10. Januar 2024Peter Pionke
Lena Lichterbeck: Ein Jahr auf Weltreise – ein erstes Fazit
Kubanische Rhythmen dringen durch die geöffnete Schiebetür an mein Ohr, begleitet von einer leichten sommerlichen Brise. Ich habe es mir auf dem Bett bequem gemacht und nach langer Zeit schreibe ich mal wieder einen Blogbeitrag.
Waren sonst genau diese Artikel ein gutes Mittel für mich zum Reflektieren unserer Erlebnisse, habe ich zuletzt intensiv die Tage zwischen den Jahren genutzt, um mal wieder innezuhalten und über die vergangenen Wochen und Monate nachzudenken.
Genau zwölf Monate sind vergangen, seitdem wir am 3. Januar 2023 in das Flugzeug Richtung Malaysia gestiegen sind – unglaublich. Doch bevor ich ein kleines Fazit dieser Zeit ziehe, knüpfe ich nochmal kurz dort an, wo Jan zuletzt aufgehört hat:
Von der kleinen Stadt Santa Clara hat es uns mit dem Nachtbus weitergezogen nach Osten. In die viertgrößte Stadt Kubas, nach Camagüey. Im 16. Jahrhundert an der Nordküste gegründet, wurde sie insgesamt zweimal weiter ins Landesinnere verlegt, um den immer wiederkehrenden Piratenüberfällen ein Ende zu bereiten.
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Aus dieser Zeit stammt auch ein Merkmal, das Camagüey besonders macht: ihre Altstadt mit den verwinkelten und verschachtelten Straßen und Gassen, die keinem Muster zu folgen scheinen und ganz schön verwirrend sein können.
Genau aus diesem Grund – um Piraten bei einem erneuten Überfall die Orientierung zu erschweren – wurde die Altstadt in ihrer ungewöhnlichen Art angelegt. Auch wenn heute nichts mehr von Piraten und Angriffen zu sehen ist, macht diese Stadtplanung den Charme des Ortes aus und weckt den Entdeckergeist bei uns Besuchern. Herumschlendern, sich überraschen lassen, was hinter der nächsten Ecke zu finden ist und alles in gemächlichem Tempo auf sich wirken lassen.
So kommen wir auf unseren Touren durch die Altstadt beim morgendlichen Kaffee und Doughnut mit einem jungen Kellner ins Gespräch, der sich für unsere Tattoos interessiert und verstehen möchte, wie in Deutschland die Preise dafür berechnet werden.
Das Konzept eines Stundensatzes scheint ihm fremd zu sein, da in Kuba allein die Größe des Kunstwerks ausschlaggebend für den Preis ist. Wer weiß, vielleicht konnten wir ihm so für seine zahlreichen anderen Jobs, denen er neben dem Kellnern noch so nachgeht, einen hilfreichen Tipp geben.
Insgesamt sind die Einheimischen auch hier wahnsinnig freundlich und sehr daran interessiert, mit uns ins Gespräch zu kommen. Natürlich häufig gepaart mit dem Ziel, ein kleines Geschäft mit uns zu machen – zum Beispiel werden uns häufig selbstgemalte Bilder und Zigarren angeboten – doch auch hier überwiegt definitiv die Freundlichkeit der Menschen.
Und so schenkt ein junger Verkäufer Jan kurzerhand eine Zigarre seiner Hausmarke, einfach weil er nett sein möchte. Wieder mal ein Moment auf dieser Reise, der mich innehalten lässt und den ich mir in Deutschland so nicht vorstellen könnte.
Zum Ende unserer Tage in Camagüey sitzen wir in einem Café in der Fußgängerzone – die es hier überraschenderweise gibt und uns mit ihren zahlreichen Schuh-, Kleidungs- und Schmuckläden ein kleines bisschen an Europa erinnert – als uns ein Einheimischer im mittleren Alter anspricht.
Vom Nebentisch aus hat er gehört, dass wir Deutsch sprechen. Es stellt sich heraus, dass seine Freundin in Österreich lebt und er seit vier Monaten auf eigene Faust versucht Deutsch zu lernen. Kaum sind wir ins Gespräch gekommen, liegt auch schon sein Notizheft auf dem Tisch.
Daniel fragt uns, wie bestimmte Tiere, Farben und Körperteile auf Deutsch heißen und ausgesprochen werden. Alles wird gewissenhaft notiert. Ich bin beeindruckt von ihm und dass er sich trotz aller Hürden, nicht davon abhalten lässt, Deutsch zu lernen.
Er verrät mir, dass ein Freund ihm von einer Sprachlern-App erzählt hat, die er hofft, bald nutzen zu können – aktuell fehlt ihm leider dafür noch ein Smartphone. Gerne hätten wir uns nochmal mit Daniel getroffen und ihm weiter beim Deutschlernen geholfen, doch am nächsten Tag reisen wir schon weiter mit dem Bus in den nächsten Ort.
Wieder geht es für uns ein ganzes Stück weiter Richtung Osten auf unserem Weg an die Playa Esmeralda, wo wir Weihnachten und Silvester verbringen werden. Unser Ziel für eine Übernachtung ist Holguín und zunächst scheint auch alles nach Plan zu laufen. Nach einer sehr kurzen Nacht für uns, fährt der Bus mehr oder weniger pünktlich ab – was man hier nicht allzu genau nehmen darf – und kommt gut voran.
Bis er irgendwann wenig vertrauenserweckende Geräusche von sich gibt und schon bald dunkelgraue Wolken zusammen mit dem Geruch von verbranntem Gummi aus dem Motorraum steigen. So stehen wir erst einmal am Straßenrand und warten. Warten, dass etwas passiert oder uns jemand informiert, ob und wie es weitergeht.
Nach einer gefühlten Ewigkeit wird uns und auch den letzten Mitreisenden ganz hinten im Bus klar, dass mit diesem Gefährt heute nichts mehr geht. Nicht, dass uns der Busfahrer darüber informiert hätte. Der hat schon lange seinen Platz verlassen und sitzt entspannt am Straßenrand im Schatten eines Baumes.
Erstaunlich dabei ist, dass ausnahmslos alle Fahrgäste komplett ruhig bleiben und niemand eine Erklärung verlangt. In anderen Ländern wohl undenkbar.
Nach insgesamt viereinhalb Stunden Warten, taucht dann tatsächlich noch ein Ersatzbus auf, der uns die letzten 60 Kilometer ans Ziel bringt. Wie so häufig auf dieser Reise zeigt sich mal wieder, einfach ruhig bleiben und Vertrauen haben. Irgendwie geht es schon weiter.
Holguín selbst ist eine hübsche, kleine Stadt mit überraschend viel Leben. Auch wenn wir uns aufgrund fehlender Zeit nicht viel anschauen, gefällt uns das Flair auf Anhieb. Für den Tag steht noch eine letzte wichtige Aufgabe auf unserer Liste: eine neue Touristen-SIM-Karte für die nächsten 30 Tage beim lokalen Telefonanbieter bekommen.
Klingt einfach, kann aber in Kuba eine Herausforderung sein, da in vielen Shops die SIM-Karten ausverkauft sind, wie wir bereits in Camagüey feststellen mussten. Mit einem Mischmasch aus Spanisch und Englisch, sind wir am Ende aber erfolgreich und nutzen unsere letzte Energie für ein kaltes Getränk auf dem Marktplatz und ein frühes Abendessen, bevor wir ziemlich k.o. ins Bett fallen.
Auf den folgenden Tag haben wir uns schon seit Wochen wirklich sehr gefreut. Wir merken, dass unsere Batterien ziemlich leer sind und wir eine echte Auszeit brauchen. Kein Organisieren, kein in Bussen sitzen und kein sich schon wieder in einer neuen Stadt orientieren müssen – einfach mal nur Urlaub machen und die Beine hochlegen. Aus diesem Grund haben wir uns in einem All-Inclusive Resort bis ins neue Jahr hinein eingebucht.
Die letzte Etappe von Holguín an die Playa Esmeralda hat es aber nochmal in sich: ab ins Moto-Taxi, das uns zum Taxistand (ein Schotterplatz, auf dem Kleinlaster und ein paar Taxis unsortiert herumstehen) bringt.
Rein in den umgebauten und voll besetzten Pritschenwagen, der als Großraumtaxi fungiert und uns nach einer Stunde Fahrt an der Abzweigung zu unserem Hotel absetzt. Von hier legen wir die letzten gut zwei Kilometer zu Fuß zurück, bevor wir tatsächlich endlich an unserem Ziel ankommen.
Ab hier beginnt unser Urlaub und wir schalten ab, tauchen ein in unsere kleine Bubble, die natürlich überhaupt nichts mit dem echten Kuba zu tun hat und genießen es nichts tun zu müssen, mal keinen Wecker zu stellen, direkt vor der Tür ins Fitnessstudio gehen zu können und es nur wenige Meter bis zum Strand und zum türkisblauen Meer zu haben.
Einfach herrlich, auch wenn das Wetter an einigen Tagen leider so gar nicht mitspielt und sich Sturzbäche auf die Anlage ergießen, was für diese Jahreszeit mehr als untypisch ist. Ein Grund mehr die Zeit zu nutzen, das Jahr Weltreise Revue passieren zu lassen, unsere Bilder nochmal durchzugehen und meine persönlichen Highlights festzuhalten.
Dabei fällt mir wieder einmal auf, wie unglaublich viel wir in den letzten zwölf Monaten erlebt haben und ich bin gleichzeitig ein wenig erschrocken, was ich davon schon wieder alles vergessen habe.
Damit sind auch schon zwei wesentliche Punkte meines ganz persönlichen Fazits angesprochen:
Pausen und Auszeiten einplanen bei einer so langen Reise ist wahnsinnig wichtig, um wieder Energie zu tanken und sich auf das nächste Abenteuer zu freuen. Meine Hoffnung und Vorstellung, dass wir uns auf einer Weltreise in einem nicht enden wollenden Urlaub befinden, war schlicht falsch.
Reisen (also wirklich in ein Land und seine Kultur eintauchen) ist einfach kein Urlaub und kann teilweise genauso anstrengend und stressig sein, wie ein Job. Ich habe den Aufwand für Planen, Recherchieren und Organisieren wirklich unterschätzt.
Dazu kamen dann noch ermüdende Passagen, in denen wir zum Beispiel immer wieder für viele, viele Stunden in klapprigen Nachtbussen gesessen, kaum geschlafen oder nicht länger als ein, zwei Nächte an einem Ort geschlafen haben und uns permanent an irgendwelchen neuen Orten orientieren mussten. Da sind die Batterien irgendwann einfach leer.
Es kommt nicht darauf an, jeden schönen Platz, Tempel oder Ort besucht und gesehen zu haben, weil wir uns am Ende ohnehin an vieles gar nicht erinnern können (Fotos helfen natürlich ungemein). Wir haben gelernt lieber etwas Tempo rauszunehmen und uns wirklich Zeit für die wenigen Orte zu nehmen, die wir besuchen. Mit Ruhe und Aufmerksamkeit alles auf sich wirken zu lassen, ist viel schöner als von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten zu hetzen.
Für mich ist es sehr wichtig geworden, mir immer mal wieder bewusst Zeit zum Reflektieren zu nehmen, damit ich die Erlebnisse überhaupt verarbeiten, für mich sortieren und meine Schlüsse daraus ziehen kann. Am Ende sind eben die gewonnenen Erkenntnisse, das, was wirklich übrigbleibt und der wahre Gewinn dieser Reise, da ich sie in mein weiteres Leben mitnehmen werde.
Reisen ist für mich das Schönste und Bereicherndste, was man machen kann. Meiner Meinung nach, sollte einfach jeder reisen, der die Möglichkeit dazu hat, denn es erweitert den eigenen Horizont, man legt Vorurteile ab – die wir zweifellos alle irgendwie haben – und lernt Offenheit, Flexibilität und Gelassenheit. Ja, es gibt immer und für alles irgendeine Lösung.
Die Weltreise hat mir Sicherheit und noch mehr Selbstbewusstsein gegeben, denn ich weiß (in meinem Fall spätestens nach Indien), dass ich überall zurechtkommen werde und mich nichts so schnell mehr schocken kann.
Uns hat die Reise bisher gezeigt, dass die meisten Menschen nett, hilfsbereit und interessiert sind, wenn man ihnen selbst freundlich und mit Respekt begegnet. Für uns ist der Austausch mit Menschen aus anderen Kulturen ungemein wertvoll, weil er Brücken baut und echtes gegenseitiges Verständnis für die Lebensrealität des anderen schafft.
Was uns bereits auf der Deutschlandtour klar geworden ist, sich aber nochmal auf der Weltreise sehr bestätigt hat, ist wie wenig wir tatsächlich zum Leben brauchen. Auch wenn ich mich schon jetzt auf die eine oder andere Annehmlichkeit in Deutschland freue, weiß ich, dass ich nicht wieder so viel Zeug anhäufen möchte, wie wir vor unserer Abreise in unserer Wohnung hatten und viel bewusster konsumieren möchte.
Irgendwann verfliegt die erste Euphorie, egal wie toll es ist, was man gerade macht. Und ich bin in ein kleines Loch gefallen als genau das passiert ist. Plötzlich hatte sich eine Art Alltag bei uns eingestellt und es war normal, unterwegs zu sein. Dass das nach einigen Monaten zwangsläufig passiert, war mir zwar vorher klar, aber es hat sich trotzdem in dem Moment überhaupt nicht gut angefühlt.
Ich habe gelernt, dass es Momente und Phasen gibt, in denen man sehr gerne zu Hause sein möchte und sich unterwegs wirklich einsam fühlt, gerade wenn Freunde und Familie so weit weg sind. Das ist aber auch vollkommen in Ordnung, gehört dazu und lässt die Vorfreude umso mehr darauf steigen, sich wiederzusehen.
24/7 zusammen sein ist nicht immer leicht und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir es nicht so lange und eng miteinander ausgehalten hätten, wenn wir nicht auch beste Freunde wären. Aber selbst als beste Freunde ist bei so viel gemeinsamer Zeit nicht immer alles nur toll, sondern es gibt zwangsläufig auch mal Streit.
Das letzte Jahr hat uns als Paar vor neue Herausforderungen gestellt und uns Seiten an unserer Beziehung gezeigt, die wir bisher noch nicht kannten. Gemeinsam, aber auch als Individuen konnten wir dadurch weiter wachsen und auch wenn dieser Prozess manchmal echt weh getan hat und teilweise harte Arbeit war, bin ich unglaublich dankbar dafür, weil ich weiß, dass wir jetzt ein noch tieferes Verständnis füreinander und eine noch stabilere Basis für die Zukunft haben.
Was alles in so einem Jahr steckt – Erlebnisse, Erkenntnisse, Begegnungen – ist schon Wahnsinn und zeigt mir wieder, was für ein einmaliges Erlebnis so eine Weltreise ist. Aber nach so viel Reflektieren und Gedanken sortieren, wird es jetzt auch wieder Zeit abzuschalten und die letzten Tage im Resort zu genießen, bevor wir Kuba weiter erkunden.
Lena Lichterbeck
07. Januar 2024
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