22. Februar 2024Peter Pionke
„Wagenfeld-Leuchte“ erblickte 1924 das Licht der Welt
Die legendäre WG 24 Tischleuchte wurde 1924 entworfen. Um welche Lampe handelt es sich dabei?
Martin Topel: „Die Leuchte WG 24 ist sicherlich eines der bekanntesten Bauhausprodukte, was am großen kommerziellen Erfolg der letzten 40 Jahre liegt. Sie wird schlicht „Die Wagenfeld Leuchte“ genannt. Dies freut mich persönlich sehr, da hier eine außergewöhnliche Designerpersönlichkeit direkt beim Namen genannt wird.
Mein persönlicher Favorit hingegen ist die etwas früher entworfene und schlichtere WA 23 SW, deren Fuß und Sockel ausschließlich aus Metall besteht. Dies bedeutet bezüglich der Fertigung eine deutlich vereinfachte Toleranzierung der Bauteile und ist – zumindest für mich -das deutlich schlichtere und stimmigere Konzept.“
Die WG 24 war eines von insgesamt über 600 Entwürfen, die Wagenfeld produzierte. Im Bauhaus hat er als sogenannter Formmeister gearbeitet. Was heißt das?
Martin Topel: „Der Formmeister war eine Schlüsselrolle am Bauhaus und spielte eine entscheidende Rolle in der Ausbildung der Studierenden. Die Aufgabe des Formmeisters war zum einen die des Lehrers und des Projektleiters, der die Studierenden bei ihren Projekten unterstützte. Zum anderen sollten die Formmeister durch eigene Arbeiten inspirieren und immer wieder durch Innovationen und Experimente die Grenzen von Kunst und Design verschieben.
Wilhelm Wagenfeld ist mit ca. 600 produzierten Entwürfen daher ein außergewöhnliches Vorbild. Seine Herkunft als „Glashandwerker“ bei den Vereinigten Lausitzer Glaswerken war die Idealbesetzung, um am Bauhaus die Symbiose von Handwerk und Industrie vorzuleben. Die hohe Zahl an z.T. bis heute noch industriell hergestellten Produkten Wagenfelds (WMF, Tecnolumen, FSB etc.) belegen dies.“
Fachleute sagen, die Lampe sei die Verkörperung des Bauhaus-Gedankens. Woran erkennt man das?
Martin Topel: „Bezogen auf die geradlinige, geometrische Gestaltung und die Kombination von handwerklichen und industriellen Fähigkeiten mag dies zustimmen. Jedoch definierte das Bauhaus auch rationelle Fertigung als einen Gradmesser für seine Werte und hier hatte der Entwurf tatsächlich zu Beginn große Schwierigkeiten, da die industrielle Fertigung auf Grund der Toleranzen der Glasbauteile hohen Ausschuss und damit hohe Kosten verursachte. Dies wurde später durch verbesserte Fertigungsverfahren gelöst.
Der Glasschaft des Modelles WG 24 ist bezüglich maximaler Einfachheit nicht ganz stimmig, wenn ich ein zusätzliches Metallrohr benötige, um das Kabel zu verbergen. Entweder zeige ich dann das Kabel, oder verzichte auf einen durchsichtigen Schaft. Erste Prototypen mit dem Glasschaft verzichteten beispielsweise auch auf das Metallrohr und zeigten das Kabel – die für mich eindeutig ehrlichere Lösung.“
Wilhelm Wagenfeld war ein Pionier. Sein Ziel war es, Industrieprodukte von hohem Gebrauchswert, anspruchsvoll und erschwinglich, herzustellen. Dabei bediente er sich auch neuer Techniken und Materialien. Welche waren das denn?
Martin Topel: „Durch seine Lehre in den Vereinigten Lausitzer Werkstätten verfügte er über einen hohen Kenntnisstand zur Verarbeitung und Gestaltung von Glas. Außerdem war beispielsweise Aluminium durch den beginnenden Leichtbau bei Flugzeugen und dem Luftschiffbau ein neuer spannender Werkstoff. Nahtlos gezogene Stahlrohre erlaubten zum ersten Mal enorme Festigkeit und führten so z.B. zu den ersten Freischwingern von Mart Stamm und Marcel Breuer. All dies floss auch in Wagenfelds Arbeiten ein.“
Einer der Leitsätze und die Philosophie der Bauhausschule war „Form folgt Funktion“. Die Wagenfeld-Lampe hat drei geometrische Grundformen, nämlich Scheibe, Zylinder und Kugel. Ist sie dadurch zeitlos und modern?
Martin Topel: „Sie ist zeitlos und modern, weil es ein exzellenter Entwurf war und sich viele Menschen auch heute noch für sie entscheiden. Es gibt genug Produkte, die sich geometrischer Grundformen bedienen und dennoch scheußlich sind.
„Form follows function“ als Gestaltungsprinzip wurde erstmals vom amerikanischen Architekten Louis Sullivan 1896 in einem Essay formuliert. Das Bauhaus hatte darüber hinaus noch viel mehr Werte zu bieten, wie maximale Reduktion, Materialgerechtigkeit, günstige industrielle Fertigung für eine möglichst breite Zielgruppe und eben die auf Funktion und Zweckmäßigkeit ausgerichtete Gestaltung.“
Ab 1930 war aber der Hype um die Bauhaus Leuchte vorbei. Woran lag das?
Martin Topel: „Der Verkaufspreis von damals 58,00 Reichsmark (RM) war sehr hoch und für die meisten Menschen unerschwinglich. 1924 betrug das durchschnittliche Monatseinkommen ca. 103,00 RM – damit kostete die Leuchte ein halbes Monatseinkommen. Im Vergleich zu heute beträgt dies bei einem Verkaufspreis von 620,-€ und einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 4.100,- € also nur knapp ein Siebtel.
Dies stand im Widerspruch zum durch das Bauhaus proklamierten Anspruch, für das breite Volk erschwingliche, gut gestaltete Produkte zu entwickeln. Mit der Weltwirtschaftskrise, die im Oktober 1929 begann und 1932 ihren Höhepunkt fand, kam der Handel, besonders für Luxusgüter, nahezu zum Erliegen. Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs waren nun das Gebot der Stunde.“
Erst die Zusammenarbeit mit Walter Schnepel, dem Gründer der Firma Tecnolumen, die bis heute das Modell herstellen darf, brachte ab Anfang der 1980er Jahre den großen Durchbruch, wobei auch noch einmal Feinheiten zum Zweck der besseren Funktionalität an der Tischleuchte verändert wurden. Und dann wurde sie erst 1982 mit dem Bundespreis „Gute Form“ ausgezeichnet. Gilt auch hier: Gut Ding will Weile haben?
Martin Topel: „Sicherlich brauchen ein guter Entwurf und die entsprechende Produktentwicklung Zeit, wenn auch normalerweise nicht 58 Jahre. Bei der WG24 handelt es sich um ein für die damalige Zeit radikales Luxusprodukt, das zudem in eine kurze Phase des wirtschaftlichen Wohlstandes hineingeboren wurde. Danach war einfach nicht die Zeit für solche Produkte und möglicherweise ist das Bemühen um einen Produzenten nach dem 2. Weltkrieg einfach eingeschlafen. Umso schöner ist es, dass dann so viele Jahre später es zu so einem großen Erfolg und letztlich zu der Gründung von Tecnolumen geführt hat.“
Seit 1986 ist dieses Modell museumswürdig und steht u.a. im Museum of Modern Art in New York. Das Besondere ist auch, dass sie selbst im ausgeschalteten Zustand etwas hermacht. Im Laufe der Jahre hat es aber auch viele Plagiate davon gegeben. Das ist ein Problem bei Erfolgsmodellen, oder?
Martin Topel: „Plagiate sind immer dann am Start, wenn ein erfolgreiches Produkt deutlich günstiger, sehr ähnlich, oder gleichartig, bei vermeintlich, bzw. oberflächlicher Betrachtung, ähnlichen Funktionseigenschaften auf den Markt gebracht werden kann,- meist aus Ländern mit anderem Lohngefüge und Rechtsauffassungen. Bei einer optisch identischen, bzw. ähnlichen Tischleuchte ist natürlich die Funktionseigenschaft „Licht“ relativ leicht zu erfüllen. Möglicherweise gibt es viele Besitzer, die sich über ihr Plagiat gar nicht im Klaren sind, oder die sich bei gleicher Ästhetik nicht für Lizenzfragen interessieren.
Wesentlich dramatischer sind Plagiate bei sicherheitsrelevanten Produkten, die den Anschein erwecken, dass es sich um ein Originalprodukt mit garantierten Eigenschaften handelt. So beispielsweise geschehen bei Sicherungsbolzen für die Tragflächen am Airbus A380, oder bei Medizinprodukten. Hier wird es dann sicherlich höchst kriminell.“
Wo würden Sie diese Wagenfeldlampe aufstellen?
Martin Topel: „Ich besitze keine WG24. Mein persönlicher Klassiker ist die Leuchte Costanza / Costanzina von Luceplan aus dem Jahre 1986 des Designers Paolo Rizzato. Diese Leuchte habe ich in unterschiedlichsten Variationen an 7 verschiedenen Orten in meinem Haus. Aber das wäre ein anderes Interview…“
Uwe Blass
Über Prof. Martin Topel
Professor Martin Topel ist Industrie Designer und lehrt seit 1999 als Professor an der Universität Wuppertal im Studiengang Industrial Design. Sein Lehrstuhl beschäftigt sich mit der Produktentwicklung von Investitionsgütern und Produktsystemen.
Weiter mit:
Kommentare
Neuen Kommentar verfassen