14. Juni 2024

Anja Kohl: Bräuchten Vorhersagen für nächste 200 Jahre

Bei allen Problemen in Deutschland,  „Geld ist genug da“! Das erklärte die TV-Wirtschaftsjournalistin Anja Kohl als Gastrednerin beim Sommerempfang der Bergischen IHK. Die 53jährige sollte es wissen, ist sie doch eines der Gesichter der Sendung "Wirtschaft vor acht," die im Vorabendprogramm des Ersten Fernseh-Programmes der ARD regelmäßig ausgestrahlt wird.

Beim IHK-Sommerfest im Garten der Historischen Stadthalle: Henner Pasch (M.), Präsident der IHK Bergisch Land, im Gespräch mit Oberbürgermeister Dr. Uwe Schneidewind – © Siegfried Jähne

Und Anja Kohl nannte auch Zahlen: Im Privatbesitz der Deutschen befinden sich aktuell 7,7 Billionen Euro, davon 750 Mrd. Euro in Goldbeständen. Vor 750 Gästen nannte sie in der Historischen Stadthalle auch das aus ihrer Sicht größte Problem. Das Geld werde nicht in ausreichendem Umfang ausgegeben. Das Hauptproblem in Deutschland sei, dass man nicht bereit sei, zu investieren. „Was wäre alles möglich, wenn wir  dieses Kapital in die Zukunft investieren würden?“ – so Anja Kohls rhetorischen Frage.

Es gelte, etwas gegen die mentale Depression zu tun. Man spart, statt zu investieren, so könne Zukunft nicht gelingen und der Wohlstand gehe baden. Besonders der Jugend müsse ein Gefühl gegeben werden, die Zukunft gestalten zu können. So könnte man einer desillusionierten junge Generationen wieder zu „Leistung“ motivieren. Diese fehle nämlich in der aktuellen Krisenstimmung.

Ein grosses Hindernis erkennt Anja Kohl in der Tatsache, dass wir als Gesellschaft allenfalls in der Lage seien, Entwicklungen nur in den nächsten beiden Generationen vorher zu sehen, nötig aber wären Vorhersagen für die nächsten 200 Jahre, so Anja Kohl. Wir seien an den „Grenzen des Wachstums und dem Ende der Globalisierung, wie wir sie kannten“ angekommen.

„Man kann sich nicht mehr nicht verhalten“

Die TV-Journalistin forderte von der Politik die Lockerung der Schuldenbremse oder ein Sondervermögen und von den Unternehmerinnen und Unternehmern private Investitionen. Demokratische und autoritäre Systeme konkurrierten stark um Rohstoffe, die für die unumgängliche Transformation nötig seien. In diesem Kontext forderte sie von den Unternehmen, sich deutlich für die Demokratie einzusetzen und die Transformation anzupacken. „Man kann sich nicht mehr nicht verhalten“, sagte sie.

Die TV-Wirtschaftsjournalistin Anja Kohl – © Hessischer Rundfunkt

Anja Kohl machte deutlich, dass „Demokratie und Freiheit die entscheidenden Zukunftsthemen“ sind. Sie betonte dabei, dass die auch massiv mit der Wirtschaftspolitik und dem Verhalten der Unternehmen zusammenhänge und formulierte Forderungen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Die Energiepreise müssten fallen – ohne die Transformation zu gefährden. Deutschland müsse strategische Zukunftsfelder definieren.

Der Mittelstand müsse entlastet werden. Verwaltung müsse digitalisiert werden. Die Anerkennung ausländischer Abschlüsse müsse erleichtert werden. Und das Potenzial weiblicher Arbeitskräfte müsse erkannt und gehoben werden. „Machen Sie den Frauen Angebote“, forderte sie ihre Zuhörer auf. Hier liege ein grosses, bisher sehr vernachlässigtes Potential. Außerdem müsse die Infrastruktur – Stromnetze und die Bahn – verbessert werden. Für diese Aufgaben müssten alle demokratischen Kräfte geeint seien, „sonst drohen Wohlstandsverluste“.

Lob für die Bergische Wirtschaft

Kohl lobte die Patentdichte in der Bergischen Region und nannte Forschung und Entwicklung als einen Schlüssel zu wirtschaftlichem Erfolg. „Daraus müssen Produkte werden!“. Sie erinnerte daran, dass Deutschland in Sachen KI noch den weltweit zweiten Platz einnehme. „Wir haben so viele Ideen, wir müssen sie nur heben“, betonte sie und unterstrich, dass viele Lösungen für Probleme schon da seien, sich nur noch nicht durchgesetzt hätten.

Gut besucht war das IHK-Sommerfest – und das bei wenig sommerlichen Temperaturen um die 18 Grad Celsius- © Siegfried Jähne

Zur Wahrheit aber gehöre auch die Tatsache, dass in Deutschland viele Firmen inzwischen die Koffer packen und wegen fehlender Rahmenbedingungen nicht in Deutschland, sondern in China oder Osteuropa investierten. 8.000 Inventionen bei uns stehen 49.000 woanders gegenüber. Den westlich dominierten Spielregeln stehen Regeln autokratischer Systeme gegenüber.

Investitionen in fossile Energien gefährdeten dabei aber zunehmend unsere Vermögenswerte, die aktuell noch bestehen. Während große Konzerne sich seit 40 Jahren in der der Globalisierung tummeln, habe es der uns tragende Mittelstand schwer, sich zu behaupten. Und als allgemeine Feststellung „die Inflation sei gekommen um zu bleiben….“

„Inflation ist gekommen um zu bleiben“

Wir sollten erkennen, dass Europa unsere Zukunft sei, erklärte die populäre Journalistin, die Germanistik, Publizistik und Politikwissenschaft in Bamberg, Mainz und Baltimore studierte und seit 2001 für die ARD arbeitet. Einer ihrer prominenten Kollegen hatte sich übrigens unter die Zuschauer gemischt. IHK-Hauptgeschäftsführer Michael Wenge konnte den bekannten WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn unter den zahlreichen Gästen ausmachen und begrüßen.

Zuvor hatte IHK-Präsident Henner Pasch in einer engagierten Rede das 75 Jahre alte Grundgesetz gewürdigt und einige Artikel zum Anlass genommen, der Politik den Spiegel vorzuhalten. Beispiel Schulwesen, das unter der Aufsicht des Staates stehe.

Bildung aber werde bei uns grob vernachlässigt. „Ausbaden müssen es die Schülerinnen und Schüler und die Unternehmen“. Sein Vorschlag: „Schicken sie die Schulpolitiker bitte einmal nur eine Woche auf die Schultoiletten, die für die Situation geradezu symptomatisch sind, ich glaube, dann würde sich schon vieles zum bessern wenden“.

Verlust durch Schattenwirtschaft: 500 Mrd. €

Henner Pasch forderte dazu auf, das Eigentum zum Wohle der Allgemeinheit zu nutzen, aber auch, durch Leistung Eigentum zu erwirtschaften. Die Politik müsse mehr Anreize für Leistung setzen und es den Leistungsträgern einfacher zu machen. Dies etwa durch weniger Bürokratie, ein besseres Angebot in der Kinderbetreuung, weniger komplizierte Vorgaben für die Wirtschaft und eine effektive Bekämpfung der Schwarzarbeit.

Impressionen vom IHK-Sommerfest im Außenbereich der Historischen Stadthalle – © Siegfried Jähne

Durch „Schattenwirtschaft“ gehe dem Staat jährlich rund 500 Mrd. Euro verloren, das dürfe man nicht als Kavaliersdelikt abtun. „Ja, Eigentum verpflichtet, aber ohne Leistung kein Wohlstand, und damit nichts, was man zum Wohle der Gesellschaft umverteilen kann. Anreize, die Leistung verhindern, und Bürokratie, die Leistung ausbremst, sind Gift für den Wohlstand und damit das eigentliche Gift für unsere Demokratie,“ so Pasch.

Das Programm wurde durch eine beeindruckende Performances der Tanzschule Schäfer aufgelockert. Und Kabarettist Florian Schroeder erwärmte die Besucher mit seinem Auftritt zum Abschluss  noch mal und brachte sie zum Lachen, als er sich über alle Parteigrenzen hinweg mit der aktuellen Politik auseinandersetzte. Dabei parodierte er auf Zuruf namhafte Politiker. Während er bei Christian Lindner die abgehakten Sprechpausen nachahmte, verharrte er bei Olaf Scholz, die linke Hand in Nabelhöhe haltend, wortlos.

Die dreistündige Veranstaltung fand ihren Abschluss im Freigelände der Stadthalle. Geschäftsführer Michael Wenge hatte vorher noch darauf verwiesen, das das dritte Sommerfest dieser Art im Gleichklang mit dem Wirtschaftsklima fallende Temperaturen verzeichnete. Hatte man vor drei Jahren noch 38 Grad, im Vorjahr noch 28, so waren es diesmal nur noch 18 Grad Celsius Aussentemperatur….

Siegfried Jähne

 

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