2. Dezember 2023Peter Pionke
Günter Verheugen: Deutschland profitiert von der EU
Einen Ex-Kollegen mit 50 Jahren Politik-Erfahrung konnte Gastgeber Dr. Richard Kiessler (u.a. Ex-Chefredakteur der Neuen Ruhr/Rhein-Zeitung) den über 200 Gästen ankündigen. Denn Günter Verheugen ist gelernter Journalist. Er machte sein Volontariat von 1963 bis 1965 bei der Neuen Ruhr Zeitung in Essen und der Neuen Rhein Zeitung in Köln. Anschließend studierte er Geschichte, Soziologie und Politik-Wissenschaften.
Seine politische Karriere nahm auch schnell Fahrt auf. Die Stationen im Schnelldurchlauf: Landesvorsitzender der Deutschen Jungdemokraten (1967), Referatsleiter für Öffentlichkeitsarbeit im Bundesinnenministerium unter Dietrich Genscher. Mit diesem wechselte er anschließend ins Auswärtige Amt (1976).
Bundesgeschäftsführer von FDP und SPD
1977 wurde Günter Verheugen Bundesgeschäftsführer der FDP, 1978 FDP-Generalsekretär. Nach dem Austritt der FDP aus der Koalition mit der SPD trat er 1982 in sozialdemokratische Partei ein.
Auch hier erklomm er mit Riesenschritten die Karriereleiter. Verheugen saß von 1983 bis 1999 für die Partei im Bundestag. Von 1994 bis 1997 war er stellv. Fraktionsvorsitzender, von 1993 bis 1995 – wie schon vorher bei der FDP – Bundesgeschäftsführer.
1998 wurde er Staatsminister im Auswärtigen Amt unter Joschka Fischer. Von 1999 bis zur seiner Abberufung 2007 war Günter Verheugen dann Mitglied der Europäischen Kommission und da u.a. zuständig für die Erweiterung der EU.
Also mehr als genug Gesprächsstoff für einen spannenden Polit-Talk. Und die EU machte Moderator Jürgen Zurheide (u.a. „Deutschlandfunk“ – WDR-Hörfunk“) auch gleich zum ersten Thema.
Günter Verheugen erklärte zwar, sich Sorgen darüber zu machen, dass in den 27 Mitgliedsstaaten des Bündnisses immer mehr ultrarechte Parteien nach der Macht greifen würden. Eine Alternative zur EU, von der Deutschland politisch und wirtschaftlich am meisten profitiere, sehe er aber nicht.
Aus seiner Sicht sollten Deutschland und Frankreich als starke Nationen gemeinsam als gutes Beispiel vorangehen, um die EU als politische und wirtschaftliche Macht weiter zu stärken. Seine Forderung: Die demokratischen Länder Europas müssten den „european way of life“ verteidigen und eng zusammenstehen.
Gar nichts – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – hält Günter Verheugen davon, die Ukraine kurzfristig in die EU aufzunehmen. Er sei erschrocken gewesen, als Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, dem Staat im Osten Beitrittsverhandlungen versprochen habe. Die Beitrittsvoraussetzungen habe die Ukraine doch bei weitem noch nicht erfüllt. Ein Stichwort: Korruption.
Und schließlich befinde sich das Land im Krieg. Außerdem würden Staaten wie Albanien, Bosnien und Herzegowina, Serbien oder auch die Türkei schon seit Jahren darauf warten, EU-Mitglied zu werden. Sollte die Ukraine jetzt vorgezogen werden, könne das zu großen Verstimmungen führen.
Auch was den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine angeht, hat Günter Verheugen seine ganz eigene Sichtweise. Das sei keine plötzliche Naturkatastrophe gewesen, sondern habe einen langen Vorlauf gehabt.
Im Gegensatz zu vielen anderen, die sich jetzt über Putin äußerten, würde er den russischen Präsidenten persönlich kennen. Dieser fühle sich von der NATO umzingelt. Klingt ein wenig nach Relativierung des völkerrechtlichen Überfalls auf das Nachbarland Ukraine.
In dem Zusammenhang ist sicher nicht uninteressant, dass Günter Verheugen Erstunterzeichner der von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierten Petition „Manifest für Frieden“ war, die sich für Diplomatie und gegen Waffenlieferung an die Ukraine ausspricht.
Moderator Jürgen Zurheide erinnerte seinen prominenten Gesprächsgast jedenfalls souverän an die NATO-Russland-Grundakte aus dem Jahr 1997, die der damalige russische Präsident Boris Jelzin unterzeichnete, in der er der NATO-Osterweiterung zustimmte und in der allen Staaten Souveränität, Unabhängigkeit, territoriale Unversehrtheit und freie Bündnis-Wahl garantiert wurde. Auch der Ukraine.
Das Gespräch zwischen Moderator Jürgen Zurheide und Polit-Legende Günter Verheugen war spannend, tiefgründig, informativ und interessant. Man hätte im Saal eine Stecknadel fallen hören können.
Impulsgast Verheugen – ein Mann der klaren Worte, ein Mann der seine Überzeugungen ohne Wenn und Aber vertritt. Überzeugungen und Ansichten, die man nicht unbedingt alle teilen muß. Auf jeden Fall sorgte Günter Verheugen für reichlich Diskussionsstoff.
Der zweite Star des Abends war Saxophonist und Klarinettist Wolf Codera, den Gastgeber Dr. Richard Kiessler als absolutes kulturelles Highlight ankündigte. Er versprach nicht zu viel. Gemeinsam mit Pianist Axel Steinbiss begeisterte der Vollblut-Musiker, der mit seinem Projekt „Session Possible“ Deutschland weit bekannt ist, die geladenen Gäste der „STADTGESPRÄCHE.ruhr“ mit filigraner, gefühlvoller Musik.
Und dann gab es noch einen prominenten Protagonisten, der zwar nicht leibhaftig vor Ort war, sondern nur auf der Leinwand. In einer Videobotschaft bedankte sich Rock-Sänger Peter Maffay bei den Gästen für die Unterstützung von notleidenden Musikern in Afghanistan.
Er selbst hatte der von seinem Essener Freund und Musiker-Kollegen Ahmad Jawed gegründeten Initiative „Our Voice Is Our Answer“ eine handsignierte Gitarre für eine Charity-Versteigerung Verfügung gestellt. Diese wechselte beim letzten Netzwerk-Treff für stolze 6.000 € den Besitzer. Die warmen Worte von Peter Maffay – ein emotionaler, harmonischer Schlussakkord des offiziellen Teils der „STADTGESPRÄCHE.ruhr“.
Text Peter Pionke
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