20. Februar 2024Peter Pionke
Ingrid Schuh: Menschenfängerin und Mutter des Jazz
Manche Protagonisten kennt man gut, andere weniger. Ob bekannt oder weniger bekannt: Wer ihre Portraits liest, möchte vermutlich die eine oder den anderen persönlich kennenlernen. Bisher hat Matthias Dohmen an gleicher Stelle Dorothea Brandt, Klaus Burandt, Heidemarie Koch, Josa Oehme, Erika Schneider, Klaus Schumann und Michael Walter vorgestellt.
„Andere sind reich und gehen zum Friseur.“ Auch so ein Spruch von Ingrid Schuh. Jahr um Jahr lud sie Referenten von nah und fern zum Politischen Treff der Volkshochschule ein, Johannes Rau oder Ignatz Bubis, Repräsentanten des Tierschutzvereins und der Gepa, der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft und des Kinderschutzbundes oder des Sauerländischen Gebirgsvereins.
Namhafte Künstler gingen bei Ingrid Schuh ein und aus
Künstler wie Willi Dirx, Karl Otto Mühl, Enric Rabasseda, sie alle präsentierten sich bei Ingrid Schuh, und in ihren Schubladen und Schränken liegen Briefe dieser Persönlichkeiten herum, fliegende Blätter, mit denen sich eine Kulturgeschichte der Stadt Wuppertal von den 1950er Jahren bis in dieses Jahrhundert schreiben ließe. Ulle Hees, Ismail Coban, Wolf Erlbruch, Peter Kowald – die Liste ließe sich beliebig verlängern.
Doch ihre ganz große Leidenschaft war über die Jahrzehnte der Jazz und – nach Kenntnis kompetenter Beobachter – der in der alten Bundesrepublik recht einmalige Jazzkurs: Kenneth Spencer, ein US-Amerikaner, Dieter Fränzel, Rainer Widmann, Attila Zoller, Hans Koller, George Maycock. Doch erst einmal genug der Namen.
Ingrid Schuh holte die Jazzgrößen in ihren Kurs, der sich in einem Café in der Luisenstraße, in der Hofaue, im Kino am Kipdorf oder im Ada traf, der Künstler in ihren Ateliers besuchte oder zu Konzerten fuhr.
Ingrids Mutter war Straßenbahnschaffnerin, der Vater Arbeiter, der die Nazis nicht mochte und sie ihn nicht. Ihr künstlerisches Engagement fand parallel zum politischen statt, zum Eintreten in der Friedens- und in der Arbeiterbewegung, wozu speziell im Tal die SPD und die KPD beziehungsweise die DKP gehörten.
Wenn man weit genug zurückgeht, finden sich Spuren der Hugenotten, die im 18. Jahrhundert Preußen von einer liberal-freiheitlichen Seite kennenlernten.
Als sie von der Wickelkommode fiel…
Es gibt wahnsinnig viele Geschichten von und über Ingrid Schuh. Eine geht dahin, dass sie beim Angriff auf Elberfeld am 24. oder 25. Juni 1943, weil eine Freundin der Familie nicht aufgepasst hat, von der Wickelkommode fiel, aber Gott sei Dank keine bleibenden Schäden davontrug.
Noch ein paar Namen: Ursula Kraus, Hanna Jordan, Pina Bausch, Ingrid Stracke. Oder die Pfarrer Ufermann und Nattland, wobei wir jetzt in der Citykirche sind, wo Ingrid Schuh ihre Geburtstage feiert, bei denen gern Joachim Dorfmüller ein kleines Konzert gibt.
Es ist, könnte man so sagen, ihr Wohnzimmer. Hier trifft sie sich noch regelmäßig mit Teilnehmern ihrer alten Kurse. Lange Jahre war sie mit dem politischen Aktivisten Jürgen Schuh verheiratet, über viele Jahre hinweg sind der Biologie- und Chemielehrer Thomas Steuple und Ingrid ein Paar. Die rührige Tochter Julia, Lehrerin an der Else, muss noch erwähnt werden.
Impuls, Jazzclub, die Börse noch am Arrenberg, die VHS an der Aue waren magische Orte, an denen Ingrid Schuh wirkte. Und noch ein paar Namen: Max-Christian Graeff, der sie in der VHS-beerbte, Tony Cragg, Arno Wüstenhöfer, Lore Duve, die ihr Rede und Antwort standen.
Die „Mutter des Jazz“ hat die „Rundschau“ sie einmal genannt. Brötzmann, Reichel, Köppen: Fehlt da jemand von Bedeutung? „Eine Institution ist sie in ihrer Heimatstadt, deren musikalische Struktur sie seit den 1950er-Jahren geprägt hat“, schrieben die „Bergischen Blätter“.
In dem Porträtbuch „Frauen im Tal“ ist das Ingrid Schuh gewidmete Kapitel „Die Menschenfängerin“ überschrieben. Die drei letzten Worte dort sollen hier wiederholt werden: Mach weiter, Ingrid.
Text Dr. Matthias Dohmen
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