9. Mai 2024Peter Pionke
Ökonom Wolf von Wedel Parlow: Adel verpflichtet
Manche Protagonisten kennt man gut, andere weniger. Ob bekannt oder weniger bekannt: Wer ihre Portraits liest, möchte vermutlich die eine oder den anderen persönlich kennenlernen. Bisher hat Matthias Dohmen an gleicher Stelle Dorothea Brandt, Klaus Burandt, Christine Flunkert, Uwe Flunkert, Heidemarie Koch, Johannes Nattland, Josa Oehme, Erika Schneider, Ingrid Schuh, Klaus Schumann und Michael Walter vorgestellt.
Als einen „älteren, vornehmen, freundlichen Menschen, der bestimmt nie laut wird“, charakterisiert ihn eine entfernte Bekannte, und so schlecht trifft es ihn nicht. Der Mittachtziger stammt aus adeligem Hause und ist in der Uckermark, in Böhmen und im Odenwald groß geworden. Der Vater war Privatgelehrter, der sich schwerpunktmäßig mit Grillparzer und seiner Zeit beschäftigt hat und der es – immerhin – zu einem Eintrag im „Kosch“, einem über 40-bändigen Literaturlexikon, geschafft hat.
Wolf von Wedel (geboren 1937 in Prenzlau) studierte Volkswirtschaftslehre in in Heidelberg und Kiel, war fast zehn Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität in Westberlin, wo er auch promoviert wurde, und lehrte schließlich als Akademischer Rat beziehungsweise Akademischer Oberrat – ab 1989 faktisch einem Professor gleichgestellt – Volkswirtschaftslehre an der Bergischen Univiersität Wuppertal. Aus dieser Zeit stammen auch zahlreiche Fachveröffentlichungen zur Ökonomie des realen Sozialismus vor allem in der damaligen ČSSR und in Weißrussland.
Im Ruhestand drehte Wedel erst richtig auf und trat mit einer Reihe literarischer und (familien-) geschichtlicher Publikationen an die Öffentlichkeit. Er profilierte sich mehrere Jahre als Sprecher des Verbandes deutscher Schriftsteller und des sehr rührigen Vereins „Lesefreuden“, der Lesungen in Seniorenheimen hält. Er war beziehungsweise ist befreundet mit den weit über die Stadt Wuppertal hinaus und teilweise auch im Ausland bekannten Schriftstellern Karl Otto Mühl (verstorben 2020) und Hermann Schulz.
Sein Roman „Drahomira“ greift zeit- und familiengeschichtliche Themen auf, sein Langgedicht „Deutschlandhymnus“ hat ebenfalls eine politisch-historische Dimension, und seine Geschichtensammlungen „Laufbekanntschaften“ und „Radsattelgeschichten“ verweisen auf ein großes Hobby Wedels, der auch noch in hohem Alter mit seiner Frau gemeinsam joggt. Ursula von Wedel Parlow war in ihrem beruflichen Leben Soziologieprofessorin an der Essener Universität. Aus einer ersten Ehe hat Wedel zwei Töchter.
Nach dem Abitur ging Wedel für drei Jahre zur Bundeswehr, brach aber dann gründlich mit hergebrachten Grundsätzen. Er forschte zur Geschichte der eigenen Familie im Dritten Reich. 2017 erschien das Buch „Ostelbischer Adel im Nationalsozialismus. Familienerinnerungen am Beispiel der Wedel“, das ihm viel Anerkennung, aber auch Mißfallenskundgebungen bis hin zu offener Anfeindung einbrachte. Zuletzt publizierte er kleinere Arbeiten über seine Mutter und über seine Zeit im Heidelberger Friedrichstift.
In meiner Rezension für www.njuuz.de habe ich geschrieben: Als der kritische Blick auf die NS-Verstrickungen erschien, wörtlich: Geschichte, die es verdient, nicht verdrängt, sondern aufgearbeitet zu werden: Dr. Wolf Christian von Wedel Parlow entwirft das sehr widersprüchliche Bild einer Adelsfamilie, die zu großen Teilen die NSDAP bereits vor 1933 unterstützte und für die „die Ausrufung der Republik 1918 und die Verabschiedung der Weimarer Verfassung im Jahr darauf“ einen „Schock“ darstellte , aus der aber auch ein Emil Graf von Wedel stammte, der zu den 33 Persönlichkeiten gehörte (neben Albert Einstein, Erich Kästner, Käthe Kollwitz und Heinrich Mann), die den „dringenden Appell“ des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes zur taktischen Kooperation von SPD und KPD bei der Reichstagswahl 1932 unterschrieben. Vergeblich, wie man nicht erst seit heute weiß.
Die Wedel standen, wie der Adel überhaupt, gewohnheitsmäßig rechts, wählten deutschnational und waren „selbstverständlich gegen das ‚System’, wie die Weimarer Republik in den rechten Kreisen hieß“. Dazu gehörte eine klare „antibolschewistische“ und nicht minder antisemitische Einstellung, die knapp drei Jahre nach der „Machtergreifung“ die Verankerung der „Blutsreinheit“ in der Familiensatzung zur Folge hatte – und viele Wedel zuvor schon in die Arme der Freikorps führte, aus denen der Stahlhelm und die SA hervorgingen. Eine soziale Gruppe im unumkehrbaren Abstieg, hatte doch der Kaiser schmählich versagt: „Was blieb dann noch übrig? Auswanderung, Fremdenlegion, Schmarotzertum, Glücksspiel standen nicht selten am Ende der vergeblichen Suche nach einem bürgerlichen Beruf“. Entsprechendes galt für ehemalige Hofdamen und Hofbeamte (ebda.).
Unnachsichtig beschäftigt sich der Verfasser, der auch als Lyriker, Erzähler und Romancier hervorgetreten ist, mit den geschichtlichen Erzählungen, deren Ziel es ist, sich über den Umweg beispielsweise der „sauberen Wehrmacht“ hinter der großen Masse der Deutschen zu verstecken und die eigenen Verbrechen kleinzuschreiben, wofür Namen stehen wie Hasso von Wedel („Die Propagandatruppen der Deutschen Wehrmacht“, 1962), Erhard Graf von Wedel („Rasse und Adel“, 1934) oder Ottmar von Wedel Parlow („Die überragende Geisteskraft wahrhafter Volksführer wird in ihren Werken der Mannschaft offenbar. Sie hören vom Opfertod eines … Schlageter, eines Horst Wessel“, 1939) – die beiden letztzitierten Texte befinden sich im Anhang, der ebenso instruktiv ist wie die insgesamt 17 Abbildungen. In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass in dem besprochenen Band auch Anmerkungen die Lektüre lohnen, weil sie die Argumentation oder jeweilige Beweisführung fortsetzen.
Man erfährt so nebenbei viel über den Reichsnährstand und „alte Kameraden“, Familienmatrikel und „Vettern“, wie sich die männlichen Nachkommen anreden, oder das Ostpreußenprogramm von 1926 und das Osthilfegesetz der Regierung Brüning von 1930. Doch die „Junker“ wollten mehr vom Reichspräsidenten, dem man ein Gut schenkte und der schließlich Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte, der letztendlich daran gehen sollte, die verbliebenen Privilegien des Adels abzuschaffen. Es ist und bleibt eine Tatsache, „dass der grundbesitzende ostelbische Adel Hitler zur Macht verholfen hat“.
Es ist dem gelernten Ökonomen gelungen, seine Familie im Kontext der generationellen Prägung „in die Geschichte“ zu stellen und „sich autobiographisch zu verorten“, wie der Herausgeber Jürgen Reulecke im Vorwort betont, der im Übrigen mit Wolf von Wedels selbstverständlich ein Quellen- und Literaturverzeichnis, Bildnachweise und ein Personenregister enthaltendem Werk den 64. Band der Reihe „Formen der Erinnerung“ vorlegt.
Dem Autor wäre es zu gönnen, dass die Familie sein Werk würdigt, das schließlich auch an Erhard Graf von Wedel-Gödens und einen weiteren „Vetter“ erinnert, die trotz Zugehörigkeit zur NSDAP „einem Halbjuden Land verpachteten“. Dann hing eines braunen Tages „quer über die Dorfstraße ein Plakat: ‚Hier wohnen Judenfreunde’“. Wedelsche Judenfreunde.
Text: Dr. Matthias Dohmen
Weiter mit:
Kommentare
Neuen Kommentar verfassen