18. Januar 2024Peter Pionke
Jochen Rausch: Franz Beckenbauer – mein letztes Autogramm
„1969 kamen die Bayern zum Freundschaftsspiel. Wuppertal, Stadion am Zoo, aus der Ferne brüllte der Seelöwe. Unsere Kinderseelen waren zerrissen, wir bewunderten Beckenbauer, Maier und Müller. Aber gleichzeitig hielten wir zu unserem WSV. Flutlicht, ausverkauftes Stadion. Die Bayern waren freundlich und gewannen nicht allzu hoch.
Nach dem Spiel hunderte Jungs mit Autogrammheften vor den Kabinen. Ein Autogramm von Beckenbauer war ungefähr so viel wert wie ein Pelé-Bildchen im Sammelheft. Die Bayern tricksten uns genauso aus wie unsere Mannschaft. Wir warteten mit unseren Autogrammheften am Tribünen-Ausgang, aber die Spieler kletterten aus den Kabinenfenstern und sprangen in ihren Bus.
Abfahren konnten sie nicht, weil wir uns zu Hunderten in den Weg stellten. Ich war bei Beckenbauer am Fenster, die damals noch Luftklappen hatten. Einer hockte auf den Schultern eines kräftigen Kerls und reichte die Autogrammhefte rein und raus. Beckenbauer kritzelte seinen Namen in mein Heft, lachte und schob es durch die Klappe nach draußen.
Ich griff danach, aber einer Dürrer, zwei Köpfe größer als ich, war schneller, er schnappte sich mein Heft und verschwand in der Dunkelheit. Was Schlimmeres hatte ich im Leben noch nicht erlebt, höchstens die Beerdigung meiner Oma und als mal einer von unserer Schule einen Dartpfeil ins Auge bekam.
Meine Freunde hielten mich für lebensmüde und schoben mich zur Schwebebahn, sonst wäre ich wohl in die Wupper gefallen, ich sah ja nichts wegen der Tränen. Mein Vater gab eine Annonce auf und versprach dem „ehrlichen Finder“ eine Belohnung. Es meldete sich niemand. So stammt das letzte Autogramm, das ich in diesem Leben sammelte, von Franz Beckenbauer. Ruhe sanft.“
Jochen Rausch
Link zur Webseite von Jochen Rausch:
Weiter mit:
Kommentare
Neuen Kommentar verfassen