6. Juli 2024Peter Pionke
Hermann Schulz: Autor, Verleger und Afrika-Versteher
Manche Protagonisten kennt man gut, andere weniger. Ob bekannt oder weniger bekannt: Wer ihre Portraits liest, möchte vermutlich die eine oder den anderen persönlich kennenlernen. Bisher hat Autor Dr. Matthias Dohmen an gleicher Stelle Dorothea Brandt, Klaus Burandt, Christine Flunkert, Uwe Flunkert, Heidemarie Koch, Johannes Nattland, Josa Oehme, Erika Schneider, Ingrid Schuh, Klaus Schumann, Michael Walter und Wolf von Wedel Parlow vorgestellt.
Hermann Schulz (85), Schriftsteller, Weltreisender und Verleger, wurde am 21.07.1938 als Sohn eines deutschen Missionars im tansanischen Nkalinzi geboren und wuchs im Wendland und am Niederrhein auf. Nach einer Buchhändlerlehre arbeitete er zunächst im Bergbau. Später führen ihn Reisen in mehr als sechzig Länder Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und des Vorderen Orients.
Seit 1960 lebt Hermann Schulz in Wuppertal und war von 1967 bis 2001 Leiter des Peter-Hammer-Verlags, den er durch politische Literatur, Belletristik aus Lateinamerika und Afrika sowie ausgesuchte Kinder- und Jugendliteratur profilierte. Zu seinen Entdeckungen zählen Autoren wie Ernesto Cardenal und Illustratoren wie Wolf Erlbruch. Für seine verlegerische Arbeit wurde ihm 1998 die Hermann-Kesten-Medaille des PEN-Zentrums Deutschland verliehen.
Als Schriftsteller ein Spätberufener
Ein Afrika- und Lateinamerika-Versteher, ein Fabulierer von Rang und als Autor ein Spätberufener: Hermann Schulz war 60, als sein erster Roman erschien. Zehn Jahre zuvor hatte er sich bereits an einem größeren Prosawerk versucht, an dem er drei Jahre schrieb, um dann festzustellen, dass der hoffnungslos überladene Text, gewissermaßen Hermann Schulz hoch zwei, ungenießbar sei. Dieses Manuskript gilbt immer noch vor sich hin.
Sein wieder neu aufgelegtes Debüt, „Auf dem Strom“, stieß 1998 auf eine ausgesprochene positive Resonanz. Den Roman feierte die Wochenzeitschrift „Die Zeit“ als „erzählerische Kostbarkeit“. „Selten findet man in der Jugendliteratur aus der Feder europäischer Autoren so genau ausgewogene Porträts von Schwarzafrikanern“, befand auch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“.
Hermann Schulz, ein Vermittler zwischen den Kulturen Europas, Lateinamerikas und Afrikas, gelingt es, über Schwarze zu schreiben, ohne Kitsch zu produzieren, auf onkelhafte Weise „Partei“ für sie zu ergreifen oder, wie er etwa mit Blick auf Tanja Blixen sagt, „europäische Konflikte auf die afrikanische Bühne zu projizieren“. „Wir suchen dort keine Kultur, sondern schöne Strände und wilde Tiere“, weiß er aus langjähriger Beschäftigung mit literarischen Versuchen, sich dem schwarzen Kontinent zu nähern.
In dem Roman, für den er im Jahr 2005 den „Prix des Lecteurs“ erhielt, schildert er die dramatische Floßfahrt eines deutschen Missionars und seiner schwer erkrankten Tochter Gertrud hin zu einem „europäischen Krankenhaus“, das, als die beiden dort eintreffen, gerade geschlossen wird. Doch der Gottesmann Friedrich Ganse wie das Kind sind realen Personen nachempfunden … und lernen wie Menschen im nichtfiktionalen Leben. Vater und Tochter erleben auf ihrer dramatischen Fahrt viel Solidarität ihnen völlig unbekannter Menschen, und wenn Gertrud überlebt, verdankt sie das auch einem Heiler.
Einem Scharlatan? „Sie waren mächtig, diese Zauberer, und Feinde der Missionare. So wie die Missionare Feinde der Zauberer waren“, heißt es in dem Buch, bei dessen Lektüre man vielfach lachen darf, etwa über die acht Kinder von Herrn Goldschmitt, die im Herzen von Afrika in fehlerlosem Deutsch gemeinsam plärren: „Wir sind die Hoffnung Afrikas. Wir fürchten nur Papa und Mama und sonst nichts auf der Welt.“ Auch Goldschmitt ist einem Menschen nachempfunden, der tatsächlich gelebt hat.
Die Feder, auch Tastatur geheißen, sträubt sich, Schulz‘ Prosa Jugendliteratur zu nennen, weil sie für Kinder und für Erwachsene verfasst ist, die mindestens so viel Gewinn beim Lesen verspüren wie ihre Nachkommen. Etwa der Roman „Sonnennebel“, im Jahr 2000 erschienen und mit einem wunderschönen Schutzumschlag von Wolf Erlbruch versehen. Ein fünfzehnjähriger Waise eckt ständig mit seiner Umgebung an, lässt so schnell niemanden an sich heran, frönt seiner Leidenschaft für Brieftauben (ein Hobby, über das man nicht nur im angehängten Glossar eine Menge erfährt) und erlebt auf eine anrührende Weise seine erste Liebe.
Buch als Andenken an den Polizisten Johannes Dicksken
Die Geschichte spielt am Niederrhein der 1950er Jahre. Das Buch hat Hermann Schulz dem Andenken an den Polizisten Johannes Dicksken, der auch im Roman so benannt ist, gewidmet, der in brauner Zeit Antifaschisten warnte, die mit einer unmittelbar bevorstehenden Durchsuchung durch die Gestapo rechnen mussten. Als schicksalhaft erweisen sich für Freddy Halstenbach jedenfalls ein „blöder Lehrer mit seiner mageren Tochter“. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.
Vor dem Freundeskreis des Instituts für Jugendbuchforschung hat der Weltenbummler Schulz, übrigens lange Jahre mit einer Wuppertaler Bürgermeisterin gleichen Namens verheiratet, in einem längeren Vortrag sein Leben Revue passieren lassen. Die Rede ist als Broschüre erschienen und kann beim Freundeskreis mit Sitz in Frankfurt am Main gegen eine kleine Gebühr bezogen werden.
Dort beschreibt er auch sein erstes Zusammentreffen mit Johannes Rau, der seinerzeit den auf die Herausgabe von Traktätchen und „Erbauungsliteratur“ spezialisierten Verlag leitete. Das erste Zusammentreffen erwies sich als leicht spannungsgeladen. Der sich schnell anbahnenden Freundschaft hat es keinen Abbruch getan.
Hermann Schulz wohnt in dem Haus, das ehedem Ruth und Willi Dirx gehörte, mit dessen Sohn Axel, dem langjährigen IG-Metall-Bevollmächtigten und späteren Wuppertaler Landtagsabgeordneten, er lange verbunden war. Zu seinen Lieblingsautoren zählen Heinrich Böll und Günter Grass, die er beide persönlich kennengelernt hat, Henry Miller, Ernesto Cardenal und viele weitere Autorinnen und Autoren, die er selbst verlegt hat.
Täglich ackert er im eigenen Garten, pflanzend und erntend. Unterwegs ist er oftmals an Schulen. Selbst Vater und mittlerweile Opa, stellt er immer wieder fest: Jungen kommen im Leben wie in der Literatur zu kurz. Einer der Gründe: Die Masse der Grundschullehrer wie der Kinder- und Jugendbuchverfasser ist … weiblich. Dem umtriebigen Autor gehen Aufgaben und Themenstellungen nicht aus.
Schaffenskraft auch im hohen Alter
Die Schaffenskraft Hermann Schulz‘ scheint trotzvorgerückten Alters ungebrochen. Einer der letzten großen Erfolge war der im größten deutschen Taschenbuch-Verlag, dtv, erschienene Roman „Therese. Das Mädchen, das mit Krokodilen spielte“.
Dieses Porträt erschien in einer ersten Fassung in der Besten Zeit, Ausgabe 17/2012, später in dem Buch „Männer im Tal“. Im Mai 2018 wurde Schulz von der Bergischen Universität mit der Verleihung des Ehrendoktors geehrt. Axel Dirx ist am 9.2.2017 verstorben.
Dr. Matthias Dohmen
„Männer im Tal“
Dr. Matthias Dohmen
Porträts
Weilerswist – Ralf Liebe – 2018
116 Seiten – 14,00 €
ISBN 978-3-944566-83-2
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