2. Januar 2024

Jan Filipzik: Zwischen Schönheit und Zerfall auf Kuba

Sie sind auf dem Weg, sich ihren grossen Traum zu erfüllen - die Unternehmensberaterin Lena Lichterbeck und der Berater Jan Filipzik, Ex-Chefredakteur des Wuppertaler Magazins "talwärts". Die beiden haben ihre gemeinsame Wohnung aufgegeben und sind unterwegs auf großer Weltreise. Dabei begleiten wir Lena und Jan. Gehen SIE mit auf große Reise - wenn SIE mögen...

Lena Lichterbeck und Jan Filipzik geniessen die letzten Tage auf Kuba – © reisen-ist.jetzt

Weihnachtlich ist hier in Kuba einfach nichts. Na gut, es gibt ein paar versprengte, geschmückte Weihnachtsbäume, die meist recht einsam in irgendwelchen Restaurants oder Läden ihr tristes Dasein fristen, und hin und wieder sehe ich jemanden, der sich eine rote Weihnachtsmütze aufgesetzt hat. Das war es aber auch schon – zumal Palmen, Sonne und sommerliche Temperaturen ihr übriges tun, um eventuelle Weihnachtsgefühle bereits im Keim zu ersticken.

Vielleicht ist das aber auch gar nicht verkehrt, denn wenn ich in diesen Zeiten an Zuhause, Glühwein, Plätzchen, Lebkuchen, Weihnachtsmärkte und meine Familie denke, dann kommt schon ein bisschen Wehmut auf. Wobei die ursächliche Reihenfolge sicher eine andere ist.

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Da ist es gar nicht verkehrt, dass unsere Weltreise sich ganz langsam, aber sicher ihrem Ende entgegen neigt. Vier Monate bleiben uns noch, dann hat Deutschland uns wieder – denn inzwischen haben wir längst beschlossen, nicht zu Auswanderern zu werden. Wir kehren zurück, vermutlich sogar nach Wuppertal – was einzig daran scheitern könnte, weit und breit keinen passenden Job zu finden, was wiederum eher unwahrscheinlich ist.

Karibik-Flair auf Kuba – das ist die ein Seite der Medaille – © reisen-ist.jetzt

Und so sprechen immer öfter darüber, wie wir nach der Reise leben wollen (definitiv in einer kleineren Wohnung), ob und welches Auto wir brauchen (völlig unvernünftig, aber wieder einen MX5 zu haben, wäre schon genial) und nach welchen Stellen wir eigentlich Ausschau halten (gerade dieser Punkt ist vor allem bei mir noch vage, aber je mehr Zeit vergeht, desto klarer wird meine Vorstellung).

Noch allerdings sind wir auf Kuba – und genießen die Zeit. Die letzten Tage in Havanna vergehen wie im Flug. Wir treffen uns noch einmal mit Nicolas, der für uns ganz am Anfang eine Walking Tour organisiert hatte. Er lädt uns zu sich zum Essen ein und wir sprechen lange über das Leben in Kuba, die Verhältnisse und die Probleme im Land – und stellen fest, dass wir was den Blick aufs Leben betrifft, erstaunlich viele Gemeinsamkeiten haben.

Am Tag unserer Weiterreise denke ich kurz, dass mir mein Kindle aus der Unterkunft gestohlen worden wäre, dann allerdings stellt sich heraus, dass ihn der Gärtner schlicht weggepackt hat, als ich ihn auf dem Tisch im Innenhof habe liegen lassen. Somit bleibt es dabei: In dem ganzen Jahr, das wir nun unterwegs sind, haben wir noch keine einzige, schlechte Erfahrung gemacht.

Die Insel hat traumhafte Strände zu bieten – © reisen-ist.jetzt

Niemand hat uns beklaut, belogen, über den Tisch gezogen oder anderweitig übervorteilt. Das ist nicht selbstverständlich für so eine lange Reise und das kann gerne so bleiben.

Mit der Fahrt nach Varadero bricht für uns auf Kuba ein neues Kapitel an. Wir schalten in den Urlaubsmodus, denn Varadero ist vor allem der rund 25 Kilometer lange, weiße Sandstrand mit seinen türkisblauen Wellen, die sich gemächlich an der endlosen Küste brechen.

Es gibt nicht viel zu tun. Meer, Sand, ab und zu ein frühes Bier, Fisch zum Abendessen und kaum Menschen am Strand, weil sich die wenigen Besucher irgendwo in der Weite verteilen. Die Vibes hier sind entspannt, wobei Varadero auch ziemlich touristisch ist. Echte Läden, in denen man Obst oder Gemüse kaufen könnte, gibt es hier nicht, dafür einige große Resorts ganz im Osten der Halbinsel und Touristen, die sich in Oldtimern und von Pferdekarren die einzige Straße des Ortes rauf und runter kutschieren lassen.

Nirgendwo gibt es wohl so viele Oldtimer wie auf Kuba – © reisen-ist.jetzt

Wie überall auf Kuba gilt auch hier: Es braucht Zeit, bis man sich auf den neuen Ort eingestellt hat. Bis man verstanden hat, wo man was bekommt, wo der Kaffee gut schmeckt, wo es Frühstück gibt, wo man ein vegetarisches Abendessen erhält und wo die Cocktails lecker schmecken. Aber sobald man das verstanden hat, ist Varadero nicht nur äußerst angenehm, sondern auch sehr preiswert.

Ein Kaffee für umgerechnet 50 Cent, der Cocktail für einen Euro, ein Sandwich ebenfalls und das komplette Abendessen für gerade einmal acht. Meist haben wir dabei so ein schlechtes Gewissen, dass wir wenigstens ein großzügiges Trinkgeld geben.

In Varadero haben wir auch das erste Mal seit Langem die Zeit und die Ruhe, die Erlebnisse der vergangenen Wochen und Monate sacken zu lassen. Unglaublich, was alles passiert ist, wo wir überall waren und was für Eindrücke wir mitgenommen haben. Das mag für ein ganzes Leben reichen – und ich gebe zu, dass ich aktuell ein wenig reisemüde bin und die Dinge gerne noch langsamer angehen würde.

Die andere Seite von Kuba. Viele Häuser sind heruntergekommen – © reisen-ist jetzt

Ich brauche eine Pause – doch unser Weg dorthin führt zunächst über die Stadt Santa Clara, in der wir ein paar Nächte verbringen. Unterwegs im gut ausgebauten Busnetz der staatlichen Gesellschaft Viazul sehen wir zum ersten Mal die Landschaft Kubas. Viel Grün, kleine Dörfer, überall wartende Menschen, wobei Warten (auf das nächste Transportmittel, vor dem Geldautomat, am Supermarkt, vor dem Büro der Verwaltung) etwas ist, das hier unglaublich viel Zeit in Anspruch nimmt.

Die Straßen sind leer, in Santa Clara – das ganz im Zeichen des hier begrabenen Che Guevaras und der hier stattgefundenen, entscheidenden Schlacht der Revolutionäre steht – gibt es wenig Touristen, die Stadt ist deutlich ärmer und nach all den Monaten merke ich, dass es mir zunehmend schwerfällt, damit umzugehen.

Denn, während kapitalistische Strukturen zumindest ein Übermaß an Auswahl vorgaukeln, wird in Kuba deutlich, dass es hier oft schlicht nichts gibt. Verfallene Häuser, wenige Geschäfte mit ebenso wenig Angeboten, Pferde als Transportmittel und wir in unserem Hostel in einer grünen Oase, die mit der Lebenswirklichkeit der Menschen wenig gemein hat.

Lena und Jan treffen Predo, der vor der Wiedervereinigung in Leizig gewohnt hat – © reisen-ist.jetzt

Umso erstaunlicher ist es, wie lebensfroh, aufgeschlossen und liebenswert die Einheimischen sind. Auf dem zentralen Platz kommen wir mit Pedro ins Gespräch, der einige Jahre – als es noch die DDR gab – in Leipzig gewohnt und gearbeitet hat und erstaunlich gutes Deutsch spricht.

Kurze Zeit später, in einer kleinen Musikbar, in deren Innenhof die Generation 60plus zu kubanischen Rhythmen eine flotte Sohle aufs Parkett legt, treffen wir den Musiker James, den wir zu einem Rum einladen und der uns seine selbst komponierten Lieder vorsingt, die wirklich verdammt gut sind.

Doch in den Zwischentönen und Halbsätzen unserer Gespräche wird klar, wie eingesperrt sie sich beide fühlen, James und Pedro und auch Nicolas, in einem Land, das sie nicht verlassen dürfen. Wie sehr sie ihrer Regierung und deren Aussagen misstrauen und wie gerne sie einfach nur ein Ticket hier raus hätten. „Airplane“ sagt James, als ich ihn frage, ob wir ihm etwas Gutes tun können.

Die Gedenkstätte für Che Guevara in Santa Clara – © reisen-ist.jetzt

Als wir am letzten Abend in Santa Clara noch einmal in das Restaurant gehen, in dem wir zwei Tage zuvor bereits gegessen haben, haben sich die Preise schon wieder geändert. Plus 20 Prozent, immer noch unglaublich günstig für uns, unerschwinglich für die Einheimischen. Und die Inflation galoppiert einfach weiter. Was für ein Land, so unglaublich schön, so viel Potenzial, filmreife Gebäude, alte Autos, die Hollywood sofort den Rang ablaufen würden. Ein Baum, der auf dem Dach eines alten Wohnhauses wächst. „Die Natur erobert sich ihren Platz zurück“, sage ich. „Unser Land zerfällt“, sagt Nicolas.

Jan Filipzik

20. Dezember 2023

Lena Lichterbeck und Jan Filipzik sind noch vier Monate auf Weltreise – © reisen-ist.jetzt

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