätte ein Riese einen Negativ-Abdruck der Welt gemacht. Doch schon wenige Kilometer weiter, im Monument Valley, verändert sich die Landschaft wieder. Das Tal, das schon für viele Western als Kulisse gedient hat, sieht tatsächlich aus wie im Film.

Beinahe erwartet man, dass aus der Ferne ein Cowboy auf seinem Pferd angeritten kommt. Die Dimensionen sind unvorstellbar und ich kann mir vorstellen, wie es gewesen sein muss, im ausgehenden 19. Jahrhundert gelebt zu haben – als es üblich war, allein unterwegs zu und sein Lager nachts irgendwo in der Prärie aufzuschlagen. Doch auch abseits der Sehenswürdigkeiten tauchen wir ganz in dieses Land und in das Lebensgefühl ein, das diese Landschaft mit sich bringt.

Unendliche Weiten – © reisen-ist.jetzt

Über die Boxen der Lautsprecher im Auto läuft die passende Musik, mal ist es Country, mal ein bisschen Rock’n‘Roll oder andere Oldies, wir haben uns ein Hörbuch geholt, das die Geschichte eines Roadtrips in den 1950er Jahren erzählt, auf meinem Kindle lese ich einen Roman, der über den Aufbruch Richtung Westen in den 1930er Jahren erzählt und zwischendurch zücken wir immer wieder das Smartphone, schauen Dinge nach, recherchieren ein bisschen, bis sich uns immer mehr Teile der Geschichte dieses Kontinents entschlüsseln und Zusammenhänge klar werden.

Einen großen Teil unserer Zeit verbringen wir im Reservat der Navajo, das Gebiet ist in etwa so groß wie Bayern, und die Orte haben Namen wie Many Farms und Sawmill. Vieles entdecken wir zufällig – und das ist etwas, das auf dieser Reise mit am meisten Spaß macht. Wir halten die Augen offen oder schauen auf der Karte, ob uns ein Ort ins Auge springt und ob es dort etwas zu sehen gibt.

So entdecken wir einen kleineren, aber ebenfalls unglaublich schönen Canyon in der Nähe des Ortes Chinle, dessen innere Ebene mit Gras und Bäumen bewachsen ist, die sich in den schönsten Herbstfarben zeigen.

Jan Filipzik in Silva’s Saloon, in dem sich seit 90 Jahren kaum etwas verändert hat – © reisen-ist.jetzt

Auch das Navajo-Museum finden wir auf diese Weise und lernen viel über die tragische Geschichte der Vertreibung und die gezielte Umerziehung tausender Menschen, die gezwungen wurden, ihre eigene Kultur zu verleugnen.

Abends besuchen wir Silva‘s Saloon, wo alles noch genauso aussieht wie bei der Eröffnung vor 90 Jahren – an den Wänden hängen Fotos, die die Front des Gebäudes zeigen. Dort wo jetzt Autos stehen, waren noch vor wenigen Jahren Pferde angebunden – und wir kommen mit dem Barkeeper ins Gespräch, der einen Verwandten in Düsseldorf  hat und – wie so viele Amerikaner – sogar ein paar Sätze Deutsch spricht.

Am nächsten Morgen schneit es. Wir sind inzwischen etwas nördlich von Albuquerque, da wo die Serie „Breaking Bad“ spielt und gedreht worden ist und das Thermometer zeigt zwei Grad an. Auf dem Weg nach Santa Fe läuft die Heizung im Auto, als wir ankommen fallen weiter dichte Flocken aus dem grauen Himmel.

Eine original Postkutsche im New Mexiko History Museum – © reisen-ist.jetzt – © reisen-ist.jetzt

Zum Glück ist es im New Mexiko History Museum angenehm warm und wir sammeln wieder ein paar Puzzlestücke, mit denen sich nach und nach das große Bild über Amerika zusammenfügt. Von Santa Fe aus fahren wir abseits der großen Highways durch ein paar alte Western-Städte, Las Vegas ist eine von ihnen, überall ist hier direkt unter der Oberfläche die Geschichte spürbar, Marktplätze und alte Gebäude prägen das Stadtbild, auf den Weiden dazwischen sehen wir Viehherden und Springböcke auf den riesigen Feldern, in den Bergen gibt es Bären und Elche.

Später am Nachmittag klart es auf, die Nacht verbringen wir spontan in einem kleinen Ort namens Raton an der Grenze zu Colorado, einfach weil wir keine Lust mehr haben, noch weiterzufahren.

Es bleibt der einzige Tag mit Schnee und Regen, bereits am nächsten Morgen auf unserem Weg nach Oklahoma scheint die goldgelbe Herbstsonne wieder vom strahlend blauen Himmel. Zum Frühstück servieren unsere Gastgeber ungefragt herzhafte Muffins und scharf angebratene Würstchen – in diesem Teil Amerikas wird Fleisch gegessen, so wie es überhaupt nur relativ wenige vegetarische Gerichte auf den Karten gibt.

Willkommen im farbenreichen Colorado – © reisen-ist.jetzt

Auf der Karte bei Google haben wir einen erloschenen Vulkan entdeckt, um dessen Kraterrand man wandern kann. Mit dem Auto geht es bis fast nach oben – und weil Veteran‘s Day ist, kommen wir sogar kostenlos in den Park. Die Sicht von oben auf das Land ist unglaublich. Mehr als 150 Kilometer weit können wir schauen. Wir sind umgeben von weiten Grasebenen, aus denen unzählig mehr oder weniger große ehemalige Vulkane herausragen.

Und weil die wenigen Häuser und Straßen von so weit oben kaum auszumachen sind, wirkt es wie in einem Land vor unserer Zeit, unberührt und ursprünglich – und ich sehe, wie es gewesen sein muss, als die Erde damals entstanden ist. Als die Vulkane aktiv waren und breite Lavaströme kilometerweit ins Land flossen, wo sie irgendwann erstarrt und heute noch zu sehen sind.

Ab diesem Punkt unserer Reise wird die Landschaft noch flacher und karger. Wir fahren durch kleine Städte mit verfallenen Häusern und sind schließlich an der Grenze von Texas, Oklahoma und New Mexiko, inmitten der Dust Bowl, aus der in den 1930er Jahren so unglaublich viele Menschen geflohen sind.

Ein Blick über die Weiten der Prärie – © reisen-ist.jetzt

Hier gibt es nichts mehr. Keine Erhebung, die höher als wenige Meter wäre, das Auge blickt von Horizont zu Horizont und findet keinen Halt, über uns nur Himmel, unter uns die endlos weiten Grasflächen, von der Herbstsonne in goldenes Licht getaucht. Wie riesig dieses Land einfach ist. Stundenlang ändert sich dieser Blick kaum. Irgendwann tauchen ein paar Windräder auf und verschwinden wieder, dazwischen Silos und einzelne Gehöfte, gerade Straßen, immer wieder Teile der alten Route 66 und vereinzelte Büsche.

Als wir schließlich die Ausläufer von Oklahoma City erreichen, verstehe ich, wie es sich vor 100 und mehr Jahren angefühlt haben muss, nach Tagen in den Great Plains wieder in die Zivilisation zu kommen. Abends schauen wir uns deshalb Bricktown an, den historischen Kern der Stadt mit seinen zahlreichen Restaurants und Bars. Dort wird der Staub der Ebene mit einem eiskalten Bier fortgespült.

Jan Filipzik

24. November 2023

Lena und Jan: Erinnerungsfoto am „Horseshoe Bent“ – © reisen-ist.jetzt

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